Record of the Week

Lael Neale „Altogether Stranger” & Jenny Hval „Iris Silver Mist”

Lael Neale
„Altogether Stranger”
(Sub Pop/Cargo)

Jenny Hval
„Iris Silver Mist”
(4AD/Beggars/Indigo)

Was haben Lael Neale und Jenny Hval gemeinsam? Erstens haben beide schon einen persönlichen Heavy-Rotation-Superhit kreiert: „I Am The River“ auf Neales letzten, tollen Album „Star Eaters Delight“ aus 2023 ist nicht nur einer dieser Was-bin-ich-Songs, sondern schlichtweg ein unglaublicher Ohrwurm, der mir sogar Monate später immer wieder nachts ins Ohr und Hirn kroch, also gleich mal wieder auflegen und „Wild Waters“ vom neuen Album folgenlassen. Ähnliches gilt für Hvals „Female Vampire“ von „Blood Bitch“ (2016).

Irgendwie knüpfen beide an wundervollem Synthiepop und Indie New Wave mit minimalistisch-schuheglotzenden Suchbewegungen früherer Zeiten und Menschen an. Zweitens lagen ältere Alben von beiden schon länger auf meinem Stapel für tolle Alben, die ich unbedingt mal rezensieren möchte – bei Neale sogar deren 2021er-Debüt „Acquainted with Night“ und bei Hval ihr faszinierendes 2022er-Werk „Classic Objects“. Nun denn.Also im mehrfachen Sinn auf ein/zwei Neue(s)..

Während Lael Neale aus Virginia/USA von Anfang an im (echten) Regal eher bei Aldous Harding, Epic Soundtracks und Courtney Barnett landete, schwirrt die Norwegerin heftig zwischen den Genres umher, ursprünglich fand sie sich bei mir in der eher Experimentellen, Jazz- und Hard Stuff-Ecke wieder.

Was beide eint, ist ihre Sinnlichkeit – und das jetzt nicht im männlich-blickenden Sexismus, sondern als Beschreibung der textlichen und klanglichen Beschäftigungen mit den Sinnen und ihren Konstituierungen und Spiegelungen in und durch das, was wir wohl immer noch Natur nennen. Wenn etwa bei Jenny Hval auf „To Be A Rose“ wir zu Rosen zu Zigaretten werden und Gertrude Stein (Eine Rose ist eine Rose…) grüßt. Oder wenn Lael Neale Transzendentales, Meditationen und Motoriken ins popmusikalische Spiel bringt und auf „Down on The Freeway“ die Straße mit Suicide oder vor allem Sonic Boom/Spacemen 3 vernebelt-entschlossen entlang schwebt. Gleichzeitig lässt Hval wieder über diverse Klangcollagen, Störgeräusche, Samples oder Einspielungen produktive Irritationen entstehen, höre „You Died“ (puh…) oder „Spirit Mist“ (wow…). Neale hingegen experimentiert nicht so viel, ohne deswegen gefällig zu sein. Gefallen scheinen hier eher diverse Skeptizismen und nur scheinbare Dystopien zugunsten von schon dann irgendwie auch doch noch Hoffnung. Vielleicht eher verfällig? Mütter, Freunde, Familien, Enden und der dauerhafte Wandel beschäftigt diese beiden immer wieder im schillernden Sinne verstörenden Musiker*innen, die ich Künstler*innen nennen möchte, auf allen Ebenen ihrer Musiken. Denn diese beiden Alben eröffnen Welten zwischen so vielen Stilen (bei Hval bis zu Gothic, Dance, Rave, Ambient und Industrial, bei Neale bis zu Post/Art Punk, Vapor Wave, Indietronics, Tweek und Indie Soul), die nicht in einer Wischbewegung aufgefasst, verstanden oder weggewischt werden können.

Vielleicht kann ich diese Songs eines Tages mal wieder entspannt mit Freund*innen für Freund*innen auflegen, es wäre mir ein Fest. Falls wir nicht alle, wie ein befreundeter Künstler neulich im morgendlichen Nahverkehr konstatierte, in den massiven Widerstand gegen dumm Querdenkende oder regressive Wutbürger*innen gehen werden. Für die (große) Liebe. Gegen (kleingeistigen) Hass. Nondualistischer Pathos jetzt. Wann denn sonst? Da bin ich ganz bei Tocotronic. Xabi Alonso soll ja Galaxie 500- und Keir Starmer Agent Orange-Platten besitzen: „Why’s everybody actin‘ funny? Why’s everybody look so strange? Why’s everybody look so nasty? What do I want with all these things?“ („Strange“, Galaxie 500)…

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