„Deutsche sind oft Overachiever: wenn sich ein Deutscher reinhängt, macht er eine bessere Carbonara als der Italiener.“

Francesco Wilking (Photo: Courtesy Künstler & Management)
Alles fing mit Wandas Platte „Amore“ an. Seitdem scheint die deutschsprachige Musik einen Italo-Pop-Hype zu erleben. Peter Fox nimmt 2023 seinen Song „Toscana Fanboys“ zusammen mit Sängerlegende Adriano Celentano auf. Roy Bianco und die Abbrunzati Boys persiflieren den Italo-Schlager der 80er Jahre. Und Francesco Wilking (Sänger und Gitarrist bei den Bands Tele und Die Höchste Eisenbahn) covert mit der Crucchi Gang deutschsprachige Songs auf Italienisch. Ich treffe ihn am Prenzlauer Berg, wir trinken Almdudler und die Temperaturen fühlen sich mehr nach Napoli als nach Berlin an.
Francesco, bei eurem Bandprojekt Crucchi Gang covert ihr deutschsprachige Lieder auf Italienisch. Zuletzt die Singles “Emanuela” von Fettes Brot (in der italienischen Version: “Emanuela (Giu Le Mani)”) oder “Philosoph” (“Filosofo”) von Dilla. Warum gerade Italienisch?
Francesco Wilking: Ich bin als Italiener und Deutscher zwischen beiden Kulturen aufgewachsen und mache gerne deutsche und italienische Musik. Charlotte Goltermann, die auch die Managerin der Crucchi Gang ist, hatte vor einigen Jahren die Idee, deutsche Lieder ins Italienische zu übersetze, in einem bestimmten, von uns mit dem Produzenten Patrick Reising kreierten Sound. Am Anfang hielt ich es für eine Schnapsidee.
Du warst nicht so begeistert?
Erst als ich angefangen habe, Bungalow von Bilderbuch zu übersetzen. Es war total geil, die Kulturen zu verbinden, indem man einen Song so covert, dass es ein Italo-Pop-Song sein könnte. Das geht nicht mit allen Liedern. Manche sind zu stark in der deutschen Kultur verhaftet. Aber viele transportieren was Universelles. Das ist ja, was man Popmusik nennt. Bungalow zum Beispiel könnte – von der Melodie, der Rhythmik, der Thematik – ein Lied von Lucio Battisti von 1975 sein.
Du übersetzt einerseits die Lyrics, aber auch die Musik?
Ja. Ich suche nach einem Pendant zu den deutschen Künstler:innen in Italien. Die ähnliche Musik machen, ähnliche Texte singen. Und frage mich, wie das klingen würde, wenn die Person das Lied damals in Italien gesungen hätte.
Gibt es bestimmte Worte, die man nicht übersetzen kann?
Gewisse Wortspiele oder Satzbildungen gibt es oft nicht auf Italienisch. Ich muss dann frei übersetzen. Bei “Meine Kneipe” von Von wegen Lisbeth, singt Matze zum Beispiel: „Mach dich glücklich. Mach dich traurig. Mach, mach, mach es gut.“ Das geht auf Italienisch nicht, jemanden etwas Gutes zu wünschen mit dem Verb “machen”. Ich habe daraus gemacht: „Fatti bella, fatti il culo, Fatti, fatti tuoi.“ Fatti il culo heißt: mach dir den Arsch, heißt: häng dich rein. Das ist, was mir Spaß macht und was ich will. Dass es einen ähnlichen Humor hat.
Du hast es gesagt du bist ja selbst zwischen den beiden Kulturen aufgewachsen.
Ich bin in Lörrach, einer Kleinstadt mit sehr vielen Gastarbeiter:innen aufgewachsen. Die Italiener dort waren schon eher Menschen zweiter Klasse und mussten sehr kämpfen, sich zu integrieren. Sie konnten das auch lassen, indem sie sich in ihre Community verkrochen haben. Ich habe als Jugendlicher in einer Fabrik gearbeitet, in der es zweisprachige Schilder gab. Viele Italiener:innen sind in den 60er gekommen und in den 90er konnten sie immer noch kein Deutsch.
Zugleich gibt es in Deutschland eine gewisse Faszination für Italien. Man verbindet damit geiles Wetter, gutes Essen, Dolce Vita… Wie geht das zusammen?
Es geht zusammen, weil das keine Sehnsucht nach etwas ist, das es tatsächlich gibt, wie nach einem wirklichen Leben in Italien, was zum Teil auch beschwerlich sein kann. Diese Sehnsucht ist eher eine Art Fototapete, eine Pizza-Pasta-Sehnsucht.
Inwieweit bespielt ihr die mit eurer Musik?
Wir bespielen die sicherlich, weil wir nicht sagen: hier ist das echte Italien. Wir kokettieren schon mit Urlaub und mit Zitronen, mit Eis und Aperol Spritz. Aber wir versuchen trotzdem keinen Gouda auf die Pizza zu machen.
Ihr nennt euch ja auch Crucchi Gang, was in Italien eine abfällige Bezeichnung für Deutsche ist.
Das war angelehnt an den Song “Gucci Gang” von Lil Pump. Weswegen viele auch “Krutschi” Gang sagen – da packe ich dann den Oberlehrer aus. Ich mag den Namen, weil es ein Reclaiming ist von einem Wort, das in Wirklichkeit sehr hässlich ist…
Was bedeutet Crucchi wörtlich übersetzt?
Sowas wie Kackdeutsche. Crucco, das sagen die Leute zu Ursula von der Leyen zum Beispiel, die für Europa und die Deutschen steht, die sich ja – den Italienern gemäß – Europa ausgedacht haben, um sich selber zu sanieren. Es gibt da sehr krasse Ressentiments. Die auch ein Grund sind, warum so viele die Faschisten gewählt haben.
Euer Projekt fällt in eine Zeit, in der diese Italiensehnsucht in der deutschsprachigen Musik (wieder) zum Trend geworden ist. Man denke nur an Wanda, Peter Fox, Roy Bianco und die Abbrunzati Boys. Siehst du das genauso?
Ja, aber ich kann den Trend nicht richtig ergründen. Ich weiß nicht, ob das eher nur ein Großstadtding ist. Ich stehe solchen Trends schon immer kritisch gegenüber. Deutsche sind oft Overachiever: wenn sich ein Deutscher reinhängt, macht er eine bessere Carbonara als der Italiener. Oder hat zu Hause eine wahnsinnig fette Siebträgermaschine rumstehen. Manche Deutsche sind dann italienischer als die Italiener:innen selbst. Andererseits ist das oft alles sehr oberflächlich. Für mich ist Italien auch die Kultur, die tollen Bücher und Filme und eben die Musik. Deswegen sehen wir uns auch etwas als Botschafter. Wir wollen die italoaffine Crowd unterstützen und ihnen die italienische Musik zeigen. Bei den Konzerten covern wir auch viele unserer italienischen Lieblingsliedern.
Zum Beispiel?
Ich singe oft Lieder von Calcutta oder von Colapesce und Dimartino, das sind neuere Künstlern. Aber auch Klassiker von Lucio Dalla oder von meinem italienischen Lieblingskünstler: Lucio Battisti. Aber jetzt eben nicht die Pizzeria-Pop-Klassiker.
Wie würdest du diese italienische Musik – die sogenannte musica leggera – beschreiben, als eine Überschneidung zwischen Pop und Schlager?
Es gibt in Italien nur Popmusik. Dieses Schlager-Genre gibt es nur in Deutschland. Für mich ist musica leggera so 60er Jahre Musik, mit Sängerinnen wie Mina und Ornella Vanoni mit besonderen Stimmen. Das waren die ganz großen Popsongs, bei denen im Refrain ein Streicherhimmel aufgeht. Schlager hingegen hat so was Stumpfes. Musica leggera heißt einfach leichte Musik. Die hat was Eskapistisches. Von wegen: wir setzen uns jetzt nicht mit den Problemen der Welt auseinander, jetzt geht es um – meist heteronormative – Beziehungen.
Um amore.
Ja und das kann trotzdem tiefgründig sein. Bei “Sapore di Sale” von Gino Paoli, zum Beispiel, also “Geschmack von Salz”, geht es um Sommer, Strand und Meer, aber auch um eine schwierige Liebesbeziehung. Und es ist trotzdem feelgood Musik. Es gibt ein tolles Lied von Colapesce und Dimartino, die Popmusik mit einer ironischen Note machen: “Musica leggerissima”, also sehr leichte Musik. Im Refrain singen sie: gib mir musica leggera, oder am besten noch leggerissima, ich habe keinen Bock mehr, mir über irgendwas Gedanken zu machen. Damit setzt sich die Musik heutzutage in Italien viel auseinander. Es gibt auch ein geiles Lied von Giorgio Poi und Calcutta: “Musica Italiana”. Da singen sie über Italiener:innen im Ausland, die nie italienische Musik hören wollten, bis sie dann im Ausland waren. Dann hat sie plötzlich ein Stück Parmesan zum Weinen gebracht.
Da ist wieder diese Sehnsucht.
Genau, aber es gibt zum Beispiel ein lustiges Lied von Calcutta, das heißt „Paracetamolo“, also Paracetamol. Wir spielen das oft bei Konzerten, um zu zeigen, dass es in der italienischen Musik nicht immer nur um Pizza, Amore, Gelato geht. Die Leute sagen dann: witzig, es klingt aber trotzdem nach Liebe.
Ihr versucht mit eurem Projekt von dieser Oberflächlichkeit wegzukommen. Was hältst du von Bands wie Roy Bianco und die Abbrunzati Boys?
Ehrlich gesagt gibt es in dem Zusammenhang nichts Oberflächliches, es ist eben einfach Popmusik. Lieder wie “Bello E Impossibile” von Gianna Nannini sind unfassbar geil. Da fehlt mir kein komisches intellektuelles Element. Bei den Songs von Roy Bianco und den Abbrunzati Boys ist es genauso. Die haben tolle Lieder und halt mal eine italienische Zeile mit drin haben und die witzige Erzählung, dass sie eine italienische Band aus den 80ern sind. Ich würde sagen, dass sie was ganz anderes machen als wir.
Aber sie bedienen auch diese Sehnsucht.
Schon, wer sich gerne gruseln möchte, kann sich einen Horrorfilm angucken, einen Science Fiction Film oder einen Mysteryfilm. So ist es mit der Italiensehnsucht auch. Ich könnte mich im Sommer nicht zwischen Baggersee und Schwimmbad entscheiden, und trotzdem hat das Schwimmbad nichts mit dem Baggersee zu tun. Ich weiß zwar nicht, wer bei dem Vergleich jetzt der Baggersee ist… Wir sind wahrscheinlich das Meer.
Diese Nostalgie nach einem 80er Jahre Italien kommt auch bei jungen Menschen gut an. Dabei sind die jetzt kaum mehr mit ihren Eltern mit dem Auto über den Brenner nach Italien gefahren.
Das stimmt, aber das ist einfach ein Trend. Zum Beispiel: Aperol Spritz ist in Italien selbst auch noch nicht so lange ein Ding. Vor zehn Jahren haben es das Leute in Triest und Venedig getrunken, und sonst tranken sie überall Campari Soda. Inzwischen ist Aperol Spritz in ganz Italien Trend. Oder, dass jetzt seit Neuestem die Leute wissen, dass man Carbonara nicht mit Speck, sondern sogar mit Guanciale macht, hat mit TikTok und Instagram zu tun.
Aber die Begeisterung für Italien gab es ja auch schon früher.
Ja, aber anders. Manche sind in die Cinque Terre zum Wandern gegangen und andere nach Venedig oder Rom, wieder andere sind einfach ans Meer. Jetzt hat es mehr so etwas Schablonenhaftes.
Euer Ziel ist es aber nicht, auf dem Trend aufzuspringen?
Nein. Wir haben das Projekt tatsächlich gestartet, ohne auf irgendwas Bestimmtes abzuzielen. Unsere Platte kam im Corona-Sommer 2020 raus, als niemand richtig verreisen konnte. Wir wollten uns mit Europa und dort Italien verbinden und haben zufällig eine Art Feeling getroffen. Es geht auch um eine bestimmte Farbe, mit der wir gemalt haben, bezogen auf die italienische Musik. Hört man sich im Vergleich “Bologna” von Wanda an, ist das ein total geiles Lied. Aber nimmt man den Text weg und hört nur die Musik, würde man wahrscheinlich gar nicht an Italien denken. Das ist nicht konkret italienische Musik, sondern sie haben einfach eine italienische Geschichte erzählt und die Platte Amore genannt.
Österreich hat natürlich nochmal eine ganz andere Nähe zu Italien.
Für meine Familie aus Rom war Österreich immer ein rotes Tuch, die Feinde. Aber für die jungen Österreicher und die Leute in Italien sicherlich nicht mehr.
Die Musik kann ja helfen, dass das so bleibt.
Ja, auf jeden Fall. Außerdem haben die Österreicher uns den Spritz gebracht.








