Reeperbahn Festival 2019

Die Causa Bausa

Quelle: Instagram WARNER MUSIC GERMANY


Es hätte alles so entspannt werden sollen: Das Reeperbahn Festival (RBF) rief und Europas Musikfans kamen. Auch im 14. Jahr der inzwischen zum Mega-Event aufgestiegenen Veranstaltung lockte ein solides Lineup die Massen in St. Paulis Bars und Clubs. Einer der mit Spannung erwarteten Headliner waren die englischen Indie-Lieblinge Foals, die am Freitag Abend die Warner Music Night im Docks krönen sollten.

Dann griff deren Chef Yannis Philippakis ebenso unglücklich wie unerklärlich in ein Messer und musste an drei Fingern genäht werden; Gitarre spielen fällt erst einmal aus. Ganze 48 Stunden vor der Show kam die Absage und entsprechend hektisch wurde nach Ersatz gesucht. Der war bald gefunden und sorgt seitdem für Unmut und fassungslose Gesichter unter den Ticketinhabern: Bausa übernimmt den Slot.

Ja, genau der. HipHop statt Math Rock mag mutig erscheinen, ist aber natürlich okay. Mut dürfte in den Überlegungen der Verantwortlichen allerdings eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, denn mit ein wenig mehr Rückgrat hätte hier eindeutig jemand einschreiten müssen.
Warum?
Darum: “Ich lass keine Hurentochter ungefickt, alle wollen meinen Dick, sogar Lesben werden umgedreht.”

Ein Ausrutscher?
Leider nein: “Steig ein, während der Fahrt kannst du mir ein’n blasen. Mach hier nicht auf extravagant, weil jeder von uns locker mit dir Sex haben kann. Karima, ich baller’ dich im Beifahrersitz, weil eine Bitch bleibt eine Bitch, bang bang bang.”

Alles nur ein Stilmittel?
Gossen-Poesie?
Oder gar das inzwischen doch stark überstrapazierte “lyrische Ich”?

Ganz ehrlich: drauf geschissen. Das RBF bemüht sich seit Jahren um Diversität und Integration, verspricht auch diesmal wieder auf der Homepage: “Rassismus, Sexismus, Homophobie und Ausgrenzung finden bei uns keinen Platz.” Und nun bietet man dem exakten Gegenteil dieser Überzeugungen ein Forum auf der ganz großen Bühne eines der wichtigsten Branchentreffens des Landes.

Entsprechend hart fällt die Kritik aus. Neben enttäuschten Fans, die ob dieses fragwürdigen Ersatzes schlicht jegliches musikalische Gespür vermissen, wird in sozialen Netzwerken durchaus auch das eigentliche Problem benannt:
“Sexistische Texte und frauenverachtende Zeilen haben hier absolut nichts verloren”, schreibt eine Userin auf Facebook, eine andere erinnert an das diesjährige Motto, unter dem das Festival an den Start geht: “Empowering Women in Music”.

Kann man sich kaum ausdenken.

Bausa ist extrem erfolgreich. Über zwei Millionen verkaufter Tonträger und natürlich eine vielfach größere Zahl auf dem Streaming-Tacho sprechen nach gerade einmal fünf Jahren im Geschäft eine deutliche Sprache und Geschmäcker sind nun einmal verschieden. Aber um Geschmack geht es hier auch nicht. Die Frage ist, ob ein renomiertes und mit knapp 30 Millionen Euro öffentlicher Gelder über fünf Jahre gefördertes Festival mitten in der Debatte um sprachliche Verrohung einem Mann eine Plattform bieten darf, der genau diesen Prozess befeuert und daran bestens verdient.

Welche Verantwortung hat ein solches Event und welches Signal geht von Entscheidungen wie dieser aus?

Die Moderatorin und Journalistin Christiane Falk sieht Auswirkungen sprachlicher Abstumpfung auch bei Kindern und Jugendlichen, der mehrheitlichen Zielgruppe solcher Acts: “Durch Leute wie Bausa bekommen sie vermittelt, dass Frauen praktischerweise zum Vögeln aka der männlichen Befriedigung taugen, man notfalls auch queere Frauen sexuell wieder auf den richtigen Weg bringen kann, wenn man sie nur anständig nagelt.”

Warum setzt man eine Institution wie das RBF einer solchen Debatte aus? Dass man bei Warner, einem der Platzhirsche im Business, wirklich keine Alternative zu Bausa im Angebot hatte, darf bezweifelt werden. Über andere Beweggründe von simpler Gedankenlosigkeit bis zum bewusst kalkulierten Skandal kann man spekulieren. Einen Gefallen hat man dem eigentlich stets stilsicher gebuchten Reeperbahn Festival damit sicher nicht getan. Im Gegenteil. Die jahrelange, aufrichtige und engagierte Arbeit vieler Menschen bekommt nun durch die krasse Fehlentscheidung einzelner Personen in der öffentlichen Wahrnehmung einen ziemlich fiesen Nachgeschmack.

Abschließend, abgesehen von allen inhaltlichen und gesellschaftlichen Aspekten, mal eine kurze Frage mit Blick auf das eigentliche Kerngeschäft von Bookern und Labels: Bausa als Ersatz für Foals?
Euer Ernst?

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Ergänzendes offizielles Statement zum Thema Bausa vom Reeperbahn Festival Team ‘
(ging der Redaktion per Email am 21.9. zu):

“Das Reeperbahn Festival ist bunt und bleibt offen für alle. Bei uns gibt es keinen Platz für sexistisches, diskriminierendes, rassistisches, oder anderes extremes Gedankengut, sehr wohl aber für die künstlerische Freiheit, solange sie sich innerhalb juristisch legaler Grenzen bewegt. Das international verbindende Element von Musik ist für uns ein hohes Gut.

Für das Programm des Reeperbahn Festivals in all seinen Facetten spielt gleichzeitig die kuratorische Freiheit grundsätzlich eine bedeutende Rolle. Vor diesem Hintergrund halten wir es für einen Fehler, dass der Künstler Bausa in der Warner Music Night auftreten wird.

Bausa wurde von Warner Music nach der kurzfristigen Absage der Indie-Band Foals ohne Rücksprache mit uns oder dem Team des Docks als Spielstätte nachträglich in das Line-Up der Warner Music Night genommen. In der vergangenen 14-jährigen engen Zusammenarbeit mit Warner Music wurden wir bislang in die Auswahl aller Künstler*innen einbezogen. Eine Vorgehensweise wie diese hätten wir uns trotz der Kurzfristigkeit auch für diesen Künstler gewünscht.

Folgendes Statement hat Warner Music uns für Anfragen zur Weiterleitung zur Verfügung gestellt:

„Warner Music steht für Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz. Bei uns arbeiten Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Meinung oder musikalischem Geschmack. Gemeinsam arbeiten wir täglich daran, neue Hits in die Welt zu bringen und neue Künstler zu etablieren. Das gelingt uns nur durch enge Zusammenarbeit, Toleranz und gegenseitigen Respekt. Bei Warner Music hat jegliche Form der Diskriminierung keine Chance. Deshalb bedauern wir sehr, dass Du Dich persönlich durch einzelne Passagen eines Songs verletzt fühlst. Wir können Dir versichern, dass dies weder im Interesse unseres Künstlers noch in unserem liegt.“

Das Reeperbahn Festival Team”

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