Book of the Week

„Dahinter. Dazwischen. Daneben. Von kulturellen Außenseitern und Sonderlingen“ von Jonas Engelmann

24. Januar 2022,

„Dahinter. Dazwischen. Daneben –
Von kulturellen Außenseitern und Sonderlingen“
Jonas Engelmann
Ventil Verlag

Wer sich in der hiesigen Kulturlandschaft für randständige, absonderliche und beizeiten bizarre Popkulturproduktionen interessiert, der wird früher oder später auf den Mainzer Ventil Verlag stoßen. Seit 25 Jahren gibt er Bücher über Künstler:innen, Subkulturen oder künstlerische Bewegungen heraus, die zumeist unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit laufen.

In seinem neuen Buch „Dahinter. Dazwischen. Daneben. Von kulturellen Außenseitern und Sonderlingen“ hat sich Ventil-Herausgeber Jonas Engelmann diesem Thema, das in seinem Schaffen ohnehin immer präsent ist, noch ein mal in besonderer Weise angenommen. Über 50 kurze Porträts hat er dafür zusammengetragen, die in den vergangenen 15 Jahren in einschlägigen Magazinen wie der Jungle World, konkret oder Neues Deutschland erschienen sind. Bei aller Vielschichtigkeit der darin porträtierten Persönlichkeiten eint(e) diese doch das Gefühl, nie so richtig dazu gehört zu haben bzw. dazuzugehören. Dieses Grundgefühl ist dabei – wie so oft – als ein dialektisches Spannungsverhältnis zu verstehen: Denn zum einen geht mit dem Empfinden der eigenen Abseitigkeit das Gefühl der Verlorenheit und nicht-Zugehörigkeit einher, das mitunter Einsamkeit und Verzweiflung nach sich zieht. Zum anderen aber befreit es von der piefigen Erwartungshaltung bürgerlicher Normvorstellung, sodass space der place wird – der nicht-Ort als Ort, der das erstickende Zwangskorsett des bürgerlichen Kulturbetriebs zu sprengen vermag.

Entgegen der ersten, intuitiven Annahme muss dieses Grundgefühl der nicht-Zugehörigkeit aber nicht zwangsläufig mit der Tatsache korrespondieren, fernab des etablierten Kulturkanons zu firmieren. Einen der porträtieren Künstler – Peter Weiss – kennen nicht wenige wohl noch aus dem Deutschunterricht. Dabei wurde Weiss geradezu gewaltsam und gegen seinen Willen eingedeutscht, als sein autobiographisches Buch „Abschied von den Eltern“ im Jahr 1961 zum literarischen Überraschungserfolg wurde. Er, der in der Nazizeit zum Juden gemacht wurde und nie die deutsche Staatsbürgerschaft besessen hatte, sollte nun das geläuterte Deutschland repräsentieren – obwohl er gar nichts und schon gar nicht Deutschland repräsentieren wollte. Auch seine kurzzeitige Nähe zum Staatssozialismus der DDR und die damit einhergehenden Privilegien fanden ein jähes Ende, nachdem er den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1968 verurteilt hatte. So bewahrte er sich seine künstlerische und politische Abhängigkeit, musste im Gegenzug aber auf jene Vorzüge verzichten, die die üblichen Opportunisten des Kulturbetriebs dankend einsackten.

Weiss ist mit seinem Bekanntheitsgrad im Kreise der porträtierten Künstler/innen aber doch eher ein Außenseiter unter den Außenseitern: Von Jandek etwa hat man höchstwahrscheinlich auch dann noch nicht gehört, wenn man das kleine und große Einmaleins des Indie-Undergrounds beherrscht, ähnlich hält es sich mit Jeffrey Lewis. Auch vom tschechoslowakischen Regisseur Zbyněk Brynych dürften im westlichen Kulturkontext nur die wenigsten Notiz genommen haben. Und die Schweizerin Aglaja Veteranyi ist nach ihrem kurzzeitigen literarischen Erfolg Ende der 1990er Jahre und ihrem kurz darauf folgenden Ableben wieder in der kulturellen Versenkung verschwunden, wenngleich sie uns heute im Zeichen heftiger Identitätskonflikte und -krisen viel über das „fragile Leben zwischen den Kulturen“ (Engelmann) zu erzählen hätte.

„Bei uns ist überall Ausland“, hat Veteranyi in ihrem Debütroman „Warum das Kind in der Polenta kocht“ geschrieben und damit die Universalität ihrer subjektiven Fremdheitserfahrung auf den Punkt gebracht. Dahinter. Dazwischen. Daneben: Es gibt viel zu entdecken in den kulturellen Nischen unserer Welt. Wo aber genau? Das vorliegende Buch von Jonas Engelmann bietet einen vorzüglichen Ausgangspunkt.

Text: Luca Glenzer

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