Buch des Monats

“Insel der Tausend Leuchttürme” Walter Moers

13. September 2023,

Walter Moers
“Insel der Tausend Leuchttürme”
(Penguin)

Klei mi an Moers, endlich ein neuer Zamonien-Roman! Dass sein Name auf plattdeutsch an den Allerwertesten gemahnt, hat Walter Moers sicherlich nicht dazu bewogen, sein Alter Ego Hildegunst von Mythenmetz diesmal auf die Insel Eydernorn zu schicken, wo es zugeht wie in einem LSD-Nordseeurlaub. Kurbehandlungen, Badeärzte, bescheuerte Wasservögel, Strandkörbe, das kennt man. Frostfratten, sich rasend vermehrende Aquarientiere namens Humdudel, absurde Sportarten, bei denen geckenhafte Schweine Kraken durch die Dünen dreschen, kosmische Horror-Wesen, die aber die Liebe endeckt haben, und halluzinogene Seekarten vielleicht eher nicht. Ganz zu schweigen von von der umfassenden Bedrohung der Moersschen Fantasy-Welt, die hier nicht gespoilert werden soll, wenngleich sicherlich preisgegeben werden darf, dass sie, wie alles Schlechte, von oben kommt, und dass die titelgebenden “1000 Leuchttürme” (die in Wahrheit nur 112 oder vielleicht 113 sind …) ein verschwörerisches Netzwerk bilden, das mit dieser Bedrohung in direktem Zusammenhang steht.
Schon dieser kurze inhaltliche Ausblick lässt erahnen, dass Moers sich diesmal, sicherlich sehr zur Freude seiner zahlreichen Fans, wieder auf die Erfolgsrezepte besonnen hat, die ihn zu einem der erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache gemacht haben. Ungezähmte Fabulierlust, unbedingter Wille zur unterhaltsamen Aus- und Abschweifung, überbordender Anspielungsreichtum auf realweltliche Sachverhalte und solche der Kunst, sowie eine einzigartige Mischung aus Humor, Horror und wabernder Psychdelik. Das “Orm”, jene mythische Schöpferkraft, die in der Welt Zamonien den eitlen Dichterfürsten Mythenmetz durchströmt, stand auch Walter Moers für das neue Buch anscheinend überreich zu Gebote.
Da wird es leichter zu verschmerzen sein, dass die sehnlich erwartete Fortsetzung des “Labyrinths der träumenden Bücher” aus dem Jahr 2011 noch immer aussteht, an dessen Ende das Publikum mit dem Satz “Hier fängt die Geschichte an” mitten in der Handlung zurückgelassen wurde. Seither widmete Moers sich in George R.R.Martin-Manier Nebenschauplätzen seines Kosmos´, und arbeitete mit Co-Autor*innen und -zeichner*innen an Geschichten und Comics, die ihm selbst erkennbar wichtig sind, von vielen Leser*innen aber als Übergangswerke angesehen werden. “Die Insel der 1000 Leuchttürme” ist nun wieder ein amtlicher Zamonien-Fix, der die Fans versöhnen wird und überdies auch einen guten Einstieg in den Moersschen Kosmos darstellt, falls es wirklich Popkultur-Interessierte geben sollte, die bisher noch gar keine Berühung mit dieser Universum hatten.

Das allerdings ist schwer vorstellbar, ist Moers doch seit Jahrzehnten, und schon lange vor dem Bestseller-Erfolg, wie kaum ein anderer Autor popkulturell präsent, was umso erstaunlicher ist, als er persönlich die Öffentlichkeit in einem Maße scheut, wie es im Zeitalter sozialer Medien und penetranter Anfassbarkeit von Künstler*innen eigentlich gar nicht mehr vorstellbar ist. Zunächst als Cartoonist und Comiczeichner zu Berühmtheit gelangt, feierte er in den Zeitschriften “kowalski” und “titanic” Erfolge, steuerte aber mit den Kindergeschichten von “Professor Schimauski” schon stark in zamonische Gefilde, bevor er mit dem “Kleinen Arschloch” und den schwarzhumorigen “Hitler”-Comics in den Mainstream explodierte. Zur Schriftstellerei kam der bildende Künstler Moers, der noch heute seinen zamonischen Kosmos reich illustriert, ebenfalls über Kindergeschichten, die vom “Kapitän Blaubär” nämlich, der lange Zeit die “Sendung mit der Maus”bevölkerte. Moers soll sich über die wiechgespülte, kommerzialisierte Entwicklung, die seine Figuren dort nahmen, derart geärgert haben, dass er sich an den ersten Zamonien-Roman über die “13 1/2 Leben des Käpt´n Blaubär” setzte, einen Riesenerfolg nicht nur auf dem deutschsprachigen Markt, sondern sogar international, wo Moers als einer der wenigen deutschen (Fantasy-)Autoren präsent ist und von Kolleg*innen wie dem Fantasy-Punk China Mieville in den höchsten Tönen gepriesen wird.

Vielleicht liegt es an diesem schon beinahe unheimlichen Erfolg seiner Werke im Zusammenspiel mit der persönlichen Zurückhaltung des Autors, dass Moers als Schriftsteller im engeren Sinne immer noch zu wenig gewürdigt wird. Dabei zeichnet seine Werke nicht nur ein schier endloser Einfallsreichtum aus, sondern auch eine Handwerkskunst, die möglicherweise gerade im immer noch schwer in die Schwerliteratur verliebten Deutschland übersehen werden muss, wo man es gerne hat, wenn ein gewichtiges Werk seine Bedeutsamkeit auch vor sich herträgt und die leichte Hand mit künstlerischer Sorglosigkeit verwechselt wird.

Dabei gelingt es Moers für seine Zamonien-Romane eine Sprache zu finden, die nur scheinbar tändelnd leicht an der Alltagssprache entlang tänzelt. Unmerklich bedient er sich, wenn er es braucht, selbstverständlich einer barocken, expresionistischen und romantischen Klaviatur, die auch einem Publikum, dass mit diesen Registern sonst kaum Berührung hat, exquisite Altmoden, pralle Aufzählungen, funkelnde Adjektive und kraftstrotzende Verben zumutet, von den zahllosen Wortneuschöpfungen ganz zu schweigen, angesichts derer sich ein ganzes Zürich voller Dadaisten gehackt legen könnte. Nicht zu vergessen auch Moers´ feine Kunst der Dramaturgie, die sich schamlos Abscheifung, Hakenschlag, Fußnote, Irrung, Wirrung und Einfallshascherei erlaubt, nur um stets wieder zu einer spannenden Handlung zurückzufinden, dies alles präsentiert durch die Schnauze oder die Briefklaue eines eigensinnigen Protagonisten mit unverwechselbarem Eigenleben. Wer will, darf an Laurence Sterne, Melville, Imrtraud Morgner, ETA Hoffmann oder Arno Schmidt denken — und nicht zuletzt die große Erika Fuchs, die uns das deutsche Entenhausen schenkte.
So oder so, tief durchdacht, tiefer empfunden oder mit glühenden Ohren weggelesen, die “Insel der 1000 Leuchttürme” ist erneut ein großes Vergnügen. Man muss keine wahrsagende Schreckse sein, um zu ahnen, dass das Buch erneut ein großer Erfolg sein wird.

Text: Jasper Nicolaisen

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