Leuchtturmwärter*innen unite

“Mit Humor ist es wie mit dem Alkohol” – Walter Moers im Interview

22. September 2023,

Walter Moers’ Interpretation des medienscheuen genialischen Autors ist keine Pose. Von Talkshow bis Zeit-Podcast, von der Homestory bis zum FAZ-Leitartikel… all das lässt der vielgeliebte Nerd gemeinhin aus. Umso begeisterter sind wir bei kaput, dass sich unser Fantasy-Ultra Jasper Nicolaisen aber tatsächlich ein Interview mit dem Schöpfer des kleinen Arschlochs, Käpt’n Blaubär und zuletzt natürlich den umfangreichen Zamonien-Erzählungen beschaffen konnte. Viel Spaß!

Als ich im Frühjahr 2023 erfahre, dass Walter Moers einen neuen umfangreichen Zamonien-Roman veröffentlichen wird, bin ich als Fan seit Kindertagen elektrisiert. Umgehend bitte ich beim Verlag um ein Rezensionsexemplar von “Die Insel der 1000 Leuchttürme”. Wie schon einige Male zuvor äußere ich Interesse an einem Interview und wuchere mit dem einzigen Pfund, dass ich habe: Da ich für schräge Popmedien schreibe, könnten wir über Themen sprechen, die sonst eher hintenrunterfallen. Erwartungsgemäß erfolgt keine Reaktion. Moers ist notorisch öffentlichkeitsscheu und gibt nur selten Interviews. Monate später aus heiterem Himmel eine Mail. Herr Moers sei bereit, einige Fragen schriftlich… ob da noch Interesse…? Ja klar! Die Antworten auf meine verkrampft-langen Fragen fallen eher knapp und recht schlecht gelaunt aus, was das Ganze noch mysteriöser macht. Warum ich? Warum so? Keine Ahnung. Egal! Ein Interview mit Walter Moers. Von mir. Jetzt kann ich beruhigt sterben. Und das ist ja auch was wert.

“Autofiktion”, also die Verarbeitung des eigenen Lebens in Romanform, ist der literarische Trend der Stunde. Wenn ich mir die “Insel der 1000 Leuchttürme” ansehe, habe Sie sicherlich unlängst einen Kuraufenthalt an der Nordsee absolviert, Kaffee, Kauderwelsch und komisches Museum inklusive? Oder wie verhält es sich bei Ihnen mit Leben und Kunst?

WALTER MOERS Besonders originell ist dieser Trend ja nicht – schreibt man nicht meistens über das, was man kennt? Bei der INSEL war das tatsächlich der Fall: Ich wurde als Fünfjähriger für eine Asthma-Kur auf eine Nordseeinsel verschickt, im Winter, inklusive Nasenduschen mit Meerwasser und Eistauchen. Diese traumatischen Erlebnisse konnte ich nun endlich in einem Zamonienroman verarbeiten – jetzt geht es mir besser. Die Insel im Roman heißt EYDERNORN, wenn Sie das anagrammieren, kommen Sie vielleicht drauf, welche Insel es in der Realität war.

Das Authentische, das gerade so gesucht ist, teilen Sie als Autor so platt nicht aus. Ihre Bücher sind allerdings voll mit Anspielungen auf andere Kunstwerke, meist romantischer oder expressionistischer Art. Gibt es aktuelle Phänomene der Literatur, die sie wahrnehmen, erfreuen, ärgern oder beeinflussen?

WALTER MOERS Ich bin da eher retro veranlagt. Oder sogar nekrophil, wenn Sie so wollen: Ich lese am liebsten tote Autoren. Einer der wenigen lebenden deutschen Autoren, die ich immer wieder gerne lese, ist Max Goldt. Aber der ist ja auch schon ziemlich alt.

Tradition hat die „Zamonisierung“ deutscher Dichterfürsten – also solche in ihre Welten aussetzen. Diesmal erwischt es unter anderem Gottfried Benn, verklausuliert als vierarmiger Echsen-Kurarzt, der hobbydichtet und, wie der echte Benn, politisch unangenehme Positionen vertritt. Sie selbst haben sich in anderen Bereichen Ihres Schaffens drastisch politisch und satirisch geäußert, in den Zamonien-Romanen eher nebenbei. Gerade die komische Kunst steht dieser Tage in der Diskussion. Manche sprechen von nötiger Selbstkritik, andernorts ist von Sprechverboten oder “cancel culture” die Rede. Wie stehen Sie zu dieser Debatte? Arbeiten Sie in Hinsicht auf sprachliche Diskriminierung heute anders, bewusster? Fühlen Sie sich durch eine öffentliche Meinung gegängelt?

WALTER MOERS Ich habe in dieser Hinsicht ja schon einiges mitgemacht, als solche Spaßbremsen noch nicht „cancel culture“ genannt wurden, sondern einfach nur „Querulanten“. Meine Bücher wurden mit Indizierungen oder Beleidigungsklagen bedroht. Das war unangenehm, aber damit konnte man umgehen und sich dagegen wehren, weil man es mit konkreten Einzelpersonen zu tun hatte, die sich nicht hinter einem Social-Media-Account verstecken konnten. Das ist heute schwieriger, gegen anonymen Rufmord kann man sich nicht wehren. Ich sage gerne: Mit Humor ist es wie mit dem Alkohol: Wenn man ihn nicht verträgt, sollte man die Finger davon lassen. Das würde ich den Querulanten von heute empfehlen.

Auch Ihr neuer Roman frönt der Kunst der Aus- und Abschweifung. Wie planen Sie Ihre Texte, um den roten Faden nicht zu verlieren? Im Voraus? Streichen Sie am Ende rigoros? Oder fügt sich alles durch das Orm – also der mystischen Schöpferkraft Ihrer Romanwelten?

WALTER MOERS Ich arbeite leider sehr unsystematisch. Dass das mit den Jahren nicht besser geworden ist, wurde mir sehr deutlich bei „Insel der 1000 Leuchttürme“. Da musste ich im letzten Arbeitsgang hunderte von Seiten streichen. In diesem Fall hat das Orm leider überhaupt nichts gefügt.

Kurze Abschweifung: in einem Comic aus Ihrer Feder legt ein Pinguin auf Koks unter anderem Björk, Iggy Pop und die Red Hot Chili Peppers auf. Was hören Sie heute gern und beeinflusst es Ihre Arbeit an Zamonien?

WALTER MOERS Auch in der Musik bin ich ziemlich retro, obwohl die meisten der Musiker, die ich bevorzuge, zum Glück heute noch leben. Das ist alternative Popmusik der 70er und 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Heutzutage höre ich gerne zeitgenössischen Musikern zu, die ihre Wurzeln in dieser Zeit haben, wie Jack White oder Ezra Furman. Ich empfehle auch gerne Mario Batkovic, der so nett war, seine Musik für unseren Booktrailer zur Verfügung zu stellen.

Ihre Bücher erscheinen auch im englischen Sprachraum. Autoren wie der Fantasy-Punk China Mieville zeigen sich als Fans. Macht Sie das stolz? Welche Reaktionen erreichen Sie sonst von dort? Andere als aus Deutschland?

WALTER MOERS Das freut mich natürlich, besonders weil ich mich auch als Konsument von Literatur im englischen Sprachraum viel mehr zu Hause fühle als in Deutschland.

Sie arbeiteten zuletzt mit Co-Autorin und einem Comiczeichner zusammen. In welchen Medien würden Sie noch gern wildern? Wer wäre Ihr liebster Arbeitspartner – lebend, verstorben, ausgedacht?

WALTER MOERS Ein Comic zusammen mit Gustave Doré, der dann von Terry Gilliam verfilmt wird.

Das Interview führte Jasper Nicolaisen

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