Bradley Cooper als „American Sniper“
Chris Kyle (gespielt von Bradley Cooper) sitzt vor dem Fernseher. Schüsse, Hubschrauber, Kriegsgetös sind zu hören, doch weder sind sie real, noch kommen sie aus dem Fernseher – all das spielt sich ausschließlich in Kyles Kopf ab. Er kann den Krieg nicht hinter sich lassen.
Diese Szene, die relativ spät im Film kommt, steht sinnbildlich für die These, dass Clint Eastwood ein Anti-Kriegsfilm gelungen ist – auch wenn davon auszugehen ist, dass dies nicht so intendiert war. Die Kritik ging bislang nicht zimperlich mit „American Sniper“ um. So lässt sich auch erklären, warum der Film bei den Oscars leer ausgegangen ist. Die Vorwürfe anderer Schauspieler, der Produzenten und der Kritiker (also der Academy) zielten auf die Geschichtsklitterung, die im Film betrieben wird.
Basierend auf der Autobiographie des echten Chris Kyle, der in seiner Einsatzzeit im Irak-Krieg nachweislich 160 todbringende Schüsse platziert hat und damit als erfolgreichster Scharfschütze der US-Geschichte gilt, stellt der Film unkommentiert dar, anstatt zu hinterfragen. Nachgewiesene Lügen, zweifelhafte „Abschüsse“ und menschenverachtende Zitate machen den trotzdem gefeierten Chris Kyle zu einer äußerst problematischen Figur der jüngeren (Kriegs-)Geschichte der USA.
„American Sniper“ glänzt durch Auslassen. Doch schreibt er deswegen eine amerikanische Heldengeschichte? Wohl kaum. Einer der meistbeachteten (und bei den Oscars erfolgreichen) Filme der letzten Jahre war Kathryn Bigelows „Tödliches Kommando“ von 2010. Auch er erzählt die Geschichte eines „Kriegshelden“, die des Bombenentschärfers William James. Auf dem Schlachtfeld ein Held, bekommt er zu Hause das Leben nicht in den Griff und wird immer wieder überwältigt: von den eigenen Taten, vom Gesehenen und von einer Gesellschaft, die den Zurückgekehrten einfach keine angemessen Strukturen zur Verarbeitung bietet. Doch Kathryn Bigelows Held ist sehr viel simpler geschrieben als Eastwoods´ facettenreicher Chris Kyle. Seine Motivation bleibt vage.
Kyle ist ein „regular guy from Texas“, patriotisch, vom Vater streng erzogen, durch die Bomben von Dar-es-Salam zum Militär gebracht, von 9/11 in den Irakkrieg getrieben. Er möchte der „Schäferhund“ sein, den sein Vater (wie man in einem Rückblick sieht) als idealen Charakter beschreibt. Einer der auf seine Nächsten aufpasst. So simpel zunächst der Aufbau (passend für eine Heldengeschichte), interessant wird es erst, wenn man sich den Film genauer anschaut. Anders als in „Tödliches Kommando“ wird der Ãœberforderung nicht mit dem Weg zurück begegnet, sondern die Arbeit mit anderen Veteranen hilft Chris Kyle über das Erlebte hinwegzukommen. Dabei wird die „Wundenhaftigkeit“ dieser Figur offensichtlich: Die VA, die Institution der Veteranen Versorgung, gilt gemeinhin als schlecht-funktionierendste Institution des US-amerikanischen Staates. Die Veteranen, die für ihre Freunde, Kameraden und das Land in den Krieg zogen, dort angegriffen wurden, töteten und/oder verletzt wurden, finden wenig Unterstützung zu Hause. Die körperlichen und psychischen Schäden können kaum behandelt werden – und werden gerade dadurch sichtbar. Den „cleanen“ Krieg, der seit dem zweiten Golfkrieg propagiert wurde, es gibt ihn nicht. Stattdessen wird mit Bodentruppen operiert. Die Zahlen der getöteten Soldaten, Kämpfer und Zivilisten sprechen eine klare Sprache.
„American Sniper“ spielt auch mit Zahlen. Schnell macht Chris Kyle von sich reden, jeder möchte die Legende hinter den Zahlen treffen. Doch dabei wird vielen Nummern auf seiner Liste ein Gesicht und eine Geschichte hinzugefügt – und die Erkenntnis, dass das mit dem Töten auch für Soldaten nicht so einfach ist. Gleich die allererste Szene zeigt, was es bedeutet, eine solche Entscheidung treffen zu müssen: Um seine Kameraden zu schützen, muss Kyle einen irakischen Jungen, kaum älter 9, dem eine Granate zugesteckt wurde, erschießen. „Er hätte zehn von uns umbringen können!“ Macht es das zu einer Heldentat? Der Blick durch das eigentlich Distanz-anzeigende Zielrohr zeugt von etwas anderen: Kyle kann seine Augen nicht von der tödlichen Schusswunde des Jungen lassen.
Am Ende wird Chris Kyle eingeholt von dem, was ihm im Irakkrieg passiert ist. Nicht auf dem Schlachtfeld, sondern unweit seines Hauses in Texas wird er erschossen. Von einem anderen Veteranen, der unter einer posttraumatischen Belastungstörung leidet, und auf einem Schießplatz das Feuer auf Kyle eröffnet. Doch das wird nicht gezeigt. Eastwood belässt es bei einer Text-Einblendung. Mangelt es dem Film sonst nicht an expliziter Darstellung von Gewalt, so hält er sich hier zurück. So dramatisch, traurig und fast schon zynisch dies nämlich auch ist: Wenn Eastwood schon aus Versehen einen Film macht, der eben nicht als Heldenepos funktioniert, so tritt er zumindest nicht auch noch in die einfache Falle, sich aus Versehen gegen den zweiten Verfassungszusatz (das Recht auf den Besitz und das Tragen einer Waffe) zu stellen.