Record of the Week

Big Thief “Two Hands”

Big Thief
“Two Hands”
(4AD)
Über Fußballmannschaften auf ihrem Zenit heißt es, sie können nur sich selber schlagen. Wie verhält es sich analog mit einer Band, die 2019 bereits eines der Alben des Jahres vorgelegt hat?

Die Rede ist natürlich von Big Tief, die im Mai mit “U.F.O.F.” ihr bis dato bestes Album veröffentlicht haben. Es enthielt keine Pseudo-Lo-Fi-Songs mehr, wie sie noch auf dem ersten Album “Masterpiece” vorkamen, und im Songwriting war es konstanter als das zweite Album “Capacity”.

In diesem selbstgesteckten Rahmen erscheint nun “Two Hands”, auf dem sich einige Songs befinden, die die Band schon länger live spielt (zum Beispiel “Not” und”Forgotten Eyes”). Mit einer leicht verhaltenden Einschränkung in Form eines “vielleicht”, gibt Texterin, Sängerin und Gitarristin Adrienne Lenker selbstbewusst zu Protokoll, dass auf dem Album vielleicht ihre besten Lieder zu finden seien – und gerade gerade “Not” und “Forgotten Eyes” bestätigen sie in dieser These.
Einen großen Song zeichnet oft aus, ist dass er  seinen Zuhörer_innen eine zeitlose Weisheit mit auf den Weg gibt – Beispiele aus der Rockgeschichte, die jeder kennen dürfte und textlich parat haben: „Let it Be“, „God only knows“, „Love will Tear us apart“ oder auch „Hunger makes me a modern girl“. Bei “Not” ist es die durchgehende Verneinung die den Text bestimm, mit allem an Lebensratschlag, was daran haftet:
“It’s not the room / Not beginning
Not the crowd / Not winning
Not the planet / Not spinning”

Das lyrische Ich des Songs versucht Begierde auszudrücken, indem es sie von anderen Dingen abgrenzt. Lenker formuliert hier die Tragik der dekonstruierten Spätmoderne. Die Sache, um die es geht, kann letztendlich nur durch Abgrenzung konkretisiert werden. Auf der Suche, die namenlose Begierde zu benennen, wird ihre Stimme zunehmend verzerrter und verzweifelter. Bis es gegen Ende gibt des Song eine musikalische Antwort gibt: Adrienne Lenker und der zweite Gitarrist Buck Meek brechen aus der Verneinung aus, in eines der besten Doppel-Noise-Gitarrensolo der letzten Jahre.

“Forgotten Eyes” hingegen ist poppiger angelegt. Ein leichter Groove und eine sprunghaft-synkopierte Gesangsmelodie zeichnet den Song aus. Selten hat man Lenkers Stimme so fröhlich gehört, dabei erzählt das Stück von jemandem, der an Obdachlosen vorbeigeht – nicht aus Ignoranz allerdings, sondern aus tiefster Melancholie.  „Everybody needs a home / and deserves protection“, singt Lenker in diesem Moment, schöner kann uns Popmusik kaum Sinn und Emotion schenken.

Mit zwei derart großen Songs auf der Habenseite, bleibt aber noch immer die Frage offen, ob es Big Thief auf Albumlänge geschafft haben,  sich selber zu schlage und “Two Hands” tatsächlich noch besser ist als “U.F.O.F.”.
Nun, sie scheitern an der hoch liegenden Messlatte, aber das nur denkbar knapp. Was dem Album auf Dauer fehlt, ist eine stringent-emotionale Dramaturgie. Wurde man auf “U.F.O.F.” auch über Albumlänge abgeholt und mitgenommen – ohne mit Konzeptalbum-Nonsens genervt zu werden –, stechen auf  “Two Hands” etwas störend die monumentalen Songs hervor, Songs, denen bei denen die vermittelten Weisheiten wichtiger als die kompositorische Dicht zu sein scheinen (nicht zuletzt da sie sehr lang ausgefallen), Songs wie”Replaced” und “Wolf”. Trotz dieser kleinen, kritisch-einschränkenden Anmerkung gehört Big Thief das musikalische Jahr wie kaum einer anderen Band.

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