Record of the Week

Fanatico X „Beneath Your Feet“

 

 

FANATICO X – Jorge Socarrás (left), Mathias Schaffhäuser (right)

 

Fanatico X  
„Beneath Your Feet“ 
(GMO)

 

Ein Song ist ein Song und ein Track ist ein Track. Das eine ist eine abgeschlossene Geschichte, ein finales Statement, das andere bleibt, mehr oder weniger vorläufiger Entwurf, Rohmaterial, erneuter Ausgangspunkt für eigene oder fremde Fortschreibungen. Songs sind, mit Anlehnung an Friedrich Nietzsche gesprochen, apollinisch und appellieren als von der Kithara begleitete „dorische Architektonik in Tönen“ an den Logos; vor gar nicht allzu langer Zeit ließ sich mit dergleichen bekanntlich sogar der Literaturnobelpreis einheimsen. Der Track hingegen pflegt die „erschütternde Gewalt des Tones“ sowie den „einheitliche[n] Strom des Melos“. Tracks sind damit als dionysisch zu charakterisieren und haben „die volle, alle Glieder rhythmisch bewegende Tanzgebärde“ zur Folge.

Spannend sind, wie so häufig, Grenzgänge und Überschreitungen, zumal wenn sie von so versierten Szene-Protagonisten wie dem Kölner DJ und Produzenten Mathias Schaffhäuser und dem Sänger Jorge Socarrás unternommen werden. Die beiden firmieren mittlerweile, um peinlichen Verwechslungen vorzubeugen, unter Fanatico X und legen mit „Beneath Your Feet“ ihr drittes Album vor. Den gewissermaßen mythischen Ausgangspunkt für ihre Zusammenarbeit bildet „Catholic“, eine bereits zwischen 1976 und 1979 entstandene Doppel-LP von Jorge Socarrás und Electro-Pionier Patrick Cowley, die lange Zeit als verschollen galt und erst 2009 veröffentlich wurde. Mathias Schaffhäuser remixte davon „You Laugh at my Face“; das Ergebnis gefiel Socarrás so gut, dass eine gemeinsame Aufnahmesession vereinbart wurde.

Schon auf dem Debutalbum „Dancing Daze“ von Fanatico (damals noch ohne X) aus dem Jahre 2013 war mit „2000 Light Years from Home“ eine Reminiszenz der goldene Ära von Gegenkultur und bewusstseinserweiternden Drogen der ausgehenden 1960er zu hören. Während dabei die Stones-Nummer eher abstrahierend mit repetitiver und damit dezidiert klubtauglicher Groove Verwendung fand, eröffnet Beneath Your Feet nunmehr mit einer Version „White Rabbit“ von Jefferson Airplane, welche dessen psychedelisch schillernde Harmonien in voller Pracht erklingen lässt; dies gleichwohl im aktuellen Soundgewand. Die zweite Hälfte der 60-Jahre waren bekanntlich zugleich eine Zeit, in der die Songs länger wurden, die Sounds elektronischer sowie die Modi ihrer Darbietung und Rezeption völlig unfraglich dionysischer. Insofern ist obige Gegenüberstellung von Songs und Tracks zwar grundsätzlich erhellend, gleichwohl aber in Teilen zu revidieren- zumal Friedrich Nietzsche selbst 1886, d.h. rund 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung seiner Schrift „Die Geburt der Tragödie“ (aus der obige Zitate stammen) einen „Versuch der Selbstkritik“ als neues Vorwort schrieb, in dem er unter anderem die Problematik der eigenen Definition des Dionysischen als eines der beiden Grundprinzipien jeglicher Kunst freimütig eingestand.

Ein etwas anderer, wohl zumeist weniger bekannter Nietzsche, der spätromantische Dichter, bildete auf „Beneath Your Feet“ die Inspiration für den Titel „Oh to Roam“. Weitere Verse, die aus der Feder des von Faschisten im Jahre 1936 ermordeten spanischen Poeten Garcia Lorca stammen, standen Pate für „Y Después“, das auch wahrhaft spanisch gesungen wird. Die beiden Ausflüge in tendenziell eher apollinische und hochkulturell konnotierte Gefilde wirken kein bisschen aufgesetzt, sondern passen vielmehr bestens zum gesamten textlich wie musikalisch stimmigen Flow des Albums. Während dabei zumeist geschmackvoll reduzierte Breakbeats dominieren, eröffnet die B-Seite fulminant mit geraden Grooves, die eher an HNRG, denn an Techno erinnern. Dies erscheint zunächst vielleicht wenig verwunderlich, da es sich bei dem vorab bereits auf EP veröffentlichten „Still Searching“ um die aktualisierte Version eines Stückes von Indoor Life handelt, einer Formation, bei der Jorge Socarrás gegen Beginn der 1980er-Jahre sang und wiederum Patrick Cowley als Produzent und gelegentlicher Keyboarder für Special Effects beteiligt gewesen war. Allerdings war das Original des Songs viel rockiger und erst im Zuge der aktuellen Produktion hat Mathias Schaffhäuser ihm den nunmehr erklingenden, herrlich schnell hämmernden Synth-Bass verpasst. Bob Hofnarr, der bei den Indoor Life einst den elektrischen Bass zupfte, slapte und durch so manches Effektgerät jagte, und überdies Co-Autor von „Still Searching ist, bereichert auf Beneath Your Feet die atmosphärisch angelegte Ballade „Fall For You“ mit einer dezent wehmütigen Pedal Steel Guitar.

Die Suche von Sänger Jorge Soccárras, gebürtiger New Yorker mit kubanischem Familienbackground, der 1969 nach Woodstock pilgerte, ab 1973 zeitweise in San Francisco lebte, dann gemeinsam mit den anderen Mitgliedern von Indoor Life zurück nach NYC zog, mittlerweile fleißiger Flaneur in Madrid ist, den es aber wohl schon wieder zu neuen Ufern zieht, scheint denn auch tatsächlich noch nicht ihr Ende gefunden zu haben; über seinen spannenden subkulturellen Werdegang wird in Zukunft hoffentlich auch noch in anderer Form zu hören sein. Mathias Schaffhäuser betätigt sich im heimischen Köln-Ehrenfeld ebenfalls gerne als Flaneur, dies auch fotografierend. Vor allem ist an dieser Stelle aber seine erneute Hinwendung zum Sologesang zu erwähnen, die mit dem Album „Singing About It“ (2024) erfolgte. Daran anknüpfend ist er auf „Beneath Your Feet“ mit „The End’s Real Trait“ als alleiniger Songwriter und Interpret vertreten.

Auf der unlängst im Vorfeld des neuen Albums von Fanatico X erschienen „White Rabbit EP“, lassen sich, neben der Albumfassung des Titels sowie der deutlich längeren ersten Fassung, zwei wahrhaft dionysisch zu nennende Remixe des Titelsongs „Beneath you Feet“ finden: Einen straight technoiden von Robotek Reagan und einen Extended Mix von Mathias Schaffhäuser, der die funkig-nervösen Breakbeats der Albumfassung aufgreift.

„Beneath Your Feet“ von Fanatico X wird am 10.10.2025 auf GMO- The Label erscheinen (GMO 107-1).
Die EPs Still Searching und White Rabbit EP (beide Fanatico X 2025) sind bereits bei GMO- The Label erschienen, ebenso das Album „Singing About It „(Mathias Schaffhäuser 2024, GMO 101-1).

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