Ein Kommentar zur geplanten Bayern2-Programmreform – von Roderich Fabian

Free Jazz statt Sportschau!


Ein Kommentar von Roderich Fabian zur geplanten Bayern2-Programmreform 

Die Beitragserhöhung wird wohl nicht kommen. Selbst wenn die KEF (also die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten) eine moderate Steigerung der Beiträge ab 2025 empfehlen sollte, so haben schon diverse Regierungen einzelner Bundesländer signalisiert, dass sie nicht zustimmen werden. Es ist also nicht so wie bei der letzten Gebührenrunde, als nur Sachsen-Anhalt die Zustimmung verweigerte und die Erhöhung auch nur vorübergehend verhindern konnte, weil das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung letztlich kippte.

Inzwischen kommt der Gegenwind für die Öffentlich-Rechtlichen nicht nur aus Osten. Das hat indirekt auch etwas mit dem Aufstieg der AfD zu tun, die die Sender ja gerne auf ein Minimum reduzieren oder sogar ganz abschaffen würde, Stichwort „Zwangsgebühren“. Aber der wesentliche Grund für die Abwendung der Politik ist, dass viele Politiker (natürlich auch ein wenig populistisch gedacht) den Haushalten eine Rundfunkbeitrag über den momentanen €18,36 pro Monat nicht mehr zumuten möchten, nur um ein wichtiges Instrument der Demokratie in seiner bisherigen Form zu erhalten.

Die Sendeanstalten wiederum sehen sich – stärker als jemals zuvor – im Zeichen heftig steigender Preise gezwungen, Sparmaßnahmen vorzunehmen, die über die früher üblichen Klein-Korrekturen hinausgehen. Die Maßnahmen sollen diesmal für jeden ersichtlich und für die meisten – so geht die stille Hoffnung – nachvollziehbar sein. Damit will man einerseits der Politik gegenüber tapfere Opferbereitschaft signalisieren, andererseits aber auch dem allgemeinen Publikum gegenüber den Ernst der Lage deutlich machen.

Die Frage ist nun, wo der Rotstift anzusetzen ist.

Ich möchte jetzt nicht in den üblichen Whataboutism verfallen und darauf verweisen, dass ein einzelner „Tatort“ in etwa so viel kostet wie ein paar Tausend moderierte Musiksendungen im Radio.

Nein, bleiben wir lieber bei den in der Münchner Abendzeitung erwähnten und anscheinend bedrohten Bayern2-Radio-Sendungen wie der „Kulturwelt“, dem Literaturmagazin “Diwan”, den altehrwürdigen Klassikern “Kulturjournal” und “Nachtstudio” und wohl noch einigen mehr.

Die meisten dieser Sendungen (oder ihrer Vorläufer) sind in der Nachkriegszeit entstanden, also in einer Ära, als man nach Jahren der brutalsten Barbarei wieder zurück wollte zu menschenwürdiger Kultiviertheit. Das Radio war dabei eben ein Ort für tiefer gehende Betrachtungen, für zum Sound gewordene Nachdenklichkeit. Erst später wurde dieses anspruchsvolle Radio ergänzt durch ganze Wellen, die ausschließlich der Unterhaltung dienten, gewürzt mit ein wenig Information. Aber seit Jahrzehnten sind Wellen wie Bayern1 oder Bayern3 diejenigen, die ein riesiges Publikum erreichen und – ganz wichtig – in der Herstellung spottbillig sind.

Gleichwohl behielt das anspruchsvolle Radio, wie es durch die oben genannten Sendungen repräsentiert wird, seine Bedeutung als Programm für eine Minderheit, die manche bis heute– immer etwas abschätzig – das Bildungsbürgertum nennen. Und da dieses immer die besseren Drähte zur Obrigkeit hatte als das autofahrende, die Charts hörende Normalvolk, blieben immer genügend schützende Hände über dem anspruchsvollen Kulturradio übrig, auch wenn ein schleichender Abbau schon seit Einführung der Privatsender in den 80er Jahren von statten geht.

„Beim Kampf mit den Barbaren verliert man ab und zu eine Provinz“, hat mir mal der Filmemacher und Autor Alexander Kluge in einem Interview gesagt, der ja selbst ungezählte Male im Kulturradio aufgetreten ist. Durch die anstehende Programmreform sollen nun aber anscheinend keine kleinen Provinznester, sondern ganze Kultur-Fürstentümer geopfert werden. Die Kultur soll – statt auf festgelegten, linearen Sendeplätzen –, zum Beispiel auf Bayern2 die Musik-und-Info-Sendestrecken durchdringen. Diese Strecken werden momentan in erster Linie von tagesaktuellem Journalismus dominiert. Das läuft dann in etwa so: Interview mit Markus Söder zur geplanten Grundwasserabsenkung, ein Song von Zaz, Kommentar zur geplanten Grundwasserabsenkung, ein Song von Bebel Gilberto.
In Zukunft kann man dann wohl damit rechnen, dass beispielsweise Zaz und Bebel Gilberto mit jeweils einen O-Ton vertreten sein werden und nach dem Thema Grundwasserabsenkung eine Rezension zum neuen Buch von J.K. Rowling erklingt, verfasst zum Beispiel von einer Autorin vom NDR. Diese Rezension liefe dann auch in allen anderen Kulturradios der ARD. Man erspart sich damit acht weitere, „regionale“ Rezis eines überregionalen Themas. Das Problem dabei ist unschwer zu erkennen: Wer sich für Grundwasserabsenkung und französische Chansons interessiert, dem kann man zwar vielleicht noch eine JK-Rowling-Rezi anbieten, aber ganz sicher keine philosophischen Analysen, Free Jazz oder Avantgarde-Lyrik aus Portugal. Da natürlich alle kommerziell orientierten Privatsender dazu ebenso Abstand halten, verschwänden solcherart „speziellen“ Themen weitestgehend aus der Radio-Berichterstattung. Die nach dem Krieg wiederhergestellte Hochachtung vor anspruchsvoller Kultur landete in den Nischen des Netzes.

Natürlich werden die Sender in Zukunft verstärkt Podcasts anbieten, in denen spezielle Fälle noch verhandelt werden könnten, aber auch die jederzeit abrufbaren Podcasts werden gemessen an ihrer „Akzeptanz“, also an ihren Abrufzahlen. „Spezielle Fälle“ werden damit nicht lange überleben. Denn es geht eben nicht mehr darum, das ganze große Spektrum der Kultur abzubilden, sondern eben Geld einzusparen. Als Kostenverursacher aber werden die meist freiberuflichen Autoren angesehen, die man viel schneller abgebaut bekommt als über Jahrzehnte aufgebaute, bürokratische Strukturen.

Werden die Streamingdienste übernehmen, wenn das alles über die Bühne ist? Bestimmt nicht! Auch die setzen nur auf auflagenstarke Produkte. Wenig abgefragte Ladenhüter fliegen schnell aus dem Angebot, weil sich ihre Lizenzierung nicht lohnt.

Insofern hilft vielleicht doch ein bisschen Whataboutism: Durch Verzicht auf die – durch Streamingangebote allmählich obsolet werdende – Sportschau am Samstagabend ließe sich eine riesige Summe einsparen, mit der man wohl einen Großteil der bedrohten, linearen Sendungen retten könnte. Und eine ganze Generation von Kulturjournalisten dazu!

Ein Kommentar von Roderich Fabian, der seit Ende der 80er Jahre bis vergangen Juni 2023 beim Bayerischen Rundfunk (unter anderen in der „Zündfunk“-Redaktion) tätig war. 

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