Danielle De Picciotto & friends w/ Bettina Rust

Bettina Rust: “… wird das mit etwas Glück ein Tanz, der beiden Seiten Spaß macht”

Bettina Rust (Photo: Meryem-Celi)


In unsere Welt der Medien gibt es das Format „Interview“ in tausendfacher Ausführung. Ob TV, Podcast, Onlinezeitungen, Kino, Radio, überall werden Menschen zu unterschiedlichen Themen ausgefragt. Man könnte also denken, so ein „Gespräch“ sei, da es so oft stattfindet, einfach, jedoch in Wahrheit braucht es dafür genauso ein Talent wie bei allen anderen Kunstformen. Denn ja, ein Interview ist eine Kunstform. Es geht nicht nur um ungewöhnliche Fragen, Information oder ein lustiges, fließendes Gespräch. Es geht auch darum den Kern des Gegenüber erkennbar zu machen ohne Ihn /Sie zu entblößen und Fragen zu stellen, die allgemein verständlich und doch sehr individuell sind. Tiefe, schwere Themen anzusprechen, ohne morbid zu werden und heiteren Themen ihre Oberflächlichkeit zu nehmen, um am Ende jedem Zuhörer das Gefühl zu vermitteln er/sie hätte einen besonderen, seltenen Einblick in geheime Tiefen bekommen. Wegen diesem Einblick sind sie so populär, denn wann sonst kann man so viel über einen Menschen in so kurzer Zeit lernen?

Ein gutes Interview könnte mit einer Verführung verglichen werden, in dem behutsam immer weiter entblößt wird, bis der Kern ans Tagelicht kommt: das in jedem Menschen schlummernde, unvergleichlich Schöne und Einzigartige. Warum gibt es also so viele langweilige, bedeutungslose und völlig Überflüssige davon in Magazinen, Interviewbücher und Zeitschriften?
Es werden die falschen Fragen gestellt.

Die richtige Frage zu stellen, wird schon im Märchen als magischer Schlüssel betrachtet, alle Türen öffnen zu können. Philosophen und spirituelle Lehrer behaupten sogar, die Frage sei wichtiger als die Antwort.

Unter diesem Gesichtspunkt bekommt diese Kunst eine faszinierende Feinheit, die mehr enträtselt als üblicherweise angenommen. Der armenische Esoteriker Gurdjieff behauptete schon 1890, dass Journalisten die Macht hätten der Menschheit dabei zu helfen über sich hinaus zu wachsen oder komplett zu korrumpieren. Er befürchtete, das Letztere würde sich erfüllen. Schaut man sich die heutige Medienlandschaft an ist es wohl eine Mischung aus beiden.

Es gibt zum Glück einige Journalist/innen die Ihr Handwerk meisterhaft beherrschen und Menschen mit Ihren Interviews inspirieren, anregen und ein konstruktives, tiefergehendes Gespräch hervorzaubern. Bettina Rust ist eine solche Meisterin. Seit Anfang der 90iger moderiert und interviewt sie Menschen, ohne sie jemals reißerisch dem hellen Scheinwerferlicht auszuliefern. Intelligent, interessiert, heiter und doch nachdenklich schafft sie es mit allen ein hinreißendes Gespräch entstehen zu lassen, eines welches berührt und fesselt. Ihre Sendung „Hörbar Rust“ ist eine Berliner Kultsendung seit 2002 und ich freue mich sehr darüber, dass sie diesem Gespräch zugestimmt hat.

Bettina Rust (Photo: Meryem-Celi)


Danielle de Picciotto: Seit 1993 interviewst du Menschen in unterschiedlichsten Formaten. Hast du den Eindruck, dass ein Format das Interview beeinflusst? Macht es einen Unterschied in den Antworten ob man gesehen wird oder nur gehört? Was ist dir am liebsten?

Bettina Rust: Selbstverständlich nimmt ein Format ganz erheblich Einfluss auf das Interview. Habe ich Zeit oder muss es schnell gehen? Bleibt Platz für Persönliches oder geht es um Fakten? Wird das Gespräch als solches abgebildet, werde also auch ich als Fragende zwischengeschnitten oder ist es ein Bericht mit Zitaten? Vielleicht sogar: weiß ich, was von mir erwartet wird und sollte ich die Fragen, das Tempo, die Temperatur diesen Erwartungen anpassen (zum Beispiel kontroverses Politikformat, persönliches Portrait)?
Ich selbst habe das große Glück, erdenklich frei zu sein. Nur an die Zeitvorgabe muss ich mich in etwa halten.
Es macht bei Antwortenden immer einen Unterschied, ob das Interview vor Publikum geführt wird. In diesem Fall ist es für Profis viel leichter, bei einem schlechten Start oder einer schwachen Pointe wieder alles auszubügeln, weil man die Leute mit einbeziehen kann (oder Ihnen zumindest das Gefühl gibt). Überhaupt: die Kamera ist ein verfälschender Beobachter und Beiwohner, auch wenn man annehmen könnte, das Gegenteil sei der Fall. Radio/Podcast ist da sehr viel intimer und oft auch fokussierter.
Ich mag die Intensität und Konzentration, mit der ich in meinem Studio selbst die lustigsten und vermeintlich belanglosesten Themen besprechen kann. Da sich die Situation vollkommen auf das Gespräch konzentriert, kleiner, angenehmer Raum, schönes Licht, ein paar Bilder, ein Blick ins Grüne – entsteht (für mich) eigentlich immer etwas Besonderes.

Man unterhält sich selten so intensive wie in einem Interview. Innerhalb von einem abgesprochenen Zeitraum ist es im Vergleich zu einem “normalen” Gespräch erlaubt sehr direkte Fragen zu stellen. Denkst du , dass man in einem Interview einen Menschen schneller und besser kennenlernen kann als im “normalen” Leben oder bleibt es trotz der Intensität oberflächlich?

Meiner Meinung nach liegt es immer an diesen (in der Regel) zwei Menschen, was daraus entsteht. Ich habe schon intensive Interviews und Privatgespräche mit mir fremden Personen geführt, aus denen dann auch wirklich nur der Moment erwuchs und andere, aus denen Freundschaften entstanden. Wenn ich jemanden wirklich, also wirklich persönlich kennenlernen möchte und das Gefühl habe, auf der anderen Seite ruckelt es, es stockt, hat keinen Flow, dann kann ich es auch nicht forcieren, klar. Man kann ein bisschen verbal umeinander verben, sich dehnen und strecken, dem anderen Teppiche ausrollen, manchmal scheitert ein Aufeinanderzugehen ja nur an der Schüchternheit einer Person. Aber erzwingen lässt sich da meines Erachtens nach nichts.

Was ist dir das wichtigste in einem Interview?

Jener Flow, der entsteht und auf den sich im besten Fall beide einlassen. Recherche, Format, Zeit, Ziel, Stimmung – ausblenden. Die Antwort aufnehmen und für Weiteres verwenden, sich auch als Interviewende/r vollkommen darauf einlassen und lediglich auf Sicht fliegen. Das ist toll. Wenn man dann noch anhand kleiner Bemerkungen oder sogar Gegenfragen merkt, dass sich das Gegenüber wohlfühlt in dieser Mini-Kapsel, in der man zu zweit sitzt, dann wird im besten Fall aus dem Interview ein Gespräch.

Wie ist dein Verhältnis zu Sprache? Wie hat sie sich deiner Meinung nach seit deinen Anfängen verändert?  Du hast Sozialpsychologie, Germanistik, Kommunikation und Marketing studiert und ein Buch geschrieben. Hat Sprache in diesen unterschiedlichen Bereichen für dich unterschiedliche Aufgaben? Oder sind für dich all diese Bereiche in jedem Gespräch immer vorhanden?

Erschrick nicht, aber als ich Deine Fragen gerade las, dachte ich – und erschrak ehrlicherweise selbst ein wenig ob der Analogie: Meine Sprache ist wie mein Blut. Ich lege sie mir nicht zurecht, poliere sie nicht auf, sortiere nicht ein oder aus (stimmt nicht, gerade die letzten Jahre zeigen, dass ein paar Begriffe verschwinden dürfen und neue hinzukommen) – okay, worauf ich hinauswill: ich lenke und steuere da nichts. Auch mein Organismus funktioniert, weil die Dinge in mir laufen, tuckern, fließen. An manchen Tagen vielleicht träger oder auch mal richtig schlecht, aber es ist nichts, was ich mir bewusst mache oder in das ich bewusst eingreife. Was die sogenannte „Spreche“, also das gesprochene Wort betrifft. In der „Schreibe“ bin ich höchst kritisch mir und anderen gegenüber, pingelig und recht anspruchsvoll. Und damit meine ich nicht etepetete, im Gegenteil. Ich betrachte es als hohe Kunst, wenn Menschen spielerisch, humorvoll und leicht mit Sprache umgehen. Keine Schnörkel, keine enttarnbaren Eitelkeiten, keine Bildungsverweise, bitte. Sie darf nicht überladen werden, gezwungen wirken oder verkleidet. Auf zu viel Gedöns reagiere ich genau so schlecht gelaunt wie auf diesen gestelzten Minimalismus.

Bettina Rust & Klaus Wowereit (Photo: Olaf Heine)


Deine Radiosendungen und Podcasts vermitteln ein starkes Interesse an Menschen. Ich habe nie das Gefühl, dass es ein Job für dich ist, sondern ein wirkliches Interesse. Was interessiert dich an Menschen hauptsächlich? Wird es jemals wiederholend?

Ja, dieses Interesse habe ich und ich habe es auch, wenn keine Kamera läuft und kein Mikro aufnimmt. Ich komme gerne in Kontakt mit der Welt, bevorzugt dann, wenn ich es mir aussuchen darf. Meine Gäste haben zumeist eine interessante Vita, mit der ich im Moment des Gespräches vertraut bin. Das ist ja schon mal ein guter Grundstock. Wenn dann noch Sympathie hinzukommt, wird das mit etwas Glück ein Tanz, der beiden Seiten Spaß macht. Dass sich Gesprächssituationen wiederholen, ist mir sehr selten, wenn nicht sogar nie passiert. Die Menschen gleichen sich, wir Menschen gleichen uns. Das ist es eher. Dennoch lassen sich ähnliche Situationen doch sehr unterschiedlich erleben, lösen und erzählen. Zum Glück!

Du hast ein wunderschönes Buch über Berlin geschrieben. Wie bist du nach Berlin gekommen? Wie geht es der Stadt deiner Meinung nach heute, nach zwei Jahren Pandemie? Was gefällt Dir am liebsten an Berlin?

Danke. Berlin war wie ein klarer Deal, den ich still mit mir hatte. Auf Hannover folgten zehn Jahre Hamburg und schließlich kam der Punkt, „nach Berlin zu gehen“. Es hätte theoretisch auch vier Jahre eher oder zwei Jahre später passieren können. Da war kein Anlass. Immer ging mir diese Stadt unter die Haut, im Positiven wie im Negativen, und schon das imponierte mir, das wollte ich. Es war mehr als einfach, hier eine Wohnung zu finden, damals (1998), riesige Dinger für sehr wenig Geld, heute unvorstellbar. Fast 25 Jahre lebe ich jetzt hier und will momentan nicht behaupten, dass es besonders gut mit uns läuft, mit Berlin und mir. Ich betrachte sie und schüttele den Kopf: „Du ruhst Dich auf arm aber sexy aus, aber weißt Du was? Kaputt bist Du, laut, rücksichtslos in so ziemlich allem, der Müll, es ist mehr geworden, wo ist dein niedlicher Spleen, wo dieses „rau aber herzlich“? Ich sehe angepisste Matratzen, abgestellte Flachbildschirme, und habe längst schon nicht mehr das Gefühl, die Menschen hier würden sich wohlfühlen. Sie sind gestresst. Dein System ist defekt, Berlin.“ Berlin sieht mich dann an, kneift die Augen zusammen und zischt „Dann zieh doch an den Rhein. Geh doch nach Baden-Baden oder Wiesbaden oder wasweißich. Ich war immer schon schroff. Geh, frag die Leute, die Touristen finden mich interessant.“ Tja, und da stehen wir uns gegenüber und trennen uns doch nicht. Aber das Liebes-Gefühl flammt wirklich verhältnismäßig selten auf. Wir haben uns schon lange nicht mehr geküsst.

Bettina Rust (Photo: Meryem-Celi)


Woran arbeitest du momentan und was sind deine weiteren Pläne?

Ich arbeite unverändert und unvermindert an den wöchentlichen Gesprächen für die „HÖRBAR RUST“ und „TOAST HAWAII“ mit immer neuen Interviewgästen. Bald kommt das Toast Hawaii-Buch raus, es heißt „DAS ESSEN MEINES LEBENS“ und beinhaltet elf Gespräche mit u.a. Iris Berben, Olli Schulz, Barbara Schöneberger, Henry Hübchen und Anke Engelke, die mir auch alle ein Essens-Selfie und ein eigenes Rezept geschickt haben. Das perfekte Geschenk zu Weihnachten und zu jeder Essens-Einladung, zu der man nicht wieder mit ner Flasche Wein antanzen will.

Welche Sendung ist dir am wichtigsten gewesen? Welches Interview dein unvergesslichstes?

Ha! Also wenn ich das beantworten könnte, warte mal, ich greife kurz zum Taschenrechner, interessiert mich selbst. Allein für die Hörbar habe ich über 1.000 Interviews geführt, gerade ausgerechnet. Nein, diese Frage kann ich unmöglich beantworten. Was ich aber eher als gutes Zeichen werte.

 

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