Fiedel: “Das bin ich, das mache ich Nachts”
Alter schützt vor Techno nicht. Michael “Fiedel” Fiedler bezeichnet sich selbst nicht ohne Stolz in der Stimme als Alten Hasen. Mit seinen 45 Jahren zieht er genau aus diesem Bekenntnis zur eigenen Historie mit elektronischer Musik seine Energie und sein Selbstbewusstsein. Von falschen stilistischen Beschränkungen hält er ebenso wenig wie von zeitlichen Limitierungen und Angst vor der Singularität des Moments. Und deswegen hat sich der Berghain-Resident und Betreiber der Labels fiedelone und fiedeltwo entschlossen seinen “Mix für Ostgut Ton live in der Clubnacht aufzunehmen – ohne overdubbs (bis auf field recordings der Berghain-Tänzer_innen) und auf fast zweieinhalb Stunden Länge. Schließlich soll sowohl Zeit für Zärtlichkeit als auch für Härte sein – und alles, was in der idealen Nacht dazwischen liegt. Heute – und auch in 20 Jahren noch, da ist er sich sicher.
Michael Fiedler im Gespräch mit Thomas Venker
Der Profi steckt sich das Mikro selbst an.
Michael Fiedler: 1, 2, 3, 4 – läuft!
Michael, du hast den “Berghain 08”-Mix ja live im Berghain im Rahmen einer Klubnacht aufgenommen. In gewisser Weise Alltag für dich, da ja ein Fehler in jedem Set eben genau das ist: ein auffälliger Fehler. Andererseits ist er aufgenommen ja für die Ewigkeit. Vor diesem Hintergrund würde mich zu Beginn unseres Gesprächs interessieren, wie vorbereitet du an das Set in der Nacht rangegangen bist.
Ich habe mir zunächst für das Set ein Limit von zwei Stunden gesetzt. Beim Rumprobieren im Vorfeld, was ich als Geschichte erzählen könnte, kam ich jedoch bei knapp vier Stunden raus. Das wär eine runde musikalische Reise gewesen von minimal groovenden Techno über das Loslegen bis hin zu richtig harten Sachen und am Ende sowas wie House. So musste ich die ganz harten und die housigen Geschichten weglassen, auch da ich Bass und Electro mit reinbringen wollte, damit es nicht immer nur gerade Beats sind.
Es gab also vorher eine Idee dessen, was ich spielen wollte, auch was die konkreten Tracks angeht. Aber das Mixing selbst ist vor Ort passiert. Ich habe mich zunächst zwei Stunden warm gemacht und den Rechner eingerichtet und dann irgendwann auf Aufnahme gedrückt. Vorher habe ich extra ein Break gemacht, da ich mit dem Stück von Susanne (Kirchmayr aka Electric Indigo, Anm. des Red.) anfangen wollte. Ab da musste es dann gelingen.
Entgegen zu Mixen, die Zuhause entstehen, hast du mit dem Publikum vor dir aufgenommen.
Es war die Idee, etwas von der Nacht mitzukriegen. Ich wollte, dass die Kommunikation zwischen dem Publikum und mir einen Einfluss hat.
Um diesen Eindruck zu vermitteln hast du den Sound des Publikums mitgeschnitten und beigemischt.
Wobei man den nicht die ganzen Zeit drunterlegen kann, sonst hat man keinen schönen Hörgenuss.
Hast du dir die Aufnahme des Raummikros denn mal komplett angehört?
Ne, nur mal hier und da reingeklickt an Stellen, wo ich wusste, dass es Reaktionen gegeben hatte.
Auch solche mit Freunden von dir?
Ja. Die wussten ja alle Bescheid und haben mich unterstützt.
Diese Momente sind dann sowas wie dein privates Plattencover zum Mix, wenn man es so ausdrücken will.
Das richtige Cover, auf dem ein Foto von Danny Croucher zu sehen ist, ist hingegen nicht so happy ausgefallen, sondern ganz schön spooky.
Die Idee kam von meiner Freundin. Sie hat mal mit Danny Croucher Bilder gemacht. Danny lebt in Budapest und hat schon länger nichts Großes mehr fotografiert und war auch erst zögerlich als wir Kontakt aufgenommen haben. Aber dann haben wir ihn doch rumbekommen. Als ich die fertigen Bilder dann zu sehen bekommen habe, bin ich kurz zusammengeschreckt, aber beim zweiten Blick war klar: das ist geil! Es hat einen Wiedererkennungswert. Die grauen Haare, die Furchen im Gesicht, es hat etwas Berghainiges.
Wobei die Ästhetik größer ist als das Alter.
Es passt zu mir. Und es ist ein Coverfoto. Das Plattencover ist dann die Mauer im Hintergrund, das kommt gut auf dem Inside-Out-Druck.
Eigentlich verwunderlich, dass nicht mehr Djs live während des Sets aufnehmen, da man dieses ganz spezielle Clubgefühl doch selbst mit großem Erfahrungsschatz nur zu einem gewissen Maße Zuhause reproduzieren kann.
Genau deswegen habe ich mir als Alter Hase unter den DJs das Ziel gesetzt es live aufzunehmen. ich höre mir ja viele Mixe und Podcasts an – und sehr oft kann ich heraushören, wie diese sehr präzise aber auch sehr gleichförmig Zuhause am Rechner zusammengeschoben worden sind. Ich hingegen wollte meine Energie einfangen. Mir ging es um ein Statement: Das bin ich, das mache ich Nachts.
Wenn du das so sagst, klingt das wie ein Geständnis. An die Eltern vielleicht? Haben deine Eltern den Mix denn schon gehört?
Ich habe ihnen gesagt, dass er jetzt rauskommt, aber ich habe noch nicht nachgefragt.
Interessieren sie sich denn für deine Arbeit als DJ und Produzent?
Mein Vater schaut sich regelmäßig meine Seite auf Resident Advisor an. Der kann mir immer sagen, wo ich meinen nächsten Termin habe. Der findet das cool. Er hatte auf seiner Arbeit auch junge Leute, die das Berghain kennen, da konnte er erzählen, dass ich dort Resident bin.
Was machte dein Vater beruflich?
Er war Signaltechniker bei der Hamburger Hafenbahn. Ich komm ursprünglich aus Schwedt/Oder, aber meine Familie ist Anfang der 90er Jahre nach Hamburg rübergezogen, da es im Osten keine Arbeit gab. Meine Eltern haben da neu angefangen – Hut ab vor ihnen! Ich hab es aber nur vier Monate ausgehalten, dann bin ich wieder zurück nach Berlin.
War es so schlimm?
Ja. Musikalisch auf jeden Fall. Handtaschen-House im Edeka und im Brainstorm gab es Hardcore Techno. Ansonsten war da nicht viel. Da ich meine Wurzeln in Berlin rund um das Hardwax hatte, bin ich deswegen wieder hierher.
Wie alt warst du denn bei der Wende?
17.
Haben deine Eltern damals verstanden, dass es dich abseits deiner Ausbildung zum Mess- und Regelungstechniker und später Theater- und Veranstaltungstechniker und des Ingenieur-Studiums immer mehr hin zum Musiker gezogen hat?
Sie beginnen das jetzt langsam zu verstehen. Sie wollten natürlich, dass ich mir einen richtigen Job suche mit meinen Ausbildungen. Als Künstler ist es ja nicht immer so einfach, da lebt man manchmal auch nur von der Hand im Mund. Aber dann ist es eben so. Ich habe lange geschwankt zwischen dem technischen und dem künstlerischen Ansatz. Wobei mir mein Wissen für die Musik ja zugute kommt. Ich kann ein Set-Up für Aufnahmen leicht zusammenstellen. Manche Djs können nur die Cd-Player bedienen, für mich ist aber auch das drumherum wichtig. Die Techniker im Berghain schätzen meine Meinung zum Beispiel, wenn das Monitoring neu eingerichtet wird.
Ich würde mir verloren vorkommen, wenn ich immer auf Techniker angewiesen wäre. Es ist gut, selbst nachjustieren zu können.
Raffen die Techniker das denn immer gleich, dass du es blickst?
Nach ein, zwei Sätzen. Ich kümmere mich ja seit 15 Jahren auch um das Killasan Soundsystem, warte es, habe es für den Betrieb in Deutschland umgebaut (es stammt ursprünglich aus Osaka, Japan, Anm. des Red) und bin auch für die Vermietung und Betreuung zuständig. Dabei schätze ich es, als Techniker mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten. Es fühlt sich gut an, auch mal die Seite zu wechseln. Wenn man als Künstler ankommt, wird man ja hofiert. Das ist mir unangenehm. Ich kann meine Tasche auch alleine tragen. Wenn ich beim Killasan vier Stunden die Boxen schleppe und alles aufbaue, dann erdet das mich, bringt mich zur Basis zurück.
Solange man den Spagat zwischen 5-Sterne-Hotel und Matratze in der Ecke hinbekommt, ist alles gut.
Man ist so schnell drin in der Bequemlichkeit. Es ist sehr einfach sich um nichts mehr zu kümmern.
Bei einem 3-Tage-Wochenende ist die Versuchung ja auch groß. Aber man muss immer bedenken, wie wirkt das auf das Umfeld.
Natürlich ist es gut, sich bei einem 3-Tage-Wochenende voll auf die künstlerische Arbeit zu konzentrieren und um alles andere keinen Kopf mehr machen zu müssen, aber generell ist das zurückkommen wichtig.
Wann bist du denn Fulltime-Künstler geworden?
2010. Musik war für mich immer Leidenschaft, deswegen wolle ich sie nie ausschlachten und damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich dachte immer, dass ich einen anderen Job haben müsste, um so frei meine Kunst machen zu können. Aber der Job, den ich hatte, funktionierte trotz eigener Firma nicht – beim Funk und Fernsehen hast du auch lange Arbeitstage. Zwei Kinder und die Arbeit haben zu wenig Zeit für die Musik gelassen.
Mit dem Alter wird es ja auch nicht leichter.
Es gab da immer die Angst vor dem Schritt, da ich von anderen immer wieder zu hören bekam, dass man sich schon finanziell über Wasser halten können müsse. Und ja, das erlebe ich aktuell ja durchaus, man muss schon manchmal schauen, wie man über die Runden kommt.
Ich bin seit 25 Jahren selbstständig, insofern ist es ja auch abseits der Musik das Leben, das ich kenne. Plötzlich wird man mal ein paar Wochen nicht gebucht und dann geht der Kontostand eben kontinuierlich runter. Aber irgendwas kommt immer. Und wenn man nichts hat, muss man sich was suchen.
Du wirkst aber sehr ausgeglichen.
Und das trotz des Wochenendes. Stimmt schon, ich bin es insgesamt auch.
Lass uns zurück zum Mix kommen. Du hast ihn selbst als “anspruchsvoll” beschrieben. Was meinst du damit genau?
Es gibt derzeit viel Musik, die total langweilig ist. Selbst solche Musik mag in einem Raum wie dem Berghain funktionieren und deswegen auch eine Berechtigung haben, aber nur solche Musik hören zu wollen, das kann es nicht sein. Es gibt so viel mehr Zustände. Für mich repräsentiert der Mix einen solchen düsteren, atmosphärischen Zustand von Techno, der im Berghain sehr gut kommt. In langen Sets möchte ich sowas auch einbringen, das kann sehr magisch sein, aber es gibt so viel mehr Qualitäten, die man auf der Tanzfläche erzeugen kann, mehr Stimmungen: Losrocken, schubig, oder auch ganz zart und …
Ich wollte einen Teil meines Kosmos ausbreiten. Das, was ich reinbekommen habe, hat meiner Meinung nach gut funktioniert im Aufbau des Sets, eine richtige Abfahrt zwischendurch aber auch so ein Austrudeln am Ende, indem ich die Trickkiste öffne und dann kommt von überall was her. Wenn das Bedürfnis befriedigt ist und alle abgetanzt haben und die Energie rausgeschleudert wurde, dann kann man auch zwei Stunden mit Bass und funkigen Sachen enden und die Leute nehem es trotzdem gut auf – und das selbst in Provinznestern. Es gibt mehr als nur straighten Techno. Und siehe da: plötzlich fangen alle an auch andere Körperteile zu bewegen und finden es super.
Das stimmt. Wenn die Leute weichgekocht sind, dann kann man sie an die Hand nehmen. Die Nacht experimentell zu eröffnen hingegen ist oft noch immer ein rotes Tuch.
Man macht seine Erfahrungen, zahlt sein Lehrgeld. Jetzt weiß ich, wie ich die Leute rumkriege, wie ich sie beschäftigt halte. Ich gebe ihnen gerne was sie wollen, bin ja selbst gerne Tänzer.
Hast du am Wochenede denn noch getanzt?
Da war ich zu fertig. Bei Susanne habe ich im Backstage ein bisschen gerockt hinter ihr. Ich hatte aber als Gastgeber auch viele soziale Pflichten zu erfüllen in der Nacht.
Der Mix ist ja geradezu mit Orten und Zeitpunkten vollgeschrieben. Hast du zu den Klassikern denn konkrete Bilder vor Augen?
Ja! Das sind sowohl Erinnerungen an Nächte, wie man sie selbst gespielt hat als auch an solche, wenn man sie im Set von jemand anderem gehört hat. Bei “Side On” von Space DJz, einem Key-Track der Compilation, ein echter Slammer, kann ich mich serh gut erinnern, dass Rok das gespielt hat, als wir zusammen aufgelegt haben. Ich hatte die Platte damals auch dabei und konnte sie dann nicht mehr spielen.
Könntest du eine Karte mit Orten und Zuständen zum Mix anlegen?
Ja. Das passt zu meinem Anspruch an den Mix nicht nur einen Zustand oder Stil einzubringen, sondern eben meine DJ Geschichte zu repräsentieren. Das zeigt sich auch in den Leuten, die ich im Mix präsentieren wollte: alte und neue Freunde.
Ab welchem Zeitpunkt hast du denn rRoxymore, Electric Indigo, Stefan Rein und Boris für die exklusiven Stücke angesprochen? Ging es da um gewisse Puzzle-Tracks oder wolltest du sie generell dabei haben?
Ein Disco angehauchtes mit Boris, ein bassig-melodisches von rRoxymore, etwas avantgardemäßiges, mimimalistisches von Electrinc Indigo, und Stefan hat den Technobrecher beigesteuert. Das war die Bannbreite, die ich mit dem Mix abdecken wollte. Die Tracks mussten auf jeden Fall drin sein, also galt es zu überlegen, wie ich sie unterbringe. Ich habe für den Mix sehr viel mehr Stücke zusammen gesucht als es letztlich drauf geschafft haben. Ein paar davon kommen in einem Monat auf einer fiedeltwo Compilation raus, da die Kapazitäten bei Ostgut Ton begrenzt waren.
Wenn du vom Tracks zusammen suchen sprichst, geschieht das nur Zuhause in der Plattensammlung und im Plattenladen oder bist du jemand, der auch viel ausgeht und anderen Djs zuhört?
Neuerdings gehe ich tatsächlich mehr in die Clubs und höre mir die Sets der Leute an. Das war vorher nicht so. Bei mir hat sich persönlich viel umgestaltet in den letzten zwei Jahren. Ich habe mich von meiner Frau und den Kindern getrennt. Mir geht es jetzt viel besser. Deswegen erlebst du mich auch so glücklich. Ich habe viele persönliche Zwänge abgelegt, bin aus verschiedenen Gefängnissen ausgetreten. Mein eigenes in der Beziehung und eben auch das Gesellschaftliche, von wegen heile Familienwelt. Das hat sich alles nicht mit dem vereinbart, was ich so wollte. Ich habe das Spiel lange mitgemacht und zu wenig geschaut, was ich eigentlich wollte, aber ich musste die Konsequenzen ziehen. Ich kann jedem nur raten, zu gucken, was man möchte. Man kann alles lösen. Ich sehe die Kinder regelmäßig, morgen zum Beispiel, generell jede Woche Mittwochs und Donnerstags und jedes zweite Wochenende ist auch Papa Wochenende. Ich bereue die Entscheidung nicht und sie kommen damit auch gut klar.
Fiedel 2.0 sozusagen! Eigentlich wieder der alte Fiedel – bevor das alles los gegangen ist. Ein langer schleichender Prozess, in dem ich mich zu wenig reflektiert habe.
In der Tat, du wirkst sehr ausgeglichen und happy.
Michael, lass mich noch mal kurz auf die exklusiven Tracks zurück kommen, die hast du ja extra auf Dubplate pressen lassen. Damit du ein einheitliches Arbeitsmaterial vorliegen hattest?
Mir war schon früh klar, dass ich einen Vinyl-Mix machen wollte. Und wenn man einmal drin ist mit Vinyl, dann will man auch dabei bleiben. Dubplates sind ja ein bisschen schwerer, weshalb man beim Tempokorrigieren ein bisschen mehr geben muss.
Mit Schallplatten aufzulegen ist und bleibt das tollste Handlings beim Auflegen. Du hast die Musik in der Hand, du hast immer was zu tun, drehst herum, musst immer gucken, es gilt das Instrument Plattenspieler mit dem Auge, den Ohren und deinen Fingerfertigkeiten zu beherrschen. Es muss koordiniert werden und stimmen. Die Handhabe des Synch-Buttons und der Files kann man damit nicht vergleichen. Ich bin besser drauf, wenn ich Platten spielen kann. Die Energeie bringe ich in den Mix rein. Wenn ich von CDJ spiele, ist das bei weitem nicht so elegant.
Der zweite Aspekt war: klanglich ging es um eine durchgängige Ästhetik. Die digitalen Sachen sind oft sehr überproduziert und komprimiert. Die kommen als Blockwerk aus den Lautsprechern raus. Druck, Druck, Druck – die ganze Zeit. Bei Vinyl muss man den Sound etwas hinbiegen, damit man das abbilden kann. Da ist mehr Dynamik drin. Deswegn die Dubplates.
Die Faulheit des Djs vor dem Schleppen des Arbeitsmaterials nervt mich schon manchmal.
Vor ein paar Jahren habe ich mal auf einem Festival gespielt und musste von dem Ort an, wo das Taxi uns abgesetzt hat, ziemlich lange laufen bis zum Zelt. Mein Kollege hatte nur ein kleines Täschchen mit, da er eben Files vom Stick gespielt hat. Das kam mir smart vor im Gegensatz zu meinen zwei Taschen mit Platten.
Letztes Jahr kam bei mir allerdings der Bruch. Ich habe angefangen auch mal ohne Platten loszugehen. Das kommt mir allerdings noch immer komisch vor. Phantomschmerz. Der Grund war, dass ich oft welche mitgeschleppt habe und sie dann nicht spielen konnte, da die technischen Gegebenheiten nicht okay waren. Einmal ist mir der Tonarm abgebrochen. Oft gibt es super viel Feedback. Die Plattenspieler müssen oft ja extra angemietet werden und sind nicht mehr per se im Club vorhanden. Und leider sind die jungen Leute, die Promoter gar nicht mehr den Umgang mit ihnen gewohnt, da findet man schon mal beide aufeiander stehend vor. Wenn ich soetwas sehe, sagte ich direkt zu den Jungs, dass sie mir die nicht mehr hinstellen müssen. Da spiele ich dann lieber mit Stick, wenn die so behandelt werden.
Klanglich gibt es schon einen Unterschied. Die digitalen Files sind viel direkter da sie so hoch komprimiert sind. Die sind besser wahrnehmbar auf der Tanzfläche. Wenn man ein schwaches Soundsystem hat, ist es definitiv besser, digital zu spielen.
Der dritte Aspekt ist, dass man mit Platten nicht mehr rankommen kann, wenn der Dj vor dir digital gespielt hat und alles aufgerissen hat.
Bei den langen Sets im Berghain mache ich oft beides. Ich spiele in Sequenzen, eine Platten-Sequenz und eine File-Sequenz. Letztlich zählt, was für Musik am Ende dabei raus kommt, zu was der DJ damit in der Lage ist.
Auch wenn du gerade so frisch und vitalisiert wirkst, würde ich angesichts des historisch aufgeladenen Mixes doch auch gerne über das Altern im Club mit dir sprechen. Ein Thema, das du reflektierst?
Klar, gerade wenn man immer das junge Publikum vor sich sieht – wobei es im Berghain nicht ganz so jung ist. In Paris zum Beispiel bei den Warehouse Parties könnte ich der Vater der Besucher sein. Auch die Organisatoren sind ja teilweise Anfang bis Mitte Zwanzig. Ich hätte mir in dem Alter eine Warehouse-Party mit 1000 Leuten nicht zugetraut.
Ich habe mit meinem Alter kein Problem, da ich weiß, dass ich es noch immer bringe und auch die jungen Leute rocke. Ich spüre aber die Konkurrenz. Deswegen besinne ich mich mit dem Mix auf das, was ich kann. Viele könnten ohne die digitalen Vorteile gar nicht spielen, die kriegen keine zwei Stücke zusammen. Auch ein bisschen schade, das zu hören, zumal oft auch bei sehr jungen Leuten, die bereits sehr viel Geld bekommen, da sie so schnell hochgekommen sind. Da läuft dann was falsch.
Du hast also keine perspektivischen Ängste?
Nein. Ich beschäftige mich mit Musik schon seit 30 Jahren. Bin quasi auch schon seit 30 Jahren DJ – am Anfang im Osten halt noch mit Kassetten, da es keine Platten gab. Ich habe die im Radio aufgenommen – viel bei Monika Dietl, aber auch in Chartssendungen – und dann auf privaten Parties aufgelegt. Es war nicht immer leicht die Leute damit zum tanzen zu bringen. Lass es mich so sagen, ich hatte meine Vorstellungen, sie die ihrigen. Deswegen war es schon gut nach der Wende genau die Musik auflegen zu können, die ich spielen wollte. Ich bin dann sofort in die Clubs gegangen. Mein erstes Technoerlebnis war gleich 1990 bei DJ Rokki (so hieß Rok damals noch) im UFO. Das war der absolute Hammer. Die Leute, die jetzt weggehen, sind ja schon ziemlich alt. Ich war damals 17 als ich in meinem ersten Westberliner Technoladen war. Heute gehen zu Techno ja zumeist erst Leute ab 20 aus, drunter geht nicht so.
Wie verhält sich überhaupt das Publikum im Vergleich. Wir sind da gestern im Berghain Büro auch drauf zu sprechen gekommen, dass in den 90ern das Techno Publikum viel heterogener war, es auch richtig prollige Leute gab.
Manchmal. Es gibt schon nach wie vor viele Bevölkerungsgruppen im Club. Die Gesellschaft hat sich ja auch verändert. Es gibt ja nicht mehr so viele Bauarbeiter – natürlich gibt es viele, aber eben nicht mehr genau die, die in den 90ern auf der Baustelle waren und eben Feiern gingen. Die, die jetzt da sind, sind durch veränderte Arbeitssituationen kein Feierpublikum mehr, eben da nur bestimmte Schichten diese Aufgaben übernehmen, weil es so wenig Geld nur gibt.
Heute leben viele einen modernen Stil, damit meine ich, dass sie irgendeine Büroarbeit haben, die viel weniger ortsgebunden ist und die man auch auf einem anderen Kontinent ausüben kann. In Südkorea habe ich beispielsweise beim Auflegen Leute aus Deutschland getroffen, die ihren IT-Job von dort machen. Andere programmieren von Indonesien aus. Die Welt ist offener geworden, die jungen Leute bereisen sie und leben auch teilweise woanders. Das fällt mir auf. Der Austausch ist heute viel größer, das Publikum viel internationaler. Im UFO war es früher zwar auch international, aber eben eher Paradiesvögel, die sich zusammen gefunden haben. Heute ist Techno populärer geworden, so dass man nun Massen anzieht, die nicht mehr so eigenständnig sind, sondern Feiern wollen. Das sieht man auf der Tanzfläche.
Gibt es eine Uhrzeit, die du bevorzugst auf der Tanzfläche?
Sonntag Nacht. Im Berghain das Closing.
Und epochisch?
Techno war ja schon mehrmals tot gesagt. Für mich nie. Aber 1993 gab es schon ein Loch – und dann kam es wieder zurück. Techno ist für mich eine universelle Sprache, mit der ich überall Leute kennenlernen kann. Wenn beispielsweise in einem Plattenladen eine bestimmte Art von Musik vorhanden ist, dann weiß ich, dass ich mit den Leuten klar komme. Man spricht die gleiche Universalsprache. Gleicher Musikgeschmack bedeutet dass man in gewisser Weise ähnlich drauf ist. Die Basis muss man sich gar nicht groß gegenseitig erläutern, da reicht es loszulegen.
Wenn in einem Laden nur Goa und Trance verkauft wird, dann weiß ich, dass ich mit den Leuten nicht so viel anfangen kann.
Ich erlebe zwar Techno noch immer als universelle Sprache in der Welt, die Leute schätzen die Energien, die dabei rum kommen und die Geisteshaltung, die die Musik hervorbringt. Ein kleiner Wehrmutstropfen ist es aber schon, dass es teilweise in eine Belanglosigkeit abdriftet. Dieses weltumspannende Gefühl wird durch den Konsum abgewertet. Es ist nicht mehr so, dass man sich über die gleiche Sprache und die Chance, die Leute kennenzulernen freut, sondern es fühlt sich abgeklärter an.
Wie ein Geschäft?
Ja, klar. Genau so wie es Macher gibt, die Techno nur aus Geschäftsgründen veranstalten gibt, findet man auch Partybesucher, für die das gilt.
Aber generell ist es nac hwie vor ein Geist, der um die ganze Welt zieht.
Ist der Konkurrenzdruck unter den DJs und Produzenten größer geworden.
Oh ja. Es gibt ja so viel mehr, die auf den Martk streben, da so viel zu holen ist. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was da passiert, wundere mich nur, wie manche Sachen zustande kommen können. Da werden die Marketingmittel gut genutzt, auch wenn die Leistung dahinter es nicht rechtfertigt, den Erfolg zu haben. Ohne jetzt neidisch auf wen zu sein. Ich mache mein Ding – und werde das noch in 20 Jahren so machen.
Setzen dich gewisse Entwicklungen unter Druck? Zum Beispiel die (scheinbaren) Anforderungen der Social Media Welt?
Widerwillig muss ich da mitmachen. Meine Freundin, die ein bisschen jünger als ich und digital native ist, übernimmt ganz viel für mich. Die hat da Bock drauf. Ich sehe das mit 45 nicht ein. Ich tu mir schwer damit, auf Facebook zu schreiben, dass ich gerade mit dir hier Tee trinke.
Musst du doch auch nicht.
Wenn ich was schreibe, soll es von Herzen kommen. Ich teile, was mich bewegt.
Die Leute merken es sowieso, wenn man unecht postet.
Der Mix ist ja sehr bedeutsam für mich. Deswegen will ich da auch alle Weg nutzen, die der Wahrnehmung helfen. Man muss heutzutage die Trommeln anschlagen, sonst geht man unter in dem Riesenangebot.
Ein großer Unterschied zu den 90er Jahren.
Ja. Man muss sich heute anstrengen, um sich durchzusetzen – selbst wenn man qualitativ auf hohem Niveau abliefert. Die Zeit verlangt mehr von einem, damit man der Musik weiter nachgehen kann.
Wie wichtig sind denn hierbei kreative Gegenpole? Über das Soundsystem und die “Wax Treatment”-Parties mit Dubstep and Dancehall haben wir ja schon gesprochen. Ein anderes Korrektiv war deine Zeit im Hardwax Plattenladen.
Ganz wichtig. Das ist meine Basis. Die 30 Jahre, die ich das alles mache, kommen ja nicht von irgendwoher, das baut alles aufeinander auf. Im Hardwax habe erst nur Platten gekauft, dann kam ich ins Gespräch und lernte Leute kennen, die Veranstatungen machen. Hardwax waren auch die ersten, die MMM (sein Projekt mit Errorsmith, Anm. des Verf.) angekauft und später vertrieben haben. So wurde ich überhaupt erst im Ostgut und im Suicide zum Resident.
Die Frage kommt auch vom Sound her, hat dich die dort kennengelernte Offenheit für Genres abseits von Techno darin bestärkt den eigenen Sound ebenso offen zu gestalten? Viele denken ja, Hardwax sei ein sehr enger Haltungs- und Soundkosmos, aber das stimmt ja nicht, gerade im Gegenteil.
Es ist ziemlich weit gefasst, ein breiter Horizont, trotz des auch vorhandenen engen Filters.
Dogmatisch-undogmatisch.
Genau. Es hängt von jedem selbst ab, wie man dieses Verhältnis von offen und geschlossen wahrnimmt. Eine Zeit lang habe ich mich von diesem Technoding fangen lassen, da ich das Gefühl hatte mich neu definieren zu müssen. Gerade als jemand, der einen breiten Horizont hat, der viel verschiedene Musik spielen kann, musste ich den Leuten da draußen, Promotern und Publikum gleichermaßen, erstmal wieder zeigen, dass ich auch Techno spielen kann. Es gab viele, die mit dem Berghain groß geworden sind und mit Techno verbunden werden – ich aber seltsamerweise nicht. Da kamen Fragen von den Promotern, was ich denn spiele. Ich habe keine Ahnung, wo die Frage herkommt. Ich bin von Anfang an Resident im Berghain. Was ist das für eine Frage? Ich versteh die Frage nicht. Aber wenn man meine Podcasts hört, dann sind die natürlich sehr breit gefächert, kreisen um eine Soundidee. Also musste ich erstmal Techno-Podcasts aufnahmen, um mich als Techno Dj zu positionieren. Da frage ich mich schon, was die Menschen mitbekommen, was für Infomationswege sie haben.
Das frage ich mich aauch oft. Gerade wenn man sich anschaut, wie schnell viele Künstler_innen populär werden und sich scheinbar alle auf sie einigen können. Wissen die Leute am Ende wirklich, was die Eigenarten sind?
Ich habe das Gefühl, dass alle zu den zehn heißen Leuten rennen – und dann tanzen alle, wenn sie spielen, es ist aber völlig unbedeutend, was sie spielen. Das ist die Entwicklung, die stattgefnden hat, das sind die Werbungsmeachnismen. Ah: Coca Cola – das schmeckt. Das andere kenne ich nicht.
Es kann ja auch nicht sein, dass alle immer alles mögen, was so durchs Dorf getrieben wird.
Ich hatte gestern, nein, vorgestern… doch gestern, gestern morgen…
Ich bekomme manchmal Zettel hingelegt, wenn ich auflege, wo die Leute fragen, wie ein Stück heißt oder mir mitteilen wollen, dass es gerade “toll” ist. Ich hatte mir extra Stücke rausgesucht, die nicht so ruckzuck Techno waren. Und dann kriegte ich einen Zettel hingelegt: “Spiel doch mal Techno!” – Geh mal wieder weg!
Die können ja nichts dafür. Die haben nicht die Erfahrung, den Zugang. Die Musik wird nur konsumiert. Es gibt dieses gewisse Idee von Techno und seiner Struktur, Farbe und dem Charakter. Davon darf man sich nicht beeinflussen lassen.
Du hast eben MMM angesprochen, dein Projekt mit Erik Wiegand aka Errorsmith. Was ich an MMM mag ist, dass ihr trotz großer Maxierfolge – zum Beispiel “Donna” – nie krampfhaft Musik nachgeschoben habt. Entgegen aller Karrierebefindlichkeiten lasst ihr dem Projekt alle Zeit der Luft.
Der Name Messe der Meister von Morgen spricht ja für sich. Obwohl wir zu Beginn keinen Vertrieb hatten – es hieß damals schon “wir nehmen keine Platten mehr auf” –, haben wir Leute erreicht. Electric Indigo hat uns damals unterstützt. Wir haben totale Freiheit – und die führt eben dazu, dass die Abstände so lang werden zwischen den einzelnen Veröffentlichungen, vielleicht aber auch auch zu lang. Wir sind nicht untätig, aber es kommt eben nichts raus. Wir brauchen unsere Zeit. Entgegen des Businessdenkens geht es primär darum, dass Musik unsere Leidenschaft ist. Ich lebe von der Musik, mein Körper, mein Geist leben davon. Das funktioniert nur in dem Tempo und in der Art und Weise wie man es gerne tut. Nicht unter Zwang. Es gibt schon genug Technotracks, die wegen eines Presstermins produziert werden müssen. Ich lebe davon, dass ich das machen kann, was ich mache. Musik ist Leidenschaft und Rückzugsort.
Der Soundperfektionist und der DJ – so sieht unsere Zusamennarbeit aus. Jeder von uns muss ein bisschen nachgeben, aber das fühlt sich gut an, da eben auch jeder etwas drücken kann. Erik hat einen Sound im Kopf und ich eine Struktur. So arbeiten wir zusammen.
Michael, im Verlauf unseres Gespräch ging es viel um das Berghain, dem Mix und deiner Residency geschuldet. Was mich interessieren würde: Wie empfindest du dein persönliches Verhältnis zum Berghain?
Ich möchte mich als Fiedel definieren. Wenn man mit dem Berghain Mutterschiff mitsegelt, dann wird man als Berghain Botschafter wahrgenommen. Man wird auch als Berghain Resident eingeladen. Das Berghain ist eine Marke. Wenn ein Promoter jemand aus dem Berghain Umfeld bucht, dann kommen automatisch mehr Leute. Das ist ja auch gut für den Promoter und letztlich für uns, da er unsere Gagen bezahlen kann. Aber Publikum und Promotern fehlt dann doch oft das Geführ dafür, dass wir alle auch eigenständige Künstler sind, die genau durch das, was wir machen, seinen Anteil am Erfolg des Berghains haben. Deswegen sind wir ja so ein Riege unterschiedlicher Leute. Das macht doch das Berghain aus – und nicht dieser eine Berghain Sound. Was auch immer das bedeuten soll. Und dann steht man in einem Laden, der gar nichts mit dem Berghain zu tun hat, aber die Leute stellen sich vor, dass man es jetzt für sie hier hinstellen kann.
Die Leute buchen den Mythos und wollen ihn nach Hause geliefert bekommen.
Aber das geht nicht. Das Berghain ist ein magischer Ort. Alles was dazugehört, kommt da zusammen. Das kann man nicht eben mal wohin transportieren. Dieser Geist des Zusammentanzens, des alles rauslassens, den kann man woanders auch erzeugen, aber eben nicht auf die Art und Weise, wie es im Berghain selbst passiert.
Das geht sich ja schon wegen der unterschiedlichen Zeitachsen und der damit verbundenen Körperlichkeiten nicht aus. Bevor manche Dinge möglich werden bedarf es nunmal oft eines sechs, sieben, achtstündigen Vorspiels.
Es spielt eine Rolle, dass das Berghain 36 Stunden auf hat und dass die Sets lange sind. Wenn man einen Marathon mitmacht, dann ist die Musik dementsprechend anders und man mixt auch anders.
Es fühlt sich manchmal komisch an, wenn ich außerhalb des Berghains auflege und von dem Marathonsetstil auf den eines normalen Sets runterkommen muss, wo es kurz und präzise zuzugehen hat. Ein Set von nur 1,5 Stunden fühlt sich für mich surreal an.
Michael, danke für das lange Gespräch.