Kolumne

Kein einziger Sticker auf dem Klo – eine Geschichte von Oidorno und Team Scheisse

Team Scheisse oder Oidorno? Schwierige Wahl, wie soll man sich bitte entscheiden zwischen “Ich sitz am Tresen und verjubel all mein Cash” und “Halt die Fresse, ich will saufen”? Für Linus Volkmann hat an einem Abend glücklicherweise beides geklappt. Er hat eine dringliche Story dazu geschrieben, die sich aber nicht vorrangig um Musik dreht…

Der Autor gemeinsam mit der bildenden Künstlerin Kwittiseeds bei Team Scheisse

Gestern habe ich also zwei der besten Bands überhaupt gesehen. Auch wenn die jeweiligen Konzerte an entgegengesetzten Orten der Stadt (Frankfurt) abbrannten. Dass das überhaupt möglich war, ist Teil der Sache, die mich nun auch noch am Tag danach beschäftigt. Nämlich wie wichtig selbstbestimmte Räume für (Sub)Kultur sind.

Und die Geschichte dazu geht so:
Kwittiseeds, der stets top motivierte Konzertfuchs, hatte bereits letzten August (!) Karten für den Team-Scheisse-Gig besorgt. Team Scheisse will doch jede*r sehen, hinter der herzigen Punk-Miniatur des “Karstadtdetektivs” verbirgt sich nun wirklich eine ganz reiche und aufregende Welt. Als eine Freundin dann letztens aber darauf aufmerksam machte, Oidorno würden am selben Tag im Café Exzess spielen, eines der langlebigsten alternativen Zentren der Stadt, war ich trotz der Team-Scheisse-Verheißung doch etwas geknickt. Denn das hätte ich nun wirklich auch gern gesehen, die wertigen Top-Irren von Oidorno spielten zuletzt kaum noch live.
Fand das Konzert, für das wir Karten besaßen, doch im Zoom (ehemaliger Cocoon-Club) statt, einem eher ausgelagerten großen Laden im Industriegebiet, der einigermaßen visions- und profillos einfach Veranstaltung um Veranstaltung abarbeitet. Bierverkauf, Umsatz, Effizienz, next please.
Natürlich muss man froh sein, dass es zumindest solche Läden gibt in einer Großstadt wie Frankfurt, die von unfassbar unterlegener Clubkultur geprägt ist – und um die viele Acts einen Bogen machen (müssen). Ausgewichen wird für die Region nach Wiesbaden, weil es in Frankfurt kaum noch tragfähige Konzertorte gibt, die jenseits von mini oder mega operieren.
No offense… aber Wiesbaden? Doch auch ich bin schon im stinkenden RE wie ein Hund in die Landeshauptstadt getuckert, weil tolle Acts kein Booking in Frankfurt hinbekommen.

Was machen kommerzielle Unorte mit deiner Musik?

Also Zoom und Team Scheisse it is. Die Band ist eh ein Phänomen, ich meine, dass sie mit so einem Sound und so einer Attitüde alle Grenzen der Punkszene gesprengt haben. Das war nicht absehbar. Der Hype kommt einem fast wie ein Missverständnis vor, aber ein sehr erbauliches.
Die Band wirkt selbst immer noch sichtbar überrascht und ist bemüht, sich nicht von den Ballermann-Erwartungen der unzählig reingespülten Feier-Fans überrollen zu lassen. Im Gegenteil versuchen Team Scheisse emanzipative Errungenschaften der DIY-Kultur in kommerzielle Unorten vor gemischtes Publikum zu tragen. Eine Gitarristin (bzw. eine von mir weiblich gelesene Person) spielt mittlerweile in der Band mit und erklärt den Leuten heute an einer Stelle, was cis-Männlichkeit ist und ruft beim nächsten Song einen reinen FLINTA-Moshpit auf. Die Gemeinten freut’s, die Mehrheit der angewichsten Typen lässt die Ansprache allerdings eher über sich ergehen, während die Security-Machos parallel verächtlich in die Menge starren.
Ein bisschen hat die Situation was von dem “Fun-Punk-Missverständnis” der Goldenen Zitronen einst. Die haderten lange Jahre mit einem besoffenen Kegelclub-Publikum, das einfach immer bloß “Für immer Punk” mitmuhen wollte, was die Band zu immer biestigerem Abstrafen der eigenen Fans verleitete.
Ganz so tief ist die Kluft hier allerdings nicht. Die meisten wirken neben aufgekratzt auch halbwegs verständig.
So spielen Team Scheisse ein tolles Konzerte und beharren auch in dieser Halle, die für nichts steht, auf hart erarbeiteten linken Werten. Und fertig.
Genau: Fertig. Kurz vor neun (!) ist schon wieder alles fertig. Denn offenbar hat der Veranstalter für danach bereits eine weitere Party angesetzt. Konzert bis neun, dann Rockabilly-Disco, Publikumsaustausch, zweimal Eintritt an einem Tag.

Vom Wasserhäuschen zum Exzess
Ich quickse der Freundin also, ob Oidorno wohl noch spielen, denn hier in der Kommerzarena werde man bereits wieder rausgekehrt. Antwort: Das andere Konzert geht erst 23 Uhr (!) los. Na, das klingt doch schon etwas großstädtischer. Es reicht also locker, um heimzuradeln und dann mit der U-Bahn ins Café Exzess zu fahren. Stopp am Späti (heißt hier Wasserhäuschen) inklusive, endlich Schnaps und im Überschwang auch mal eine dieser Einweg-E-Zigaretten ausprobieren. Grüner Apfel.

Oidorno live im Exzess

Das Café Exzess steht unter Druck, mit den Räumlichkeiten der alternativen Szene mitten im Stadtteil Bockenheim ließe sich sicher richtig Geld machen, so muss sich das Projekt immer wieder gegen eklige Immobilieninteressen erwehren, die das Exzess allzu gern platt machen würden.
Im Exzess gab es schon ein selbstverständliches All-Gender-Klo, bevor das Thema zum gesellschaftlichen Fetisch wurde, an einer der Wände hängt ein riesiges Banner “20 Jahre extrem linksradikal”, alles ist zugestickert, überall Aufkleber oder Announcments für Geflüchtetenarbeit, irgendwer sucht eine Band, Hausmitteilungen… Kommunikation eben. Jetzt fällt mir ein, was mich in dem Konzertort vorhin so irritiert hat, kein Sticker auf dem Klo, nirgendwo. Kein Austausch, bloß pissen und hau wieder ab.

Das besagte Transparent

Insofern
Ich will den Kontrast zwischen den beiden Welten nicht kitschiger malen, als er ist. Aber dennoch macht mir dieser Abend nochmal bestürzend deutlich, wie wichtige selbstverwaltete Räume sind und dass Konzerte auch von dem “Wo” leben.
Dabei blickte Oidorno-Gitarrist Steffen auch im Exzess in ein paar lange Gesichter, als Steffen auf der Bühne meint, die Band habe keine Lust, immer für dieselben 3-Meter großen Pogoschränke in den ersten Reihen ihre Konzerte zu spielen. Man solle doch auch Frauen space geben. Auch hier tut sich danach etwas vor der Bühne, auch hier verbreitet sich das Gefühl, dass die Menge nicht bloß Menge sondern auch (d)eine Community sein kann.
Wahnsinn, denke ich, dieselbe Ansage zweimal an einem Tag gehört. Beides mal hat es was gebracht, wie mir schien. Es hat wirklich Kraft, wenn sowas von der Bühne kommt. Ich liebe beide Bands dafür, die Konfrontation, die damit auch einhergeht, nicht zu scheuen. Ich bin nicht der einzige.
So kann man das Erleben für alle besser machen, so kann Konzert mehr sein als bloß Konsum. Ob in der toten Halle oder im Alternativen Zentrum – doch erstere wird immer selbst auch ein Limit setzen.
Insofern: Verteidigt die von der (Sub)Kultur besetzten Orte, sie sind es so sehr wert.

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