Kaput Kolumne

We Better Talk This Over #2: „Be Here Now“ von Oasis (1997)

“WE BETTER TALK THIS OVER” IST DIE KAPUT-KOLUMNE VON LENNART BRAUWERS, IN DER UNTERBEWERTETE, OFT ÜBERSEHENE (ODER GAR VERHASSTE) ALBEN GEFEIERTER BERÜHMTHEITEN BESPROCHEN UND NEU EINGEORDNET WERDEN. SCHLIESSLICH KANN SICH DER BLICK AUF MUSIK VERÄNDERN, JE ÄLTER SIE WIRD. ALSO: EXTREM VIEL GROSSARTIGES FINDET ZU UNRECHT KAUM BEACHTUNG – DARÜBER SOLLTEN WIR NOCHMAL REDEN.

Lennart Brauwers feat. Oasis (Photo: Marisa Eul Bernal)

„It’s the sound of a bunch of guys, on coke, in the studio, not giving a fuck.“

Wer nach zig Filmen von Ingmar Bergman oder Federico Fellini nicht auch mal Lust auf „Transformers“ hat, wird mir vermutlich unsympathisch sein. Dabei zuzusehen, wie gigantische Roboter einander verkloppen und ganze Städte zertrümmern, ist nunmal eine – wenn auch von Testosteron gesteuerte – Kunstform für sich. Sich auf das ultradumme Spektakel einlassen, sag ich! Nicht immer, aber manchmal; denn manchmal, da gibt’s nichts Geileres…

„Be Here Now“, das kontroverse Drittwerk von Oasis, beginnt mit näher kommenden Helikoptergeräuschen – mehr geht nicht, wenn man rausposaunen will: Jetzt wird geballert! Von dort an wird das Album zur Abfolge von völlig übertriebenen Songs, die einfach nicht enden wollen. In (fast) jeder Sekunde wurden gefühlt dreitausend Gitarrenspuren aufeinandergestapelt; alle davon bis zum Anschlag aufgedreht, versteht sich. Dieses Album ist also das absolute Gegenteil von ‚bescheiden‘. Es ist Maximalismus in seiner pursten Form, vertonte Arroganz, das musikalische Äquivalent von: Deine Eltern fahren in den Urlaub und lassen dir etwas Geld da. Davon kaufst du dir natürlich ‘ne ganze Menge Alkohol, schmeißt aber keine Party, sondern kippst das alles in die Badewanne und legst dich kopfüber hinein. Das will man natürlich nicht jeden Tag machen, weshalb man häufiger zu den Vorgängern „Definitely Maybe“ und „(What’s the Story) Morning Glory?“ greift. Aber wie bei „Transformers“ muss ich auch hier sagen, dass diese Dummheit durchaus wertvoll sein kann. Kopf aus, liebe Freunde! Durchzug!

Doch diese sympathisch-dämliche Wucht hat keineswegs jeder in „Be Here Now“ gesehen. Wie sich die Rezeption dieses Albums über einen kurzen Zeitraum verändert, ist – sagen wir – mindestens erwähnenswert: Oasis gehörten damals zu den allergrößten Rockbands der Welt, dementsprechend wurde „Be Here Now“ sehnsüchtig erwartet; vor allem in England, klar. Am Tag der Veröffentlichung standen die Fans Schlange, um eine Kopie des Albums abzugreifen, sodass es zum ‚fastest-selling‘ Album in der Geschichte der britischen Charts wurde (bis Adele es mit „25“ ablöste). Doch vor allem die Kritiker, die vorerst auch positiv gestimmt waren, überlegten sich das relativ schnell anders, so beschrieb Rob Sheffield das Album im Rolling Stone als „concept album about how long all the songs are“. Irgendwann wurde „Be Here Now“ von den allermeisten für Müll befunden. In einem Pitchfork-Artikel aus 2016 hieß es, dass die Platte „one of the most agonizing listening experiences in pop music“ sei. Uff.

Womit wir zum ersten Missverständnis kommen, das „Be Here Now“ ständig umkreist: „Agonizing“ – also qualvoll – ist die Platte allemal, aber was ist so schlimm daran? Man muss sich durch einen schier endlosen Schlauch aus eintönigem Krach kämpfen, das stimmt. Doch das lange Dröhnen, als das man „Be Here Now“ beschreiben könnte, hat etwas Psychedelisches, was den ersten beiden Oasis-Alben fehlt. In seiner lärmigen Monotonie funktioniert „Be Here Now“ schon fast wie ein Shoegaze-Album. Natürlich ist der von Noel Gallagher gesungene Track „Magic Pie“ nichtmal ansatzweise ein so guter Song wie „Don’t Look Back in Anger“, doch das soll er auch gar nicht sein! Das wäre ein zu hoher Höhepunkt und würde den (im bestmöglichen Sinne) betäubenden Flow des Albums zerstören.

Und wo wir schon bei Noel Gallagher sind: Niemand hasst „Be Here Now“ so abgrundtief wie er. Auf die 2006 erschienene, aus Highlights bestehende Oasis-Compilation „Stop the Clocks“ hat er keinen einzigen Song des Albums gepackt; bei Liveauftritten seines Soloprojekts Noel Gallagher’s High Flying Birds ignoriert er die Platte ebenfalls komplett.
„We shouldn’t have made that album then“, erzählte er mal im Interview und nennt gleich mehrere Gründe:
1) Die Band hätte den Erfolg von „(What’s the Story) Morning Glory?“ sacken lassen und sich erstmal sammeln sollen.
2) Großartige Songs wie „The Masterplan“ oder „(It’s Good) To Be Free“ hätten nicht als B-Seiten veröffentlicht und stattdessen für „Be Here Now“ aufgespart werden sollen.
3) Die Songs für „Be Here Now“ in einem von Koks geprägten Karibik-Urlaub mit Johnny Depp und Kate Moss zu schreiben, war ’ne dumme Idee…

Aber was weiß Noel schon! Ich hingegen würde sagen, dass die Band alles richtig gemacht und ihr Momentum sinnvoll genutzt hat, jene B-Seiten den beschriebenen Flow des Albums ruiniert hätten und ein Koks-Urlaub in der Karibik doch die perfekte Grundlage für ein Rock-Opus ist. Deshalb bin ich da eher bei seinem Bruder Liam, der „Be Here Now“ großartig findet. (Nur wenige Tatsachen machen den Unterschied zwischen Noel und Liam so wundervoll deutlich).

Lennart Brauwers feat. Oasis (Photo: Marisa Eul Bernal)

Wie sehr ein Album den öffentlich porträtierten Charakter der verantwortlichen Person(en) widerspiegelt, ist ein spannender Gedanke, der im Laufe dieser Kolumne noch häufiger auftauchen wird. Zu sagen, dass dir „Be Here Now“ wegen seiner hohlen Überheblichkeit nicht gefällt, obwohl die Gallagher-Brüder ja genau das sind – also großmäulig und etwas leer im Kern –, ergibt in meinen Augen keinen Sinn. Das ist so, als würde man „The Life of Pablo“ von Kanye West aufgrund seiner verwirrenden Chaotik kritisieren, wo Mr. West doch genau das ist: verwirrend und chaotisch (und ein Arschloch). Dementsprechend ist „Be Here Now“ die beste Repräsentation der Gallaghers als Personen. Dass der zweite, ziemlich fantastische Song des Albums „My Big Mouth“ heißt, passt einfach perfekt. Das ist so, als hätte Elvis Presley einen Song namens „My Swingin’ Hip“ geschrieben; oder Jimi Hendrix einen Song namens „My Fabulous Fingers“. Oder irgendwie so.

‚Leer im Kern‘ also. Das ist ja ein ordentliches Statement. Doch tatsächlich wirken die Lyrics auf „Be Here Now“ erstmal völlig sinnlos. Noel hat grundsätzlich ein eher limitiertes Vokabular, also doppeln die Strophen sich häufig. Alles in allem scheinen das vor allem Worte zu sein, um halt irgendwelche Worte zu haben. (Über die unsinnigen Lyrics der Red Hot Chili Peppers rege ich mich stets auf, singe bei „Be Here Now“ aber lautstark mit; das muss Liebe sein.) Zu Beginn seiner Karriere schien Noel uns noch Dinge sagen zu wollen – „Is it worth the aggravation/To find yourself a job when there’s nothing worth working for“ –, doch er schien sein Pulver relativ schnell verschossen zu haben. Irgendwann fällt einem jedoch auf, dass die von Beatles-Referenzen übersäten Lyrics auf „Be Here Now“ so beknackt sind, dass sie schon wieder Spaß machen: „The fool on the hill and I feel fine/Don’t look back ‚cause you know what you might see“. Sich schlichtweg keine Mühe zu geben, hat seinen ganz eigenen Charm.

Der überragende Album-Opener heißt „D’You Know What I Mean?“ – und auch das passt perfekt: Denn auf „Be Here Now“ wusste niemand mehr, was Noel eigentlich meint. Völlig egal, denn musikalisch ist der Song eine 10/10, so meinte sogar Noel mal im Interview: “For me personally, I think that’s where Oasis peaked. I don’t think it’s a better song than ‚Supersonic‘ or anything like that. But I think the scale of the band, the size of the song itself, the ‘not giving a fuck’ of just calling it ‚D’You Know What I Mean?‘. I think that’s where we peaked.“
Herrlich daran ist außerdem, dass Noel hier die selbe Akkordfolge wie in „Wonderwall“ verwendet, was vor allem ein selbstironischer und dadurch sympathischer Move ist (“I’m not expecting anyone not to notice“) und gleichzeitig zeigt, was Noel Gallagher für ein schablonenhaft arbeitender Songwriter ist. Für ihn sind Akkorde nur Mittel zum Zweck, um darauf eingängige, leicht nachvollziehbare Melodien zu schreiben. So wie Noel seine Lieder schreibt, fängt jeder erstmal an, entwickelt sich im Normalfall aber weg davon. Noel ist dabei geblieben und hat diese Vorgehensweise perfektioniert.

Das Problem war nur, dass er das schon relativ schnell perfektioniert hat – um genau zu sein auf den ersten beiden Oasis-Alben, die gewissermaßen die selbe Schaffensphase repräsentieren. „Be Here Now“ war dementsprechend die erste Platte, die der plötzliche Weltstar als wirkliches Follow-Up schreiben musste. Auf der einen Seite entsteht dadurch natürlich ein Druck, auf der anderen Seite muss man aber keinem mehr etwas beweisen; in eben diesem Zwiespalt stand Noel zur damaligen Zeit. Am Horizont sah er außerdem schon kommen, dass sein Talent zu verschwinden begann: “Whatever I had was lost, or I was losing it“. Die Album-Balladen „Stand By Me“ und „Don’t Go Away“ haben genau das selbe Sentiment (BLEIB BEI MIR! GEH NICHT WEG!) und zeigen nicht nur, dass diese frechen Vollassis sich immer wieder erlaubt haben, melancholisch zu sein, sondern geben auch Raum zum übertriebenen Reininterpretieren: Meint Noel hier seine artistische Muse, die so langsam verblasste?

Nach „Be Here Now“ wurden Oasis tatsächlich belangloser. Jedes weitere Album wirkt wie ein Afterthought, ein uninspiriertes Weitermachen des Weitermachens willen. Rhythmus-Gitarrist Bonehead, der ausgesprochen wichtig für den Sound der Gruppe war, verließ die Band, genauso wie Bassist Guigsy (den konnte man auf „Be Here Now“ aber eh nicht hören; achtet mal darauf!). Liam war hier außerdem zum letzten Mal in Topform und fand danach nie wieder die richtige Balance zwischen rotziger Attitüde und engelsgleichen Gesangskünsten.

Der überragende Titeltrack von „Be Here Now“ fasst den Vibe der Platte perfekt zusammen: Vorerst verleiht der Song dir das Gefühl, du seist unbesiegbar und könntest mit ausgebreiteten Armen über stark befahrene Straßen laufen, während Pistolenkugeln an dir abprallen. „C’mon! C’mon! C’mon!“, wiederholt Liam am Ende des Songs, immer und immer wieder. Er wirkt wie der letzte Typ auf einer Party, der eigentlich schon zur Genüge konsumiert hat, aber trotzdem noch Stimmung machen will. Irgendjemand muss den Job ja machen – und niemand konnte das so gut wie Oasis auf „Be Here Now“.

Lennart Brauwers feat. Oasis (Photo: Marisa Eul Bernal)

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