Wie scheiße ist Street Art?
“Ey, Volkswagen-Linus, lass mich mal ‘ne Hasskolumne über Street Art schreiben, das Spektakel kotzt mich schon lange an.” Der Dude vertraut mir blind, selbst schuld. Ich schnapp mir ein normales Sixpack Pfeffi und bin bereit, so richtig über Banksy und Barbara und Bescheißtum abzuranten. Doch was dann geschieht, ist unglaublich.
Erstmal alles, was mich in Sachen Street Art in letzter Zeit so erreicht (adressiert!) hat, in Gedanken abgrasen. Apropos Gras… Äh, nee, Spaß. Oder doch, eigentlich schon: Zum Beispiel gibt es da nämlich Street Art, die die Natur einbezieht. So total schön, überzeugt mich gleich. Vergesst die Graffitischmierereien, die schlechten Macker-Tags, die Murakami-Zitate, die Wer-ist-die-größte-Fotze-Erwägungen, die Vielfältigkeit von Pimmeldarstellungen an öffentlichen Verkehrsmitteln, Telekom-Kästen, Toilettentüren, Spielplätzen, Häuserwänden und Parkbänken. Tschuldigung, Schritt zurück: Nein, egal was passiert, vergesst niemals die Pimmel. Zurück zur Natur: Also da werden manchmal Grasgewächse ins Kunstwerk mit einbezogen, zum Beispiel als Haare von so einer Ballerina oder als Ball oder Generell-Puschel, oder eben irgendetwas anderes, das für die Leichtigkeit in rauen Zeiten steht.
Wenn kein Gras zur Stelle ist, geht auch Dreck. Das versteht echt nicht jeder. Nein, Quatsch, es versteht jeder. Da stellt sich auch schon die erste Frage: Treibt Street Artisten denn ein Fetisch für die Straße (authentisch, rau, unbeständig, ehrlich, wild, nackt) oder für die Natur (authentisch, rau, unbeständig, ehrlich, wild, nackt) an? Ich interviewe fix irgendeine von ihnen (mich selbst; ich habe nämlich schon mal ein Hakenkreuz in eine Blume verwandelt) und antworte: „Hey, es geht so voll um das Zusammenspiel von allem, es ist ein ständiger Machtkampf, ein Für und Wider, ein Gegeneinander, alles ist in Bewegung und Gentrifizierung ist der letzte Mist.“
Politische Ebene! Was ist da nicht weit? Sexistische Kackscheiße – jetzt kommt’s – Adbusting! Es macht wirklich auf jeglicher Ebene Sinn, Models auf Plakaten für das patriarchale System und Schönheitsnormen an den Pranger zu stellen, indem man ihnen ein Zitat mit Edding auf die Brüste schreibt oder sie mit einem Statement beklebt und ihnen unterstellt, so richtig arm dran zu sein.
Das ist gut durchdacht. Ich weiß dann immer mein Äußeres viel mehr zu schätzen, wenn ich sehe, dass Frauen auf der Straße nun auch schriftlich kommentiert werden und eddingiere noch ein „Dankeschön (Herz)“ darunter. Alles ist in Bewegung. Apropos verkürzt: Feindbilder sind immer einfach. Auf der einen Seite stehen wir: Die Backpacker, die Initiativen-Liker, die Containerer und Dichter. Auf der anderen Seite, also ganz andere Ebene gar, die da oben. Bänker, Tierausbeuter, Obama-Merkel, Schwaben, der blöde Reichtum überhaupt. Wir Streeties brauchen das nicht, wir haben Glitzer und Australien und Dosenbier und Wohnprojekt.
Doch selbst wenn wir nicht mit „Achtung, Message!“ rumwedeln, also wirklich einfach nur voll in Kunst machen, schwingt selbstverständlich immer Rebellion mit, das ist mehrebenig, ist klar, ne. Kunst ist auch immer kritisch irgendwo. Man bestrickt eine Brücke oder zeichnet sowas in schwarz-weiß mit wenig bunten Highlights ja nicht nur so für sich. Es geht darum: Öffentlichen Raum nutzen, sich zu Eigen machen, das Individuum im anonymisierten Stadtalltagsapparat, Stichwort: zurückholen, die Schönheit in Zeiten des Kapitalismus mit all seinen Ausbeutungs- und Profit-… Dingens, Industrialisierung und… kauft mir das jemand ab? Ja, sicher. Bald als Foto mit Nashville-Filter für die WG-Küche. Fotos von Street Art sind sowieso das Optimum. Individualitätsception
Also, ich glaube nun jedenfalls an all das. Bin jetzt auch erstmal in Australien, meine Grenzen austesten, Freiheit, ein bisschen knipsen, barfuß, alles weitere auf meinem Blog (Instagram-Profil).