Daniel Chluba: “Performance nackt, Aktion bekleidet.”
“Wenn du das erwähnst,” warnt Daniel Chluba, “wirst du verklagt. Die documenta mag dieses Gerücht nicht.” Der Aktions- und Performance-Künstler zeigt mir ein Demoschild. Es wird von einer Minifigur aus Papier hochgehalten – Daniel Chlubas Selbstporträt. Chluba mag Slogans.
Davon gibt es viele in seiner Ausstellung, die am 5. März in der Berliner BARK Gallery eröffnete. Eine Frau sitzt auf den Schoss der die das Weihnachtsmännin. Im Hintergrund ist zu lesen: “Fuck off Klimawandel. Ich will Geschenke.” Und ein junger, oberkörperfreier Mann steht neben den Clown Schluba. Er lächelt selbstbewusst in der Kamera mit dem Schild “Ich hasse Sex!” Auch der Titel der Ausstellung “Unterschätze nie einen Mann der sich selbst überschätzt”, ist als Aufschrift zu lesen.
Ist der Ausstellungstitel vielleicht eine Anspielung auf die aktuelle Situation in Europa? “Zufall,” meint Daniel Chluba. In dem Pressetext der BARK Gallery heißt es über den Künstler: “He does not overestimate himself. He IS like that.”
Daniel Chluba wartet dann auch nicht auf runde Zahlen, um seine Retrospektive zu feiern. In seiner Show wird das Beste aus sieben Jahren Aktions- und Performance-Kunst gezeigt. In einem veröffentlichten Selbstinterview erklärt der Künstler den Unterschied zwischen beiden: “Performance nackt, Aktion bekleidet.” Außer der Farbe Rot gibt es nämlich in seiner Kunst noch einen anderen Leitfaden, der dem Künstler erst bei der Zusammenstellung der Ausstellung auffiel: “Sehr Penis-lastig. Verdammt viel Penisse unterwegs.”
Nackt sein ist zwar längst keine Provokation mehr in der Kunstwelt, aber Daniel Chluba stoßt dabei trotzdem auf Grenzen. Als Hasskäppchen gekleidet – eine Mischung aus Hasskappe, Ganzkörper-Kondom und Pussyhat, gestrickt in roter Wolle – spazierte er am 10. Oktober 2017 fröhlich mit nackten Beinen und Füssen durch die Innenstadt von Wien. Er wurde dabei zweimal verhaftet, weil er gegen das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz (AGesVG) verstoßen hat, das seit dem 1. Oktober 2017 in Österreich das Verhüllen des Gesichts in der Öffentlichkeit verbiet. Die eingeleiteten rechtlichen Schritte sind seit Februar 2021 verjährt und der Künstler erwägt, die Aktion zu wiederholen. Es würde ihn interessieren, sagt er zu mir, ob die Kunst oder die Politik dabei gewinnt.
Bei Chlubas Auftritten taucht die Polizei öfters auf. Am Eröffnungsabend in der BARK Gallery kommt sie zu spät. Der Finocchio hat gerade seine Kokainfreudige Party beendet. Finocchio ist der letzte von den neun Charakteren, mit denen sich Daniel Chluba in seiner bisherigen Künstlerkarriere auseinandergesetzt hat. Seine Figuren haben bunte Namen: der homme moyen, der die das Weihnachtsmännin, der Clown Schluba, das Hasskäppchen, der capitalism-feels-like-minimal-art Fahrradkurier, die Kaiserlich Königliche Kindliche Majestät Hartzkönigin IV, der gute Zentaur mit dem Bart von Oerlinghausen, und natürlich Daniel Chluba himself.
Finocchio, dessen Name sich zwischen Pinocchio und das Italienische Wort für Fenchel bewegt, ist ein Kopfgeburt der Pandemie 2020. Erst als Brotmaske gedacht entwickelte sich Finocchio’s Maske weiter und dabei wurde auch der Nase immer länger: “An der Nase und am Penis sind alle sozialen, umweltbedingten und genetischen Faktoren ablesbar, wie die Wohlstandsverwahrlosung, der Digital-Overdose oder auch die Boreout-Epidemie.” Bei der Eröffnungsperformance “Naseweiß” stolpern zwei Finocchios mit silbernen Masken vor der Galerie. Sie trommeln und schreien laut. Wenn einer hinfällt, leert der andere einen Eimer mit weißer Farbe über ihn. Die Bacchanalien enden mit einem Laubsauger, der einen Haufen weißes Pulver in die Luft bläst.
Was das dann alles bedeutet, fragt später eine Besucherin dem Künstler. Daniel Chluba antwortet nicht. Seine Kunst nennt er eine Mischung aus Anarchismus, Dadaismus, und Anti-Humor. Ich google und finde heraus dass ein Antiwitz ein Witz ist, “der selbst mit einem bekannten Witzmuster spielt, die benötigte Logik jedoch auf überraschende (und damit eine Distanzierung vom ernsthaften Erzählmuster gestattende) Weise missachtet.
Meine Lachstösse bei Daniel Chlubas Performances sind dann auch zugleich erleichternd und unbequem. Da wird etwas gebrochen, aber was genau? Und soll ich Deckung suchen?
Daniel Chluba’s Absurditäten können als ernsthafte Kritik gedacht werden. Seine erste Inszenierung trug den Namen “Kaiserlich Königliche Kindliche Majestät Hartzkönigin IV” Mit dem Slogan “Wir lieben das System” wurde die Hartzkönigin 2016 zum neuen Stadtschloss am Unter den Linden getragen. Die Polizei war schnell dabei um die Königin weg vom Fest zum Gegendemonstranten zu führen wo sie dann eine flammende Rede für das “großartige geschichtsglättende Berliner Stadtschloss” gehalten hat. Ein Foto der Hartzkönigin IV kann man heutzutage im Schloss bewundern.
Übrigens, zur Performance-Kunst ist Daniel Chluba nur durch Zufall gekommen. Er begann als Bildhauer, aber es stellte sich heraus, dass es immer einen Moment gab, in dem die Skulptur zu einer Performance wurde. Wenn er etwas baute, musste er daneben stehen, um es den Zuschauern zu erklären. So verwandelte er sich in eine bewegliche Skulptur. Vielleicht wird der Künstler auch bald zum wandelnden Slogan. Nach der Retrospektive plant er Textkostümen.
Ich werfe nochmal einen Blick auf die vielen Bilder und Zeichnungen, die sich an den Wänden der BARK Gallery tummeln. “#MeToo Moments. 1 Euro,” lese ich, und “BOROS: du bist SO scheiße langweilig.” Hat Daniel Chluba manchmal Angst, dass Leute sich von seinen Performances beleidigt oder angegriffen fühlen? “Wenn Leute diskriminiert schon werden, ist es schwierig,” erklärt er mir, “Wenn Leute nicht diskriminiert werden oder sie Teil der diskriminierenden Gruppen sind, müssen sie es aushalten.” Er lacht.