Rassismus flog durch die Galaxie
Wir schreiben das 23. Jahrhundert, San Francisco.
Hikaru Sulu wird geboren und eine „from rags to riches”-Geschichte vom Steuermann zum Captain schreiben. Eigentlich hatte Star Trek-Schöpfer Gene Roddenberry für seinen Charakter einen Namen gewählt, der alle asiatischen Nationen gleichermaßen in sich trägt und repräsentiert: Sulu, angelehnt an den Sulusee, ein Nebenmeer des Pazifiks vor den Philippinen – in der japanischen Star Trek-Variante entschied man sich dennoch für Kato.
1937, Los Angeles.
George Takei wird geboren und soll vor allem als Darsteller von Hikaru Sulu bekannt werden, doch der Schauspieler und Schriftsteller ist auch Polit-Aktivist, der sich für soziale Gerechtigkeit, LGBQT-Rechte, Gleichstellung der Ehe einsetzt und sich gegen Rassismus auflehnt.
Mit seiner autobiographischen Graphic Novel „They Called Us Enemy“ erzählt Takei die Geschichte seiner Familie, dabei legt er den Schwerpunkt auf die Zeit als sogenannter „Enemy Alien“ in einem Internierungslager. Mit einer Dringlichkeit und Schonungslosigkeit verlautbaren die ersten Seiten bereits das Ausmaß des Horrors, welches sich mit jeder weiteren Seite verdichtet. Takei ist gerade einmal fünf Jahre alt, als sein Bruder und er vom Vater geweckt werden: keine Zeit für Erklärungen, die Koffer müssen schnell gepackt werden.
Anders als mit seinen bisherigen Schriften spricht Takei mit den Memoiren nicht nur eingefleischte Trekkies und Internetbewunder:innen an. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Harmony Becker und den Mitautoren Justin Eisinger und Steven Scott gelingt es Takei, in seinem Werk aufzuzeigen, wie er seinerzeit föderalen Rassismus in den USA erleben musste. Damit offenbart er eine von vielen dunklen Episoden der amerikanischen Vergangenheit und gibt uns einen sehr persönlichen Einblick in sein Herz.
2014, Kyoto.
Takei steht bei einem Ted-Talk (eine Innovationskonferenz zu den Themen Technology, Entertainment, Design) auf der Bühne und erzählt als Starship Enterprise-Veteran von seiner Zeit an Bord mit einer Crew aus Menschen aus allen Teilen der Welt, diverser geht es fast nicht.
Die geschaffene gesellschaftliche Utopie in „Star Trek“ rüttelte die damaligen Verhältnisse in den 60ern auf, im „Star Trek“-Universum herrscht eine Egalität zwischen Geschlechtern und Völkern. Der sogenannte amerikanische Traum vom Tellerwäscher zum Millionär ist auf der Enterprise keine Utopie, hier wird eine humanistische Gesellschaft kultiviert. Captain Kirk: “Das Wichtigste im Leben der Menschen ist Freiheit. Wir das Volk. Und alle, alle Bürger haben die gleichen Rechte.” Die Serie zeichnet ein demokratisches Fortschrittsideal, so ist Lieutenant Uhura, gespielt von Nichelle Nichols, die erste Frau of Color, die im US-Fernsehen nicht die Rolle des Dienstmädchen spielt.
Wie auch die Enterprise aufbrach, um “seltsame, neue Welten zu entdecken”, sind Takeis Großeltern mit seinem Vater in die USA immigriert, “um eine seltsame, neue Welten zu entdecken.“ Seine Mutter wird in Kalifornien geboren, in Los Angeles lernt sie seinen Vater kennen. Sie heiraten, arbeiten in einer Wäscherei, gründen eine Familie und führen wie viele andere auch ein normales Leben – bis zum Angriff auf Pearl Harbor. Ab diesen Tag waren sie nicht mehr nur mit den leisen Vorurteile konfrontiert, wie sie in Kalifornien bereits zuvor gegen japanische Amerikaner:innen (und auch andere nicht-weiße Menschen) existierten, jenem Alltagsrassismus der – versteckt hinter einem Lächeln – mit vermeintlich naiven Fragen zur Herkunft einhergeht oder das exotische Aussehen kommentiert. Von diesem Tag an herrschte offizieller Rassismus! Die US-Regierung titulierte japanische Amerikaner:innen als „verdächtigte Feinde“, fror ihre Konten ein , beschlagnahmte ihr Eigentum– und verhaftete viele von ihnen. 120.000 japanische Amerikaner:innen wurden während des Zweiten Weltkriegs in Internierungslager gesperrt. Präsident Franklin D. Roosevelt hätte die rassistisch motivierte Aktion stoppen können, doch stattdessen unterzeichnete er die Exekutivverordnung 9066, mit der militärische Zonen ausgewiesen und die Inhaftierung japanischer Amerikaner:innen in US-Konzentrationslagern ermöglicht wurden. 74 Tage nach Pearl Harbor.
1942, Santa Anita Racetrack.
Jeder Familie, auch Takeis, wird ein Pferdestall zugewiesen. Während sich die Kinder anfänglich noch darüber freuen, wie Pferde schlafen zu dürfen, werden die nächsten Monate zu einer erniedrigenden Tortur. Angst und Hass bestimmt nun ihre Leben, geschürt durch die Paranoia von Menschen und Befehlshabern, die es besser wissen müssten.
Es folgt eine Zugfahrt nach Arkansas, die der Vater als „langer Urlaub“ bezeichnet, um den fragenden Kindern eine Antwort zu geben und sie innerhalb der Möglichkeiten möglichst der Realität fern zu halten.
Die Reise fühlt sich für den kleinen Takei zwar so tatsächlich wie ein Abenteuer an, und doch wundert er sich, wieso all die Mitreisenden weinen und bewaffnete Wachposten im Zug stehen. Denn es ist keine normale Reise, sie ziehen in ein anderes Lager um – ins Camp Rohwer.
Es ist herzzerreißend, wenn Takei seinen Vater beschreibt, aus der Erinnerung eines kleinen Jungens heraus: „Through my child’s eye, daddy always seemed in command of any given situation. I can only imagine what thoughts were passing through his head in that moment. It was my father who bore the pain, the anguish and the torturous experiences the most in our family.“
Sein Vater ist es auch, mit dem Takei als Teenager immer wieder über die Internierung seitens der US-Regierung diskutiert, er, der als junger Mensch nicht versteht, warum sein Vater die Familie ins Camp hat gehen lassen, eine Sache geschehen ließ, die grundlegend falsch war. Der Vater, der natürlich sehr unter der Internierung leidet, versucht ihm zu erklären, was es mit der Macht hinter der amerikanischen Demokratie auf sich hat. Er legt ihm nahe, Verständnis für die Menschheit aufzubringen, die zwar schlimme Fehler begehe, aber auch zu großartigen Dingen imstande sei – wie beispielsweise der Missionar Herbert Nicholson, der die Campbewohner:innen in diesen schwierigen Zeiten mit Büchern versorgt.
Und dennoch wirft Takei – infiziert durch jugendliche Arroganz – seinem Vater vor, sich nicht genügend gewehrt zu haben.
1946, Los Angeles.
Das alte, neue Zuhause. Die Tortur ist nach vier Jahren vorüber, was bleibt sind prekäre Zustände – man wird in eine Welt zurückgeschoben, die grotesk und abnormal anmutet. Wie bei vielen traumatische Erlebnisse bleibt auch bei diesem die Scham bei ihren Opfern. Verfolgt und gequält von Erinnerungen, sei Scham die grausamste Sache, so Takei. Eigentlich sollten die Täter sie fühlen, doch zumeist sind es absurderweise die Opfer. Takeis Dokumentation ist ein Zeugnis der Entmenschlichung wie sie immer wieder passiert. Sie erzählt nicht nur die Geschichte der Massenhaft von amerikanischen Japaner:innen im zweiten Weltkrieg, es ist die Geschichte des Schreckens, den Takeis Familie und andere ertragen mussten und dem weiter so viele Menschen ausgesetzt sind. Takei zieht eine Linie zu den Haftanstalten für Einwander:innen entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Seine starke Prosa lässt die unmenschliche Behandlung schmerzhaft spüren, sie dringt ins tiefste Innere.
Trotz all der Schwere malt Takei glückliche und witzige Momente nicht schwarz. Sie sind in ihrer kindlichen Erinnerung mit Spielfreude, Abenteuerlust und Entdeckungen befüllt und man ist dankbar, miterleben zu können, dass das kindliche Herz einer Tragödie noch etwas Positives abgewinnen kann.
Ergänzend dazu könnten die Manga-Zeichnungen von Becker sich nicht würdigender in Takeis Erzählungen einfügen. Die schwarz-grau-weißen Nuancen zeigen der Dunkelheit ihre Grenzen auf. Dass Becker sich in ihren Arbeiten für gewöhnlich mit Sprachbarrieren und der einhergehenden Verformung menschlicher Beziehung beschäftigt, zeigt sich in ihrer Visualisierung Takeis Emotionen.
Takei hat sich zu einer immer mächtigeren Stimme für unterdrückte Gemeinschaften entwickelt, mit „They Called Us Enemy“ ist ihm mit moralischer Klarheit und unerschütterlicher Kraft gelungen, die Vergangenheit zu verarbeiten, dabei Parallelen zur Gegenwart zu ziehen und zugleich eine Warnung an die Zukunft auszusprechen. Nicht nur als Star Trek Charakter, sondern auch als Person George Takei kann behauptet werden: „As Lieutenant Hikaru Sulu, I had the chance to represent my Asian heritage with honor to millions of viewers on television“.
George Takei, Harmony Becker, Justin Eisinger, Steven Scott „They Called Us Enemy – Eine Kindheit im Internierungslager“, cross cult, 208 Seiten