Blick zurück nach vorn

Autorenhonorar und Kirmesgeld – Von Popkultur leben 2023

29. Dezember 2023,

Fehlen einem bloß die guten Botenstoffe oder kann es wirklich sein, dass die Welt der aktuellen Dekade jedes Jahr noch mal deutlich ungemütlicher wird? „Nach“ Corona folgte Putins Krieg in Europa, nun Krieg in Nahost. Ein Krieg, der einen an historische Exzesse erinnernden Antisemitismus entfesselt hat. Aussichten: Finster. Und was macht man selbst? Texte und Jobs, um unabhängig zu bleiben. Zumindest ich mache das. Hier der jährliche Kassensturz meiner geliebten Popkultur-Ich-AG.

Low Budget High Spirit: „Na, Bravo!“

„Sich mit Jugendkultur auseinanderzusetzen, ist ein bisschen wie Botox – bloß noch giftiger.“

Ein Junge schreibt mir über die Mailadresse des kaput-magazins. Ziemlicher Zufall, dass ich das überhaupt gesehen habe, denn dorthin scheidet die Musikbranche täglich unüberschaubare Mengen an Newslettern und Promonachrichten aus. No front, viele Infomails aus der Popwelt bergen interessante Dinge, aber guckt in meinen Account rein und wundert euch nicht mehr, warum ich dort selten abhänge. Ein bärtiger Typ mit Namen Fab drang aber durch. Ein Fanzine mache er, es ginge um das Musikbusiness und wie man es selbst besser gestalten könne.
To be honest: Das Thema mag wichtig sein, aber mir scheint ein Battle um die bessere Branche so lost… wollte ich da also wirklich mitmachen? Eigentlich nicht, aber zum Glück habe ich es doch getan. Lag zu 100% an dem Dude. Wenn zurechnungsfähige Leute für was brennen, das rüberbringen können und dann auch noch das Triggerwort „Fanzine“ fällt, dann bin ich leicht zu überzeugen.
Das Ergebnis ist dann auch ein wirklich lesenswertes Heft geworden. Ich sollte öfter dafür Werbung machen, denn alles irgendwie sehr überraschend in dem Magazin namens Low Budget High Spirit.
Ich schrieb in der Ausgabe übrigens über Retro-Trends und die 90er – das wiederum hat mich nicht so überrascht.

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Tonabnehmer: „Geschlagen vom Mitklatschwillen“

„Der deutsche Text von Cindy & Bert zu dem Black-Sabbath-Original ist indes keine Übersetzung, viel mehr eine unheilschwangere Räuberpistolen-Miniatur, die zwischen Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes-Erzählungen und schwüler deutscher Romantik flimmert.“

Oh, das vornehme Goethe Institut möchte Texte von mir zu Songs, die ihre Zeit beeinflusst und überdauert haben?!
Bringt mir meinen Zylinder, die Gamaschen und den Federkiel. Ich will der Hochkultur gern meinen Zehnt vermachen.
Denn das hier dürfte eine der Storys werden, von der man später auch den Eltern unter’m Weihnachtsbaum erzählen kann. „Na, wer ist jetzt der Versager, der mit seinem Popjourno-Grind Schande über die Blutlinie gebracht hat, Vater?!“
Songs, die die (deutsche) Welt verändert haben… wundervolles Thema überhaupt. Ich schrieb bislang über Die Ärzte „Schrei nach Liebe“ und über den ewigen Kult des Doom-Schlagers „Der Hund von Baskerville“ von Cindy & Bert.

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Chart – Notes to consider: „This Girl Is Mine“

„Die biographische Nebelkerze, die hier gezündet wird, ist natürlich die Inszenierung von Michael Jackson als Womanizer. In einer seiner letzten Singles ‚You Rock My World‘ (2001) greift Michael Jackson wieder auf diesen ‚This Girl Is Mine‘-Move zurück und inszeniert sich im Video als Typ, der sich für eine Frau mit anderen Männern prügelt.“

Schon vor Jahren erzählte Thomas Venker, dass er für die Legacy des wertigen Erbmoguls mit Studiohintergrund, Johann Scheerer, ein Magazin gestaltet. Andere Coffee-Table-Magazine wirken gegen „Chart – Notes to consider“ wie die BILD-Zeitung. Nun bin ich auch mal drinnen und freu‘ mich drüber. Denn das Thema, zu dem ich etwas beisteuerte, interessiert mich selbst sehr: Es geht um Songs, die heute eine andere Bedeutung haben als zu ihrem Erscheinungsdatum. Ich nahm mir „This Girl Is Mine“ vor – das Duett von Michael Jackson mit Paul McCartney. Das war die allererste Single-Auskopplung aus dem Album „Thriller“ von 1982. Michael Jackson und Paul McCartney ringen in dem Text um die Gunst einer Frau. Wirklich ein Stück, dass man heute anders betrachtet…

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L-Mag: „Hot-Milk“

„Mir tut es weh zu sehen, dass sich der größte Backlash an meinen Trans-Freund*innen entlädt. Diese ganze Empörung, die in diesen Diskussionen herrscht, kann ich einfach nicht teilen. Ich kann viel eher sagen, dass ich mich als Frau nicht gelöscht fühle durch die Existenz von Transpersonen. Wieso denn auch?“
(Hann Mee von Hot Milk im Interview fürs L-Mag, mittlerweile verwendet Hann die Bezeichnung non-binary für sich selbst)

Hot Milk sind ein queeres Duo aus Manchester und da ich das L-Mag selbst regelmäßig lese, bin ich gern auch selbst mal drinnen. So einfach bin ich gestrickt, sorry.
Aber irgendwie finde ich diese Ausgabe vom Frühsommer mit meinem Hot-Milk-Interview jetzt nicht für dieses Show Off hier. Ihr müsst mir einfach so glauben, dass das gedruckt wurde, okay?

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„Na, Bravo! Linus Volkmann liest aus Jugendmagazinen der letzten 30 Jahre“

Wer es nicht mitbekommen haben sollte, euer treuer Erzähler war dieses Jahr mal wieder auf Veranstaltungsreise. Die letzte fand statt im Jahre 2019 und hatte mir mitunter das Gefühl vermittelt, dass der Zulauf zu meinem Bühnen-Ich nun auch nicht gerade in den Himmel wächst. Umso herrlicher, dass ich 2023 bei keinem der elf Termine die Tickets mühsam von Hand vorab verscheuern, verlosen, verschenkte musste, sondern die Leute einfach welche kauften und kamen. So kann das auch sein? Fühlt sich an wie einen interessanten kleinen Hund zu streicheln.
Als Realist (lies: Pessimist) sorge ich mich allerdings bereits darum, ob das 2024 nun noch mal so klappen wird. Denn da stehen weitere Daten in der ganzen Bundesrepublik an.
Also bitte besucht meine verdammten Shows, damit ich nächstes Jahr, wenn wieder „Autorenhonorar und Kirmesgeld“ ansteht, mich nicht beim Thema „Live-Shows“ in die Tastatur schnäuzen muss.

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Musikexpress: „Liz – Apfelwein, Grüne Soße und Gewalt“

„Die Wurzeln meiner Familie liegen in Aserbeidschan und der Türkei – und ich würde sehr gern gerade in den türkischen Markt reinschnuppern, drei Songs in türkischer Sprache habe ich schon fertig. Als deutsche Staatsbürgerin habe ich in der Türkei mehr Möglichkeiten, mich zu äußern. Ich meine nicht, dass ich da jetzt total politisch auftreten möchte, aber in Bezug auf Fraurechte kann ich bestimmt etwas einbringen.“ (LIZ im Interview)

Auch dieses Jahr habe ich wieder regelmäßig eine Strecke im magischen Musikexpress betreut. Innerhalb dieses Jobs ist es ein großes Privileg, dass ich für jene Interviews, die mich selbst interessieren, meist auch den Zuschlag bekommen kann. Mehr „Wünsch Dir was“ in der Popkultur geht kaum. Dieses Jahr traf ich so unter anderem Fatoni, Blond, Torsun & The Stereotronics, Grim104, Tränen, Erobique, Jessica Schwarz, Gereon Klug, Sookee und Panik Panzer. Besonders stolz bin ich darauf, dass ich das Internet-Phänomen Sveamaus als erster mit einem Artikel in ein Printmagazin brachte. Außerdem aufregend: Die Gangstarapperin LIZ getroffen. Wir konnten im Gespräch über Frankfurt bonden, der Rest ging von selbst. Gehe jetzt selbstbewusster durch dunkle Straßen, weil ich mir einbilde die gefährliche Rapperin hat „meinen Rücken“.

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Musikexpress.de: „‘Sofort brennen‘: Wie ich in den Nuller Jahren einen Musikindustrie-Skandal auslöste“

„Ich habe den Chef von EMI Deutschland am Apparat. Das Gespräch verläuft nicht wirklich paritätisch. Er brüllt, ich schweige. Es geht ungefähr darum, dass er mich und unseren Verlag fertig machen werde und dass speziell ich ein kompletter Idiot sei – außerdem Schuld an der Krise der ganzen Plattenbranche. Das Telefonat kommt mir unglaublich lang vor, vermutlich geht es aber nur wenige Minuten.“

Den größten Umsatz an Text besaß auch dieses Jahr die Kolumne für musikexpress.de. Alle zwei Wochen ein Text und ein Thema – beides soll irgendwie knallen. Am liebsten mag ich selbst tatsächlich die Retro-Sachen. Also wenn ich mit der Meerschaumpfeife in der Hand von der Bürozeit der Tastentelefone erzähle oder mit welchen Musiker*innen ich in Interviews aneinandergeraten bin. Lieblings-Feelgood-Ding dieses Jahr: Ich konnte die Story von dem „Sofort brennen“-Skandal aus dem Intro-Magazin der Nuller Jahre noch mal ausbreiten.
Die mit Abstand meisten Zugriffe hatte indes eins der aktuellen Themen… Antisemitismus in der Popkultur. In diesem Fall: Leider.

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Kaput-mag: „Zehn Tage vor zehn Jahren – Auf Lesereise mit Torsun“  

„Mit Torsun auf Tour gehen? Ich runzelte die Stirn. Ja, ich hatte diesem verhaltensauffälligen Musiker schon ein paar Mal die Hand geschüttelt, meinte ich mich zu erinnern. Aber mit so jemand zehn Tage unterwegs? Sein Ruf lag irgendwo zwischen einem linksradikalen H.P. Baxxter und Christiane F. Ich schätzte meine Chance, aus der Nummer halbwegs unbeschadet heraus zu kommen auf 20 Prozent ein.“

Das wunderbare Kaput-Mag! Hier schreibe ich nur, was ich wirklich für richtig halte. Und das waren dieses Jahr vor allem Texte über Torsun Burkhardt von Egotronic. Anfang des Jahres ging jener mit einer fatalen Krebsdiagnose an die Öffentlichkeit. Man musste fürchten, dass er nicht mal mehr den Sommer sehen würde. Um gegen die Ohnmacht der Endlichkeit anzuschreiben und um ihn unbedingt noch mal zu Lebzeiten zu feiern, habe ich eine Rückschau aufgestellt zu Torsuns und meiner gemeinsamen Lesereise, die zu jenem Zeitpunkt gerade zehn Jahre her war. Die launigen Erinnerungen fanden tatsächlich viel Anklang und es scheint mir, als konnten sie dieser ganzen Trauerstimmung auch etwas Schönes entgegensetzen. Das bedeutet mir was.

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Hartware MedienKunstVerein: „Deep Talk – Was ist Kunst, IRWIN?“

Das hier ist nichts, was als Artikel erschienen wäre, aber das Feature über die slowenische Künstlergruppe IRWIN hat mich mindestens genauso in Atem gehalten wie ein doppelseitiger Aufmacher in der Tageszeitung. Zusammen mit Thomas Venker und Roman Szczesny durften wir den Aufbau der großen Retrospektive „Was ist Kunst, IRWIN?“ mit der Kamera und Interviews begleiten. Für den Hartware Medienkunst Verein sprachen wir im Dortmunder U mit den Kurator*innen und der angereisten Gruppe. Aus all dem montierten wir diesen kleinen Film hier.

 

PS: Am Abend der IRWIN Ausstellungseröffnung lief ich gegen die glattpolierte Eingangsglasfront des herrschaftlichen Dortmunder U’s. Mit einem geschwollenen Auge, einem blutenden Lid und einer kaputten Brille sah ich irgendwie eher aus, als käme ich aus einer Schlacht, denn von einem Auftrag im Kunstbetrieb. Muss gestehen, wie physisch-martialisch sich diese Nummer in meinen sonst so unbeteiligten Körper einschrieb, besaß neben Schmerz auch irgendwie einen gewissen Reiz. Dennoch: Bitte nicht nachmachen.

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Ausnahme der Rose – Der Podcast über Hörspiele

„Als TKKG zu wissen glauben, dass der Vater des traurigen Mädchens im Rollstuhl der Steineschmeißer von der Autobahnbrücke ist, wollen sie ihn laufen lassen, wenn er diese Tätigkeit als Phantom einstellt – wegen ihr.
Als sich aber herausstellt, er ist stattdessen der Typ, der eine Scheune abfackelte, müssen sie ihn dann doch der Polizei ausliefern. Das könnte man für faules Plotting halten. Meine These allerdings: Im deutschen Verständnis gilt Eigentum auch heute immer noch mehr als Menschenleben.“
(Aus der Episode #42 zu „TKKG – Das Phantom auf dem Feuerstuhl“)

Dass sich die Kunde meiner Live-Shows zum Thema Jugendmagazine so gut verbreitet hat, lag auch daran, dass der Podcast „Ausnahme der Rose“ in so viele Ohren dringt. Überhaupt profitiere ich von dem wirklich satanisch herzlichen Nerd-Feedback, das uns zu jeder Folge erreicht. Nichts frustriert mich in meiner Arbeit so sehr, wie zu merken, dass das, was du da aufgestellt hast, niemand interessiert. Dafür kriegt man im Kulturbetrieb zu wenig Geld, als dass es sich lohnen würde, für die Tonne zu produzieren. Muss bei diesem Satz natürlich sofort an so vieles bei den Öffentlich-Rechtlichen denken. Die habe ich als Auftraggeber mittlerweile verscheucht. Ey, zurecht!
„Ausnahme der Rose“ jedenfalls holt mir viel Liebe und eine gewisse Aufmerksamkeit rein. Das ist schön. Doch seit Beginn diesen Jahres teilen und Felix und ich uns nun den Schnitt der Folgen. Zusammen mit dem Anspruch ist für mich damit der Aufwand pro Folge extrem gestiegen. Dass 2023 beruflich ein Jahr ohne Atempause war, hat garantiert auch mit dem geilen Projekt „Ausnahme der Rose“ zu tun. Schöner Mist! Aber „if you don’t cry it isn’t love“, wie ich immer sage.

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Komm Küssen Hinterzimmer @Patreon

Noch mehr Content gab es auch dieses Jahr für alle Unterstützter*innen im so called „Komm Küssen Hinterzimmer“. Wer mich und meine Arbeit supporten möchte, ist dort herzlich willkommen – jede Woche veröffentlichen Kwittiseeds und ich für alle Mitglieder bei Patreon ein pfiffiges Video, alle vierzehn Tage einen neuen Podcast und zweimal im Jahr gibt es eine wilde Zoom-Party. Den Podcast mit der Laufnummer 100 haben wir dieses Jahr sogar öffentlich gestellt.
Enjoy!

 

PS: Ohne das Interesse von all jenen Wunderbäumen, die nun auch diesen Artikel hier bis unten gelesen haben, würde das aber alles nicht funktionieren.
Daher an dieser Stelle auch einfach mal „Danke!“ an dich.

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