Der Antifa-Sticker auf der Gitarre – Voodoo Jürgens im Gespräch
Hinter dem genauso einprägsamen wie goofy Namen verbirgt sich einer der interessantesten Austropop-Acts der Jetztzeit. Seit etlichen Alben und Jahren erschafft David Öllerer alias Voodoo Jürgens einen ganz eigenen Entwurf von verzehrender, abgründiger Mundartmusik. Marc Wilde hat ihn in Südtirol zu einem ausführlichen Gespräch getroffen.

Foto: Maik Springer
Danke, Voodoo, dass du dir so kurz vor deinem Auftritt Zeit für ein Interview nimmst. Das erste Mal, dass ich euch live gesehen habe, ist schon ein paar Jahre her, das war bei der Tour zu deinem Debütalbum „Ansa Woar“. Tatsächlich bin ich durch einen Beitrag in den Tagesthemen erstmals auf deine Musik aufmerksam geworden.
Du meinst, sowas wie ARD oder ZDF?
Ja, genau, das müsste 2016 gewesen sein und Voodoo Jürgens wurde dort als „neue Lichtgestalt des Austro-Pops“ präsentiert. Ich weiß noch, wie ich damals dachte, wow, das in den Tagesthemen …
Ja, das war flashig. Allerdings habe ich danach irrsinnig viele Nazi-Nachrichten erhalten, dass ich sterben soll und so Zeugs. Deshalb kann ich mich auch noch gut daran erinnern. In dem Beitrag war ein Antifa-Sticker auf meiner Gitarre zu sehen. Schon interessant, was das auslösen kann.
Ich habe hier heute auf dem Festival deinen Film gesehen, in dem du einen erfolglosen Wiener Musiker namens Erich „Rickerl“ Bohacek spielst, ein fiktiver Charakter, der eng an deine Kunstfigur Voodoo Jürgens angelehnt ist. Das war eine ideale Vorbereitung auf unser Gespräch, auch wenn ich gestehen muss, dass ich meine Einstiegsfragen vorhin hastig wieder durchgestrichen habe. Kannst du dir denken warum?
Das war mir gar nicht bekannt, dass der Film hier gezeigt wird. Aber frage einfach, was du willst …
Die Szene, auf die ich anspiele, ist die mit deinem Musikerkollegen, dem Nino aus Wien, als er vom Radiointerview kommt. Du bist gerade auf dem Weg dorthin und als ihr euch vor dem Gebäude zufällig über den Weg lauft, sagt er zu dir: „Das war schrecklich, nur depperte Fragen, sie haben mich nach meinem Lieblingsbier gefragt.“
Du möchtest mein Lieblingsbier wissen?
Nicht ganz. Ich hatte mir Einstiegsfragen nach dem Muster „lieber A oder lieber B“ notiert, und bei einer ging es tatsächlich ums Bier: „Lieber Bier im Beisl oder Wein in der Stube“ …
Ach so. Also, da gibt es die unterschiedlichsten Plätze, wo ich mich wohlfühlen kann. Ich bin auch gerade an dem Punkt angekommen, wo ich das sehr genieße, dass unsere Musik an verschiedenen Orten stattfinden kann. Ich habe ja ganz klein angefangen, und es gibt auch Leute, die wollen meine Musik am liebsten weiterhin nur in den Beisln sehen. Aber dadurch, dass wir inzwischen als Band unterwegs sind, hat sich das natürlich geändert. Trotzdem spielen wir immer noch überall: von der selbst verwalteten Hütte bis zum Stadttheater. Und das finde ich auch gut so. Wenn wir jetzt von Mehrzweckhalle zu Mehrzweckhalle fahren würden, würde ich mir Gedanken machen, dass irgendwas schiefläuft.

Foto: Maik Springer
Kaltern ist ja auch ein recht spezieller Ort. Warst du schon einmal hier?
Ja, wir waren einmal beim Festival in Haldern und dann auch beim Kaltern Pop. Beide Male sind wir jedoch viel zu spät gekommen. Dabei passiert uns das eigentlich selten. Aber wir sind jeweils massiv im Stau gestanden. Wir haben also bisher einen extrem schlechten Eindruck hinterlassen, das ist mir schon so ein bisschen unangenehm.
Warst du hier schon in der Bar „Zum Lustigen Krokodil“? Der Koch greift ja zu später Stunde gelegentlich gerne selbst zum Mikro und singt Lieder von Udo Jürgens.
Hier? Interessant. Ich kann mich aber ehrlich gesagt nicht mehr so gut an den Abend nach dem letzten Konzert erinnern. Aber ich weiß, dass ich schon einmal da war.
Sonst verbindet dich wahrscheinlich auch nicht so viel mit Udo Jürgens, außer dem Wortwitz, oder?
Ja, das stimmt. Ich habe den Udo immer so ein bisschen als suspekte Figur empfunden, und den Namen auch schon früh benutzt. Voodoo Jürgens war bereits zu der Zeit präsent als ich noch bei den Eternias gespielt habe. In E-Mails zum Beispiel haben wir gerne mit prominenten Namen unterschrieben, die man dann irgendwie verdrehen musste. Als Udo Jürgens dann gestorben ist, hat es so eine makabre Wendung genommen, was mich aber auch nicht groß gestört hat. Es passt ja auch irgendwie ganz gut zu meinen Liedern.
Rückblickend auf die Zeit als du von Tulln, deiner Heimatstadt, nach Wien gezogen bist, hast du einmal gesagt, dass es anfangs nicht so leicht gewesen sei, dort Fuß zu fassen. Inzwischen bist du selbst Teil der Szene. Wie blickst du heute auf Wien?
Also ich habe eigentlich immer einen Bezug zur Stadt gehabt. Tulln und Wien, das liegt ja sehr nah beieinander und ist auch vom Dialekt her sehr ähnlich. Nachdem sich meine Eltern getrennt haben, da war ich sieben, hatte meine Mutter einen Freund, der in Wien gewohnt hat. Dadurch war ich auch schon früh viel dort. Trotzdem ist es so, wenn du nicht direkt aus Wien kommst, sondern aus Tulln, dass dir das irgendwie anhaftet. Und wenn das bei der geringen Distanz schon ein Problem ist, kannst du dir vorstellen, wie gut Integration hier insgesamt funktioniert …
Bei deinen letzten Alben gab es immer einen Abstand von drei Jahren: 2016, 2019, 2022. Plus drei, macht 2025. Habt ihr neue Songs schon im Gepäck, von denen ihr heute Abend vielleicht auch was spielen werdet?
Nein, neue Stücke gibt es noch nicht. Es ist auch nicht so, dass wir auf der Bühne irgendwie herumexperimentieren würden. Ich glaube, dass es den Songs nicht gut tun würde, wenn man sie live spielt, bevor sie aufgenommen wurden. Außerdem nehme ich mir immer gerne die Zeit. Drei Jahre zwischen den Alben klingt jetzt vielleicht lang, aber ich arbeite dazwischen ja auch noch an anderen Projekten: Theater, mehrere Filme, einen Soundtrack habe ich gemacht. Und dann male ich auch noch nebenbei. Das sind alles Sachen, die mir wichtig sind, die sich aber auch gegenseitig inspirieren. Von daher finde ich diesen Drei-Jahres-Rhythmus eigentlich ganz gut so. Und mit deiner Vermutung hast du übrigens recht: Die nächste Platte wird 2025 rauskommen.
Wenn du sagst, dass sich die Musik, die Schauspielerei und das Malen gegenseitig befruchten, gibt es Phasen oder Momente, wo du den Drang verspürst, dich in genau dieser oder jener Form künstlerisch auszudrücken?
Das ist echt rein intuitiv, was sich da so in mir abspielt. Und oft entsteht es auch im Kontrast zu dem, was ich eigentlich gerade machen sollte. Also wenn mich jetzt zum Beispiel jemand fragt, ob ich für eine Musik einen Text schreiben kann, dann ist es relativ sicher, dass ich Lust bekomme, zu malen oder, ich weiß nicht, Trompete zu spielen oder Synthesizer. Das ist wie verhext. Aber ich bin einfach sehr neugierig und begebe mich gerne auf ein Territorium, das nicht so safe ist. Ich möchte auf jeden Fall vermeiden, dass meine Kunst zum Klischee verkommt. Etwas zu bedienen, nur weil die Leute das wollen, da sträube ich mich gegen.
Ein starkes Motiv in deinen Texten ist die Wiener Beisl-Kultur, was ich jetzt mal mit „kollektives Versumpfen in kleinen, schummrigen Gasthäusern“ übersetzen würde. Dabei lässt du auch immer eine besondere Nähe zu den Menschen durchscheinen. Dieses Umfeld ist mehr und mehr im Verschwinden begriffen. Machst du dir Sorgen, dass dir bald der Stoff für diese Art von Geschichten ausgeht?
Das ist zweifelsohne so, dass es weniger wird, und deshalb spielt diese Kultur im „Rickerl“ eine besondere Rolle. Ich habe auch recht früh damit begonnen, mit dem Regisseur, Adrian Goiginger, über den Film zu sprechen, schon zur Zeit meiner ersten Platte. Diese Scene ist sehr sichtbar gewesen in Wien. Und man kann das inzwischen fast so in Zeitlupe beobachten, wie erst das eine Lokal zusperrt und dann das nächste. Das ist total frustrierend. Und da macht sich bei mir auch schnell eine gewisse Verklärung oder Nostalgie breit. Trotzdem bin ich mittlerweile etwas davon abgekommen. Ich habe auch schon auf der letzten Platte versucht, mit Liedern wie „Federkleid“ neue Türen aufzustoßen – auch deshalb, weil das mit dem Beisl jetzt nicht mehr so wirklich mein Leben ist.
Das Video zu „Federkleid“, bei dem sich ein Paar feiernd durchs Leben tanzt – von der Hochzeit bis zum letzten Tango – finde ich auch sehr berührend. Ist das etwas, was du gerne machst, Musikvideos aufzunehmen?
Ja, das hat mir schon immer getaugt. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass es ohne ein gewisses Budget schwierig ist, weil dann findest du jemanden, der das macht, musst dich aber den Vorstellungen dieser Person unterordnen. Letztlich muss aber die Band dahinterstehen. Ich war mit den ersten Videos auch extrem unzufrieden, dabei bin ich eigentlich jemand, der das sehr gerne mitmacht und viele Ideen hat. Es macht mir auch einfach Spaß, in verschiedene Rollen zu schlüpfen oder gemeinsam etwas auszuhecken. Später, auch schon zu Voodoos Zeiten, wurde das mit den Videos aber immer besser. Es ist dann wie so ein kleiner Film geworden. Da wollte ich auch immer hin, dass so kleine Geschichten erzählt werden, wie das bei meinen Liedern ja auch der Fall ist.
Du hast vorhin von Nostalgie gesprochen. Man könnte meinen, dass du den alten Zeiten hinterhertrauerst. Wir leben in einer Welt, die immer schneller und digitaler wird. Sind das Entwicklungen, wo du sagst, da halte ich mich lieber fern von? Um aus „Rickerl“ zu zitieren: „Auf die Gegenwart wird geschissen, schreib mir eine SMS“.
Also es jetzt nicht so, dass ich mich weigern würde, ein Smartphone zu benutzen. Bei dem Film ist auch nicht alles so meins, da hat der Adrian schon auch viel Drehbuch geschrieben. Und gerade dieser Satz war ihm ein Anliegen. Aber ich habe schon so eine Liebe zur Vergangenheit. Trotzdem ist halt aber auch klar, dass sich unsere Welt verändert, und ich mich nicht komplett abschotten kann oder will. Bis zu einem gewissen Grad mache ich diesen Zirkus auch mit und versuche, einen Mittelweg zu finden. Aber was mich schon stört, ist, dass man heutzutage so eine Art Self-AG sein muss, die sich dauernd selbst vermarktet. Das geht mir schon auf die Nerven, dieses „schick da noch einmal ein Foto“, „mach da etwas Werbung“. Das war früher einfach nicht so stark ausgeprägt. Und das fand ich irgendwie auch ganz gut so an Früher.
Ich würde gerne etwas mehr über den Film sprechen, einfach weil noch viele Szene hängen geblieben sind, die mich beschäftigen. „Rickerl“ ist ja kein Biopic, also da wird jetzt nicht deine Lebensgeschichte erzählt. Aber natürlich steckt in der Hauptfigur ganz viel Voodoo Jürgens drin. Ohne das jetzt im Detail auseinanderdröseln zu wollen, aber an welchen Stellen musstest du am meisten schauspielern, einfach weil es relativ weit weg von deinem eigenen Erleben war?
Im Film stecken schon viele Sachen drinnen, die mir selbst so oder ähnlich passiert sind. Ich finde es auch wichtig, dass in den Situationen immer eine gewisse Echtheit enthalten ist. Ich glaube, das spüren die Leute auch irgendwie. Aber trotzdem gibt es eine Reihe an Szenen, in denen der Rickerl total anders handelt als ich und wo man sich als Zuschauer an den Kopf greift. Das gilt zum Beispiel für die Beziehung zu dem Kind. Er wird auch eher wie ein Freund und nicht wie ein Vater behandelt. Also so war das mit meiner Tochter jedenfalls nicht. Mir war es immer wichtig, dass auch Grenzen gezogen werden und dass meine Tochter und ich jetzt nicht auf einmal irgendwie so Bro sind. Wir sind von mir aus alles Mögliche, aber sicher keine Bros.
„Rickerl“ ist ja mindestens so sehr ein Musik-Film wie ein Vater-Sohn-Film. Das gilt für die Beziehung zum Sohn genauso wie die zum Vater. Mit eine der stärksten Szenen ist für mich die Begegnung zwischen Rickerl und seinem Vater im Wohnwagen …
… die war auch die anstrengendste für mich.
Was mich daran besonders beeindruckt hat, war diese Ambivalenz: Auf der einen Seite macht Rickerl reinen Tisch und konfrontiert seinen Vater damit, was er für ein schlechter Vater gewesen sei. Und einen Moment später reicht er ihm das Tape mit seiner Musik rüber.
Ja, man will ja auch immer die Anerkennung von seinen Eltern …
… genau und damit macht man sich direkt angreifbar. Wie war das denn bei dir im Verhältnis zu deinen Eltern?
Ich kann mich selbst noch sehr gut daran erinnern, wie ich damals meinem Onkel und meiner Mutter mein erstes Tape vorgespielt habe, so mit mehreren Spuren übereinander aufgenommen. Total trashig. Für mich war das etwas ganz Besonderes. Und dann habe ich ganz gebannt darauf geschaut, wie sie reagieren werden, weil man sich natürlich wünscht, dass das irgendwie angenommen wird. Und gerade in der Musik ist es ja auch nicht so häufig der Fall, dass viel Unterstützung von außen kommt. Deswegen haben wir den Film schlussendlich auch „Musik is höchstens a Hobby“ genannt. Die meisten Eltern raten ihren Kindern ja nicht unbedingt: „Okay, mach ruhig eine Punkband auf – wird schon schiefgehen“.
Was in der Film-Situation jedenfalls gut zu spüren war, ist, dass die Musik für Rickerl etwas absolut Existenzielles ist, nichts wo er die Möglichkeit hätte, zu sagen, das lasse ich jetzt mal einfach wieder sein. Würdest du das für dich selbst auch so sehen?
Ja, ich glaube, ich hätte es auch immer in Kauf genommen, mein Leben lang nur wenig Kohle zu verdienen und dennoch weiter Musik gemacht. Das war für mich eigentlich auch schon vor Voodoo Jürgens beschlossene Sache. Es hat auch durchaus echte Durststrecken gegeben, wo es scheiße gelaufen ist, und ich die ganze Zeit Toastbrot gegessen habe. Und trotzdem war für mich klar, lieber mache ich das und spiele Konzerte, als meine Zeit mit sinnloser Arbeit zu vergeuden. Ich habe ja schon früh, mit fünfzehn, angefangen zu arbeiten und war einfach totunglücklich. Und dann habe ich mir irgendwann geschworen, dass Musik mein Leben ist.
Diese Haltung wird auch in der Szene beim Arbeitsamt deutlich, wo Rickerl der Sachbearbeiterin klar macht, dass er es weiter mit der Musik versuchen will – auch um den Preis, dass ihm das Geld gestrichen wird. Hier spielen die von außen kommenden Erwartungen oder Ansprüche also keine Rolle. Aber wenn es dann um die Kunst geht, dann sieht‘s anders aus. Wie in dem Moment, als Rickerl beim Manager sitzt und sein Tape vorgespielt wird. Während die Musik läuft, sieht man ihn in einer quälend langen Bewertungssituation still dasitzen – findet der das jetzt gut oder nicht …?
… das ist halt auch in Wirklichkeit genau so, da wirst du zu einem Spiegel.
Ja, und man spürt, dass die Existenz auf dem Spiel steht. An der Stelle lässt sich eben keine Distanz aufbauen – genauso wie beim Vater. Er kann nicht so tun, als wäre es ihm egal, wie seine Kunst von außen wahrgenommen wird. In der Situation geht es für ihn um alles.
Das ist auch beim AMS, also beim Arbeitsmarktservice, das Unerbittliche: Man muss ja irgendwo wohnen. Und das kritisiere ich auch so an dem System, dass wenn du zu diesem einen Kurs nicht geht, dir sofort die Bezüge gesperrt werden. Dann zahle ich lieber für meine Wohnung und sitze meinetwegen irgendwann auf der Straße als wenn ich bei diesem Scheiß-System mitmache. Da geht es jetzt auch nicht darum, dass man nicht arbeiten gehen sollte. Aber gewisse Dinge müssen einfach gesichert sein, vor allem das Wohnen. Und es wird halt auch immer schwieriger, gerade als Musiker. Schau dir die Mieten in der Großstadt an. Da gibt es nur die Wenigsten, die es schaffen, allein von ihren Konzerten zu leben.
Wenn das künstlerische Tun so existenziell ist, dass man dafür dauerhaft prekäre Lebensverhältnisse in Kauf nimmt, dann ist damit ja ein hohes Maß an Identifikation verbunden. Wie wichtig ist es für dich, dass die Ideen oder Aussagen, die du mit dem Text oder einem Bild verbindest, auch vom Publikum so verstanden werden? Oder ist dir das alles ab dem Moment wurscht, wenn dein Werk fertiggestellt und in der Öffentlichkeit ist?
Man kann nicht erwarten, dass das alle immer direkt verstehen. Dafür ist das Kunstwerk auch nicht da, finde ich. Es gibt natürlich schon so eine Grundbotschaft, die verstanden werden will. Aber was dann von den Leuten reininterpretiert wird, ist oft etwas anderes, weil jeder seine eigenen Erfahrungen gemacht hat und Worte auch immer etwas anderes bedeuten können. Aber das ist ja auch das Interessante, dass es einen entsprechenden Raum für Interpretationen gibt. Deshalb rede ich auch ungern im Detail darüber, was genau gemeint ist. Es braucht halt nur ein gewisses Echo, irgendwas sollte schon zurückkommen. Und wenn ein Text dann mal missverstanden wird, dann ist das halt so. Da hat man sowieso keinen richtigen Einfluss drauf. Irgendwie entgleitet es einem auch immer ein bisschen.
In deinem Film gibt es einen Erzählstrang zu Rickerls Gitarre, die ihm sehr viel bedeutet und am Herzen liegt, aber in einem unachtsamen Moment abhandenkommt. Sie taucht dann bei einem Obdachlosen wieder auf, der von dem österreichischen Liedermacher Alex Miksch gespielt wird. Rickerl sieht ihn dann auf einer Parkbank sitzen und schaut zu, wie er ganz in sich versunken Gitarre spielt und singt. Schließlich schenkt er ihm die Gitarre. Hat die Geschichte einen wahren Kern?
Der Alex hat wie ich einen Bezug zu Tulln; er hat dort an der Musikschule unterrichtet, ohne dass er dafür eine Ausbildung gehabt hätte. Zu der Zeit hatten wir aber gar nicht so viel miteinander zu tun. Das erste Mal, dass wir richtig in Kontakt gekommen sind, war in Wien, wo ich als Garderobiere gearbeitet habe und er einen Auftritt haben sollte. Um Musik ist es dabei allerdings nicht groß gegangen, es wurden eher Vorträge gehalten und dazwischen hätte er spielen sollen. Dann war aber das Programm so dicht, dass sie ihm gesagt haben: „Hey, wir geben dir das Geld, nimm’s einfach, die Musik brauchen wir nicht.“ Das hat ihn offenbar sehr gekränkt, er spielt ja in erster Linie des Spielens wegen. Und dann ist er zu uns an die Garderobe gekommen und hat uns seine Lieder vorgespielt. So haben wir uns auch erst richtig kennengelernt. Ich weiß, das klingt jetzt kitschig, aber so ist es gewesen. Und wegen dieser Geschichte sind wir auch auf den Alex gekommen, als wir uns für den Film überlegt haben, wer die Rolle einer Person spielen kann, die eigentlich total talentiert ist, aber von der Öffentlichkeit nicht gesehen wird, weil sie nicht Teil der Gesellschaft ist.
Lass uns zum Schluss auf diese Szene zurückkommen, von der ich am Anfang gesprochen habe: als der Nino aus Wien von seinem Radiointerview kommt und Rickerl im letzten Moment entscheidet, nicht dorthin zu gehen. Stattdessen verbringst er lieber den Tag mit seinem Sohn. Genau das hätte ja der Moment sein können, wo er mit seiner Musik durchstartet. Erinnerst du dich an bestimmte Situationen, die ausschlaggebend dafür gewesen sind, dass deine Karriere auf einmal Fahrt aufgenommen hat – glückliche Zufälle oder besondere Momente, die das Projekt „Voodoo Jürgens“ plötzlich ans Laufen gebracht haben?
Nein, das wäre auch ein bisschen zu einfach so, weil das ja im Endeffekt meist doch eher das Ergebnis jahrelanger Arbeit ist. Man investiert einfach viel Zeit und Leidenschaft in dieses Leben. Und das sind dann alles Puzzleteile, die sich irgendwann zusammenfügen und die auch mich schlussendlich dorthin gebracht haben, wo ich hinwollte. Klar, manchmal braucht es den Moment, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Manchmal lernt man die entscheidenden Leute kennen oder auch nicht. Manchmal hat man auch Chancen gehabt und hat sie verschissen, das ist mir auch oft genug passiert. Aber es wäre zu leicht zu sagen, da hat man eben einfach mal Glück gehabt.
Okay, ich wäre dann so weit: Ich stelle jetzt meine übrig gebliebenen „depperten Fragen“: Lieber zum Fußball ins Stadion oder zur Vernissage in die Galerie?
Ich weiß nicht … das klingt jetzt sehr „gespritzt“, aber so Kunst interessiert mich dann schon doch mehr als Fußball.
Was hat mehr Fremdschäm-Potential: Toni Polster, wenn er aus der Bibel rezitiert oder Deutsche, die versuchen, den österreichischen Dialekt nachzumachen?
Also mit diesem Imitieren, da tue ich mich schon sehr schwer mit. Es ist ja oft nett gemeint, aber sagen wir mal so: Es kommt meistens nicht gut an.
Was ist das größere Wien-Klischee: der Hang zum Morbiden oder ausgiebiges Zeitunglesen im Kaffeehaus?
Ja, dieses Morbide hängt uns in Wien ja schon an. Und irgendwie steckt es in meinem Werk ja auch drin. Aber es ist trotzdem jetzt nichts, was wir so absichtlich bedienen würden. Wahrscheinlich gibt es das in jeder Stadt, so wollte ich das jedenfalls bislang immer glauben. Aber man muss schon auch zugeben: Die Wiener spielen dieses Spiel ganz gerne mit.
Wie würdest du einen Sonntag lieber verbringen: mit Nick Cave in den Stephansdom oder mit Bob Dylan ins Beisl?
Mit Bob Dylan, obwohl … beides Heros. Vor beiden habe ich große Ehrfurcht. Aber das sind so große Leute, da reicht mir die Musik, mit denen muss ich nicht unbedingt auch noch privat abhängen.
Zumindest Nick Cave bist du ja bereits begegnet, ihr seid vor gut zwei Jahren in Wien als Vorband aufgetreten. Konntet ihr miteinander sprechen?
Nein, nicht wirklich. Der wird ja auch immer sehr abgeschirmt. Aber es war für uns natürlich schon so eine Art Ritterschlag, dass er uns ausgewählt hat. Für mich ist es aber ein wenig stressig geworden, das war ja ein Riesenkonzert, und ich bin erst 10 Minuten vor dem Auftritt angekommen. Es war auch nicht ganz klar, ob ich mich jetzt noch akkreditieren muss. Ich bin jedenfalls einfach so dahingelaufen und schnell auf die Bühne rauf. Alles sehr hektisch, aber dafür war es dann aber auch ein sehr schönes Konzert.
Wenn du einen Toten nicht nur ausgraben, sondern wieder zum Leben erwecken könntest, wer wäre es?
Helmut Qualtinger.
Das war ein Schauspieler aus Österreich, oder?
Ja, aber bei ihm ist es nicht ganz leicht zu sagen, was er wirklich getan hat. Er hat viele Menschen extrem gut imitieren können und die verschiedensten Dialekte draufgehabt – vom deutschen, preußischen und bayerischen bis hin zu irgendeinem österreichischen Dialekt. Und er konnte die Charaktere ins Feinste skizzieren. Qualtinger war so ein richtiger Stimmenimitator und auch sonst eine wichtige Stimme seiner Zeit – einer, der sich auch nicht gescheut hat, zu sagen, was gerade nicht stimmt im Land.
Ok, letzte Frage dieser Art: Lieber griechischer Wein im Bademantel oder Cognac im Sonderzug nach Pankow?
Ganz klar: Cognac.
Magst du zum Abschluss noch sagen, wie die weiteren Pläne aussehen, was als nächstes mit Voodoo Jürgens ansteht?
Es kommt jetzt erst einmal eine Live-Platte raus, die soll im Frühling erscheinen. Wir haben ja zuletzt fünf Konzerte in Wien gespielt, alle eher in kleineren Rahmen und in kurzer Abfolge. Und das haben wir mitgeschnitten. Davor in den Jahren gab es immer nur so eine große Wien-Show. Damit wollten wir dieses Mal bewusst brechen. Und es fühlt sich auch ein bisschen so an, als ob damit eine Phase abgeschlossen wäre, darüber denke ich gerade viel nach, auch zusammen mit meinen Musikern.
Interview: Marc Wilde
Das Gespräch mit Voodoo Jürgens fand statt am 24.10.2024, Backstage im Katholischen Vereinsheim von Kaltern, Südtirol.