“Er wollte immer alles und zwar jetzt” – Interview zur Wiglaf Droste Biographie
Wiglaf Droste war Satiriker, Autor, Sänger und Solitär. Zeitlebens scheute der Publizist keine öffentliche Auseinandersetzung, im Gegenteil: er zog sie förmlich an. Denn wo kein Streit, da kein Leben. Im Mai 2019, vor fünf Jahren, starb Droste nach kurzer schwerer Krankheit.
Kürzlich erschien mit »Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste« die erste Droste-Biographie. Geschrieben hat sie Christof Meueler, der 20 Jahre Drostes Redakteur bei der Jungen Welt war und über die Jahre zu einem engen Wegbegleiter wurde. Wir sprachen mit Meueler, um zu erfahren, was Wiglaf Droste wütend machte, warum er die Linke so rücksichtslos kritisierte und dennoch in ihren Medien publizierte und ob er heute Autor:innen sieht, die in seiner Tradition stehen.
Wann ist dir Wiglaf Droste das erste Mal aufgefallen?
CHRISTOF MEUELER Mitte der 80er, als die »taz« etwas cooler wurde und eine Fernsehseite einführte. So etwas gab es in den anderen Zeitungen nicht. Jeder guckte damals Fernsehen, fand es aber trotzdem blöd. Und Fernsehzeitschriften galten als besonders dumm. Aber da schrieb jemand mit einem besonderen Namen besondere Texte, sehr entschieden und originell.
Warum brauchte es eine Droste-Biographie?
Er war eine einzigartige Figur in der deutschen Presselandschaft, antiautoritär und lustig schrieb er grundsätzliche Betrachtungen für den Moment. Ich finde diese Momente bewahrenswert, denn er war sehr integer und mutig. Wiglaf wollte gern ein freier Mann sein, keine Angst haben und trotzdem freundlich und großzügig sein – außer zu den Menschen, die ihn nervten.
Aber das waren doch ziemlich viele?
Oft waren das Angeber und Schaumschläger, die er vorführte und der Lächerlichkeit preisgab, nach dem Motto »Warum sachlich, wenn’s auch persönlich geht?«. Für Max Goldt, der ebenfalls Ende der 80er in Westberlin berühmt wurde, war Wiglaf ein Pasquillist. Das ist ein alter Ausdruck für jemanden, der Schmähschriften gegen Personen des öffentlichen Lebens schreibt. Aber er konnte auch sehr zart und völlig unironisch Gefühle ausdrücken, was sich Max Goldt so nicht erlauben würde.
Aber hat er nicht ziemlich viele Menschen, auch Freunde und Freundinnen, vor den Kopf gestoßen?
Ja, da war er gefürchtet. Er verfuhr lange Zeit nach seinem eigenen Schwarz-Weiß-Raster: wer gegen ihn war, war blöd. Das brauchte er auch, um sich in der Öffentlichkeit von anderen neuen polemischen Autoren wie Maxim Biller oder Rainald Goetz zu unterscheiden. Als er dann Ende der 90er Jahre mit dem Kochen anfing und mit dem Starkoch Vincent Klink »Häuptling Eigener Herd« als »kulinarische Kampfschrift« herausgab, wurde er weicher und vielschichtiger und konnte auch mal etwas vorbehaltlos gut finden – wie ein Essen, das gelungen ist.
Was kannst du heute lernen, wenn du Drostes Texte liest?
Sie erzählen von der Entwicklung einer alternativen Öffentlichkeit nach der Enttäuschung über das politische Scheitern der 68er Rebellion und davon, was man mit Sprache alles machen kann – in einer Form, die jeder versteht.
Wie man die besseren Scherze macht?
In einem bemerkenswerten Radiogespräch hat er 2006 Gisela Steinhauer im WDR erzählt, dass für ihn Humor nicht darin besteht, Witze zu machen, sondern dass er eine Haltung zur Welt ausdrückt, nämlich »damit fertig zu werden, dass man das Ideal, das man hat, selten bekommt – und dass man dem auch nur selten selbst entspricht«.
Du warst gut 20 Jahre Drostes Redakteur bei der »jungen Welt«. Wie hast du ihn persönlich erlebt?
In der Regel aufmerksam und freundlich. Und sehr akribisch: nachdem er einen Text geschickt hatte, rief er oft noch zweimal an und verbesserte Details. Was er nicht leiden konnte, waren Wortwiederholungen. Lange schrieb er für »taz« und »jW« parallel, ab Ende 2010 nur noch für die »jW«, da habe ich fast jeden Tag mit ihm telefoniert, in all seinen Zuständen. Auch wenn er sehr betrunken war.
Musstest du in seine Artikel eingreifen, weil du der Meinung warst, das könnte er so nicht schreiben? Vorher hatte er in »taz« und »nd« bereits Teile der Redaktion gegen sich aufgebracht.
Es gab auch bei der »jW« Leute, die fanden seine Texte teilweise unmöglich oder unverschämt. Aber im Feuilleton standen wir immer hinter ihm. Er war unser bester Autor und konnte schreiben, was er wollte. Als es mit ihm bergab ging, haben wir in seltenen Fällen mal etwas geändert, weil wir dachten, diese Beleidigung ist jetzt zu brutal, die könnte die prekäre Zeitung zu viel Schmerzensgeld kosten. Wir haben ihm das immer erklärt und meistens war Wiglaf damit einverstanden.
Siehst du heute Autor:innen, die in seiner Tradition stehen?
Diese Haudrauf-Schreibe zwischen Punk, Gonzo, Maoismus und »Titanic« aus den späten 80ern, die gibt es eigentlich nicht mehr. Für mich pflegte Wiglaf aber vor allem einen politisch aufgeklärten Subjektivismus, den kann man auch bei den neuen autofiktionalen Autor:innen finden, postmigrantisch und postproletarisch – nur: die schreiben Romane im Rückblick und er hat stets für die Tagespresse geschrieben. Er war viel schneller und das in einem Medium, dem man vorwirft, es sei überholt und behäbig.
Hat er nicht auch Radio gemacht?
Ja, aber nach dem selben Ansatz: Seine Radiofeuilletons waren so lang wie seine Kolumnen für Print. Die dauerten nie länger als vier Minuten.
Droste hat zeitlebens in linken Medien publiziert, dennoch war die Linke eine seiner liebsten Zielscheiben. Woher rührte diese Ambivalenz?
Aus den Sachzwängen, denen linke Politik, die nicht revolutionär sein kann oder will, unterworfen ist, besonders in den Parlamenten. »Und wenn sie noch so stinke – es lebe die Linke!« Diesen Reim hat Wiglaf auf eins seiner frühen Notizbücher geschrieben. Ich denke, der gilt bei ihm konstant. Seine liebsten Revolutionen waren die kubanische und die portugiesische. Aber dass er sich zum Schluss als Kommunist begriffen haben soll, wie auf Wikipedia zu lesen ist, bezweifle ich. Kommunisten organisieren sich in Gruppen oder Parteien. Und Wiglaf hat stets großen Wert darauf gelegt, dass er ein Solitär ist, ein »solitärer Block«, wie er mal geschrieben hat.
Eine von mehreren Zeitungen, der Drostes Polemiken zu heikel wurde, ist das »nd«: 1994 beendete die Zeitung die Zusammenarbeit mit ihm. Heute leitest du das Feuilleton der Zeitung. Kannst du die Entscheidung von damals nachvollziehen?
Nein, ich halte sie für engstirnig.
Mitunter mussten Drostes Lesungen mit Saalschutz durchgeführt werden. Woher rührte die Umstrittenheit und Umkämpftheit seiner Person?
Er wusste, wie man Leute auf die Palme bringt, wenn sie etwas behaupten, was sie nicht einlösen können. Und hat sich dem gern ausgesetzt. Mitte der 90er waren es autonome und feministische Gruppen, die sich über einen Text von ihm in der »Titanic« aufregten – ohne Internet, meistens nach reinem Hörensagen. Die wenigsten kannten diesen satirischen Text, der davon erzählt, wie ein Mann in einem Berliner Park einem Mädchen Schokolade schenkt und der dann befürchtet, er wäre dabei beobachtet worden und würde nun von aggressiven Kinderschützern der versuchten sexuellen Gewalt verdächtigt. Und genau das widerfuhr Wiglaf, dessen Lesungen verhindert werden sollten – auch wenn man davon nur auf einem Flugblatt gelesen hatte. Andererseits war das für ihn auch eine aufregende Sache: Konnte er lesen oder nicht? Er hat sich da voller Adrenalin ins Getümmel gestürzt. Später sagte er über sich, er lebe als Autor »legendenumgürtet« in Berlin.
Seine Polemik und Provokationslust zeugt auch von einem gehörigen Maß Wut. Was machte Droste wütend?
Er war ungeduldig und Maximalist. Er wollte immer alles und zwar jetzt. Aber er hatte – in seinen Worten – die kindliche Hoffnung aufgegeben, dass am Ende alles schön sein wird.
Interview: Luca Glenzer
==> Christof Meueler: “Die Welt in Schach halten. Das Leben des Wiglaf Droste”. Edition Tiamat, Berlin 2024, 304 S., 30 Euro
==> Lesungen aus dem Buch: 21.5. Berlin, Fahimi Bar, 30.5. Berlin, nd-Salon, 2.6. Forum Bielefeld, 12.6. Berlin, Klick Kino, 27.6. Berlin, jW-Ladengalerie