Holly Herndon

“Ich bin daran interessiert fremde Klänge zu erschaffen.”

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Foto: Nils Rodekamp

Paul McDevitt und Cornelis Quabeck, die gemeinsam (mit David Hubbard) das Labels „Infinite Greyscale“ führen, trafen Holly Herndon in Berlin für ein Gespräch über die verschiedenen Arten von Publikum, die Herndon mit ihrer Musik anspricht, ihre Dancefloor-Sozialisation und die Frage, welche Auswirkungen diese für die Art und Weise hatte, mit der die Zuhörer von Herndons Musik  körperlich gefordert werden.
Herndon, McDevitt und Quabeck kennen sich durch die Zusammenarbeit an der 10-Inch “Body Sound”, die auf Greyscale veröffentlicht wurde.

Dein Album klingt großartig. Wir glauben, dass es wirklich ein großer Erfolg werden wird. Das Album ist diese leuchtende, durchweg positive Pop-Platte geworden, aber mit viel Inhalt – die Art von Album, dessen wahres Gesicht sich erst offenbart, nachdem man es einige Male ganz bewusst angehört hat.
Ich hoffe natürlich, dass es kein Album geworden ist, das man nur einmal anhört und dann gleich wieder weglegt. Es hat auf jeden Fall eine Weile gedauert es aufzunehmen.

Zuallererst wollen wir dich über die verschiedene Arten von Publikum befragen, die zu deinen Liveauftritten kommen. Momentan scheinst du viele Festivals und Clubauftritte zu spielen, du begegnest also Menschen, die relativ passiv darauf warten unterhalten zu werden. Andererseits scheint deine Arbeit, wie zum Beispiel das von uns herausgebrachte „Body Sound“, eher darauf ausgerichtet von einem Publikum rezipiert zu werden, das nüchtern und reflektierter ist und sich vielleicht in einer anderen Umgebung, wie beispielsweise einer Galerie, aufhält. Siehst du diese beiden Releases als Angebote an verschiedene Arten von Hörern? Liegt für dich persönlich darin ein musikalischer Konflikt oder siehst du darin eher einen natürlichen Prozess, in dem sich diese beiden Seiten, die du ja anscheinend in dir trägst, gegenseitig bedingen und beeinflussen?
Ich glaube es ist eher Letzteres. Ich muss mich dem spezifischen Kontext zu einem gewissen Grad unterwerfen und ihn in den kreativen Prozess mit einbeziehen, da es an verschiedenen Orten unterschiedliche Aufmerksamkeitsspannen gibt. Ich habe „Body Sounds“ bereits an Orten aufgeführt, an denen die Aufmerksamkeit, die einem geschenkt wird, eher kurz bemessen ist. In diesem Fall muss ich dann einfach eine gekürzte Version spielen oder nur Auszüge. Ich stelle gerne ähnliche Musik in extrem verschiedenartigen Locations vor, denn ich denke, dass ich dadurch mehr über das Werk an sich lernen kann – aber im Endeffekt geht es wirklich darum, inwiefern Menschen bereit sind mir ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Ich möchte das Publikum nicht verlieren, möchte sie nicht verschrecken. Ich möchte ihnen gerade genug geben, um sie dazu zu bewegen, meine Arbeit zu hinterfragen, aber ich möchte ihnen auch einen Zugangspunkt bieten, damit sie sich nicht abgewiesen fühlen. Ich möchte nun wirklich niemandem den Abend ruinieren! Das ist nun wirklich absolut nicht meine Absicht.

Manchen Menschen gefällt ja gerade das.
Ich weiß, und ich habe das eine Weile auch gemacht. Ich habe viel Zeit in „Noise Communities“ verbracht, wo meine Agenda eher darauf abzielte auszuloten wie extrem ich sein kann und wie puritanisch ich auf diese Art und Weise werden könnte. Aber daran bin ich nicht mehr interessiert. Ich bin daran interessiert mit Menschen zu kommunizieren, Ideen zu vermitteln und eben gerade nicht daran Menschen abzuweisen. Ich bin darauf aus fremde Klänge zu erschaffen und Vertreterin einer neuartigen Ästhetik zu sein, es ist nicht meine Intention Menschen zu befremden.

Wir haben ja alle schon Künstler erlebt, die ziemlich langweilige Performances mit Hilfe ihrer Laptops hingelegt haben. Häufig kann Musik, die man an sich sehr mag, live sehr enttäuschen. Eines der Dinge, die bei deinen Live-Performances sehr interessant ist, ist, dass du es dem Publikum ermöglichst bis zu einem gewissen Grad nachzuvollziehen, wie genau du einen Track nach und nach aufbaust. Wenn du dich mal an die Zeit zurück erinnerst, in der du selbst solche Laptop-Performances erlebt hast, oder in deiner Zeit als Clubbesucherin – gab es da für dich persönlich Momente der Offenbarung?
Wenn ich in Clubs unterwegs war, dann war ich nie wirklich am Performer selbst interessiert. Mein Interesse galt dem Dancefloor, der Dynamik dort und der Euphorie. Ich habe mich erst richtig für die Dynamik von Performances interessiert als ich ans Mills College (Oakland, CA) ging und anfing den Laptop an sich als spielbares Instrument zu betrachten. Viele Menschen beklagen sich darüber, dass eine Performance mit dem Laptop langweilig oder nicht körperlich genug sei – man weiß eben einfach nicht genau was vor sich geht – und das hat mich dazu gebracht darüber nachzudenken, wie man Performances dieser Art so gestalten könnte, dass sich das Publikum mehr angesprochen fühlt. Deshalb habe ich angefangen die Stimme an sich als Instrument einzusetzen – nicht nur meine eigene, sondern auch die anderer Vokalisten und ich habe angefangen mit Pick-Up-Mikrophonen herum zu experimentieren, auf der Suche danach, wie man es schaffen könnte, die Stimme selbst mehr zum Instrument zu machen, obwohl die Stimme für mich persönlich an sich immer schon ein Instrument war. Wie bereits gesagt, es ist gut, dem Publikum einen Zugangspunkt zu geben. Exakt so verhält es sich mit der Kombination aus experimentell angelegten Klängen und Popmusik – man versucht dem Publikum einen Zugang zu seiner Arbeit zu ermöglichen.

Könnte man es so beschreiben, dass du dadurch versuchst Vertrauen zwischen dir und dem Publikum zu schaffen?
Ich glaube schon. Man erschafft Empathie. Es gibt eine besondere Art von Empathie zwischen Performer und Publikum. Wenn man als Zuschauer nachvollziehen kann, was der Performer versucht darzustellen – und das kann sowohl durch Gesten allein oder die Stimme passieren – dann werden deine Spiegelneuronen aktiviert und du beginnst die Absichten des Performers zu verstehen. Genau dann entsteht Empathie zwischen Performer und Publikum. Ich finde, dass genau das etwas sehr wichtiges und sehr kraftvolles ist. Ich sehe mich selbst nicht als einer dieser Performer, der auf die Bühne geht und so tut, als wäre das Publikum gar nicht da. Es ist jetzt auch nicht so, dass ich es total übertreiben möchte, auf die Bühne stürme, mit den Händen in der Luft und das Publikum mit einem lautstarken „Heeeyyy!“ begrüße – so ist das nun wirklich nicht und es muss auch nicht so ablaufen. Aber es ist meine Absicht das Publikum mit einzubeziehen, denn ich finde Sets können sehr … naja, meine Sets können sehr unterschiedliche Emotionen hervorrufen. Sie können dich an die verschiedensten Orte bringen, sie sind in gewisser Weise fähig uns an andere Orte zu transportieren und niemand wird sich mit mir auf eine Reise an diese Orte begeben, wenn ich ihnen vorher nicht die nötigen Werkzeuge dafür an die Hand gegeben habe.

Musst du dein Set dementsprechend behutsam und vorsichtig beginnen?
Nein, ich fange nicht unbedingt mit besonders einfachen Stücken an …

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Foto: Nils Rodekamp

Als wir dich vor ein paar Jahren live gesehen haben, hatten wir den Eindruck, dass du deine Stücke während deiner Performance Stück für Stück konstruierst, mit Hilfe von Bausteinen. Beim ersten Stück beispielsweise mit deiner Stimme. Die Bewegungen deines Körpers werden dabei dieser Logik unterworfen  – du erzeigst tanzend mit Hilfe der Pick-Up-Mikrophone Klänge.
Es ist nicht immer so. Ich weiß aber, welches Stück ihr meint. Ich eröffne meinen Auftritt gerne damit, weil man dem Publikum so zeigen kann, wie die Dinge entstehen, wie sie aufgebaut sind und es demonstriert, dass man nicht einfach nur die Space-Taste auf einem Laptop drückt.

Du hattest mal irgendwo gesagt, dass das Einbeziehen des Körpers es dem Publikum ermöglicht sich neuen Klängen zu öffnen. Glaubst du daran, dass man zwingend Körperlichkeit braucht, damit das Publikum neue Musik nachvollziehen kann?
Ich glaube es ist nicht zwingend nötig, aber es hilft auf jeden Fall. Wenn man eine natürliche, physische Reaktion auf etwas hat, das vielleicht sogar unterbewusst ist. Das hilft dabei reinzukommen. Zum Beispiel „DAO“, es gibt da diese komplett verrückte Sopranstimme – die Sängerin füllt den Raum komplett aus, auf diese wunderbare instinktiv-unkontrollierte Weise. Würde dies für sich allein stehen und wäre nicht mit dem treibenden, schlagenden, sich windenden Rhythmus versehen, dann wäre das Stück insgesamt viel dissonanter. Ich denke, dass man so fremde Klänge und Rhythmen vereinen kann, sodas man diese natürliche Reaktion hervorrufen kann.

Wir würden gerne auch noch mit dir über die Räume sprechen, die du in deiner Arbeit erschaffst. Wir haben deine Arbeit in einer Galerie gesehen bzw. erlebt – ein Großteil der Sounds auf „Platform“ ist sehr klar geschliffen, nahezu makellos, mit klar definierten Grenzen. Wenn man sich die Musik anhört, dann erscheint es, als gäbe es in deiner Musik viel physischen Raum. Würdest du zustimmen? Und falls ja, denkst du selbst über deine Arbeiten eher auf eben beschriebene physische Weise nach oder auf visuelle Art?
Absolut. Ich bin keine Synästhetin – ich sehe bei meiner Arbeit vor meinem inneren Auge keine Farbtupfer oder Ähnliches, aber ich stelle sie mir auf physische Art vor. Beispielsweise das Stück, das Matt Dyhurst und ich für die Galerie anfertigten – die Sounds waren wie kleine digitale Tiere in Käfigen, die durch den Raum rannten. So in der Art eben – ich stelle mir vor, dass man eine Art Kern von was auch immer man gerade betrachtet, visualisieren kann. Den ungeordneten Kern und wie er sich weiterentwickelt – so stelle ich mir manchmal Klänge vor und wie sie sich im Raum bewegen.

Also verhält es sich auf eine Weise wie dunkle Energie, die einen komplett umschließt.
Genau. Ich denke mir, „Jetzt will ich das Etwas so etwas in der Art macht (gestikuliert und ahmt ein Geräusch in der Art eines schnell zu Boden fallenden Gegenstands nach) oder ich möchte, dass etwas genau hier an dieser Stelle hinunterfällt.“ Ich stelle mir vor welchen physischen Effekt Klänge im Raum haben, auch wenn das nichts mit logischer Physik zu tun hat.

Um noch einmal auf das Stück zurück zu kommen, dass Ambisonic-Stück, dass du mit Mat für Sommer & Kohl gemacht hast – auf eine Art war es sehr großzügig, da es dem Zuhörer oder Zuschauer ermöglichte sich wirklich in dem Werk zu bewegen und es auf eine andere Art und Weise zu erleben, akustisch und visuell. Hast du mit dem Gedanken gespielt noch etwas in dieser Art zu machen, wieder mit einer Galerie als Schauplatz?
Wir würden das tatsächlich sehr gerne tun. Es ist leider immer eine Frage der Zeit. Ich habe eben erst mein Lehrverhältnis in Stanford beendet. Ich unterrichtete während des letzten Semesters einen Kurs, führte einen neuen Lehrplan ein und das als Projekt zu haben, den Lehrplan zu entwickeln und zu unterrichten, nahm wirklich viel Zeit in Anspruch. Aber nun ist das erstmal geschafft und ich promote dieses Album und gehe damit auf Tour und wir werden einige extensive „Platform“-Performances machen …

Und wie wird das dann genau aussehen?
Das steht noch nicht genau fest. Für mich ist „Platform“ eine sich kontinuierlich weiterentwickelnde Sache – idealerweise würden wir das Album „Platform“ gerne als tatsächliche Plattform benutzen, um andere Künstler, Denker und Menschen, die uns nahe stehen und deren Arbeit wir schätzen, herauszustellen, sowohl im Verlauf der Berichterstattung zu „Platform“, als auch während der Tour, die sich anschließen wird. Also versuchen wir einen Weg zu finden, um diese Menschen mit einzubeziehen, ohne, dass es didaktisch oder dogmatisch wird. Ich weiß noch nicht, ob das Projekt dann ein wenig im Stil eines Symposiums gehalten sein wird oder nicht … ich möchte noch nicht darüber sprechen, da wir noch dabei sind den endgültig passenden Rahmen zu wählen!

Du behauptest jedoch, dass das Album kein vollendetes Werk ist, sondern vielmehr eine Art Beginn darstellt.
Es ist ein kontinuierlicher Prozess. Und das ist einer der Gründe, warum ich das Album „Platform“ genannt habe, denn ich möchte, dass es eine Plattform für diese anderen Ideen wird – ich möchte, dass es ein Gemeinschaftsprojekt wird. Aber manchmal bedarf es eben dieses ersten Anstoßes …

Es ist also eine Absichtserklärung.
Exakt. Und durch „Platform“ wird der gesamte Prozess angestoßen. Genau deswegen sitze ich ja gerade hier.

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Foto: Nils Rodekamp

Wir dachten auch an Begrenzungen. Für uns persönlich als visuelle Künstler kann es oft hilfreich sein konkrete Grenzen zu haben – das krasse Gegenteil dazu wäre die komplett weiße Leinwand, die ein Gefühl der Panik entstehen lassen kann. Wenn man allerdings nur eine einzige Art von Drucker oder eine Art von Tinte hat, dann schränkt das die Optionen ein, hilft dabei sich zurecht zu finden und sich zu konzentrieren. Findest du Limitierungen dieser Art hilfreich? Laptops an sich werden ja in ihren Möglichkeiten und Anwendungsbereichen als praktisch unbegrenzt verkauft. Findest du persönlich Einschränkungen nützlich und falls ja, welche Arten von Limits setzt du dir persönlich?
Ich versuche zumeist eine bestimmte Soundpalette für ein Stück festzulegen und versuche dann innerhalb dieser Palette zu bleiben. Andernfalls gäbe es quasi keine Limits. Obwohl sich das Album von Stück zu Stück ein wenig verändert, gibt es auf jeden Fall ein bestimmtes Spektrum und eine übergeordnete Ästhetik und ich habe versucht mich an diese Bestimmungen zu halten. Es ist wohl eine Kombination daraus, dass ich Mats Software verwendet habe, um Browser-Sounds aufzunehmen, aber auch viele Aufnahmen die Zuhause entstanden sind und dann auch persönliche Aufnahmen, wie Unterhaltungen via Skype, deren Sound ich dann ein klein wenig für meine Zwecke angepasst habe – und natürlich programmierte Drums und Vocals – aber es handelt sich hauptsächlich um Aufnahmen, die außerhalb des Tonstudios entstanden sind und Stimmaufnahmen. Es gibt nicht besonders viele Synthesizer auf diesem Album.

Kannst du uns ein bisschen mehr über die Software erzählen, die Mat entwickelt hat und wie genau sie die Browser-Experience übersetzt? Diese Technik hast du bei „Chorus“ verwendet, richtig?
Genau, ich habe die Software bei vielen der Stücke eingesetzt, vor allem bei der Percussion. Man schaltet die Software ein und nimmt alles das auf, was im Browser geöffnet ist, jegliche Audiodatei, und du kannst das einfach aufnehmen und andere Dinge, die du zuvor aufgenommen hast damit ansteuern. Die Software ordnet im Grunde diese Aufnahmen neu an – und dabei häufig unerwartet und interessant – so, wie du es vermutlich selbst nie getan hättest. Es ist quasi ein halb-automatisches Musique-Concrète-System. Er nennt es Net Concrète.

Was Limits und Einschränkungen angeht, ist es besonders schwierig Einschränkungen zu haben, wenn man den Laptop quasi als Werkzeug gebraucht?
Meiner Meinung nach nicht. Ich habe bestimmte Anfangspunkte für meine Arbeit oder ich habe eine Idee und skizziere sie dann. Mir kommt nie der Gedanke (mit der Stimme einer Cartoonfigur): „Oh, jetzt kann ich ja alles tun!“ Ich fange meistens mit meiner Stimme an und einer Art stimmlichem Prozess, dann füge ich einen Rhythmus hinzu und dann fange ich an eine Soundpalette zu erstellen … so ungefähr läuft das ab. Ich glaube jeder Künstler hat diesen (erneut in der Stimme einer Cartoonfigur, dabei scharf einatmend): „Was tue ich nur als Nächstes? Ich werde nie wieder kreativ sein!“-Moment (lacht). Das ist einfach allgemeingültig. Das liegt nicht nur am Computer.

 

In vielen deiner Interviews erscheinst du sehr optimistisch, was deine Meinung zur Stellung von Technologie in unser aller Leben angeht. „Home“, ein Track der sich mit der NSA und der Idee, dass man, wenn man online ist, nie wirklich alleine ist, beschäftigt – was im Grunde eine Art seltsamen Lovesong darstellt –, dieser Song endet mit dem Geräusch davon, dass du wegrennst und lachst, als ob es sich dabei um eine Art Spiel handelt. Das Stück ist wirklich sehr seltsam und wir haben versucht es zu entschlüsseln. Besonders das Ende beschäftigt uns. Wir wollten dich fragen, ob du damit zum Ausdruck bringen willst, dass wir alle eine Mitschuld daran tragen, dass wir es hinnehmen, dass unsere privaten Browsing-Gewohnheiten von anderen verwendet werden? Oder spielst du darauf an, dass wir aufgrund dessen versuchen, den Leuten, die versuchen unsere Gewohnheiten auszukundschaften, immer einen Schritt voraus zu sein?
Oh. Mir gefallen eure Interpretationsansätze wirklich gut. Ich denke nicht, dass das Ende dieses Stücks mit so viel Voraussicht konzipiert wurde. Das Lachen, das dort zu hören ist, ist zum Beispiel eine Aufnahme, die Mat ohne mein Wissen während eines unserer Gespräche gemacht hat.

Also hat er ja in gewisser Weise auch die Rolle des Spions übernommen, oder?
Das ist mein echtes, wahrhaftiges Lachen! Und es klingt so albern – es klingt so persönlich, denn es ist ein Kichern, das Zuhause, zwischen zwei Partnern ausgetauscht wurde und wenn ich es so höre, bereitet es mir fast Gänsehaut, da es etwas so Persönliches ist.

Das ist interessant, denn das Lachen erscheint sehr süß und unschuldig, wohingegen „Lonely at the Top“ wirklich gruselig ist.
(lacht) Seht ihr, ich finde das wiederum gar nicht gruselig!

Wirklich? Ihre Stimme (die Stimme von Berlin Community Radio Moderatorin Claire Tolan) macht uns wirklich Angst. Es klingt nach einem schäbigen Bordell oder Hotel – man weiß nicht genau, was es ist – aber es klingt danach, dass jemand vorliest …
Es soll ja auch bewusst nicht erotisch klingen.

Naja, der Text spielt aber offensichtlich darauf an. Es ist von Zimmer Nummer 3 die Rede und von Massage …
Nein, so ist es überhaupt nicht gemeint. Dass du das so interpretierst, sagt mir viel über dich persönlich! (lacht) Außerdem wird nicht klar, welches Geschlecht die Person hat, an die sie sich wendet.

Das stimmt, aber es klingt nach dem Klischee der unterwürfigen Arbeiterin, da es um die Macht einer anderen Person geht und das ist doch genau eines dieser Szenarien, das Männer anmacht …
Dann lass mich das eben klarstellen. Also, ASMR, weißt du was das ist? Es bedeutet Autonomous Sensory Meridian Response.

Nur weil du in deinen Interviews davon gesprochen hattest.
Ich finde es fantastisch. Es handelt sich dabei um eine Gemeinschaft von Leuten, die sich online freiwillig gegenseitig Trost spenden und sich aufmuntern und ich finde, dass das einfach einer dieser wirklich schönen Momente ist … ich liebe diese Art von Momenten online, denn allgemein wird die Meinung vertreten, dass das Internet wahre Beziehungen unterminiert und Social Media Freundschaften zerstört und genau deshalb mag ich es so sehr, wenn man im Internet einfach zur Abwechslung diesen positiven Aspekten der Menschheit begegnet. Ich finde das bei ASMR sehr schön. Es gibt da diese Leute, die nicht unbedingt dafür bezahlt werden, die diese tollen Dinge online machen und es hilft ihren Zuhörern und Fans tatsächlich weiter.

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Foto: Nils Rodekamp

Wird dabei kompensiert, dass man online nichts riechen kann?
(lacht) Was?

Naja, der fehlende Sinn online eben. Das Geräusch, das Papier macht, wenn man es zerknüllt, das hat etwas Besonderes – es ist genau das Geräusch, das uns bei dem Track fasziniert hat. Es hat uns daran erinnert, wie es früher war, den Geruch der Holzstückchen wahrzunehmen, die beim Spitzen vom Bleistift abgefallen sind – es ist also so, als ob man einen Geruch nachstellt – nicht wortwörtlich, aber als etwas, das der Erfahrung an sich fehlt …
Bei ASMR handelt es sich um eine tatsächliche physische Reaktion von Menschen auf sehr spezifische Klänge. Ich zum Beispiel reagiere auf künstliche Acryl-Fingernägel. Ich selbst hatte nie welche, ich habe das nur durch das Ansehen von ASMR-Videos herausgefunden – wenn diese Nägel auf Smartphones klackern macht mich das komplett verrückt. Ich liebe es. Es ist absolut nichts Sexuelles, ich könnte mir das nur den ganzen Tag anhören – es beruhigt mich und bereitet mir Gänsehaut …

Wie Katzengras.
Ja, genau. Also gibt es in dieser Community Menschen, die eine ganz bestimmte Reaktion auf einen bestimmten Klang haben und dann andere Leute darum bitten diesen Klang für sie nachzustellen und das passiert dann meistens auch – ich finde das einfach toll, da die gesamte Gemeinschaft untereinander irgendwie so nett ist. Mir gefällt diese Art digitaler Intimität, diese sehr mondäne, vertraute Intimität, die zwischen Fremden entsteht. Ich finde das sehr faszinierend. Dieser Aspekt brachte mich dazu mich in meiner Arbeit damit auseinanderzusetzen und einen ASMR-Track zu machen – jedoch nicht einfach irgendeinen, denn es gibt bereits mehr als genug davon, sondern einen Track, der sich nur an dieses eine Prozent des Publikums richtet. Zu der Zeit – kurz bevor ich mich mit Claire traf – las ich einen Artikel über die gängige Rechtsprechung, der besagte, dass es Teil des Bewältigungsmechanismus der Super-Reichen ist sich selbst davon zu überzeugen, dass sie das, was ihnen vererbt wurde und all die Möglichkeiten, die ihnen dadurch gegeben sind, verdient haben. Andernfalls könnte man das psychisch nicht verarbeiten, dass man so viel mehr hat, als andere Menschen in dieser Welt und man würde aktiv daran arbeiten, diesen Umstand zu ändern. Also musst du dich selbst davon überzeugen, dass du in der Tat etwas Besonderes bist und die Menschen, die sich in dieser Gruppe befinden müssen sich dessen als Bewältigungsmechanismus bedienen. Deshalb dachte ich, dass es sehr witzig wäre, wenn man eine Art beruhigende Spa Session für einen dieser Super-Reichen macht, der sich selbst krampfhaft davon überzeugen will, dass er diese Art von Beruhigung verdient hat.

Du sprachst von diesem Album als dem Beginn einer Serie weiterer Plattformen und es befinden sich auch einige Kollaborationen auf diesem Album. In der Pressemitteilung steht auch, dass dein Laptop eine davon darstellt …
Tatsächlich?

Könntest du uns ein bisschen mehr über dein Projekt Metahaven erzählen? Und auch ein wenig darüber, wie du die Arbeitsbeziehung definieren würdest – ob es sich dabei auch um eine Kollaboration handelt oder du das anders definieren würdest.
Oh, dabei handelt es sich auf jeden Fall um eine Kollaboration. Ich begann letzten Winter mit Entwürfen für das Album und brachte diese dann im Sommer zu Ende, mit einer Art Pause zwischendrin und so kontaktierte ich sie bereits letzten Winter und wir sprachen über die Themen des Albums, denn ich wollte unbedingt, dass sie sich um die visuelle Sprache des Albums kümmern – das Albumcover und ein paar Videos – und wir machten gemeinsam auch ein kleines seltsames Onlineprojekt namens Call. Wir begannen sehr früh damit uns auszutauschen und diese Unterhaltungen haben auf alle Fälle den Inhalt des Albums selbst beeinflusst. Obwohl sie nichts zum Sound an sich beigetragen haben, haben sie definitiv das Gesamtkonzept beeinflusst.

Also sind die Bilder und die Klänge somit miteinander verbunden?
Ja, ich glaube schon. Ich denke die Show im Berghain hier wird ziemlich spannend werden, da Metahaven anwesend sein werden und Claire wird etwas ASMR machen und Amnesia Scanner, die auf An Exit sind, werden auch beteiligt sein.

Immer noch zum Thema Laptop und den unendlichen Abwandlungen, die man mit Hilfe dessen tollerweise oder eben auch nicht erstellen kann – wie betrifft dich das im Bezug auf deine eigene Musik? Erstellst du verschiedene Versionen, arbeitest also an verschiedenen Fronten zugleich? Hast du auch eine Art „Schatzkammer“, wie Prince?
Ich habe tatsächlich eine komplett absurde Sammlung an Versionen. Das ist das Verrückte an digitaler Musik, es ist so einfach verschiedenste Versionen mit einem Klick abzuspeichern. Also mache ich das einfach und denke mir dann „Irgendwie funktioniert das noch nicht. Ich versuche es mal mit einer anderen BPM-Rate und speichere das einfach nochmal unter anderem Namen ab“, und dann beginnt das ganze Spiel mit dem „Also irgendwie gefiel mir das vor fünf Versionen doch besser, verdammt, wo habe ich das nochmal abgespeichert?“ Man hat ja dann auch verschiedenste Entwürfe auf verschiedenen Festplatten … was das angeht versuche ich etwas ordentlicher zu werden. Und dann wird das wirklich kompliziert, wenn du mit jemandem zusammenarbeitest und du versuchst wirklich alles an einem Ort zu haben. Es gibt tatsächlich diese neue Firma namens Splice, die sich genau darauf spezialisiert – also etwas für Leute, die mit Ableton arbeiten oder andere DAWs (digital audio workstations) teilen. Jede Version wird aktualisiert und man muss selbst nicht alles sammeln und dann abspeichern. Mat und ich haben das für die Zusammenarbeit mit Cottweiler (UK Menswear), die wir dieses Jahr gemacht haben, benutzt und damit war es um so vieles einfacher. Aber ja, ich mag es sämtliche Versionen in einem Archiv abzulegen, denn häufig verliere ich mich in etwas und muss dann einsehen, dass es doch nicht so funktioniert hat, wie ich es mir ausgemalt hatte und benötige dann die Version, die ich vor sieben anderen Anläufen bereits hatte.

Wird irgendetwas aus diesem Archiv wohl einmal veröffentlicht werden?
Vermutlich nicht. Es ist ja genau das Material, das nicht weiterentwickelt wird, da es nicht gut genug ist. Ich versuche die besten Teile herauszufiltern und mich damit weiter nach vorne zu bewegen und die Dinge, die dabei auf der Strecke bleiben sind dann einfach nicht gut genug. Statt mich damit aufzuhalten, arbeite ich lieber gleich an etwas Neuem. Ich lese sehr viel und denke ständig über neue Ansätze nach – es wäre einfach seltsam dann diesen Rückschritt zu machen. Nein, ich habe mich davon bereits entfernt, ich arbeite an etwas Anderem und ich möchte, dass dieses Projekt das widerspiegelt, worüber ich gerade in diesem Moment nachdenke.

Du hattest Suhail Malik in letzter Zeit häufig erwähnt und dein Track namens „An Exit“ ist ein Verweis auf seine Unterscheidung zwischen der Flucht vor Etwas und der Möglichkeit zum Ausgang aus Etwas in der zeitgenössischen Kunst. Wir dachten, dass es für uns eine gelungene Art wäre, einen Ausgang aus diesem Interview zu finden, indem wir Suhail bitten die letzte Frage zu übernehmen.

Und hier kommt sie:

Suhail Malik: Was sind deine Top 3 Momente seit den 1980er Jahren, als Popmusik experimentelle Musik in Sachen Sound-Innovation und innovativen Gebrauchs von Formen übertraf (wobei sowohl „Popmusik“, als auch „experimentelle Musik“ als nicht-kommerzielle Genres verstanden werden sollen)?
Ich weiß nicht, ob mir jetzt spontan gleich drei solcher Dinge einfallen werden, aber auf jeden Fall Hiphop. Ich finde, dass Hiphop unser Verständnis vom Gebrauch unserer Sprache allgemein, fordert und weiter vorantreibt – auch was Beats und den Aufbau von Songs und deren Struktur anbelangt. Man muss sich nur mal Künstler wie Young Thug ansehen und seinen Track “Danny Glover” – der Klang seiner Stimme allein. Mir gefällt auch, wie im Hiphop Technologien eingesetzt werden, zum Beispiel Autotune. Wenn beispielsweise Künstler akustisch versuchen das nachzuempfinden oder Künstler auf experimentelle Weise über das Autotune singen – dabei entstehen komplett neue, fremdartige Effekte. Also, ich würde mich auf Hiphop festlegen.

Und viele dieser Künstler bringen eine Menge Musik auf den Markt – allein mit den zahllosen Mixtapes, die veröffentlicht werden. Der Output ist riesig.
Absolut, jemand wie Lil B – das ist ja schon fast Stream of Consciousness. Mir gefällt auch, dass es diese Art seltsame Interludes gibt und ich lasse mich in meiner eigenen Arbeit etwas davon inspirieren, indem ich zum Beispiel dann gesprochene Worte als Interlude habe. Es verhält sich dann etwas wie ein Track auf einem Hiphop-Album, wo man einen großen Clubhit oder Poptrack finden würde, auf dem jemand im Keller sitzt und kifft und dessen Mutter dann im Hintergrund auf dem Anrufbeantworter zu hören ist – oder so in der Art. Es gibt also diese Art von Spiel mit dem Zuhörer, das in vielerlei Hinsicht dazu dient ihn auf das Medium an sich aufmerksam zu machen und ich finde das ziemlich cool.

Holly, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

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