Gregor Schwellenbach & Marcus Schmickler

Dialog der Fragen

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Francois-Xavier Roth, Wolfgang Voigt, Gregor Schwellenbach und Marcus Schmickler (von links) auf dem Weg zum Gürzenich Orchester. (Photo: Martina Goyert)

Mit der “City Life” Veranstaltung, die als Kooperation von Kompakt und dem Gürzenich Orchester zustande kommt, wird am kommenden Wochenende der spannende Versuch unternommen, die verschiedene Stränge elektronischer Musik zwischen Club und Musique concrète in einen produktiven Dialog zu versetzen. Wenn sich Gregor Schwellenbach, Marcus Schmickler, Wolfgang Voigt und das Gürzenich Orchester unter Leitung von Francois-Xavier Roth den Kompositionen von Steve Reich, György Ligeti, Edgar Varèse, John Adams und Pierre Charvet annehmen, geht es nicht um Grenzziehungen, sondern um die weichen Zäune künstlerische Zusammenarbeit.
Passend dazu baten wir Gregor Schwellenbach und Marcus Schmickler um einen Dialog der Fragen. 

 

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(Photo: Martina Goyert)

Gregor Schwellenbach: Marcus, wieviel stimmt von meiner romantischen Vorstellung, dass es eine goldene Zeit in Köln gab, in der sich die experimentellen Musiker aller Genres füreinander interessierten und sich abends gegenseitig ihre Platten vorspielten
Marcus Schmickler: Es ging natürlich etwas cooler zu. Das Liquid Sky etwa war ein Club, in dem, fein nach Abend getrennt, ganz unterschiedliche Sachen laufen konnten und dennoch alle eine gute Zeit hatten. Die a-Musik Leute, mit denen ich vor allem abhing, haben damals Autechre mit Parmegiani und Filmvertonungsplatten gemixt und japanischen Krach mit Luc Ferrari und Hawtin. Diese Gegensätze haben sowohl als Warm-Up als auch in Afterhour-Sets und auf Technopartys gut funktioniert. Das war für jemanden mit einem Post-Fluxus Turntablism-Musikverständnis genauso plausibel wie für jemanden, der vom Scratchen und Auflegen herkam. Natürlich gab es einige, die mit experimentellen Ansätzen überhaupt nichts anfangen konnten und in House und Techno eine Weiterentwicklung von Pop sahen. Auch die zeitgenössische, sogenannte E-Musik-Szene hat das kaum registriert – diejenigen, die auftauchten, fanden es eigentlich immer zu laut und scheinbar zu wenig dialektisch.
Die Einheit einer an sich diversen Szene hat es also nie gegeben – völlig falsch ist diese Vorstellung wiederum auch nicht. Denn viele merkten, dass etwas im Gange ist, dass vor allem auch nicht nur in Köln stattfand und uns mit dem da draussen verbindet. Leute mit unterschiedlichen Backgrounds konnten sich unabhängig von Genres auf die gemeinsamen Wurzeln und die damit assoziierten Diskurse elektronischer Musik einigen. Und vielleicht ist die elektronische Musik-Welle in Köln auch deshalb auf einen besonderen Resonanzraum getroffen, weil historisch im Rheinland zwischen Elektronischem Studio im NWDR und Krautrock bereits soviel stattgefunden hatte, was international nicht ohne Bedeutung geblieben war.

Marcus Schmickler: Gregor, wie hast Du denn diese Zeit wahrgenommen? Ist es richtig, dass dich diese Frage nach Genre weniger als Erfahrung von Zeit, Zeitgenossenschaft und Lifestyle, sondern eher aus der Perspektive als Instrumentalist interessiert? Wie schätzt du diese Entwicklungen ein?
Gregor Schwellenbach: Hintergrund meiner Frage ist die Sehnsucht, die ich in dieser Zeit nach Köln hatte. Nach Krautrock, Reggae und Freejazz hatte ich mit 18 klassische Musik entdeckt, nicht nur als Inhalt sondern auch als Style, als ikonischen Vorrat. Davor hatte ich in diversen Popbands gespielt, jetzt benutzte ich über-Interpretation-streiten, Cellistinnen-anhimmeln und schwarze-Anzüge-tragen, um mich ein bisschen wie Antoine Doinel in einem Truffaut-Film zu fühlen. Zum Studium bin ich ausgerechnet nach Hannover gezogen, und dort habe ich dann davon gehört, was gerade in Köln passiert. Ich las Magazine wie Spex und Debug – in der Musikhochschulbibliothek! – und dachte die ganze Zeit, dass ich schnellstens zurückkehren muss, um mitzumischen. Es hat dann eine Weile gedauert.
Als Instrumentalist sehe ich mich überhaupt nicht, eher als Komponist und Arrangeur. Ich denke musikalisch ungefähr wie ein DJ, Regisseur oder Kurator und benutze dann Instrumente, um meine Phantasien umzusetzen. Darum spiele ich auch viele verschiedene Instrumente, ohne je auf einem davon eine Solistenkarriere angestrebt zu haben. Mein Hauptinstrument im Studium war übrigens nicht Klavier sondern Kontrabass, und mein Diplom habe ich in Komposition und Tonsatz bekommen.

 

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(Photo: Martina Goyert)

Gregor Schwellenbach: Marcus, ich wüsste keinen anderen Komponisten mit akademischem Hintergrund, der so eine kredible Underground Coolness hat wie Du. Dabei wirkt Deine Musik durchaus intellektuell. Haben Nachtleben, Ausgehen, Tanzen, Knutschen und Drogen eine Rolle in Deiner musikalischen Entwicklung gespielt?
Marcus Schmickler: Danke für das Kompliment! Klar hat das Nachtleben für mich eine wichtige Rolle gespielt und spielt es hoffentlich auch weiterhin, indem dort interessante Musik entsteht. Ich bin damals wegen des Second Summer of Love und Acid erst mitsamt Home-Studio nach London gezogen, und mir war zunächst nicht klar, wohin mich das bringen sollte. Gleichzeitig war ich in Köln schon in interessante Projekte involviert und so kam ich nach einem knappen Jahr wieder zurück. Ich kann das gar nicht genauer ausdrücken, aber Nächte jenseits der “Scheiß-Raves”, wie Alec Empire die damals schnell kommerziell werdenden Events nannte, sind und waren ein wichtiger Erkenntnismoment für meine Vorstellung davon, was Musik leisten kann – für eine Community wie auch für jeden Einzelnen. Als teils ekstatischer, teils kathartischer Kipp-Punkt für Beziehungen zu anderen und zu sich selbst. Zugegeben bin ich meistens früher nach Hause gegangen, weil ich ja am nächsten Tag wieder ins Studio wollte anstatt drei Tage lang durchzufeiern, aber ich könnte sogar anhand einzelner Produktionen nacherzählen, wodurch diese Erfahrungen, ja sogar meine Vorstellung von Musik ins Wanken geraten ist. Und das war gut so. Die zeitgenössische Musik habe ich parallel zu alldem entdeckt, deren Andersartigkeit der Sounds, deren Konsequenz hat mich beeindruckt. Ich habe erst im letzten Herbst bei Unsound nach Shackleton und vor RP Boo gespielt und das Publikum hat diesen inhaltlichen Stretch absolut großartig aufgenommen.

Marcus Schmickler: Gregor, wie ist das denn für dich mit dem Nachtleben, klassische Musiker sind ja so diszipliniert und müssen immer üben…  Was, denkst Du kann so ein Dialog mit der Musik, die Gürzenich spielt, leisten?
Gregor Schwellenbach: Diese Disziplin der klassischen Musiker finde ich sehr romantisch. Die hat ja mit Einsamkeit zu tun, und mit dem Paradox ein kontrollierter, scheinbar braver Typ zu sein, um am Ende maximale Leidenschaft zu kanalisieren. Ich selber bin von der Disziplin nicht so betroffen. In der Welt der traditionellen klassischen Musiker fühle ich mich sehr vertraut aber nicht daheim, und ungefähr genauso geht es mir mit elektronischer Tanzmusik. Ich gehe gerne aus, meistens alleine, und schätze Clubs und Clubmusik als Mittel, sich nonverbal seiner Andersartigkeit zu versichern, sowohl als Gruppe im Verhältnis zu Rest der Gesellschaft als auch als Einzelner im Verhältnis zur Gruppe. Super auch, wenn es sich so anfühlt als kann tatsächlich alles passieren bevor es wieder hell wird, vom totalen Identitätsverlust über Diskussionen über Biologie und Verkehrspolitik bis zu spontanem Aufbrechen ans Meer – und natürlich wenn mir allein von der Musik der Mund offen stehen bleibt und ich es nicht fassen kann.
Die Musik, die das Gürzenich Orchester in der Wassermannhalle spielt, scheint mir gar nicht so weit weg davon. Das Programm bietet genau die Aspekte moderner Musik, die Clubgängern und Freunden elektronischer Musik sofort einleuchten müssen. Es entzieht sich nicht dem Zugang, sondern ist sofort auf eine physische Weise überzeugend. Es geht sehr viel um autonomen Klang und um Kraft, auch um Provokation, dazu um Repetition, Groove und Sampling-Ästhetik. Und mit Wolfgang und Dir sind Elektronik Künstler vertreten, die auch strengen Freunden Neuer Musik genug Gründe bieten, in die Tiefe zu hören.
Ich glaube, dass das Konzert offene Türen einrennen wird, da sich das Programm nicht anbiedert, keine vermeintliche Annäherung durch Niveauverweigerung betreibt, sondern auf die gleiche Lust auf Interessantheit setzt, die eine sympathische Schnittmenge aus Konzertbesuchern beider Traditionen empfinden. Ich selber warte seit Jahren auf diese Selbstverständlichkeit.

 

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(Photo: Martina Goyert)

Gregor Schwellenbach: Marcus, bei Deinen Auftritten zelebrierst Du maximale Bewegungslosigkeit. Bedienst Du unmerklich die ganze Zeit Deinen Computer oder spielst Du größtenteils vorbereitete Abläufe ab? Nein, ich will das lieber gar nicht wissen!
Marcus Schmickler: Was denn, möchtest Du es nun wissen oder nicht? (In letztem Fall müsstest du JETZT aufhören weiterzulesen!)
Meine Konzerte laufen tatsächlich relativ unterschiedlich ab. Manchmal weiß ich bis zum Moment, an dem ich auf der Bühne stehe und den ersten Key bediene, nicht was kommt, der Abend wird komplett improvisiert. Bei anderen Konzerten steht alles fest und ich erstelle live einen Mix, arbeite am Sound und an der Verräumlichung, diese Aspekte sind für mich alle vergleichbar wichtig. Das ist ja quasi dasselbe wie bei notierter Musik, wo Stücke fertig komponiert am Abend vor Publikum interpretiert werden. Natürlich ist ein Auftritt immer kodifiziert. Wie und wo der/die MusikerIn steht oder sitzt, erzählt dem Publikum etwas über eine Haltung, das lässt sich nicht vermeiden. Ob man sich nun vorn hinstellt oder abwendet, ob es hell oder dunkel ist, ob man im Publikum sitzt oder die Nebelmaschine anwirft und so weiter. In meinem Falle sind Lautsprecher nicht nur ein Wiedergabesystem, sie sind mein Instrument. Sie klingen aus verschiedenen Richtungen, ihr Zusammenspiel hört man im Publikum am besten, das ist auch ein Argument für mich, manchmal von dort aus zu performen. Die Bewegungslosigkeit habe ich mir weder von Kraftwerk abgeschaut, noch hat es mit dem Anti-Künstler, Anti-Rockstar-Verständnis zu tun. Mit Interfaces wie Elektroharfen, Sensoren und Ähnliches weiß ich einfach wenig anzufangen – da scheint eine kunstgewerbliche Praxis durch, es findet schon so viel Übersetzung statt. Ich finde es auch keine Bereicherung, ganz tacky meinen Screen zu projezieren. Seht mal, wie toll ich Live-code oder Emails lese. Mein Instrument ist einfach ein Computer, den ich mit einer Tastatur bediene. Ich denke, es geht mehrheitlich um das Hören.

Marcus Schmickler: Gregor, wie findet man als Pianist seine eigene Stimme bei all dem historischen Ballast? Und wie gehst du damit um, dass du so viel geübt hat, viele anspruchsvolle Stücke draufhat und nun ist die Musik so vermeintlich einfach?
Gregor Schwellenbach: Der zweite Teil der Frage ist leicht: Virtuosität interessiert mich überhaupt nicht, da bin ich so sehr von Punk erzogen wie jeder Leser hier. Einem Klassiker würde ich es so erklären: Die Komplexität von Stockhausen oder Boulez amüsiert mich, aber die Einfachheit von Feldman oder Cage liebe ich.
Wie ich meine eigene Stimme finde, ist dagegen eine Frage, die ich mir wohl mein Leben lang stellen werde. Aber ich habe Hoffnung: Bevor ich unter meinem eigenen Namen Musik veröffentlicht habe, war ich lange Komponist für Theater, Hörspiel und Fernsehen. Da habe ich mir bei jeder Produktion Mühe gegeben, frei von Ego nur für den Bedarf des jeweiligen Projekts zu komponieren, und dabei jedes mal einen möglichst anderen Ansatz zu wählen. Mit etwas Abstand liess sich trotzdem ein wiedererkennbarer Sound, ein roter Faden feststellen, und das ist mein Charakter, der sich gegen jede Absicht Bahn bricht.
Einen sehr verwandten Charakter meine ich übrigens auch in vieler Elektronischer Musik – gerade aus Köln – wiederzuhören. Und damit zum Klavier: Ich nutze es gerne als Abstraktion, als Instrument, mit dem sich imaginierte Musik in reduzierter Form darstellen lässt. Um zu überprüfen, wie sich der Charakter verändert, wenn ich die Musik auf Tonhöhen und Rhythmen reduziere und dabei mit Hochkulturreferenzen kokettiere. Manchmal komme ich so auf interessante Ideen und ein transkribiertes Motorengeräusch oder ein Acidtrack bringen mich auf ein Klavierstück, das niemand sonst so schreiben würde.

 

City Life – Ein Abend für Kammerorchester und digitale Elektroniker
mit Werken von: Steve Reich, György Ligeti, Edgar Varèse, John Adams und Pierre Charvet.
unter Mitwirkung von: Marcus Schmickler, Gregor Schwellenbach, Wolfgang Voigt sowie dem Gürzenich Orchester unter Leitung von Francois-Xavier Roth und mit Violist Florian Seelmann.
26./27. Februar 2016, Wassermannhalle Köln
http://www.guerzenich-orchester.de/konzert/city-life/182/

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