Keine Zähne in Australien

“Die Seekuh ist zur Aggression nicht fähig” – interna im Interview

30. November 2023,

Die Auflösung der schillernden Kieler Knister-Punk-Band “Keine Zähne im Maul aber La Paloma Pfeifen” hat auch über eine nerdige Big-Styler-Bubble ein ziemliches Loch hinterlassen. Doch wenn man ein bisschen genauer auf das Hier und Jetzt blickt, lässt sich mehr als nur ein kleines Comeback konstatieren. interna (kleines i, soll so!) besteht zumindest aus Teilen jenes untergegangen Kult-Acts und enthält ebenso Spuren der Band “Sie kamen Australien”. Unser Autor Marc Wilde klopft hier nun Gemeinsamkeiten und Unterschiede ab.

Vor sechs Jahren versetzte mir die Nachricht „KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN hat ausgepfiffen“ einen Stich. Unter dieser Überschrift gab die Band mit pfiffigem Namen ihr Ende bekannt. Was habe ich dieses versteckt im kulturellen Untergrund vor sich hin funkelnde Trio geliebt! Für ihren elektronisch verzierten Punkrock. Für herausragende, teilweise epische Songs, die einen auch textlich packten („Und ich bin konvertiert / Ich bin übergelaufen / Ich habe den Schafen kondoliert / Und war am gleichen Abend mit den Wölfen saufen“). Dafür, dass sie Genregrenzen mit nicht mehr als einem norddeutschen Achselzucken quittierten.

Die beiden Sänger und Gitarristen Steffen Frahm und Jochen Gäde wechselten sich mit individueller Note beim Songwriting genauso ab wie auf der Bühne in der Leadposition. Lars „Stulle“ Stuhlmacher klemmte sich seinen Bass knapp unters Kinn und machte nicht nur optisch klar, dass ihm althergebrachte Codes der Punkcommunity am Arsch vorbeigehen. Ob gewollt oder nicht: Ihren Spagat zwischen Flexibilität und Haltung haben sie mit dem Album-Titel „Die Biellmann-Pirouette“ treffsicher ins Bild gesetzt.

Wer ein solches Kleinod einmal für sich entdeckt hat, fühlt sich lost, wenn es einem abhandenkommt. Und hofft, dass es nach dem Bandsplit vielleicht doch noch irgendwann weitergeht. Für die Fans von KZIMALPP hat sich die Hoffnung in diesem Jahr erfüllt – zumindest in Teilen. Bereits zu Corona-Zeiten hatten sich Steffen und Stulle mit dem Schlagzeuger Simon Falk zusammengetan und gemeinsam an Songs gearbeitet. Im Mai erschien die erste interna-Single „In der Terrassenwelt“, inzwischen hat die Band mit „nach außen konziliant“ ihr Debutalbum bei Waldinsel Records vorgelegt.

„Zwei Drittel Sie kamen Australien, die anderen zwei Drittel Keine Zähne Im Maul Aber La Paloma Pfeifen,“ heißt es in der Presseinfo des Labels. Dass die krumme Rechnung mit drei Leuten aufgeht, liegt an Stulle, der in beiden Bands Bass gespielt hat. Geteilt wurde damals auch der Proberaum. Was interna sonst noch verbindet, wie alles anfing und worauf sie aus sind, habe ich die drei Weggefährten im Zoom-Interview gefragt.

Zwei Drittel plus zwei Drittel ergibt mehr als ein Ganzes. Könnt ihr dieses Mehr in Worte fassen?

Steffen: Es ist einfach so, dass die Chemie zwischen uns stimmt. Wir waren ja auch schon über Eck miteinander eingespielt, noch bevor es die Band überhaupt richtig gab. Stulle und ich haben vor 25 Jahren angefangen, gemeinsam Musik zu machen. Da ist eine Menge zusammengewachsen, menschlich und musikalisch. Und das gilt für Lars und Simon ja auch, die etliche Jahre mit Sie kamen Australien unterwegs waren. Und wenn diese drei Leute zusammenkommen, dann klingt das, was entsteht, tatsächlich nach mehr als nur die Summe ihrer Teile.

Simon: Hinzu kommt, dass wir zwar alle vorher in Trios aktiv waren, beide Bands aber im Prinzip auditiv von einem vierten Mann besetzt waren. In dem Set-up haben wir uns jedenfalls, teilweise über zehn Jahre hinweg, musikalisch ausgebreitet. Es gab immer diese elektronische Komponente, wir haben viel mit analogen Synthies gearbeitet. Jetzt fanden wir es spannend, back to the roots zu gehen und den wenigen Instrumenten, die wir haben, mehr Raum zu geben.

Stichwort „Referenzen“, beliebtes Thema eines jeden Bandinterviews. In der Presseinfo beschreibt ihr euren Sound „als Mischwesen aus reduziertem Rock und Postpunk mit Einstrahlungen aus Noise, Gallium, Disco, IKVD, Naerz und x-beinigem Funk“. Dabei kann es sich ja wohl nur um eine perfide Verwirrungstaktik handeln, um die Einordnungsversuche des Musikjournalismus zu unterlaufen, oder?

Steffen: Ja, stimmt, das ist natürlich Quark und habe ich mir nur ausgedacht. Ich finde Presseinfos schreiben auch eine schwierige Sache. Als Band von sich zu sagen, ich bin von diesem und jenem beeinflusst hat immer etwas Lächerliches. Klar ist niemand unbeeinflusst, aber das ist bei uns in der Gegenwart nicht manifest. Vielleicht noch am ehesten bei mir, wenn ich mal versuche, ein Stück im Stil von x, y oder z zu schreiben. Aber das geht dann meistens daneben.

Stulle: Als es bei uns losging und die ersten Ideen zirkulierten, kamen verschiedene Befindlichkeiten zusammen, auch musikalische Wünsche, Ausdrucksformen, die angestrebt oder gedacht wurden. Auf der einen Seite wollten wir, wie Simon gesagt hat, mit mehr Luft in der Musik arbeiten. Auf der anderen Seite aber auch mehr Spielarten zulassen, die jeder einzelne von uns einbringt, so dass dann ein eigenes Vehikel daraus wird. Unser Motor ist, dass wir uns auf vielen Ebenen, ohne groß Worte verlieren zu müssen, verstehen.

Halten wir fest: Es geht dem neu formierten Trio offensichtlich nicht darum, den Reset-Knopf zu drücken und die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Steffen Frahm ist immer noch „in etwa derselbe geblieben“, wie es in dem Stück „MGUS young“ heißt. Weiterhin setzt er mit trockenen Hardrock-Riffs die musikalischen Akzente und schreibt Texte, aus denen die persönliche Bedeutung spricht, ohne dabei allzu offensichtlich vorzugehen. Lars Stuhlmachers Bassfiguren, die schon im Keine-Zähne-Im-Maul-Klangkosmos hell strahlten, verleihen auch den interna-Songs einen funkigen Touch. Neu hingegen ist der Wunsch nach Einfachheit: Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang. That’s it.
Wie wenig es braucht, um auf Touren zu kommen, machen schon die ersten Takte des Openers klar. „König Getriebe“ setzt nicht nur den Ton fürs Album und schüttelt den Albumtitel beiläufig aus dem Ärmel, das Stück lieferte auch den Startschuss zur Gründung der Band.

Steffen: „König Getriebe“ war unser erster Song, der aus einer Idee entstanden ist, die Simon mir zugemailt hatte. Da sprang der Funke sofort über, ich konnte das schnell weiterentwickeln und ihm zurückschicken. Das hat sich dann auch schon sehr nach einem Song angehört und brachte die ganze Geschichte ans Rollen.

Simon: Es war ziemlich schnell klar, dass, wenn so ein toller Song innerhalb kürzester Zeit entsteht, dann müssen wir erst einmal weiterbohren. Wir sind dann auch direkt mit Konzerten gestartet, obwohl wir noch gar kein richtiges Set hatten. Fotos gab es auch nicht, kein Bandlogo, keinen Schriftzug. Diese ganze Selbstvermarktungsmaschinerie wollten wir auch erst gar nicht, das hatten wir satt. Aber dann hat sich das sehr schnell und organisch entwickelt, innerhalb von wenigen Tagen gab es das alles plötzlich.

Vom Text her hätte man denken können, dass „Im Schwimmbad mit den Boys“ am Anfang stand: Der Song lässt sich ja durchaus als Gründungsmanifest lesen.

Steffen: Das war auch ein früher Song. Textfragmente gab es allerdings schon zu „Keine Zähne“-Zeiten. Wir haben ihn dann als B-Seite für unsere erste Single ausgewählt.

Simon: Das mit der Single war auch wieder so eine Kurzschlussreaktion. Diesmal von unserem Labelbetreiber Kim Senger, der urplötzlich Sachen sagt wie „Ich will jetzt eine Single“. Und wenn der das sagt, klingt das auch schon beschlossen. Wir haben jedenfalls nicht nein gesagt. Dass es „Terrassenwelt“ werden würde, war schnell klar. Und dann wollten wir noch etwas Exklusives auf die zweite Seite packen.

Steffen: Ich hatte anfangs sogar die Idee, eine Stand-Alone-Single zu machen, mit zwei exklusiven Stücken, die dann beide nicht auf dem Album hätten landen sollen. Mir wurde jedoch von Kim zurückgemeldet, dass das unter Vermarktungsaspekten doch arg nerdig und weltfremd sei. Über eine exklusive B-Seite könne man aber reden. Ich finde die beiden Songs in der Kombination auch sehr gut zusammengestellt.

Als ich mir das Video angeschaut habe, kam mir der Gedanke, dass  mit „Schwimmbad“ euer Proberaum gemeint sein könnte. Stimmt das?

Stulle: Ja, genau richtig. Wir proben in einem gekachelten Raum, den wir für unsere Zwecke hergerichtet haben. Wenn man das alles wieder ausräumen würde, käme die Schwimmbad-Atmosphäre schnell zum Vorschein.

Wenige Zeit nach unserem Interview ist dieser Zustand tatsächlich wieder hergestellt. Unfreiwillig. Der Band wurde ihr „Schwimmbad“ gekündigt, wegen Eigenbedarf. Ein neuer Proberaum, „Der Turm“, wurde umgehend gesucht, gefunden und hergerichtet. Die Proben dienen interna vor allem dazu, an den Arrangements zu feilen und Kleinigkeiten auszuarbeiten. „Wir sind keine Band, die im Übungsraum jammt und darüber zu tollen Songs kommt“, sagt Stulle. „Die Ideen entstehen eigentlich zuhause. Der erste Impuls kommt dabei aus allen drei Richtungen. Jeder von uns steuert Ideen bei, dann setzen die anderen zwei auf und es wird weiter daran gewerkelt.“ Diese Form des kollaborativen Songwritings ist zumindest für Simon neu, der bei Sie kamen Australien den Ansatz verfolgt hat, die Songs final zu arrangieren. Jetzt, sagt er, ginge es viel mehr um die erste Idee. „Du schickst eine erste Skizze in den Orbit und wartest, was auf der anderen Seite geschieht. Und dann kann es sein, dass etwas um die Ecke kommt, mit dem du gar nicht gerechnet hast: eine verschrobene Gitarre, eine Beat-Gitarre oder was auch immer. Damit fahren wir ganz gut.“

So lässt sich vielleicht auch erklären, warum trotz der reduzierteren Instrumentierung auf dem Album nicht alles gleich klingt. Es gibt klar im Punkrock beheimatete Songs, die nach vorne preschen („Kleine Kinken der Besinnlichkeit“, „Bring es heim“), aber auch einige ruhigere Momente wie bei „MGUS young“, ein Stück, das auch in textlicher Hinsicht hervorsticht und sich mit der Vergänglichkeit und Schicksalshaftigkeit des Seins auseinandersetzt, zwischen den Gefühlswelten pendelnd: „Der Feldweg des Lebens ist enger geworden / Die Zweige peitschen mir ins Gesicht / Wenn ich ihn geh. Ich fahre dem Tod auf meinem Fahrrad davon / Und heute Morgen hat die Zukunft von vorne begonnen.“

Wer auf der Suche nach dem roten Faden ist, wird ihn bei interna nicht finden. Immer wieder stößt man in dem rockigen Grundmuster auf kleine Widerhaken oder – um im norddeutschen Idiom der Band zu bleiben – „Kinken“, womit in der Seemannssprache ein „ungewollter Rundtörn beim Tauwerk“ (www.modellskipper.de) gemeint ist. Einfacher ausgedrückt: ein Knick in der Leine. Nicht immer sofort eingängig sind die Phrasierungen beim Gesang („Autojugend Wolfsburg“), die Rhythmusfraktion arbeitet gern in komplexen Strukturen und die Texte sind manchmal klar, manchmal kryptisch. Zwischen zwei eher polternden, kurz gehaltenen Stücken platzieren die Kieler „Ich will offen für dich bleiben“ – ein „Monotonie-Manifest“, wie Schlagzeuger Simon sagt. Dabei reiten sie sechs Minuten lang mit einer zappeligen Bassfigur auf einem einzigen Gitarrenriff. Die proklamatorische Ansage „Hier kommt ein Part“ („Im Schwimmbad mit den Boys“) kann man wörtlicher kaum nehmen.

Simon: Wir wollten mit dem Stück auf den Boden kommen und gucken, was wir mit ganz wenig Mitteln machen können. Noch bevor wir überhaupt eine konkrete Songidee hatten, war klar, dass es etwas Monotones und Repetitives werden sollte. Untermauert wird das auch dadurch, dass nur einmal ein Refrain kommt. Es gibt auch keinen C-Part oder dergleichen. Ein schönes Duett, das wir uns da hinter die Kaschemme wemmsen.

Wie bedeutsam ist Vielfalt für euch im Unterschied zum Konzept einer einheitlichen Idee, die ein Album repräsentieren soll?

Steffen: Also bei Keine Zähne Im Maul Aber La Paloma Pfeifen fand ich das schon sehr ausgeprägt so, dass jedes Stück eigentlich einen Unikat-Charakter hatte. Das sind dann halt auch ein bisschen Wir. Dadurch, dass wir bei interna keine Elektronik dabeihaben, ist der Bandsound aber jetzt auch schon etwas geschlossener, finde ich. Es gibt keine tausende elektronische Sounds mit Fiepsen und Flashen. Und der Rest ergibt sich dann aus der Idee und was wir daraus machen. Wenn es dann ein bisschen divers wird, ist das halt so.

Stulle: Über die Idee, dass ein Album homogen sein muss, bin ich schon lange weg. Ich bilde mir auch ein, dass die Musiklandschaft da offener geworden ist. Platten, auf denen Songs drauf sind, die teilweise rausfallen, finde ich persönlich auch interessant. Und manchmal hat es auch einfach pragmatische Gründe: Es müssen zehn Songs aufs Album, wir brauchen Spielzeit, zack die Nummer ist geil, kommt drauf.

Wie ist es denn bei den Texten in punkto Geschlossenheit? Es sind ja durchaus wiederkehrende Motive zu erkennen: Praxis, Pillen, eine Verabredung mit dem Tod. In einem Stück ist vom „türkisen Kittel“ die Rede. Gehört der auch in diesen Kontext?

Steffen: Der türkise Kittel ist tatsächlich ein OP-Kittel, den ich getragen habe. Aber nicht als Operateur, sondern als Patient. Es ist schon so, dass ich in einigen Texten persönliche Geschichten aus den letzten drei bis vier Jahren verarbeite, die – ohne da jetzt ins Detail gehen zu wollen – nicht ganz ohne waren. Darüber hinaus arbeite ich seit 25 Jahren in der Psychiatrie, zwar nicht im Krankenhaus, aber in der Gemeindepsychiatrie, das heißt in der ambulanten Betreuung. Das nimmt natürlich viel Platz in meinem Leben ein und diese Erlebnisse sind auch zwangsläufig in irgendeiner Form in meinen Texten präsent – das geht auch gar nicht anders.

Die Texte sind nicht immer leicht zu deuten. Gehört das zu deinem Ansatz, Persönliches zu verschlüsseln oder so zu schreiben, dass man sich als Hörer sein eigenes Bild machen soll?

Steffen: Also, ich nehme mir jetzt nicht vor, Texte absichtlich zu verrätseln. Die entstehen halt meist assoziativ und sind dann wie sie sind. Nimm einen Text wie „König Getriebe“, wo mein berufliches Umfeld ja auch eine Rolle spielt. Da sind teilweise über Jahre hinweg gesammelte Erlebnisse, Gefühle oder Statements von Leuten, die ich kennen gelernt habe, eingeflossen. Wenn ich das jetzt aber irgendwie nachvollziehbar darstellen würde, dann wäre es kein Songtext mehr.

Der Text hat mich erst auf eine falsche Fährte gelockt. Hier geht es ja mit „Getriebe“ nicht um Autos und Motoren, sondern darum, wie es sich anfühlt, ein „Rädchen im Getriebe“ zu sein. Ist es das, was du in deiner Arbeitswelt erlebst?

Steffen: Ja, es geht da ums Funktionieren, vor allem im Beruf. Und dabei die ganze Zeit noch so nervig positiv sein zu müssen. Begriffe wie Resilienz und Achtsamkeit spielen eine Rolle. Immer schön achtsam sein, um glücklich auf dem Job sitzen zu können. Diese ganzen positiven Mindtrends, die uns bei einer immer weiter steigenden Arbeitsbelastung und dem eskalierenden Wahnsinn dann als Durchhalteparolen entgegengehalten werden, das finde ich schon sehr fragwürdig und halte es für vorgeschoben.

Da fällt es dann vermutlich schwer „nach außen konziliant“ zu bleiben. Sollte man seine Wut besser rausschreien oder kannst du der Konzilianz auch etwas Positives abgewinnen?

Steffen: Nach außen konziliant zu sein ist ja zunächst ein Sachzwang. Also im Arbeitsleben, aber auch hier auf dem Dorf. In der Auseinandersetzung mit meinem nachbarschaftlichen Umfeld zum Beispiel. Da muss ich schon ziemlich oft konziliant sein, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Was dann innen abgeht, sieht dann natürlich meist anders aus. Man kann das ja nicht 1:1 so raushauen. Dann kränke ich Leute und fange an, mich peinlich zu benehmen. Auf der anderen Seite musst du halt auch gucken, dass die Konzilianz nicht in so eine soziale Beliebigkeit ausartet. Das ist ein Spannungsfeld, in dem wir alle unterwegs sind, denke ich.

Neben den Songs mit gesellschaftskritischen und ernsteren Texten gibt es auch welche mit leichteren Inhalten. Wenn du zum Beispiel über die zwiespältige Liebe zu einem Instrument singst, einer Gitarre. Mit „Nashville Tennessee“ gibst du einen Hinweis, um welche es sich handelt. Vermutlich eine Gibson, aber was bedeutet „90, 39 / 17, 21“?

Steffen: Das ist die Seriennummer, die auf der Kopfplatte angebaut ist. Wenn du die auf dem Computer in eine Suchmaske eingibst, bekommst du raus, wann die Gitarre gebaut worden ist. Meine ist aus dem Jahr 1991. Die habe ich jahrzehntelang gespielt und zunächst dachte ich, das ist die tollste Gitarre, die es gibt. Aber schon während der „Paloma“-Jahre war ich permanent enttäuscht von diesem Instrument. Es gibt ja Typen, die über ihre Musikinstrumente reden, als wären es Lebewesen, zu denen sie so eine quasi-erotische Beziehung haben. Das wollte ich mit „2nd Golden Age“ in satirisch-autobiografischer Form thematisieren.

Und warum „2nd Golden Age“?

Steffen: Das bezieht sich auf die Neunziger Jahre. Es kursiert die Legende, dass Gibson in dieser Zeit ähnlich gute Gitarren gebaut haben soll wie in den Fünfzigern und Sechzigern. Wenn das so ist, dann ist meine Gitarre leider eine unglückliche Ausnahme.

In „Halbgott im Freizeithemd (Schwingkreis)“ geht es ums Reparieren und Wiederverwerten. Du erweist hier dem Handwerk die Ehre, Leuten wie „DJ Lötkolben“, die altes Technikzeugs wieder zusammenfrickeln und auf Vordermann bringen.

Steffen: Die Nummer handelt eigentlich von zwei Typen, die ich kenne. Zu dem einen bringe ich die verschiedensten Geräte, die nicht mehr funktionieren. Ein extrem verschrobener Geselle mit einer hohen Sachkenntnis. Und der andere ist ein Gitarrenbauer aus Kiel, von dem ich meine aktuellen Instrumente habe. Das sind restaurierte alte Gitarren – Instrumente, mit denen ich sehr glücklich bin. Also viel glücklicher als mit der Gibson.

Das Stop-Motion-Video zu dem Stück ist ja passend gewählt und sieht auch nach ziemlich viel Frickelei aus. Wie ist das entstanden?

Simon: Da muss man tatsächlich weit zurückgehen, noch vor die Zeit mit interna. Das Video war ursprünglich für einen Sie-kamen-Australien-Song geplant, ist aber nie fertig geworden. Das ist in Zusammenarbeit mit zwei Künstlern aus Kiel entstanden, Katharina Kierzek und Kai Niebuhr. In der damaligen Band waren aber nicht alle gleichermaßen überzeugt und dann ist das irgendwann im Sande verlaufen. Für unser aktuelles Video habe ich auf eine Szene aus der längeren Stop-Motion-Geschichte zurückgegriffen, die weiterbearbeitet und in den neuen Kontext gestellt. Ab dem letzten Drittel kommt der Halbgott ja auch vor und räumt auf.

Apropos Artwork: Die badende Seekuh auf dem Cover macht sich ja auch sehr gut. Wo kann man die denn bewundern?

Stulle: Das Bild ist im Tierpark Hagenbeck in Hamburg entstanden als ich dort mit meinem Sohn zu Besuch war, ein Schnappschuss. Als wir auf der Suche nach einem Motiv fürs Cover waren, kam mir das Foto beim Durchwühlen der Mediathek unter. Dann habe ich das einfach mal in die Gruppe reingereicht und alle fanden es gut.

Steffen: Zur Seekuh ist außerdem zu sagen, dass die Seekuh zur Aggression nicht fähig ist. Habe ich erst kürzlich bei Seekuhpedia gelesen. Und zwar, weil ich mich selbst vergewissern wollte, ob das Tier auf dem Cover unseres Albums eine Seekuh oder ein Walross ist. Und ich kann sagen: Es handelt sich um ein Walross.

Man lernt nicht aus. Letzte Frage: Ich kann euch nicht gehen lassen, ohne nach dem Bandnamen zu fragen. Denn was im Vergleich zu den beiden anderen Namen ja auffällt, ist, dass ihr die Humor-Ebene an diesem Punkt verlassen zu haben scheint. Hattet ihr keine Lust mehr auf witzige Bandnamen?

Stulle: Also aus meiner Sicht gibt es keinen besseren Bandnamen für uns als diesen. Oder keinen treffenderen, denn das ist, was wir tun: Wir geben interna preis. Simon, Steffen und Lars erzählen aus ihren drei Welten. Das sind interna, die nach außen dringen. Zudem finde ich, dass der Name gut klingt. Und er lässt sich auch typografisch sehr gut darstellen, da kommt vieles zusammen.

Steffen: Der Name trägt auch das „nach außen Konziliante“ in sich, finde ich.

Simon: Es hatte jedenfalls nichts damit zu tun, dass wir uns von irgendwelchen Bandnamen lösen wollten. Es hätte auch genauso gut wieder ein langer Name werden können. Wir hatten eine ganz nette Auswahl, treffen unsere Entscheidungen aber immer ziemlich flott. Es gab da sehr schnell einen Konsens.

Stulle: Ich kann dazu noch sagen, dass ich über die Jahre immer mal wieder Ideen für Bandnamen notiert habe. In einer Kladde, und in die habe ich reingeguckt als wir uns mit der Frage beschäftigt haben. Und dann ist es interna geworden. Ich finde auch, der ist altersentsprechend. Wir sind ja keine 20 mehr.“

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