Interview – Robert Stadlober

Robert Stadlober: “Hier geht es eher um die Menschen, welche die Augen verschließen vor den Realitäten des Lebens und dann in die deutschen Romantik flüchten.”

Robert Stadlober (Photo: Lars Dreiucker)

Auf seinem neuen, wirklich toll zurechtgemachten Album „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ hat Robert Stadlober, der sonst vor allem als Schauspieler bekannt ist, verschiedene Gedichte des linksgeprägten Schriftstellers Kurt Tucholsky vertont und zu wundervollen Lieder verwandelt.

Dadurch liefert Stadlober einen frischen Zugang zu dem bedeutenden Werk dieser Autorenlegende. Im Interview mit Kaput sprach er unter anderen über seine Beziehung zu Tucholskys Gedichten, deren Relevanz für die heutige Zeit und die Frage, ob das Publikum noch Spaß an hochwertiger Kunst hat.

 

Was waren deine ersten Berührungspunkte mit dem Werk von Kurt Tucholsky?

Robert Stadlober: Teile meiner Familie kommen aus Ostberlin, da stand Tucholsky immer ziemlich präsent im Regal. Gerade im Osten Deutschlands gehörte das einfach zum Kanon, also war Tucholsky immer Teil meines Lebens. Die tatsächliche Tiefe seines Werks ist mir aber erst in der Beschäftigung mit dem Projekt klar geworden; das hatte auch etwas damit zu tun, dass ich vor zwei Jahren in dem Kinofilm „Führer und Verführer“ Joseph Goebbels gespielt habe und diesen Mann bzw. seine Gedanken wieder loswerden musste. Rückblickend sieht das alles sehr stringent und logisch aus: Es gab damals eine Anfrage, ob ich nicht einen Tucholsky-Abend in Stuttgart machen wollen würde. Dann habe ich gedacht – nachdem ich vor drei Jahren schone eine Platte mit vertonten Gedichten gemacht habe –, dass ich für diesen Abend nicht nur vorlesen würde, sondern aus ein paar Gedichten kleine Lieder machen könnte, um das Ganze ein bisschen aufzulockern. Innerhalb von ein paar Wochen hatte ich plötzlich acht, neun Songgerüste. Auf einmal strukturierte sich da ziemlich organisch ein Abend; obwohl ich dachte, dass Stuttgart und Tucholsky eigentlich gar nicht so zusammenpassen würden. Dort war dann aber ein ziemlich gemischtes Publikum und es kamen viele Leute zu mir, die meinten: Das war genau das, was wir gebraucht haben, und hat uns irgendwie Hoffnung gegeben. Dann hatte ich erst verstanden, was Tucholsky bei vielen Menschen mit verschiedenen Hintergründen auslösen kann. Erstmal habe ich dann nochmal zwei, drei Konzerte drangehängt, bis ich dann beschlossen habe, daraus etwas Größeres – also ein Album – zu machen. Die Platte habe ich im vergangenen Jahr gemacht, immer mal wieder an freien Vormittagen. Das war alles so total zwanglos und organisch. Oft ist das nicht so, wenn man solche Projekte angeht, aber in diesem Fall ist das ziemlich frei aus mir rausgeflossen.

Robert Stadlober (Photo: Lars Dreiucker)

Gab es eine konkrete Idee, mit was für einer Art von Musik man diese Gedichte kombinieren könnte?

Geschrieben habe ich mit der Gitarre und einem Buch auf dem Schoß. Ich hab darin rumgeblättert und geguckt, was mich anspringt; und was auf der Gitarre gerade so passiert. Das war ganz intuitives Songwriting. Das waren die ersten, die sich tatsächlich einfach ergeben haben. Bei zwei, drei Gedichten – zum Beispiel “Augen in der Großstadt“ oder “Zuckerbrot und Peitsche“ –, habe ich konzeptueller überlegt, was da musikalisch passieren kann. Aber bei den meisten anderen ist es tatsächlich einfach aus mir geflossen. Im Studio haben wir erstmal alle Basic Tracks nur mit einer alten Gitarre, die ich mir irgendwann mal vor 20 Jahren in Mexiko gekauft habe, und meiner Stimme aufgenommen. Dann habe ich überlegt, was noch dazu passen könnte: Im Studio hatten wir eine ziemlich interessante Sammlung an absurden Instrumenten. Das meiste hat gepasst. Ich bin echt kein Esoteriker, aber ich hatte das Gefühl, eine Art Geist hat das so beeinflusst, dass alles ineinander gefallen ist. Die Ereignisse der letzten Jahre, die auch politisch schwierig waren, haben das alles mitgeformt, glaube ich.

Wie sah der Auswahlprozess der Gedichte aus? Hattest du dabei bestimmte Kriterien?

Das waren tatsächlich einfach die, die mir am besten gefallen haben. Das Gedicht „’S’ ist Krieg“ habe ich einen Tag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgeschlagen, ganz zufällig. Dieses Lied kam dann selbstverständlich, weil ich dadurch natürlich aufgewühlt war. Es gibt auch eine inhaltliche Stringenz auf der Platte, denn es geht vom jugendlichen Überschwang über die Melancholie des mittleren Alters bis hin zum erlösenden Ende.

Im Song/Gedicht „An das Publikum“ heißt es: „Sag mal, verehrtes Publikum/Bist du wirklich so dumm?“. Glaubst du, dass die Menschen heute noch Interesse an qualitativ hochwertiger Kunst haben?

Ja, glaube ich. In dem Gedicht geht es letztendlich um eine eine Solidarisierung mit dem Publikum, was in Anführungszeichen für dumm gehalten wird – durch die Entscheidung einiger, sagen wir, Gatekeeper. Und ich glaube schon, dass viele Menschen nicht die Zeit und die Muße haben, sich permanent mit der richtigen oder guten Kultur auseinanderzusetzen, weil sie andere Dinge zu tun haben; wie zum Beispiel dafür zu sorgen, dass das Geld reinkommt, um sich eine Wohnung leisten zu können. Die Verantwortung dafür, dass die Kultur auch eine gewisse Qualität hat, liegt bei Kulturschaffenden – und vor allem bei den entscheidenden Personen, welche die Kulturschaffenden mit Geld versorgen. Wenn man ein Volk oder eine Gesellschaft haben möchte, die reflektiert in einer freien Demokratie miteinander umgeht, dann muss man das auch kulturell fördern. Das heißt nicht, dass es irgendeine statistische Zwangskultur geben muss, aber man sollte den Leuten schon mehr zumuten als irgendwelche Shows auf RTL. Ich glaube jedenfalls, dass niemand per se dumm ist. Es hat mehr damit zu tun, womit man sich beschäftigt. Und wenn du auf allen Kanälen die ganze Zeit mit Schwachsinn zugeballert wirst, dann wird dein Horizont irgendwann nunmal aus Schwachsinn bestehen. Es hat eben nicht jeder die Zeit, ständig durch irgendwelche Bücher zu wälzen. Also wäre es sinnvoll, wenn man auch mal etwas Anspruchsvolleres sendet, mehr als nur bloße Unterhaltung. Ich glaube, dass dadurch auch eine andere Form von gesellschaftlichem Miteinander entstehen würde. Das banalste Beispiel ist Formatradio: Wenn du von morgens bis abends immer nur die gleichen zehn Lieder sendest, dann werden die Leute irgendwann auch keine andere Musik mehr hören können; weil Kultur tatsächlich etwas mit Schulung oder zumindest mit Gewöhnung zu tun hat. Wenn den Leuten ab und zu etwas Anspruchsvolleres zugemutet werden würde, dann würde die Schwelle des Verständnisses auch höher gehen.

Auch in „Zuckerbrot und Peitsche“ steckt eine Kritik am Eskapismus – und ein Wunsch nach mehr Gesellschaftskritik, oder?

„Zuckerbrot und Peitsche“ ist eine klare Kritik am Bildungsbürgertum. Da geht es nicht um die ‚kleinen Leute‘, über die ich gerade gesprochen habe. Hier geht es eher um die Menschen, welche die Augen verschließen vor den Realitäten des Lebens und dann in die deutschen Romantik flüchten. Aber irgendwann sollte man sich überlegen, ob man tatsächlich nur über den letzten Saufabend schreiben will – oder ob man da vielleicht noch eine Ebene reinbringen kann, die den letzten Saufabend gesellschaftlich so einordnet, dass ein gewisser Mehrwert für die Menschen entsteht. Es geht nicht darum, den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben. Aber man sollte durchscheinen lassen, was die eigene Haltung zur Welt ist.

Robert Stadlober (Photo: Lars Dreiucker)

Als abschließende Frage: Warum findest du, dass das Werk von Tucholsky heute so relevant ist? Und was kann man von seinen Gedichten lernen?

Im Vergleich zu seinen Zeitgenossinnen zeichnet Tucholsky eine Offenheit gegenüber dem Anderen, dem Neuen aus aus. Er war ideologisch nie vermauert, hat sich jede politische Kraft angeschaut und ist nach drei Monaten wieder abgehauen, weil ihm alles zu festgefahren war. Tucholsky har seine Meinung oft auf progressive Weise verändert, indem er immer mehr über die Welt erfahren hat. Wenn man irgendwie in einer politischen Linie festgefahren ist, dann ist man auf dem direkten Weg in den Totalitarismus. Die Welt entwickelt sich permanent weiter, die Leute um einen herum verändern sich. Dementsprechend muss sich auch die politische Haltung zur Welt verändern. Das feiert Tucholsky geradezu ab. Außerdem hat er eine unglaubliche Neugier: Beim Faschismus zieht er eine klare Grenze – da ist Schluss –, aber bis dahin interessiert ihn erst mal jede Meinung. Das finde ich total toll. Deswegen passt er auch so gut in unsere Zeit: So viele Dinge verhärten sind und das meiste Neue wird sofort mit etwas Schlechtem verbunden. Alle haben Angst davor, was als nächstes kommt. Aber Tucholsky, der wirklich in schlimmeren Zeiten gelebt hat als wir, sieht hinter jeder Ecke erstmal das potenziell Bessere. Daraus kann man total viel lernen. Das gibt einem Hoffnung.

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