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WE BETTER TALK THIS OVER

WE BETTER TALK THIS OVER #6: „BEATLES FOR SALE“ VON THE BEATLES (1964)

 

„WE BETTER TALK THIS OVER” IST DIE KAPUT-KOLUMNE VON LENNART BRAUWERS, IN DER UNTERBEWERTETE, OFT ÜBERSEHENE (ODER GAR VERHASSTE) ALBEN GEFEIERTER BERÜHMTHEITEN BESPROCHEN UND NEU EINGEORDNET WERDEN. SCHLIESSLICH KANN SICH DER BLICK AUF MUSIK VERÄNDERN, JE ÄLTER SIE WIRD. ALSO: EXTREM VIEL GROSSARTIGES FINDET ZU UNRECHT KAUM BEACHTUNG – DARÜBER SOLLTEN WIR NOCHMAL REDEN.

„I’m a loser, always been“ – This Is Lorelei im Song „Dancing in the Club“ (2024)

Gehört zu meinen liebsten Hilfsmitteln beim Totschlagen von Zeit: Interviews gucken. Wenn eine (meist kunstschaffende) Person mich wirklich interessiert, hab ich absolut kein Problem damit, ihr stundenlang beim Labern zuzuhören/-schauen. Klar, das Internet wirkt grenzenlos, doch irgendwann scheint man die Fülle an Interviews mit – sagen wir – Sir Paul McCartney ausgeschöpft zu haben.

Glücklicherweise gibt’s vor allem ein Video, das ich immer wieder gerne sehe: Wir schreiben das Jahr 2009, McCartney ist zu Gast bei der Late Night Show von David Letterman. Beide wirken gut gelaunt und machen Witze über unser aller Lieblingsmensch, Ringo Starr. Schon zu Beginn scherzt McCartney, ihm würde Lettermans Show nicht gefallen, später geht es natürlich um den ersten US-Auftritt der Beatles im Jahr 1964, die „Paul Is Dead“-Verschwörungstheorie, McCartneys Business-Auseinandersetzungen mit Michael Jackson. Macht Spaß, comfort food. An einer besonders aussagekräftigen Stelle sagt Letterman im Bezug auf The Beatles, dass ihre frühe Karriere für ihn wie eine lange Ferienzeit aussah. „Just like the best time four guys could ever have“, sagt er. McCartneys Reaktion wirkt zögerlich und verhalten, bleibt jedoch positiv: „Well, it certainly seemed like that… It was, uhm, it was definitely a… great thing“. Für einen Moment scheint es fast, als würde er sagen wollen, wie sehr Letterman im Unrecht ist. Dass der ganze Spaß natürlich Arbeit war. Sehr viel Arbeit.

Selbstverständlich ist es kein Zufall, dass „A Hard Day’s Night“, das erste LP-Meisterwerk der Band, schon im Titel auf harte Arbeit anspielt. „I’ve been working like a dog“, singt John Lennon im Titelsong (und spielt zwischen den Zeilen auch darauf an, dass hier erstmals jeder Song von Lennon/McCartney geschrieben wurde); schließlich waren The Beatles damals ein gigantisches und gefragtes Phänomen. Augenöffnend ist außerdem der dazugehörige, gleichnamige Film: In „A Hard Day’s Night“ werden die Verfolgungsjagden zwischen den vier Liverpoolern und ihren kreischenden Fans zwar so dargestellt, als hätten die Beatles hauptsächlich Spaß daran, doch gegen Ende des Films wird das Geschrei zum kompletten Fiebertraum. Die auslaugenden Fan-Interaktionen zwischen den Beatles und ihren obsessiven Anhängern war in „A Hard Day’s Night“ beziehungsweise für das generelle Image der Band nicht nur präsent, sondern Hauptbestandteil. Danach wäre jeder erstmal müde.

Womit wir zum zweiten Album kommen, welches The Beatles im Jahr 1964 veröffentlicht haben. „Beatles for Sale“ war ihre insgesamt vierte Platte in knapp 21 Monaten – das Tempo, in dem Musikacts ihre LPs veröffentlichten, war damals noch ein völlig anderes, dementsprechend mussten die Beatles schnell ein neues Album aufnehmen, das noch vor Weihnachten in den Regalen stehen sollte. Harte Arbeit also, außerdem war die Band zu diesem Zeitpunkt total erschöpft vom vollen Tour-Kalendar. Sie beeilten sich, die Aufnahmen zu „Beatles for Sale“ nahmen nicht viel Zeit in Anspruch; kein Wunder, dass im Albumtitel scheinbar darauf angespielt wird, die Beatles würden sich nur noch wie billige Verkaufsprodukte fühlen.

Doch trotz des Stresses und der daraus entstandenen Müdigkeit findet man auf dem oft übersehenen „Beatles for Sale“ essenzielle Highlights wie „Eight Days A Week“. Es ist einer ihrer allerbesten Songs, der mit seinen ebenso catchy-organischen wie ungewöhnlich-cleveren Akkordfolgen nicht nur das Adjektiv ‚Beatlesque‘ mitdefiniert, sondern mit Hilfe der Harmonien außerdem eine Geschichte erzählt. So liegt die Betonung auf einem runterziehenden Moll-Akkord, wenn die Gruppe in der Bridge die Worte „I love you“ singt. Ja, sogar zwischenmenschliche Beziehungen, also der Grundstein der liebessüchtigen „I Want To Hold Your Hand“-Gruppe, waren für die Band mittlerweile ermüdend. Das ist es, was eine 8-Tage-Woche mit dir macht…

So kaputt, wie die vier Musiklegenden auf dem Cover von „Beatles for Sale“ aussehen, wurde wenn überhaupt nur von Bruce Springsteen auf seinem Cover zu „Darkness on the Edge of Town“ (oder Kendrick Lamar auf seinem Cover zu „DAMN.“) getoppt. Der extrem wichtige Beatles-Produzent George Martin brachte den damaligen Gefühlszustand der Beatles mal auf den Punkt: „They were rather war weary during ‚Beatles for Sale‘. One must remember that they’d been battered like mad throughout 1964, and much of 1963. Success is a wonderful thing but it’s very, very tiring.“

Besonders für John Lennon waren Schlafen und Müdigkeit noch häufig Thema, oft ziemlich direkt: „I’m Only Sleeping“ (1966), „I’m So Tired“ (1968), „How Do You Sleep?“ (1971). Doch wirklich ausgepowert, vor Erschöpfung geradezu leidend klingt er vor allem in „No Reply“, dem großartigen Opener von „Beatles for Sale“. Es ist der traurigste Song, mit dem The Beatles jemals eine Platte begonnen haben. Aufgeweckten Lebensfrohsinn sucht man hier vergebens. Lennon setzt seine Stimme hier gedämpfter ein, während die Band – anders als am Anfang von „A Hard Day’s Night“ – nicht aus den Boxen knallt, sondern seicht angeschlichen kommt. Darüber, dass er keine Antwort kriegt, scheint Lennon sich im Songtext zu beschweren; denn wenn The Beatles immer irgendwas bekamen, dann eine lautstarke Reaktion. Doch bei wiederholtem Hören scheint er sich die Abwesenheit solcher Erwiderungen vielmehr herbeizuwünschen. „It got a little boring“, erzählte Lennon 1975 in The Tomorrow Show, als er auf das intensive Geschrei der Beatles-Fans angesprochen wurde. „It was great when it first happened, when you’d come on and there’d just be nothing but ‚whoaaaaaaa‘. But then we just became lip-synching, miming.“ Der Spaß am Erfolg? Futsch. Schon 1964, also ein Jahr nach dem Debütalbum „Please Please Me“ sehnte John Lennon sich nach Ruhe. Der Mann war bereits durch.

„Beatles for Sale“ ist ein unterbewerteter Einblick in Lennons Seele, mit all ihren Sensibilitäten, Komplexitäten und Problematiken: Dass er ein „Jealous Guy“ ist, hat der Sänger später selbst zugegeben, doch auf „Beatles for Sale“ wird das schon offensichtlich. Klar, auch „A Hard Day’s Night“ machte die Schattenseiten von Lennons Charakter deutlich (z.B. „You Can’t Do That“) – und mit „Run For Your Life“ sollte das Ganze im Jahr 1965 besonders ekelhaft werden –, aber auf „Beatles for Sale“ erreichten seine Eifersuchtsgefühle eine spannende, natürlich auch kontroverse Mehrdimensionalität. In „No Reply“ wird er von seiner Geliebten zurückgelassen und ignoriert; mit Recht, denn er kommt hier fast wie ein Stalker rüber, vor dem die weibliche Figur sich völlig zurecht versteckt. Sie schaut durch’s Fenster und zieht den Vorhang sofort wieder zu, als sie Lennon vor der Tür stehen sieht. Bitter – und krass, dass Lennon sich bewusst so darstellen wollte.

Auch im Highlight „I Don’t Wanna Spoil The Party“ wird Lennon alleine gelassen, doch das Mitleid für ihn wird schnell von einem beängstigenden Gefühl abgelöst. „I think I’ll take a walk and look for her“, singt er. Wie creepy… Es ist hochinteressant, dass es in „I Don’t Spoil The Party“ darum geht, die eigene Verzweiflung nicht zeigen zu wollen, um die Stimmung der besuchten Feier nicht zu zerstören. Schließlich zeigt Lennon seine Gefühle auf „Beatles for Sale“ ohne jegliche Kompromisse. Sein toxisches Misstrauen ist natürlich schwierig, doch die wirklich Problematischen sind jene, die sich ihre Schwächen selbst nicht eingestehen können. Das besondere an „Beatles for Sale“ ist, dass Lennon seine Problematik hier bereits als Anfang-Zwanzigjähriger erkennt.

In meiner Kindheit/Jugend war John Lennon stets mein Lieblings-Beatle, weil er auf mich immer den punkigsten, aber auch sentimentalsten Eindruck machte – und zu Beginn der Beatles-Karriere war es auch er, der die Gruppe am ehesten anführte, bis McCartney später das Ruder übernahm (und vor einigen Jahren zu meinem neuen Favoriten wurde). Lennons Offenheit bezüglich seiner persönlichen Gefühle ist auf den frühen Beatles-Alben und vor allem auf „Beatles for Sale“ extrem präsent. Melancholische Gedanken gingen hier bereits über klassischen Herzschmerz hinaus, selbst Bob Dylan, der häufig als großer Einfluss für „Beatles for Sale“ genannt wird, war 1964 noch nicht so weit. Schon immer war John Lennon, nun ja, extrem Emo: Der erste Song, für den er auf einem Beatles-Album die Hauptstimme sang, hieß „Misery“; der Titel zu „I Feel Fine“, einer 45rpm-Single aus den „Beatles for Sale“-Sessions, war eine eiskalte Lüge; ein Jahr später schrie er auf „Help!“ endgültig nach Hilfe; wer der „Nowhere Man“ ist, den er kurze Zeit später auf „Rubber Soul“ besang, war jedem klar; und auf „The White Album“ erreichte seine Depression 1968 eine neue Direktheit: „Feel so suicidal, even hate my Rock’n’Roll. Wanna die, yeah, wanna die.“ Doch nichts ist auf so attraktive Weise Emo wie „Beatles for Sale“.

Beispielsong „I’m A Loser“. Schon der Titel, alter. Gesungen von der größten Band der Welt ist er nicht weniger als revolutionär… John Lennon erzählt uns in „I’m A Loser“, er sei nicht der, als welcher er sich ausgibt. „Although I laugh and I act like a clown, beneath this mask I am wearing a frown“, singt Lennon und erkennt seinen offensichtlichsten Schutzmechanismus gegen die Schattenseiten des Erfolgs selbst an: Humor, Albernheit, sie sind eine Art Reflex seinerseits und in jedem Interview sowie im Film „A Hard Day’s Night“ unübersehbar.

Dadurch, dass er diese Macke in „I’m A Loser“ selbst anspricht, entsteht eine Trennung des fiktiven/öffentlichen John (Clown) vom realen/privaten John (Sad-Boy). Die „Yeah! Yeah! Yeah!“-Fassade, welche Manager Brian Epstein den Beatles verpasst hat, fängt zu bröckeln an; sie entpuppt sich als unecht.

Auf „Beatles for Sale“ geht besonders für Lennon eine Art Selbstkritik von statten, die im Kontext der Beatles-Diskographie zu oft unterschätzt wird. „My tears are falling like rain from the sky, is it for her or myself that I cry“, heißt es in „I’m A Loser“. Hier wird in den Spiegel geschaut, ja, doch hinsichtlich des Grunds seiner neuen Emotionen ist Lennon sich noch unsicher. Das macht „Beatles for Sale“ so spannend – ein essenzieller Übergangsteil im Märchen von The Beatles. Ein Märchen, welches so wundervoll vom Erwachsenwerden erzählt.

Und dann, auf der anderen Seite: Paul McCartney, ein Optimist vor dem Herrn, der ultimative Sonnyboy, mein spirit animal. Er gehört jener Art von Typen, die sich über all die einsamen Leute wundern und sich selbst nicht dazu zählen („Eleanor Rigby“, 1966); die lachen müssen und dafür nur die Sonne brauchen („Good Day Sunshine“, 1966); die jede Minute des Tages Liebe wollen („Waterfalls“, 1980).

In einem Interview mit GQ erzählte McCartney mal, wie stolz er darauf sei, dass der Musikkatalog der Beatles immer sehr positiv gewesen sei, nennt bei der Aufzählung von Songs dann aber nur eigene Kompositionen: „Let It Be“, „Hey Jude“, „Blackbird“. Das macht den Unterschied zwischen John Lennon und Paul McCartney ganz wundervoll deutlich – ein Unterschied, der auch im Kern von „Beatles for Sale“ steckt, so sagt schon der Titel zum McCartney-Highlight „I’ll Follow The Sun“ eine ganze Menge über den dazugehörigen Songwriter aus. Am liebsten will er einfach nur der Sonne folgen, mit Lennons Emo-Kram hat McCartney nur wenig zu tun. Beeindruckend ist, dass „I’ll Follow The Sun“ keineswegs eine andere Art von Schutzmechanismus als jene von Lennon ist und als gegenteilige Form von Erfolgsreaktion wie „No Reply“ oder „I’m A Loser“ gelesen werden kann, sondern von McCartney schon mit 16 Jahren geschrieben wurde. Der Typ war schon immer so! Wie er „I’ll Follow The Sun“ singt ist bezaubernd und völlig anders als rockigere, ebenfalls von McCartney angeführte „Beatles for Sale“-Tracks wie „Kansas City“/Hey, Hey, Hey, Hey“. Bandbreite, Leute. Bandbreite.

Man würde meinen, dass kein Album der heiligen, toddiskutierten Beatles wirklich unterbewertet sein kann, doch diese Bandbreite wird im Bezug auf die ersten Alben der Beatles oft übersehen. Außerdem existiert scheinbar die Annahme, dass die experimentelleren Werke der Gruppe automatisch auch besser als die reinen Popalben sein müssen, weshalb ich tatsächlich Freunde habe, die trotz ihrer Beatles-Faszination noch nie Meisterwerke wie „A Hard Day’s Night“ oder eben „Beatles for Sale“ in Gänze gehört haben (ich persönlich finde beide Platten deutlich besser als „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“). Jedenfalls trifft die Tatsache, dass die frühen Alben der Beatles weiterhin unterbewertet sind, ganz besonders aus „Beatles for Sale“ zu: So ist es eines von vier Beatles-Alben, die nicht in Rolling-Stone-Liste der 500 besten Alben aller Zeiten vorkommen. Dabei steckt hier schon so viel drin!

Auch trotz – oder gerade wegen – der vielen Coversongs. Aufgrund des straffen Zeitplans, dem die Beatles im Jahr 1964 nachgehen mussten, hatten sie weniger Zeit für intensives Songwriting, sodass die Gruppe für „Beatles for Sale“ auf Coverversionen fremdgeschriebener Lieder zurückgreifen musste. Damals war das üblich, doch vor allem heute gilt ein Cover meist als Füllmaterial, als weniger wertvoll. Auch deshalb wird „Beatles for Sale“ oft als Rückschritt nach dem komplett von Lennon/McCartney geschriebenen Album „A Hard Day’s Night“ angesehen… Hat die Band dadurch nicht zurückgeschraubt, was sie so besonders gemacht hat?

Ich sage: Nein! Meiner Meinung nach kann man daran, wie gut eine Band covern kann, erst ihr wahres Talent erkennen – wie sie performen können, ohne sich hinter der Qualität des eigenen Songwritings zu verstecken, wie sie zur Aufpolierung simplen Liedmaterials und gegenseitigen Gruppenunterstützung fähig sind. Die Energie, die von den Beatles in „Kansas City/Hey, Hey, Hey, Hey“ freigesetzt wird, ist elektrifizierend und erinnert fast an Sam Cookes „Live at the Harlem Square Club, 1963“, das vermutlich beste Live-Album aller Zeiten. „Basically it was our stage show, with some new songs“, erzählte McCartney diesbezüglich und machte deutlich, dass „Beatles for Sale“ auch eine überragende Darstellung der Beatles als ansteckende Liveband ist. Weiterer Pluspunkt.

Genau wie die spannende Tatsache, dass die Platte jenen „Back to the Roots“-Aspekt einführt, der für The Beatles äußerst wichtig bleiben würde. Vor allem John Lennon wollte – trotz psychedelischer Hippie-Experimente – in seiner Karriere immer wieder zu dem geradlinigen Rock’n’Roll der Fünfzigerjahre zurückkehren und gab 1975 sogar einem seiner Soloalben, auf dem er die Lieblingslieder seiner 50s-Jugend coverte, den Titel „Rock’n’Roll“. Man vergesst gerne, dass die Öffentlichkeit ja erst in ihrer zweiten Phasen die Beatles kennenlernte und sie vor ihrem Debütalbum „Please Please Me“ bereits längst als Lederjacken tragende Rock’n’Roll-Band unterwegs waren. Dementsprechend waren die Coversongs auf „Beatles for Sale“ nicht nur Notlösungen, sondern lassen sich auch als Versuch lesen, nochmal zu ihren alten Tagen als fetzige, peppende Rock’n’Roll-Band in Hamburg und Liverpool zurückzukehren; also jenen Tagen, während denen sie zu solch einer göttlichen Band geworden sind. Wenn John Lennon auf „Beatles for Sale“ also den Chuck-Berry-Song „Rock and Roll Music“ covert, dann schreit er darin aus Verzweiflung, weil ihm der ganze Trubel bereits zu viel geworden ist. John will zurückkehren zu simpleren Zeiten, John hat schon kein Bock mehr auf den Schnickschnack, John will ehrlichen Rock’n’Roll.

Spaßig am Schreiben über The Beatles ist die Tatsache, dass viele ihrer Entwicklungen nicht nur für sie selbst neu waren, sondern für die Popmusik im Allgemeinen. Doch natürlich orientierten sich auch die Beatles an hörbaren Einflüssen, vor allem aus den USA – einem Land, dessen Popkultur für die Beatles und viele andere Teenie-Briten eine Art Heiliger Gral darzustellen schien. Sie verehrten Motown und die von Phil Spector produzierten Girl-Groups, klar, doch auf „Beatles for Sale“ wurde auch Bob Dylan erstmals zum offensichtlichen Einfluss und in „I’m A Loser“ nutzt John Lennon seine Mundharmonika auf ähnlich aggressive Weise. Für das daraus entstandenen, äußerst fruchtbaren Hin und Her zwischen The Beatles und Bob Dylan, die sich 1964 außerdem kennenlernten und kifften, ist also „Beatles for Sale“ verantwortlich.

Weiterer Pluspunkt. Countrymusik schimmert hier ebenfalls durch, so klar wie nie zuvor (Lennon sagte damals: „You could call our new one a Beatles country and western LP.“). Dieser Einfluss wurde vor allem in George Harrisons fast schon Pedal-Steel-artigem Gitarrenspiel deutlich. Ah, und für den Country-Einfluss ist außerdem Ringo essenziell, da er von allen vier Beatles immer schon die größte Faszination für dieses Genre hatte. Wie immer ist hier jeder wichtig. John, Paul, George, Ringo.

Womit wir zum letzten Punkt kommen, der The Beatles und vor allem „Beatles for Sale“ so wunderschön machen: Diese Band kann mehrstimmig singen – vermutlich besser als jede andere (Sorry, Beach Boys) – und dabei trotzdem ultrapersönliche, tiefemotionale Gedanken rüberbringen, die normalerweise nur durch isolierte Einsamkeit vermitteln werden können. „Baby’s in black and I’m feeling blue“, singen sie… ICH fühle mich traurig, also first-person, dennoch singen John und Paul hier gemeinsam. „When we sang together, Paul and I would share the same microphone. I’d be close enough to kiss him“, soll John Lennon mal gesagt haben. Das sagt so viel aus über die unsere nie aufhörende Faszination mit The Beatles: In dieser Konstellation konnte nichts zu viel Arbeit sein; in dieser Konstellation können wir zwar müde werden, aber niemals einschlafen; in dieser Konstellation kann keiner von uns zum Loser werden.

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