Ein Nachruf

“Komm, bloß noch den einen Song!” Zum Tode von Xao Seffcheque

Eine Handvoll Geschichten von dir. Zum Tode von Xaõ Seffcheque. Linus Volkmann // Beitragsbild Max Brunnert.

Mitte der Zehner Jahre – noch nicht lange her da habe ich mich selbständig gemacht. Keine einfache Zeit. Ich beginne langsam zu merken, dass es nicht reichen wird, Themen und Einfälle zu haben. Du musst sie in den Redaktionen auch gegen Widerstände durchbringen. Ich wate in jener Phase gerade durch die berüchtigten Ideen-Verhinderungsstrukturen der Öffentlich-Rechtlichen – und zweifle daran, ob ich tatsächlich die Power dafür habe.

Xao Seffcheque in einer Spex-Ausgabe aus dem Jahr 1984

Da freut es mich, als die Wochenzeitung DER FREITAG mich anfragt, ob ich eine Reportage über Xaõ Seffcheque schreiben wolle – und zwar „on the spot“. Denn die legendäre Achtziger-Jahre-Band Family 5 plant nach langer Zeit wieder ein neues Album („Was zählt“ Tapete Records), da wäre es doch interessant mit deren Gitarristen, also Xaõ Seffcheque, die ikonischen Orte der Düsseldorfer Punk-, Wave- und Kunstszene abzuschreiten. Sage ich natürlich zu. Family 5 habe ich früher viel gehört, auch Xaõ Seffcheque kann ich zuordnen, was allerdings wohl eher damit zu tun haben dürfte, dass dieser extravagante Name leicht im Gedächtnis bleibt, als dass ich ein wirklich so krasser Intimus von ihm und seiner Band wäre.
Die berühmten Retrospektiven, allen voran „Verschwende deine Jugend“ von Jürgen Teipel, habe ich natürlich gelesen und so freue ich mich auf diese Begegnung. Ein älterer Herr, er muss schon 60 sein bei unserem Treffen, rechne ich aus, ein älterer Herr, der einem bisschen was vom (Nach)Krieg in Pop erzählt.

Doch irgendwie wird alles anders, als ich es mir ausmale. Da wir beide nicht in Düsseldorf sondern in Köln wohnen, nimmt mich Xaõ mit seinem Auto mit. Geil, denke ich, denn kein Interview mit Diktiergerät dazwischen kann dir soviel Einblick in einen Menschen geben wie eine gemeinsame Fahrt über die Autobahn. Noch dazu in dem extrem auffälligen Wagen, den Xaõ sich irgendwann mal zugelegt hat: Ein alter, roter Alfa Romeo sammelt mich ein, wir sitzen tief, nah am Asphalt, drinnen ist es rechtschaffen krümelig statt scheckheftgepflegt.
Später werde ich in meinem Text für Der Freitag schreiben: „Das Auto als Spiegel der Seele, es sagt in diesem Fall nur Schönes über seinen Besitzer aus: Stylish, abgerockt, exzentrisch, aber praktisch – und hinten drauf ein Aufkleber mit dem Logo von Fortuna Düsseldorf, ganz nah an dem Nummernschild, das mit ‚K‘ beginnt. Hier fährt ein Typ, der sich über kleingeistigen Scheiß wie Lokalpatriotismus hinwegsetzen kann.“

Xaõ ist drahtig, bebrillt, meist bemützt, wach und keineswegs eine museale Figur, die nur noch mal aus Langeweile oder ökonomischer Verzweiflung das eigene große Banderbe anfasst. Begeistert erzählt er vielmehr von den aktuellen Aufnahmen und den Plänen mit Family 5 und von noch diversen anderen offenen Enden. Der Tag vor Ort in Düsseldorf vergeht wie im Flug, ich ertappe mich, dass ich immer wieder proaktiv nach den ewigen Feuilleton-Gassenhauern wie Ratinger Hof, ZK, Kraftwerk oder dem Label Atatak fragen muss. Denn Xaõ ist einfach komplett im Hier und Jetzt. Das habe ich bei verdienten Bands auch schon anders erlebt, um es mal höflich auszudrücken.
Richtiggehend verknallt bin ich dann Ende des Ausflugs, wir bleiben nämlich noch gemeinsam im Wagen sitzen, da Xaõ mir unbedingt noch den Compilation-Beitrag seiner Band zu einem Sampler von Die Sterne vorspielen möchte, der erst demnächst erscheint. Das letzte Mal, als ich ein Auto nicht verlassen konnte, weil mir jemand unbedingt ein Lied zuende zeigen wollte, da war ich vermutlich 17.

Mit diesem Date endet die Geschichte aber nicht, sie beginnt erst. Wir treffen uns immer mal wieder auf ein Getränk im Kölner Süden. Xaõ ist seit Jahr und Tag schon Exil-Grazer mit wohnhaft im Rheinland, klingt aber immer noch, als wäre er gerade erst in die schnöde BRD abgewandert. Wobei er selbst sagt: „Der Akzent ist doch überhaupt nicht so stark. Im Gegenteil, wenn ich in Österreich bin, höre ich oft: ‚Du sprichst ja nur noch piefkenesisch, Xaõ!‘“.
Ich erfahre eher zufällig, dass er maßgeblich das Drehbuch zu der Komödie „Manta Manta“ (1991) verfasst hat und grusele mich immer gern bei seinen Geschichten von der Filmförderung. Ich kann durch ihn meine eigenen Probleme mit scheintoten Redaktionen relativieren, wenn ich en detail erfahre, wie er sich für seinen Herzensfilm „Die Kleinen und die Bösen“ (mit Christoph Maria Herbst) fast zehn Jahre (!) durch die Institutionen hinsichtlich der Finanzierung getankt hat, bis dieser endlich 2014 in die Kinos kam. Xaõ stellt für mich ein unglaubliches Empowerment dar, ein Krafttier, für den es überhaupt keine Option zu sein scheint, sich von Verhinderungs-Strukturen entmutigen zu lassen.
Er ist sich der Probleme aber sehr wohl bewusst und zeigt sich stets solidarisch: „Seffcheque kämpft um verbesserte Arbeitsqualitäten von deutschen Drehbuchautoren und spricht öffentlich über Honorare und Probleme der deutschen Filmbranche“, skizziert ihn sein Wikipedia-Eintrag.

Xao in der Mitte, rechts daneben Wolfgang Zechner

Je mehr ich von ihm erfahre, desto mehr frage ich mich, was hat dieser Typ im Kultursegment eigentlich noch nicht gemacht? Für ihn jedenfalls scheint das alles selbstverständlich und dass er mich bei all dem nach kurzer Zeit schon wie einen alten Freund behandelt, berührt mich jedes Mal aufs Neue.
Ein paar Abende verbringen wir auch noch mit meinem österreichischen Lieblingsjourno Wolfgang Zechner, den mehr als eine bio- und geographische Nähe mit der freundlichen Urgewalt Seffcheque verbindet. Diese Zusammenkünfte erlebe ich stets als Lektion in Demut, denn wenn die beiden über die deutschsprachige Pop-Subkultur der Achtziger bis ins Jetzt loslegen, halte ich mich nicht mehr für einen Musikjournalisten-Leuchtturm, sondern verstehe bei mindestens acht von zehn der durchgehechelten Bands nur Bahnhof. Beide reden schneller, als ich denken kann. Es ist einfach Fakt.

Alles passiert bei Xaõ gleichzeitig, atemlos, aber dennoch immer auch mit einer Grazer Gemütsruhe und zwischendurch geht’s wieder um ein Weingut, das er in seiner alten Heimat hat oder gern hätte. Ich nicke und staune. „Kennst du den kürzesten Witz überhaupt?“, streut Xaõ dann allen Ernstes ein,  „Gehen zwei Musiker an einer Kneipe vorbei!“, er grinst.
Zuletzt hätte ich Komparse sein können bei einem neueren Filmprojekt von Xaõ. Irgendwie konnte ich an dem Tag aber nicht, sage ab.
Heute tut es mir leid, einmal in einem dieser sprühenden Projekte von ihm auftauchen … jetzt geht das nicht mehr. Xaõ verstarb diese Woche im Alter von 67 Jahren. Danke für alles, danke für all deine Power, die du stets so großzügig und herzlich verteilt hast.

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