“Robert Ashley war ein Menschenfreund, er hat ihnen gerne zugehört und verstanden, dass die Kunst eigentlich auf der Straße liegt”
Zwischen dem 19.November und dem 5. Dezember findet eine von Jan Wagner (Filmwerkstatt Düsseldorf) kuratierte Reihe zu Robert Ashley in Düsseldorf, Köln und München statt, die sich Ashleys Arbeit “Perfect Lives” anhand von Screenings, Konzerten, Workshops und Vorträgen sensibel annähert und so neue Diskurslinien anbietet.
“Die Videobilder aus Robert Ashleys Fernsehoper “Perfect Lives” wirken kantig, in einer Auflösung, die sichtbar aus einem anderen Jahrhundert stammt, und gleichzeitig luzide und elegant in ihrer Einfachheit und Präzision. Es ist, als wäre der Strom noch sichtbar in diesen frühen Videoeffekten und Computeranimationen, die der Videokünstler John Sanborn mit dem Motion Graphics Entwickler Dean Winkler 1983 für die Fernsehoper produziert hat.
“Perfect Lives” wurde 1978 vom legendären Kunst- und Performance-Raum The Kitchen (New York) in Auftrag gegeben und 1983 mit Großbritanniens Channel Four fürs Fernsehen realisiert. Mediengeschichtlich steht die Oper damit in enger Beziehung zum Beginn des Musikfernsehens, das mit der MTV Gründung 1981 und der Einführung von Kabelfernsehen und Spartenkanälen Mitte der 80er-Jahre in Europa seinen Anfang nahm. Einmal mehr erweist sich Ashley schon bei der Wahl seines Mediums als hellsichtiger Künstler, dem es darum ging, nicht nur die Musik, sondern auch die Aufführungspraxis neu zu kontextualisieren. (…)
Auf das bereits beschriebene Videobild folgt der hypnotische Sprechgesang Ashleys, der als Erzähler auftritt und dem man ohne zu Zögern sein Vertrauen schenkt. Die fließenden Textkaskaden und der leise sonore Klang seiner Stimme ziehen einen unmittelbar in ihren Bann und entführen das Bewusstsein in einen seltsamen Zwischenraum aus alltäglichen Banalitäten und metaphysischen Sehnsüchten. Eine Sensibilität, die am gewöhnlichen misst, was sie weiß und den großen Zusammenhang im Konkreten sucht. Ashley selbst gibt hier den Hinweis, wenn er über den prägenden Einfluss Giordano Brunos auf seine Fernsehoper spricht.
Ashley hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Oper auf der Höhe seiner Zeit neu zu definieren, und das bedeutete für ihn auch, sie aus der europäischen Hochkultur heraus in seine Lebensrealität zu überführen und damit in die Gegenwart des amerikanischen Consumerisms und die Wirklichkeit des Fernsehens zu übersetzen. Er hat das Format der Fernsehserie dafür gewählt, mit sieben Episoden von ca. 25 Minuten. Ein intimes Medium des täglichen Gebrauchs, der Zerstreuung und beiläufigen Betrachtung sowie der individuellen, oft einsamen Versenkung. Er hat die Oper damit in diametralem Gegensatz zur einnehmenden Opulenz und dem sozialen Prestige des Opernhauses angelegt. Auch der Gesang entwickelt seine Musikalität im Alltäglichen und findet seinen Ausgangspunkt in der Umgangssprache. …”
(Jan Wagner, zitiert aus den Linernotes zur Robert-Ashely-Reihe der Filmwerkstatt Düsseldorf)
Jan, wie bist du auf die Arbeiten von Robert Ashley aufmerksam geworden?
Jan Wagner: Das ist schon sehr lange her, noch zu Schulzeiten in Lörrach bei Basel, wo ich aufgewachsen bin. Da gab es den großen Bruder eines Freundes, der eine unglaubliche Plattensammlung hatte. Er arbeitete als Krankenpfleger in der Schweiz und steckt alles in seine Sammlung. Wenn man bei ihm war, hat er die Sachen meistens nur kurz angespielt – es waren einfach zu viele Platten, um sie ganz zu hören –, aber ich meine, dass ich die Stimme Ashleys da zum ersten mal gehört habe.
Erinnerst du dich an deine erste Begegnung?
Meine erste Begegnung mit den Leuten war dann 2019, als ich Robert Ashleys Witwe Mimi Johnson in New York getroffen habe, um ihr von der Idee zu erzählen etwas in Deutschland zu machen. Sie hat ja sehr viele seiner Stücke produziert und über ihr Label Lovely Music vertrieben. Ich habe sie in ihrem Büro in Tribeca getroffen. Sie war wirklich nett und sehr offen, wir haben uns lange unterhalten und sie hat mir alle möglichen Dvds mitgegeben, wenngleich ich den Eindruck hatte, dass sie nicht so richtig daran geglaubt hat, dass es wirklich passieren würde. Und dann kam Corona und alles wurde sehr zäh und lange immer unwahrscheinlicher…
Was macht für dich die besondere Qualität seiner Opern und Theaterstücke aus?
Da sind viele Dinge die mich begeistern, vor allem ist es aber eine sehr besondere Mischung aus Empathie und Minimalismus würde ich sagen. Eine klare reduzierte Struktur verbunden mit einer sehr lebendigen Art zuzuhören und seine besondere Fähigkeit mit anderen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, Robert Ashley war ein Menschenfreund, er hat ihnen gerne zugehört und verstanden, dass die Kunst eigentlich auf der Straße liegt. Das ist etwas, was sich sonst eher ausschließt. Er hat hier einen Weg gefunden beides zusammenzubringen und löst damit in der Zusammenarbeit mit seinen Weggefährten, die ja alle über viele Jahre mit ihm gearbeitet haben, ein seltenes Versprechen ein: eine sehr organische Art der Kollaboration, die es ihm erlaubt, seine Ideen zu verwirklichen und gleichzeitig Raum zu geben und mit großer Achtsamkeit das zu sehen und zuzulassen, was seine Kollaborateure mitbringen. Es ist ein bisschen wie beim Film, wo das Dokumentarische auch oft interessanter ist als das durch inszenierte und sich viele Leute Gedanken darüber machen, wie man das Beste aus beiden Welten realisieren kann.
Du hast eine mehrtägige Hommage an Robert Ashely konzipiert, die in Düsseldorf, Köln und München stattfinden wird. Wie kamst du dazu? Und vielleicht kannst du ein bisschen was zu deiner programmatischen Arbeit sagen.
Im Zentrum steht “Perfect Lives”, weil die Fernsehoper ein gutes Beispiel für die kollaborative Praxis Ashleys ist. Vieles von dem, was er hier mach,t hat auch eine ganz konkrete Relevanz für die Produktionen, die wir beispielsweise im Filmlab, unserem Arbeitsstipendium fördern. Also die Art und Weise, wie er sein Material organisiert und entwickelt. Er macht das über Templates, in denen das visuelle, szenische und musikalische Material geordnet wird, fern ab von klassischen Notationen. Das Versuchen wir mit der Ausstellung und den Workshops, Lectures und Konzerten zugänglich zu machen. Bei uns ist die Praxis ja immer auch integraler Bestandteil der Programmarbeit, weil wir eben auch eine Produktionsstätte sind.
Ashely ist ja vor sieben Jahren verstorben – wie bewertest du die Rezeption seiner Person seitdem?
Ich denke, dass es an der Zeit wäre, dass sich die Opernhäuser seiner annehmen und hoffe, dass wir mit unserer Reihe dazu beitragen können. Das Interesse an zeitgenössischer Musik nimmt ja durchaus zu. Das Fernsehen, das eigentliche Medium seiner Wahl, hat nicht mehr den Stellenwert, den es seinerzeit hatte und fällt damit als Popularisierungsfaktor für das Nischenprodukt Fernsehoper aus. Im Netz könnte das aber durchaus sichtbarer sein. Das wiederum hat natürlich viel mit den Leuten zu tun, die den Nachlass verwalten. Da ist aber gerade viel in Bewegung.
Wie auch Phillip Glass oder Phill Niblock ist der Name Ashely eng mit der New Yorker Downtown Szene der 1960er/1970er Jahre verbunden. Siehst du da einen Identitätsstrang, der diese Akteure verbindet?
Ja es gibt eine Nähe zur visuellen Seite denke ich, die in der Form noch nicht angelegt war. Es ging in der Zeit ja viel darum, das Medium selbst zu reflektieren und zu erweitern und so wurden die Grenzen sichtbarer und in der Folge auch durchlässiger. In einer breiteren Öffentlichkeit ist Phill Glass Filmmusik vielleicht sogar bekannter als seine reine Musik. Das Multimediale, das Ashley bereits in Ann Arbor mit dem Once Festival und Milton Cohens Space Theater erprobt hatte, war etwas, was diese Generation für mich verbindet. Philipp Glass hat später ja auch mit Robert Wilson gearbeitet – und dann steckt da natürlich auch noch so eine postmoderne Idee von allgemeiner Inszeniertheit und Gesamtkunstwerk drin, die dann später in den 80ern wichtiger wird. Aber das Transgressive ist schon viel früher da und auch die Frage nach der Positionierung und Adressierung des Betrachters stellt Ashley schon als Student in Ann Arbor gemeinsam mit Alvin Lucier Ende der 50er.
Phil Niblock war 2017 in der Filmwerkstatt zu Gast. Wir haben einen Ausschnitt aus “The Movement of People Working” gezeigt. Wunderschöne Aufnahmen von Menschen bei der Arbeit, die er in den 70er und 80er Jahren auf der ganzen Welt aufgenommen hat. Die Musik dazu war wahnsinnig laut (physical sound). Er selbst hatte einen Dezibelmesser bei sich, der deutlich über 100 dB anzeigte, und bestand auf der Lautstärke, es war wirklich kaum auszuhalten.
Wie wichtig ist die existenzphilosophische Perspektive für das Verständnis des Werks von Ashley? Muss man seine Reflektionen wie über das Weltall mitdenken, um die Musik richtig zu verstehen?
Da bin ich nicht Experte genug, um diese Frage zu beantworten. Ich glaube schon, dass seine Faszination für Giordano Bruno und den Buddhismus wichtig waren für die Wertschätzung des Alltäglichen und eine Sensibilität im Allgemeinen, die das, was sie weiß am Konkreten misst. Überhaupt eine Verbindung von allem vorauszusetzen und damit bestimmte Kategorien hinter sich zu lassen, wie die Trennung von high und low, Oper und Fernsehen etc. Das sind ja alles Dinge, die auf eine bestimmte Beschäftigung oder Reflektion folgen. Seine Arbeiten haben fast immer so eine metaphysische Grundstimmung, ein bisschen melancholisch und ironisch gebrochen, aber immer mit einem unerklärten Rest, der sein Geheimnis behält. “Perfect Lives” wurde auch schon als “buddhist soap opera” bezeichnet – vielleicht passt das sogar
Ashley hat ja für viele Künstler:innen und Gruppierungen komponiert, unter anderen für Merce Cunningham, Trishia Brown und das Judson Dance Theater. So unterschiedlich die Ergebnisse klingen, hörst du eine Gemeinsamkeit in den Werken, die sie verbindet?
Gerade im Tanz kenne ich mich wirklich überhaupt nicht aus, aber wenn es eine Gemeinsamkeit gibt, die ich erkennen kann, dann ist da so etwas modernes, dass sich in etwas ja narratives oder eklektisches verwandelt. Es gibt eine gewisse konstruktive, analytische Kälte, die sich mit etwas Alltäglichem verbindet. Das hält sich irgendwie die Waage, das Abstrakte und das Gegenständliche (sagt man vielleicht nur in der Malerei und nicht beim Tanz). Und für mich ist das auch historisch ein interessanter Moment in der Moderne/ Postmoderne, über den man vielleicht einfach nicht hinauskommt.
Jan, hast du eine persönliche Lieblingsarbeit von ihm?
Eigentlich nicht. Ich mag die Bildästhetik von “Perfect Lives” sehr, das ist mir nah, und “Blue” Gene Tyranny`s “Boogie Woogie” natürlich auch, aber eben auch die anderen Sachen. Ich kann da keine Auswahl treffen.
Robert Ashley, “Perfect Lives”
Filmwerkstatt Düsseldorf, FFT Düsseldorf, Sparta Düsseldorf, Kunst-Station Sankt Peter Köln, Kunstverein München
19.11.2021-5.12.2021