Thomas Venker

möchte kein Senior Google Doc sein

Es ist ein bisschen wie in einem Horrorfilm. Niemand weiß mehr so ganz genau, wann das Grauen losgegangen ist. Aber jetzt ist es überpräsent. Und das Schlimmste dabei, wie in John Carpenters Klassiker „Sie Leben“ („They Live“), in dem die Außerirdischen schon längst unter uns sind und alles derart an sich gerissen haben, dass es zu spät erscheint, die Verhältnisse wieder zum Guten zu wenden, passierte es so schleichend, dass das Bewusstsein für die Gefahr nicht ausgebildet wurde.Die Rede ist von dieser seltsamen und abartigen Businessfizierung des Kulturbetriebs. Plötzlich scheint jedes noch so kleine Projekt nicht nur endloser Meetings und Skype-Konferenzen, sondern auch hierarchischer Strukturen zu bedürfen, hier ein Head, da ein Senior und Junior, natürlich auch eine Assistenz und ganze viele Praktikanten, die aber nicht mehr so heißen, sondern auch einen schönen Titel bekommen, damit die prekären Bedingungen nicht in Frage gestellt werden, zumal sie ja jetzt auch nach 3 Monaten den Mindestlohn bekommen sollen.

In „Nightcrawler – Jeden Nacht hat ihren Preis“ von Dan Gilroy, spielt Jake Gyllenhaal eine gewissenslosen Typ, der irgendwie irgendwo Karriere machen will im amerikanischen Traum. Völlig flexibilisiert und mit glasklarem Analyseblick auf seine Umgebung und sich sucht er nach seinem Feld – und wird zum Unfallreporter. In einer fantastischen Schlüsselszene des Films versucht Gyllenhaals´ Charakter Louis Bloom seinen mexikanischen Assistenten Rick dazu zu bringen, über gewisse moralische Grenzen zu gehen. Dieser fordert mehr Geld, doch angeboten bekommt er einen Beförderungstitel: statt Praktikant wäre er ab nun Senior Assistent oder so. Der Straßenerprobte Rick nimmt das System daraufhin sehr schön in zwei Minuten auseinander. Am Ende bekommt er zwar erstmals auch etwas Gehalt – jedoch nicht ohne den zynischen Hinweis, dass er mehr hätte verlangen können, aber einmal verhandelt sei eben verhandelt. Kein Zufall, dass diese Szene in Los Angeles spielt, der Stadt am Ende des amerikanischen Traums, wo an der Pazifikküste all jene herunterpurzeln, die es nicht geschafft haben, sich zu integrieren. Denn Teil dieses Traumes ist es, sich an die Verhältnisse bestens anzupassen, und sie dabei auch noch positiv für sich umzudeuten, schließlich will man ja nicht den Mut auf dem Weg nach oben verlieren: also lieber ein toller Titel fürs Ego als gar nichts. Dass die Gewerkschaftgeschichte noch nie etwas von einem Streik gehört hat, bei dem es darum ginge, dass alle vom Junior zum Senior upgegrated werden, warum sollte einen das nachdenklich stimmen.Dieser kaschierende Titelwahn ist aber nur ein Aspekt der grassierenden Businessfizierung. Der andere liegt in seiner Genese nah am urdeutschen Talent, die Dinge besonders gut zu strukturieren.

Natürlich hat man im Kulturbereich allerorts mit negativen Entwicklungen zu kämpfen, die Zeitungs- und Magazinauflagen fallen ebenso wie die Auflagen von Musik und die Box-Office-Ergebnisse von Filmen. Und ja, die Haushaltskasse im Blick zu behalten, schadet dabei nicht. Doch darum geht es gar nicht (so sehr), sondern um die Tendenz zur Selbstlähmung. Statt auch den Luftzug der Freiheit zu spüren, der in Zeiten von weniger unmittelbarer Marktökonomie und sowieso kaum honorierter Autoren- und Kuratorentätigkeiten (auch eine schöne neue Umschreibung für das, was früher Veranstalterjobs waren) weht, da man nun wirklich kaum mehr etwas zu verlieren hat – denn zu verdienen gab es ja vor zehn Jahren auch schon kaum was, also wieso jetzt? Doch das Gegenteil ist der Fall: noch nie hat man mehr Leute in seinem Umfeld mit Dropbox-Ordnern und Google-Docs operieren sehen, detaillierte Pläne für Social-Media-Aktivitäten aufstellen und die Synchronisation der Schritte koordinieren. Ganz so, als ob sie den nächsten Blockbuster von Bruce Willis oder das Album von Daft Punk begleiten würden.

Struktur und Ordnung sind absolut sinnvoll, doch es ist an der Zeit, dass man sich auch mal ein bisschen wachrüttelt: das Geschäft in der Nische wird nicht unbedingt dadurch konkreter im Gelingen, dass man es anlegt wie eine Subklitsche eines DAX-Unternehmens.

Stattdessen würde ich mir wünschen, dass wieder mehr über Inhaltliches gesprochen wird. Man an mehr Orten den Spaß spüren kann, den diese Freiräume mit sich bringen , das Zelebrieren all der tollen Ausstellungen, Publikationen, Musik, Videos und Veranstaltungen, die durch die zwar nicht unbedingt monetär vielversprechenden, doch kreativ stimulierenden neuen Möglichkeitsräume zustande gekommen sind. Zumal, und das haben uns all die Erfolgsgeschichten der Vergangenheit gelehrt, nicht unbedingt die Streber es schaffen, plötzlich von ihrer Musik, ihren Kunst, dem Auflegen gut leben zu können. Nein, die schönsten Geschichten waren schon immer jene, wo Leute mehr gestolpert als gelaufen sind zu ihrem Erfolg.

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