Danielle De Picciotto & Friends in conversation

Dorit Chrysler: “Meistens fühle ich mich wie ein Schmetterlingsfänger, der versucht eine Stimmung einzufangen”

Dorit Chrysler (Photo: Larry 7)

Dorit Chrysler war schon immer Musikerin.
In Graz geboren zog Dorit mit 18 Jahren nach New York, um dort mit Musiklegenden wie JG Thirlwell, Elliot Sharp und Hans Joachim Roedelius experimentelle Musik zu produzieren – bis sie durch Lary 7 das Theramin für sich entdeckte. Seitdem tourt sie damit um die Welt und gastiert an Orten wie dem Wiener Konzerthaus und auf Festivals Roskilde, dem Ottawa Bluesfest oder auch auf der Biennale in Venedig.

Ich lernte Dorit  in Kanada auf dem Electric-Eclectics Festival in Meaford kennen, das in Meaford von Laura Kikauka und Gordon Monaham organisiert wird. Dieses kleine aber sehr feine Festival hat eine wunderbar Outsider Atmosphäre und in den fünf Tagen lernten wir uns gut kennen. Dorit ist eine sehr elegante, zurückhaltende Person mit Grazer Charm und Ihre Bühnenperformance war ungewöhnlich ätherisch in dem ansonsten größtenteils etwas gröberen Noiseprogramm. Als sie die Bühne betrat veränderte sich die Atmosphäre schlagartig und man vergaß, dass man auf einem Strohballen auf einem Berg saß und in einem schwülen Wohnwagen geschlafen hatte. Ihr Musik ist experimentell aber zugleich melodisch, wie ein vorbei schwebender Fiebertraum, ungreifbar, verführerisch aber auch gefährlich.
Wir blieben in Kontakt und trafen uns über die Jahre noch weitere Male auf unterschiedlichen Festivals. Die Tatsache, dass Dorit ununterbrochen zwischen Europa und den USA pendelt, Konzerte und sehr beliebte Theramin Workshops für Kinder gibt, beeindruckt mich. Sie ist außerdem auch Vorsitzende der New York Theramin Society und sollte dieses Jahr das Heroines of Sound Festival in Berlin mit-kuratieren bevor es wegen des Covid Virus abgesagt wurde. Ich bin immer beeindruckt, wenn ich sie treffe und freue mich eine Frau vorstellen zu können, die sich so zielsicher Ihren eigenen, wunderschönen Weg bahnt.

Wie bist du dazu gekommen Theramin zu spielen? Was interessiert dich am meisten an dem Instrument?
Das Theremin begegnete mir vor 20 Jahren im Haus eines Freundes, Mr. Lary 7 – sein Apartment ist eine Schatzkammer voll mit obskuren elektronischen Maschinen – ich werde nie vergessen, wie Lary verschmitzt auf eine seltsame Box in der Ecke deutete, ein Kabel einsteckte und plötzlich mit seinen Händen wild in Luft fuchtelnd seltsame Klänge aus dem Ether produzierte. 
Ich nenne es den “Houdini Effekt” wenn man ein Theremin das erste mal erlebt, es war in diesem Moment für mich die ultimative Herausforderung dieses Instrument zu beherrschen. Ich war begeistert von dem dynamischen Potential, dass ich fuer ein elektronisches Instrument ungewoehnlich fand,  dazu die einzigartige Klangfarbe und dramatische Spielweise.. love at first sight! Es hat viel Geduld der Ohren meiner Nachbarn benötigt, um über Jahre hinweg das Instrument einigermaßen zu beherrschen.  Anfangs schien es quixotisch, aber ich wusste, ein Theremin kann wunderbar klingen und verdient mehr Aufmerksamkeit.
Dieses Instrument zu beherrschen ist im Vergleich zu anderen Musikinstrumenten eine absolute Herausforderung. Man fasst nichts an und hat wenig Referenzen, aber genau das ermöglicht auch kreative Freiheit an Spieltechnik und Anwendung.  Nach strenger klassischer Musikerziehung als Kind und 7Jahre in einer NYer Noiseband  wollte ich endlich meine eigene Stimme ohne Kompromisse finden, das abstrakte Theremin mit all seinem Drama kam da gerade recht.

Was möchtest du mit deiner Musik ausdrücken? Siehst du dich als Entertainerin?
Die Musik sollte ohne Erklärungen immer für sich selber sprechen. Das Theremin bietet einzigartige cinematische Klangfarben, sehr emotional oder brutal, am liebsten mag ich den “Schleiereffekt” zehn bis 20 Schichten des Theremins harmonisch übereinander..
Das spannende am Komponieren ist die “Greyzone” das undefinierbare, die Mischung aus Emotion und Technik, Ton Farbe und Dynamik.
Jedes Stück ist wie eine Tagebuchseite, bzw ein Snapshot einer Stimmung, das ganze einfach Ausdruck und Experimentieren, empowering and with passion, to be moved and to move.  Live kommt die Energie des Publikums dazu, da verändert der Dialog und Austausch dann auch die Musik – Entertaining klingt mir zu einseitig, sondern aufeinander zu reagieren, auf der Bühne die Audience zu spüren und dem Energiestrom zu folgen, das ist spannend.

Was für Musik hörst du? Inspiriert sie dich oder entstehen deine Kompositionen auf einem anderen Weg?
Alles ist Musik, alles kann gehört werden – von abstrakten Klängen, Fieldsounds,  bis zu komplexen Komposition kann alles inspirieren. Auf eine Insel könnte ich wohl nicht ohne Morricone und Serge Gainsbourg überleben, Kraftwerk und Mozart würde ich auch noch dabeihaben.
Es gibt kein fixes Formular, wie Musik entsteht, meistens fühle ich mich wie ein Schmetterlingsfänger, der versucht eine Stimmung einzufangen.

Woran arbeitest Du momentan? Bekommst du als weibliche Musikerin Unterstützung oder wirst du eher alleine gelassen?
Die vergangenen Jahre haben gelehrt, unbeirrt einer Vision zu folgen, sich nicht “gaslighten” zu lassen.  Ich bin so vielen Musikerkollegen dankbar, die immer großzügig ihr Wissen und Expertise geteilt haben, die inspirieren, Community ist für mich alles und schafft neue Bewegungen…
 Mit musikalischen Institutionen war das dann manchmal schon ein mühsamer Kampf, sich Konditionen zu erkämpfen, um künstlerische Visionen zu realisieren, aber das ist letztendlich den Energieeinsatz wert. Mir schien es Anfangs, ich sei eine der wenigen, die an das Potential des Theremins in kontemporärer Musik glaubten, aber mittlerweile ist die Community derart gewachsen, das in meinen Augen unmögliches möglich gemacht werden kann.  Beim letzten kuratierten Theremin Event in NY standen 800 leute um den Block um drei Stunden Theremin Musik zu hören, davon hätte man vor 20 Jahren träumen können. Immer sind Frauen auf Festivals in der Minderheit, wenn man mit vielen Frauen gemeinsam arbeitet, fühlt sich das ganz anders an, sehr entspannt und mit einzigartiger Solidarität.  Als ich die Gelegenheit hatte, kleine Festivals zu kuratieren, konnte ich “Dame Electric” gründen, analogen female pioneers gewidment.  Schon in jungen Jahren hätte ich mir gewünscht, mehr Frauen an Maschinen montierend und musizierend auf der Bühne zu sehen.

Dorit Chrysler (Photo: Martinde Thurah)

Aufgrund von Covid-19 sind jetzt alle Konzerte, Workshops und Festivals abgesagt oder verschoben,  eine schwere Herausforderung für uns alle, aber natürlich kann man versuchen, die stille Zeit zu nützen für kreative Arbeiten. 

Mein letztes Projekt hing an einem Faden und wir hatten großes Glück, in CERN im März ein Musikvideo zu drehen mit Marie Losier – unser Team waren die letzten die gerade noch Zugang hatten, bevor alles gesperrt wurde. Das Theremin100 Video zur Geburtstunde der elektronischen Musik (vor 100 Jahren wurde das Theremin erfunden) wollte ich unbedingt in der größten Kathedrale der Wissenschaft, in Cern, drehen, die Kulisse referenziert Metropolis, drei Jahre war dieses Projekt in Arbeit und hätte fast nicht geklappt… Wobei noch unklar ist, wann es veröffentlicht wird, wohl in Verbindung mit einer Veranstaltung – aber wohl noch in diesem Jahr.
Ich bin eingeladen worden, Heroines of Sound in Berlin dieses Jahr mit zu Kuratieren – das ist ein tolles Festival und ich habe schon einige Thereministen eingeladen, allerdings wird auch das nun verschoben. 

Dieses Wochenende hätte ich im Salle Des Nymphes, wo Monets Seerosen hängen in der Musee D’Orsay in Paris zwei Tage lang auftreten sollen, stattdessen werde ich wohl eine vorbereitete Nummer davon an einem kleinen Gartentümpel drehen, vielleicht wird das Theremin am Ende ins Wasser geworfen, so wie alle Konzerte ins Wasser gefallen sind…
Ansonsten ist es 

Zeit, die nächste Plattenveröffentlichung vorzubereiten, meinen Soundtrack zu “M- Eine Stadt Sucht einen Mörder”.
Ich finde es übrigens toll, dass jetzt ganz viele Leute Platten bestellen und so die Musikszene unterstützen – ich habe mit der NY Theremin Society Anfang des Jahres eine
 Compilation zur 100 Jahresfeier des Theremins veröffentlicht, “THEREMIN100”, mit insgesamt 50 Thereministen aus 18 Länder; die gibt es auf Bandcamp.

Das Theramin hört sich sehr sphärisch an, gibt es dazu auch spirituelle Ansätze?
Das Theremin setzt die filigransten Bewegungen des Körpers in Sound um – insofern ist es sehr direkt und persönlich, eigentlich wird der eigene Körper zur Klangquelle. Intuition, Fingerspitzengefühl und Technik kommen dabei – aber so ist es im Grunde ja auch bei anderen Musikinstrumenten. Spirituell ist dabei vielleicht eine große Konzentration und Connection zum eigenen Körper durch die ungewöhnliche Spielweise. Wenn ein starker Wind bei Konzerten im freien mit mein Konzert stört können diese Geräusche irreführend sein, aber ist auch eben nur ein physikalisches Phänomen – 
noch konnte ich keine Geister mit dem Theremin beschwören aber die konzentrierte Spielweise ist sehr intensiv und kommt manchmal schon einer Art Meditation nahe.  
Je besser man sich selber kennt, um so furchtloser kann man das auch in Klänge umsetzen.

Du arbeitest viel mit Kindern und Musik. Was konntest du dadurch lernen, was du bisher nicht erfahren hattest?
Ich habe mir eine solche Zusammenarbeit schon immer gewünscht. Mit Kindern frei zu experimentieren und das auch noch mit einem so kreativen Instrument wie dem Theramin, ohne Vorbehalte, ist toll. In meiner eigenen Kindheit habe ich nur schauerliche Musikerziehung erfahren, und auch heute gibt es nur wenig elektronisch-musikalische Früherziehung. Wir spielen zusammen Kraftwerk und Brian Eno, das hilft das Theremin populärer zu machen.
 Meistens lerne ich mehr von den Kindern als diese von – im Vergleich zu Erwachsenen hören sie meistens besser zu und sind viel kreativer.

Du pendelst zwischen NYC und Graz und hast vor nach Berlin zu ziehen. Beeinflussen dich die Orte in der Musik? Wonach suchst du einen Ort aus?
New york hat mich geprägt, es ist die Stadt meines – wenn ich einige Monate nicht dort bin, ist das wie ein Entzug, die Energie und Kulturfülle. Wie die Art Community sich gegenseitig unterstützt und Kunst zelebriert, ist einzigartig. 
Graz ist meine Heimatstadt und immer ein Ruhepol, dort gelingt es mir immer wieder, mich mit der Natur zu verbinden, Stille neu zu erfahren – es ist ein guter Ort zum Reflektieren und Arbeiten. Man könnte sich schwer zwei unterschiedlichere Orte vorstellen.
Mein Herz blutet für New York, ich denke es wird einige Zeit dauern, bis die Stadt sich wieder erholen kann.
Ich möchte da sein, wo Freunde und Gleichgesinnte sich zusammenfinden und kreativ sind. Berlin hat sich in den letzten Jahren sehr verändert und wird zwar immer enger, aber für mich hat es immer noch den sozialen kreativen Spirit, einen starken und warmen Charakter, es ist ein Platz zum Kunstmachen in gleichgesinnter Gesellschaft ohne den großen Druck des Kapitalismus, der in New York einen ständig attackiert. Ich hoffe, es ist dort noch ein Plätzchen für einen Thereminist frei ab diesem Sommer.

 

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