Filmgeschichte knallhart gerankt

10 to 1 w/ Martin Scorsese & Robert De Niro

So schön rund: Fünfzig Jahre nach der allerersten Zusammenarbeit von Martin Scorsese (der beste lebende Regisseur?) und Robert De Niro (der beste lebende Schauspieler?) ist “Killers of the Flower Moon” in diesem Jahr als die insgesamt zehnte Spielfilm-Kollaboration dieser beiden New-Hollywood-Veteranen erschienen. Natürlich hat Scorsese auch ohne De Niro großartige Filme gemacht – zum Beispiel “After Hours”, die ulkige Eltern-Dokumentation “Italianamerican” und vor allem den tollsten Musikfilm aller Zeiten, “The Last Waltz” –, doch im Kern sind es ihre gemeinsamen Kollaborationen, durch die sie beide jeweils unsterblich geworden sind.

 

Also, let’s rank!

10. New York, New York (1977)

Das allergrößte Talent von Martin Scorsese ist es, bei seinen Zuschauern ein Sympathiegefühl für die häufig absoluten Blödmännern in den Zentren seiner Filmen zu erwecken. Doch in “New York, New York” ist ihm das leider nicht geglückt: Der von Robert De Niro gespielte Jimmy Doyle wird hier als aufdringlicher, missgönnerischer und selbstzentrierter Sack dargestellt, ohne dass dabei auch nur ansatzweise eine tiefere Studie seiner Psyche erfolgt. Mit Jake LaMotta (Raging Bull), Rupert Pupkin (The King of Comedy) oder Travis Bickle (Taxi Driver) würde man ebenfalls keinen Abend verbringen wollen, doch bei ihnen wird immer wieder auf das WARUM und das WAS BEDEUTET DAS im Kern ihrer Handlungen eingegangen. Plus: Ein Film, des so heißt, müsste die Stadt New York eigentlich mehr zu einem Teil seiner Atmosphäre machen. Das beste an “New York, New York” ist letztendlich, dass Clarence Clemons (Saxophonist von Bruce Springsteen & The E Street Band) zwischendurch eine kleine Nebenrolle übernimmt.

9. Cape Fear (1991)

Durch schnelle Zooms und radikale Schnitte kann Scorsese hier zwar ein Gefühl von Konfrontation erwecken, doch letztendlich fehlt dem Film vor allem der persönliche Selbstausdruck, der das Werk dieses Regisseurs sonst so kraftvoll macht. Die Tatsache, dass die Bedrohten und der Bedrohende (gespielt von De Niro, diesmal mit Südstaaten-Akzent) im Laufe des Films immer wieder miteinander sprechen, sorgt gelegentlich für interessante Momente, doch alles in allem ist “Cape Fear” ein eher unorigineller Eintrag in Scorseses beeindruckender Filmografie.

8. Casino (1995)

“It turned out to be the last time that street guys like us were ever given anything that fuckin’ valuable again”, meint der von Joe Pesci gespielte Nicky Santoro hier einmal und macht damit deutlich, dass “Casino” vor allem ein nostalgischer Film ist. Fast so, als würde er ihr nachtrauern, zeigt Scorsese uns hier eine Welt, in der völlig andere Regeln gelten: “Back home they would put me in jail for what I was doing, but here, they’re giving me awards.” Gleichzeitig hält er uns stets das bittere Ende vor Augen und stellt diverseste Grausamkeiten dar (Ginger kokst vor ihrem eigenen Kind; Nicky wird gemeinsam mit seinem Bruder auf schlimmste Weise hingerichtet; etc.). Dazu gibt’s auffällig viel Musik von The Rolling Stones sowie hochstilisierte Kameraspielereien, die sehr gut zur glattgebügelten Atmosphäre des Casinos passen.

7. Mean Streets (1973)

Martin Scorsese hat zwar auch vor “Mean Streets” schon Filme gemacht, doch in vielerlei Hinsicht war dies der allererste Scorsese-Film. Erstmals hat er hier seine eigene Person und all die Facetten, die dazugehören, in seinem Werk verarbeitet: Als Jugendlicher kannte er diese Art von Kleinkriminellen wirklich, passte aber damals schon nicht zwischen diese Leute – ähnlich wie der von Harvey Keitel gespielte Charlie, der nur von Spinnern umgeben ist (Robert De Niro als Johnny Boy ist ein hitzköpfiger Spacken; Tony hält im Hinterraum seiner Bar ‘nen Tiger gefangen) und versucht, den Laden irgendwie am Laufen zu halten (fast wie ein Regisseur; Keitel scheint ihr eine Art Stand-In für Scorsese zu sein). “Mean Streets” ist keineswegs ein perfekter Film, so zielen manche Szenen auf nichts ab und wirken etwas lieblos aneinandergereiht, bleibt aber trotzdem ein wichtiges Dokument des lebendigen Filmemachens: die Kameraspielchen, die Klamotten, die Musik – damals war es schließlich immer noch eine Neuheit, Popsongs wie “Be My Baby” oder “Jumpin’ Jack Flash” in einen Spielfilm zu integrieren und dafür auf eine typische Filmmusik zu verzichten.

6. The Irishman (2019)

“The Irishman” war nach fast 25 Jahren wieder die erste Spielfilm-Kollaboration von Martin Scorsese und Robert De Niro, fühlte sich gleichzeitig aber wie das Ende einer Ära an. Klar, vor ein paar Monaten haben wir noch “Killers of the Flower Moon” bekommen, doch mit “The Irishman” scheint Scorsese einen definitiven Schlusspunkt hinter das von ihm so nachhaltig geprägte Gangster-Genre gesetzt zu haben. Wie der von De Niro gespielte Frank Sheeran blickt Scorsese hier auf das zurück, was ihn ausgemacht hat im Leben. Das Highlight von “The Irishman” ist aber eindeutig Al Pacino, der hier tatsächlich zum ersten Mal mit Scorsese zusammengearbeitet hat und in sämtlichen Szenen den Vogel abschießt.

5. Killers of the Flower Moon (2023)

Scorseses neuester Film, “Killers of the Flower Moon” ist ebenso emotional wie politisch aufgeladen, steckt natürlich voll mit unaufdringlichen Aussagen über Verantwortung und Liebe und Gerechtigkeit, fühlt sich im Grundton jedoch anders an als erwartet – leichtfüßiger und humorvoller, fast schon Coen-Brothers-esque. So viel nur kurz als oberflächliche Beobachtung zu einem der vielschichtigsten Filme des Jahres; zu mehr fühl ich mich noch nicht bereit. Was ich allerdings noch sagen möchte: “Killers of the Flower Moon” ist darüber hinaus ein Denkmal an die anderen beiden Hauptkollaborateure in Scorseses Karriere, Leonardo DiCaprio (hier mal ganz anders dargestellt, als Dummkopf) und vor allem Robbie Robertson. “It’s a shame that Marty wasn’t gay. The best relationship he ever had was with Robbie”, heißt es diesbezüglich im großartigen Buch “Easy Riders, Raging Bulls”. Angefangen bei “The Last Waltz” hat sich zwischen den beiden eine innige Freundschaft entwickelt, aus der auch für “Killers of the Flower Moon” wieder ein supertoller Soundtrack entstanden ist. Robbie Robertson, dem der Film übrigens auch gewidmet wurde, war ja ohnehin ein Genie, vor allem als Hauptsongwriter und Gitarrist von The Band. Plus: Sein Solodebüt von 1987 ist fantastisch! RIP.

4. GoodFellas (1990)

“Jimmy was the kind of guy who rooted for the bad guys in the movies.“

3. Taxi Driver (1976)

Wenn wir Travis Bickle, Protagonist des Meisterwerks “Taxi Driver”, zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, sehen wir nur seine Augen – und ab da dann durch seine Augen, quasi: Angewidert von alles und jedem ist er und wünscht sich, dass der Regen all den Dreck wegspülen würde. Der Trick dieses Films ist, dass er uns die abstoßende Grausamkeit dieser Welt immer wieder vor Augen führt, sodass die Denkweisen von Travis geradezu nachvollziehbar werden. Er sitzt in seinem Taxi – abgeschottet, gleichzeitig aber mitten im Getümmel –, und schaut mit dicken Augenringen aus dem Fenster; nicht nur aus Abneigung, sondern um zu verstehen. Denn – wie wir alle – ist Travis komplett verwirrt von seiner Umgebung. Die Figuren, die Scorsese am besten einfangen kann, sind Suchende ohne Ziel. “All my life needed was a sense of someplace to go”, heißt es einmal, doch alle seine Bemühungen der Kontaktaufnahme sind entweder falsch ausgerichtet oder gehen schief. Sie sei furchtbar einsam, sagt er einmal zu Betsy und meint natürlich sich selbst. Sie bräuchte einen Freund, erklärt er…

2. The King of Comedy (1982)

Wie kann man so sein? Ist es tatsächlich möglich, geradezu keinerlei Selbstreflexion zu haben? Inwiefern bin ich vielleicht auch so, in abgespeckter Version? Solche Fragen sind der Motor des unterbewerteten Films “The King of Comedy”, gemeinsam mit all seinen kleinen Details: So verstehen die Mitmenschen des obsessiven, realitätsfernen Protagonisten Rupert Pupkin z.B immer wieder seinen Namen falsch (Pumpkin? Pipkin?), was natürlich funny, eigentlich aber tieftraurig ist: Dieser Mann hat keine Identität, er ist ein Niemand. Seine kurzen Blicke, wenn er mit dieser Realität konfrontiert wird, machen “The King of Comedy” letztendlich so kraftvoll. Rupert Pupkin ist einer von Unzähligen, will aber mehr sein als das. Man kennt’s.

1. Raging Bull (1980)

Der animalische Jake LaMotta ist, gelinde gesagt, raumeinnehmend, keineswegs aber selbstbewusst. Wichtiger Unterschied, und eben diese Gratwanderung macht “Raging Bull” auf so wundervolle Weise deutlich. Eifersucht ist die Angst, etwas zu verlieren, heißt mit anderen Worten: Eifersucht ist Unsicherheit. Und jemand, der eine so unsichere Persönlichkeit wie Jake LaMotta hat, kompensiert das natürlich mit Gewalt und zerstört alles Schöne, was ihm vor die Nase läuft. Sodass auch das eigene Familienleben letztendlich zum Boxkampf wird. “Raging Bull” ist ein Sportfilm von einem Nicht-Sportfan und benutzt das Boxen eher als Symbol: Gewalt als ein früher oder später sinnloses Mittel, voranzukommen. Auf virtuose Weise (die tanzende Kameraführung, der poetische Einsatz von Musik, De Niro in der Rolle seines Lebens) zeigt Martin Scorsese uns hier zwei Stunden lang einen Mann, der gegen sich selbst kämpft – in einem “long, violent prayer”, wie Bruce Springsteen diesen besten aller Scorsese-Filme mal bezeichnet hat.

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