Sprechen jedem Teenie-Herzen aus der Seele: Die Ärzte „Geräusch“

Die Autorin in ihrer Ärzte Phase

Die Ärzte
„Geräusch“
(Hot Action Records)
Es ist der Spätsommer 2003, wir fahren an den See. Ich sitze hinten auf der Rückbank und richte den Camcorder auf meine beste Freundin Leonie: „Sag mal, was du da hörst“ knirsche ich durch meine Zahnspange. Leonie grinst und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. „Die Ärzte, natürlich.“
Die Ärzte sind die beste deutsche Band. Diesen Satz hat Leonie von ihrem Papa gelernt. Und den sagt sie so überzeugend, dass ich ihr glaube. Die starke Meinung einer Zwölfjährigen, die sich mit Musik auskennt. Ich frage sie, ob ich mir ein Album ausleihen darf. 22 Jahre später lege ich es wieder in meinen CD-Player ein und setze mich aufs Bett, bereit für eine Zeitreise.
Es stellt sich heraus: „Geräusch“ ist weder musikalisch virtuos, noch besonders gut gealtert. Aber darum geht es hier nicht. Es geht vielmehr darum, wie prägend dieses Album für mich und meine Freundinnen war. Und die Songs, die gut sind, die sind richtig gut. Auch noch heute.
Bela, Farin und Rod waren damals schon so alt wie unsere Eltern. Warum wir alle in sie und ihre Musik verknallt waren, verstehe ich bis heute nicht. Vielleicht weil die Ärzte musikalisch irgendwo zwischen Klamauk, Punk und Singer-Songwriting hängen geblieben sind. Das passt ins Teenager-Dasein. Nächtelanges Kichern, alberne Scherze und Fäkalhumor gehörten damals einfach dazu. Eine Mischung, die etwas aus der Zeit gefallen scheint. Aber gerade dadurch, auch wieder irgendwie erfrischend ist.
2003 hatten die Ärzte den Höhepunkt ihres Schaffens bereits hinter sich. Sie mussten niemandem mehr etwas beweisen. Das hört man auch. Nicht jedes Lied hätte es unbedingt auf dieses Album schaffen müssen. Aber dann sind da die Hits, die Banger, die bis heute überlebt haben:
„Deine Schuld“ wird nach wie vor auf jeder linken Demo gespielt; „Nichts in der Welt“ bei jeder Trennung – damals wie heute stelle ich diesen Song auf Repeat, wenn es mal wieder vorbei ist. Und wenn ich mal wieder den Glauben an mich selbst verliere, hilft mir „Nicht allein“ zuverlässig aus der Krise. Die Lyrics sind gut, die Emotionen echt. Und wer die Ärzte einmal lieben gelernt hat, kann auch nach 20 Jahren voller Inbrunst die meisten Strophen und Refrains mitgrölen.
„Gegen das System“ – Die Ärzte haben mein Weltbild geprägt wie keine andere. Sie haben mich dazu inspiriert, für meine Werte zu kämpfen, gegen Nazis auf die Straße zu gehen und politisch aktiv zu werden. Heute sind die drei weißen Männer aus Berlin um die 60 und liegen manchmal mit ihren Ansichten etwas daneben. Schlechte Scherze über KO-Tropfen und geschmacklose Anspielungen auf den Missbrauch-Skandal um Rammstein-Sänger Till Lindemann haben viele Fans enttäuscht.
Ich frage mich immer, ob man nachträglich noch Ärzte-Fan werden kann, oder ob es da ein Zeitfenster gibt, das irgendwann zu ist. So mit 15. Die Ärzte sprechen jedem Teenie-Herzen aus der Seele, egal welcher Generation. Vielleicht weil die Ärzte selber heimlich Teenies geblieben sind? Denkbar wäre es. Ich weiß nur, was ich niemals sein werde: Unrockbar.
Vicky Hytrek








