Klaus Dinger-Ausstellung in der Filmwerkstatt Düsseldorf (24.03.-02.04.2023)

Frei von Vorgeschichte: DINGERLAND

La! Neu?, 1996 (Copyright: Klaus Dinger Archiv)  – von oben links im Uhrzeigersinn: Dirk Flader, Thomas Klein, Viktoria Wehrmeister, Konstantin Wienstroer, Klaus Dinger, Andreas Reihse

 

Der Düsseldorfer Musiker, Produzent und Multiinstrumentalist Klaus Dinger war Autodidakt und gilt als Erfinder des Motorik-Beats. Mit seinen Bands NEU!, La Düsseldorf, D.E.D.H. und La! Neu? sowie als Schlagzeuger auf dem ersten Kraftwerk Album hat er die bundesdeutsche Musikszene wie wenige andere Künstler:innen geprägt. Nun würdigt ihn die Filmwerkstatt Düsseldorf mit einer von Miki Yui kuratierten Ausstellung.

 

Aktueller Hinweis: Die Ausstellung wurde vorläufig abgesagt.
Die Veranstalter:innen Jan Wagner, Filmwerkstatt Düsseldorf, Miki Yui,Klaus Dinger Archiv begründeten das wie folgt: “Leider sehen wir uns gezwungen, die ab dem 24. März geplante Ausstellung Dingerland abzusagen. Aus dem Umfeld Klaus Dingers sind Vorwürfe, die seine Person betreffen, an uns herangetragen worden, die wir ernst nehmen und mit der nötigen Sorgfalt prüfen möchten. Das Klaus Dinger Archiv versichert die Aufarbeitung der Vorwürfe durch eine umfassende Sichtung aller Schriften, die sich derzeit im Archiv befinden. Hierfür wird mehr Zeit nötig sein als die verbleibenden drei Wochen bis zu Eröffnung. Dafür bitten wir um Ihr Verständnis.”

 

Miki, in der Ausstellung „Dingerland“, die von dir in Zusammenarbeit mit der Filmwerkstatt Düsseldorf kuratiert wurde, gibt es größtenteils unveröffentlichten Videodokumente aus dem Nachlass von Klaus Dinger zu sehen, den du verwaltest.
Wie bist du bei der Zusammenstellung der Ausstellung vorgegangen?

Miki Yui: Auf den Wunsch von Jan Wagner (Filmwerkstatt Düsseldorf) hin, in der Ausstellung bisher unveröffentlichtes Video Material zu zeigen, habe ich im Archiv gezielt nach solchem gesucht – und einige spannende Aufnahmen gefunden.

Gerhard and Klaus, Die Engel des Herrn, 1992 (Copyright: Klaus Dinger Archiv) 


Größtenteils unveröffentlicht bedeutet, dass du diese Videos erst in den letzten Jahren aufbereitest hast? Oder wie kommt es, dass sie noch nie zu sehen waren?

Miki Yui: Im Klaus Dinger Archiv befinden sich Dokumente und Aufnahmen aus verschiedenen Epochen, meistens in analogen Formaten. Einige Video Tapes sind bereits 2010 digitalisiert worden und auf unter anderen dem Klaus Dinger Channel veröffentlicht. Aber es gibt noch viel mehr Video-Tapes, die noch nicht digitalisiert sind. Für alte Formate wie Umatic, Betacam, Video 8 oder VHS-C sind nur sehr schwer intakte Player zu finden. Zum Glück konnten wir trotzdem für die Ausstellung einige alte Aufnahme digitalisieren und sie somit erstmals erlebbar machen. Ohne die Hilfe der Filmwerkstatt mit ihrer Fachkenntnis und ihrem Netzwerk wäre es nicht möglich gewesen.
Die Aufnahmen aus den später 1970er Jahren und von Anfang der 80er Jahre aus dem La Düsseldorf Studio sind besonders wertvolle Entdeckung, die zum ersten Mal in der Ausstellung gezeigt werden.

Auf was können sich die Klaus Dinger Fans sonst noch freuen?

Miki Yui: Die Aufnahmen aus dem Jahr 1981, als ein Japanische Rockmagazin La Düsseldorf für ein Interview aufsuchte, bekam ich erst jetzt aus einem Archiv aus Osaka. In einem anderen Video sieht man La Düsseldorf  – in der Besetzung Klaus Dinger am Keyboard, Hans Lampe am Schlagzeug und Andreas Schell am Klavier – im Studio das Lied “CHACHA 2000” (vom Album “VIVA”(1978) spielen; der Liedtext ist auf dem Video zu lesen. “CHACHA 2000”, ein Manifest von Klaus Dinger, ist immer noch total aktuell in Zeiten von Klimawandel und Krieg.

Wir zeigen auch einige Interview-Videos aus diversen Epochen seines Schaffens und zu verschiedenen Projekten (1979: La Düsseldorf; 1989: Die Engel des Herrn, 2000: NEU! Re-Issue). Außerdem einiges aus der Zeit vor Kraftwerk und ab 1986 bis 2008, also aus jenen Epochen von Klaus Dinger, die oft übersehen werden.

Der schwedische Doku-Film “THE HEART IS A DRUM” von 2019 beschäftigt sich mit dem ikonischen Schlagzeugspiel von Klaus Dinger – und gibt Einblicke in eine gebrochene Liebesgeschichte; der Film läuft unten im Filmwerkstatt Kino ab dem 25.03. als Teil der Ausstellung. Vor ein paar Jahren gab es mal einen ARTE Beitrag, “URVATER DES TECHNOS”, ein Edit aus dem Film. Wir zeigen jetzt den Film in vollen Länge von 74 Minuten.
Es gibt zusätzlich einen wunderschönen, zehnminütigen Film desselben Regisseurs, Jacob Fróssen: “DINGERLAND”.  Beide Filme sind in Deutschland zum ersten Mal zu sehen.

Generell ist es so, dass Klaus Unmengen an Video- und Audio-Aufnahmen hinterlassen hat, insofern gibt es bestimmt noch mehr zu Entdecken. Alles muss erst noch gesichtet und sortiert werden – ich brauche mehr Zeit, um mit der Archiv-Arbeit weiter voran zu kommen.

Im Ankündigungstext ist auch von Objekten aus dem Klaus Dinger Archiv die Rede, was verbirgt sich denn dahinter?

Miki Yui: Die Instrumente; seine Accessoire – zum Beispiel Klaus’ Motto “IHR KÖNNT MICH MAL…” auf Seidenstoff gedruckt von dem befreundeten Künstler Achim Duchow; den Original NEU! Koffer; die La Düsseldorf Brille; eine Original Cola Dose aus dem Jahr 1984); handgeschriebene Dokumente; LP Cover Artworks; Original Fotos aus verschiedenen Epochen, die Einblicke in das Universum Klaus Dinger geben, gute, reale Ergänzungen zu den Videos, es macht viel Spaß sie zu sehen.

Wie wichtig ist es für das Verständnis von Klaus Dinger, dass er Autodidakt war?

Miki Yui: “Think outside the box” – das war Klaus Dingers große Fähigkeit. NEU! gebe es sicher nicht, wenn er eine “klassische” Musikausbildung gehabt hätte. Klaus strebte immer an, ein “Original” zu sein, seine Visionen (nicht nur) in der Musik auch in der visuelle Gestaltung zu verwirklichen.

Miki Yui, KlausDinger, Kazuyuki Onouchi als Japandorf (09.11.2001 Op de Eck Düsseldorf) (Photo: Anton Corbijn)

Miki, du hast mit Klaus Dinger künstlerisch kollaboriert, ihr wart aber auch privat ein Paar. Inwieweit hat eine Künstlerpersönlichkeit wie Klaus Dinger überhaupt zwischen privat und öffentlich getrennt?

Privat und Öffentlich war schon getrennt, klar – aber das private Leben und das Berufsleben war trotzdem nicht klar getrennt. “Immer Profi sein”, hat er gesagt. Alles was im Leben war, hat mit oder für das Schaffen von Kunst und Musik zu tun gehabt. Engste Familien- und Bandmitglieder waren wie ein Team. Das Leben und Arbeiten mit Klaus war für mich ein wunderbare Erfahrung, ich bin absolut dankbar, dass ich diese Herausforderung von ihm gelernt zu haben, und mit ihm leben und arbeiten konnte. Natürlich ist es nicht immer leicht gewesen, aber es war auch eine wunderschöne Zeit.

La Düsseldorf – Im Grund, 1976 (Copyright: Klaus Dinger Archiv)

Klaus Dinger war auch ein großer Menschenzusammenbringer – zumindest liest man das so aus dem dokumentierten Leben heraus. Er liebte es mit anderen zusammenzukommen und Musik improvisiert entstehen zu lassen, zumeist im Lilienthal-Studio in Lohausen und im Zeeland-Studio in Holland.
Nun greift ihr diese Praxis mit „Dingerland“ auf und ladet Musiker:innen ein, während der Ausstellung zusammen zu performen. Im Rahmen des Openings spielen Gregor Darman (Folie 2, LSW), Joshua Gottmanns (Neuzeitliche Bodenbeläge), Thomas Klein (La! Neu?, Kreidler, Sølyst), TinTin Patrone, Viktoria Wehrmeister (La! Neu?, Decha, Toresch) und Sebastian Welicki (Folie 2, LSW) zusammen. Wie kommt es zu dieser Konstellation?

Jan Wagner: Ich kannte Klaus seit Mitte der 90er Jahre als er anfing mit meiner Partnerin Viktoria Wehrmeister Musik zu machen. Hin und wieder habe ich sie nach Lohausen oder auch ins Studio nach Zeeland begleitet. Da gab es dann immer so einen Moment des Plauderns und Zeit Verbringes, wo sich die Stimmung unter den Leuten zeigte bevor es ins Studio ging. Ich hatte damals das Gefühl, dass er sehr darauf vertraute, was in dieser ja fast Vorbereitung passierte und das dann mit ins Studio nahm. Er war ja auch total offen gegenüber den Leuten, die da waren, egal ob Musiker:in oder nicht, wenn man wollte konnte man auch einfach mal mit rein.

Das war der Ausgangspunkt für die Idee kein Konzert zu machen, sondern Leute einzuladen, die dann eine Session spielen. Die Gruppe am 24.3. besteht zum Teil aus Musiker:innen, die mit ihm gespielt haben, wie Vicky und Thomas und einer jüngeren Generation, für die das aber noch wichtig ist. Gregor und Sebastian sind gerade sehr aktiv in der Düsseldorfer Szene und auf einem interessanten Weg in der elektroakustischen Musik, da war das naheliegend und wir sind im Moment eh im Kontakt, weil wir die Konzertreihe Sural, eine Kooperation zwischen dem Salon des Amateurs und der Filmwerkstatt, zusammen machen. Joshua kam über Gregor dazu und TinTin Patrone hatte Miki vorgeschlagen. Da kann sie mehr zu sagen.

Miki Yui: Vor drei Jahren war ein Konzert von Tin Tin Patrone und  mir in Düsseldorf geplant gewesen, das leider wegen COVID nicht stattgefunden hat. Letztens habe ich sie im Rahmen einer Gruppen-Improvisation in Berlin zum ersten Mal gesehen. Für diesen Anlass ist ihre Art des Musizierens passend. Ich finde die Mischung gut, dass einige Klaus persönlich kannten und einige wiederum nicht, also frei von Vorgeschichte sind.

Klaus Dinger, Selbstportrait, 1996 (Copyright: Klaus Dinger Archiv)

Das Werk von Klaus Dinger hat über die Jahre nach seinem frühen Tod nie an Bedeutung verloren, im Gegenteil, es spricht stetig neue Generationen an und wirkt sich auch auf die künstlerische Praxis vieler jüngeren Musiker:innen aus? Was denkst du, woran das liegt? Was lässt seine Musik so zeitlos wirken?

Miki Yui: Repetition, Minimalism, Treibender Rhythms – auf menschliche (nicht maschinelle) Art. Mut zu Experimenten. Sein Gespür für POP. Die musikalische Kontraste: einerseits romantische Melodien und sorgfältig erarbeitete Kompositionen und Lyrics, die einem tief berühren, anderseits wilder Pre-Punk, dadaistische Art und Rock’n Roll mit Rheinischen Humor. All das sind Eigenschaften der Musik von Klaus Dinger.

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