Interview mit dem Direktor des Museum Ludwig Yilmaz Dziewior zu der von ihm mit kuratierten Ausstellung „Andy Warhol Now“

Er sieht nicht nur wahnsinnig gut aus, sondern ist auch sehr intelligent und sympathisch (in all his modesty)

Yilmaz Dziewior (Photo: Sarah Szczesny)

Steigt man am Kölner Hauptbahnhof die Treppen zum Dom empor, so blickt einen derzeit von links Andy Warhol an, leicht apathisch im Blick und in rot eingefärbt. Ganz so als ob er es geahnt hätte, dass alles nicht so richtig rund laufen wird mit seiner Retrospektive – und das sind noch weiche Worte für die brutale Realität, dass seit dem 12. Dezember (als „Andy Warhol Now“ eigentlich hätte eröffnen sollen) außer der Presse und dem Ludwig Team selbst noch niemand die ambitioniert kuratierte Ausstellung besichtigen konnte. Immerhin machen die aktuellen Entwicklungen der Covid-19-Zahlen Hoffnung, dass es noch was wird mit der Öffnung; die Show wurde zudem gerade bis zum 13. Juni verlängert.

Yilmaz Dziewior war so freundlich, Thomas Venker (Interview) und Sarah Szczesny (Fotografie) durch die Ausstellung zu führen und uns anschließend in seinem Büro zum exklusiven Kaput-Interview zu empfangen.

 

Andy Warhol Self-Portrait, 1986 Tate © 2020 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Tate

Thomas Venker: Yilmaz, wir haben uns gerade zusammen die „Andy Warhol Now“-Ausstellung angeschaut. Eine wirklich beeindruckende Ausstellung, die alle Attribute erfüllt, um ein Publikumsmagnet zu sein. Doch bedingt durch die Pandemie und die Entscheidung der Politik die Museen komplett zu schließen, darf derzeit kaum jemand in die Räume. Wie fühlt sich das für dich an?
Yilmaz Dziewior: Natürlich schlecht. Aber es ist auch ein zwiegespaltenes Gefühl, da ich wahnsinnig gerne durch die Ausstellung gehe und sehr glücklich darüber bin, dass wir sie so hinbekommen haben – wenn ich wir sage, dann meine ich damit das gesamten Team. Es war für alle eine ziemliche Herausforderung. Zwischendurch hatten wir Angst, dass es nicht klappen könnte, da beim letzten Corona-Lockdown die Tate Modern Mitarbeiter:innen nicht mehr in die Tate durften. Wenn das im aktuellen Lockdown wieder so gewesen wäre, hätten sie die Ausstellung nicht abhängen dürfen.
Aber natürlich ist es sehr frustrierend, dass wir die Ausstellung jetzt schon zwei Monate nicht zeigen können. Ich möchte aber nicht mit der Politik tauschen und entscheiden müssen, ab wann wieder geöffnet wird. Insofern empfinde ich es für uns als Institution als Zeichen der Solidarität. Es ist ein symbolischer Akt. Denn rein praktisch gesehen ist unser Ort sicher, die Ansteckungsgefahr ist sehr sehr klein.
Wir verstehen uns als Ort der Kommunikation, wo Leute zusammen kommen um zu diskutieren und sich auszutauschen, es wäre ein Paradox, wenn wir geöffnet wären, wir die Leute aber auf Distanz halten müssten. Aber sobald die Zahlen sinken, können wir aufgrund unserer Hygienekonzepte als erstes öffnen.

Gibt es da regelmäßige Gespräche mit der Politik?
Permanent – wobei wir nicht mehr informiert sind als die Öffentlichkeit, da es ein gesamtgesellschaftlicher Prozess ist. Die Zahlen sind wie sie sind und jedem zugänglich. Als Städtisches Museum sind wir mit der Bürgermeisterin und der Kulturdezernentin und auch dem Land NRW im Austausch. Wir machen hinter den Kulissen Lobbyarbeit, das ist auch unsere Aufgabe. Wir haben Hygienekonzepte. Man kommt mit Zeittickets rein. Wir wissen genau, wer kommt, können es zurück verfolgen. Aber erstmal müssen die Zahlen runter gehen.

Gibt es die Möglichkeit, die Ausstellung eventuell zu verlängern oder sind die Leihgaben so tight verplant, dass sich das nicht ausgeht?
Vor zwei Wochen hätte ich noch geantwortet, dass ich das für ausgeschlossen halte. Nach uns kommen ja Toronto und dann Aspen. Selbst wenn wir verlängern können, also die Ausstellung danach verschieben – was wir können –, müssen das ja auch Toronto und Aspen in einer Kettenreaktion können. Wir sind in sehr guten Gesprächen. Es ist nicht unwahrscheinlich.

Die Ausstellung wurde von der Tate Modern und dem Museum Ludwig konzipiert, Toronto und Aspen übernehmen sie insofern ja nur. Es wäre ja absurd, wenn ihr sie dann nicht zeigen könnte, aber sie.
Absurd ja, aber es gibt einen Vertrag.

Natürlich, aber man könnte ja sagen, der Anstand würde es gebieten.
Das Good Will ist da, aber nicht deshalb ist es schwierig. Wir müssen ja selbst immer sehr restriktiv sein mit Leihgaben, aktuell verhalten wir uns jedoch sehr solidarisch mit anderen Institutionen, einfach weil die Zeit so ist. Wir machen viel möglich, was sonst nicht möglich wäre. Und so verhalten sich die anderen Institutionen auch.

Mittlerweile wurde bekannt gegeben, dass die Ausstellung bis zum 13. Juni 2021 verlängert wird.

Photo: Sarah Szczesny

Das Kurator:innen-Team der Tate Modern und ihr habt die Ausstellung zusammen kuratiert. Das heißt ihr habt Euch auf die beiden Hauptstränge der Ausstellung Immigration und Queerness geeinigt, innerhalb dieser aber unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.
Die lange Geschichte ist: die Tate kam vor vier Jahren auf uns zu, ob wir nicht eine Warhol Ausstellung übernehmen wollen – Warhol macht Sinn, aber übernehmen nicht.
Wir haben a) die größte Warhol Sammlung in Europa und b) das Know-How mit Stephan Diederich, der seit 30 Jahren hier am Haus ist und sehr viele Pop-Art Ausstellungen konzipiert. Und auch mich hat es wahnsinnig interessiert. Also haben wir gemeinsam ein Retrospektive-Konzept entwickelt: wir schauen auf den queeren Warhol und kulturelle Identitätsfragen. Die Tate wollte sich räumlich konzentrieren, wir aber richtig groß aufziehen, so entstand die Differenz: wir zeigen viel mehr – Warhol vor Warhol beispielsweise, die gemalten Bilder, die gibt es nur bei uns.

Gab es denn bei der frühen Phase viel mehr zur Auswahl?
Wir haben ziemlich alles, was es gibt. Das Wohnzimmer haben wir nicht, so ein Interieur, das er gemalt hat, das war in der Whitney Ausstellung „Andy Warhol – From A to B and back again“.

“States Immigration Officer at Port of Arrival” (Photo: Sarah Szczesny)

Gab es denn neben der beiden Hauptstränge Queerness und Immigration noch andere auf der Long List, die es dann nicht geschafft haben?
Mehrere. Wir hatten zum Beispiel den Celebrity Charakter seines Werks auf der Liste und den ökonomischen Aspekt: Warhol als Geschäftsmann. Die beiden Themen, die wir ausgewählt haben, boten sich an, da sie noch unteraufgefächert sind – bei Immigration gibt es die Mutter, die Religiosität, die Ikonographie; bei Queerness geht es um Wahrhol und Subkultur, Warhol und Popkultur. Die beiden Stränge reichten, da sie so viele Unterstränge in sich tragen.

Die beiden sind ja auch zeitgeschichtlich gesehen die neueren und zwingenderen.
Finde ich auch. Bei uns heißt die Ausstellung deswegen auch „Andy Warhol Now“ — während sie bei der Tate nur „Andy Warhol“ hieß.

Das „now“ ist sehr wichtig, da es betont, dass die Stränge in seinem Werk heute so unglaublich zeitgemäß sind. Es ergeben sich da aus heutiger Sicht neue Perspektiven auf das Werk.
Wir haben denselben Katalog, aber mit anderem Cover. Wir haben das …

Yilmaz holt und zeigt den Katalog

Das ist ein Statement!

Die gleiche Perspektive, wobei der andere Winkel soviel ausmacht.
Eine solche Ausstellung ist auch ein ökonomisches Unternehmen. Die Tate hat eine sehr konzentrierte Ausstellung angelegt – aber dasselbe Ticket verkauft. Beim Katalog haben sie natürlich die Marilyn drauf gemacht, weil sie sich besser verkauft. Ich muss natürlich auch ans Geld denken. Wir hatten hier Diskussionen, da wir den Katalog sehr gut verkaufen wollen. Aber mein Kollege Stephan hat mich überzeugt: die meisten Kataloge verkaufen wir hier im Haus, wenn die Leute schon mal da sind, dann nehmen sie sie auch mit. Dann ist es egal, was da drauf ist. Das Cover ist hundertmal passender.

Ihr nehmt eine wichtige interpretative Aussage vor, die das andere Cover nicht leistet. Mal davon abgesehen, dass es ein super schönes Cover ist.
Das findest du, das finde ich.

Photo: Sarah Szczesny

Lass mich noch mal kurz auf die beiden Hauptstränge Queerness und Immigration zurück kommen. Ich finde sie auch so geeignet ausgewählt, da sie einen selbst viel mehr zum Nachdenken über das Werk von Andy Warhol bringen. Die Celebrity Bilder sind so bekannt wie klar, da steht man davor und ist beeindruckt. Aber bei den Arbeiten, die ihr zeigt, da gehen eigene Gedanken los – man denkt plötzlich über das politische im Werk von Andy Warhol nach. 
Wie du vorhin in der Ausstellung im Raum mit seinen Akt-Zeichnungen so passend angemerkt hast, Warhol war kein lauter Agitator für die Rechte von Homosexuellen, aber man sieht wie er diese doch thematisiert hat , auf seine Art, sei es mit dem Interview Magazine oder der TV-Show.
Da ist ja immer eine super spannende Diskussion: was ist politische Kunst? Natürlich ist es politische Kunst, aber es ist kein Act Up. Wie kann man mit etwas, das einen als Künstler berührt und umtreibt glaubwürdig Position beziehen ohne eine direkte tagespolitische Aussage zu tätigen? Ich finde dies gelingt Warhol hervorragend. Das kann man an den Zeichnungen sehr gut nachvollziehen.

Da kommt auch der Werber Warhol durch, der weiß wie man Zusammenhänge und Aussagen kommunizieren kann ohne sie direkt zu adressieren.

Absolut. Ich lese gerade die ganz tolle Biographie von Blake Gopnik, da erfährt man wie erfolgreich Warhol bereits mit Anfang 20 als Werbegrafiker war – und dementsprechend reich. Er war der It-Boy und konnte sich in New York ein Townhouse davon kaufen, in das dann seine Mutter mit ihm eingezogen ist. Es hat ganz lange gedauert bis er für seine Bilder 30.000 $ / 40.000$ bekommen hat – als er die Elvis und Marilyns gemacht hat, verdiente er noch mehr als Werbegrafiker. Es war interessant für mich zu lesen, dass er keinen bürgerlichen familiären Geldhintergrund hat, dann aber sehr früh sehr viel Geld verdient hat. Deswegen ist der ökonomische Warhol schon sehr interessant. Geld war für ihn total wichtig: als Bestätigung, für sein Selbstwertgefühl – auch wenn er es sofort wieder ausgegeben hat.

Und trotzdem war er so mutig sich davon frei zu machen und die Werbung aufzugeben und es als Künstler zu versuchen.
Ja, genau. Es war ihm ein Bedürfnis – romantisch gesprochen. Er konnte nicht anders. Er hat bereits als Grafiker Kunst gesammelt, andere Pop-Art-Leute wie Jasper Johns. Er wollte da immer rein.

Es hört sich so an, als ob das die absolute Traumausstellung für dich ist, insofern als dass es so viel zu erfahren gibt im Warhol Universum, man kommt aus jedem Arbeitstag mit zehn neuen Geschichten raus.
Deswegen wollte ich sie auch selber machen und nicht nur eine Ausstellung übernehmen, das ist ja der spannende Teil der Arbeit.

Yilmaz Dziewior (Photo: Sarah Szczesny)

Als ich dich während der Führung bat, dich neben deine Lieblingsarbeit in der „Andy Warhol Now“-Ausstellung zu stellen, hast du dir das Rauschenbergportrait ausgesucht. Warum?
Weil es so gut zu meinem Hemd passt. (lacht)
Aber noch wichtiger: es sieht sehr gut aus, dieses blau, diese Repetition. Auch Rauschenberg sieht sehr gut auf dem Bild aus. 
Gemeinsam mit dem Direktor des Museums Brandhorst in München Achim Hochdörfer beschäftige ich mich schon länger mit den „Fünf Freunden“, so wohl der offizielle Titel – mein interner Titel ist „Five Faggots“. Es geht um Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Merce Cunningham, John Cage und Cy Twombly, der mit Rauschenberg in den 50er Jahren zusammen war.

Das ergibt Sinn. Ich lese gerade das Buch über das Black Mountain College und wunderte mich schon, warum Cy Twombly da an der Seite von Cage und Rauschenberg auftauchte.
Er war Teil dieser Gruppe, auch in New York, aber man hat ihn immer mit Europa verbunden, mit Rom.
Aber zurück zum Bild, was ich daran mag, es ist ein total queeres Bild. Ich weiß das zufällig, aber ich finde man sieht es dem Bild auch an: Warhol hat Rauschenberg angehimmelt, er fand ihn aus so vielen Gründen ganz toll: er sah super aus, er war sehr erfolgreich, hat It-Kunst gemacht. Ich finde Rauschenberg auch toll, deshalb ist es mein Lieblingsbild. Es ist ein Liebesgedicht von Warhol an den verehrten Künstler und den Mann, den er gut findet.
Man weiß, dass Rauschenberg und auch Jasper John Distanz zu Warhol hatten, gemieden wäre übertrieben, aber sie haben nicht seine Nähe gesucht. Und zwar weil sie absolut in the closet waren – wir reden jetzt von Ende der 1950er Jahre, Anfang der 60er Jahre. Sie waren ja ein Paar, haben zusammen gelebt, aber sie hatten Angst, dass das ihrer Karriere schaden könnte, wenn sie als schwule Künstler geoutet werden könnten. Sie haben wie Warhol zusammen als Schaufensterdekorateure gearbeitet, allerdings unter Pseudonym.

Andy Warhol Sleep, 1963 16-mm-Film, schwarz-weiß, ohne Ton, 5:21 Std. 16fpr © 2020 The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, PA, a museum of Carnegie Institute. All rights reserved.

Es gibt ja mehrere Perspektiven auf die aktuelle Pandemie-Situation. Beginnen wir mit der ökonomischen, die sicherlich nicht angenehm ist, auf der anderen Seite aber nüchtern kalkulierbar.
Kommt das Museum auch längerfristig (also auf das Jahr 2021 gesehen) mit den erheblichen Mindereinnahmen zurecht? Siehst du Langzeitauswirkungen?
Kann man aktuell schwer sagen. Wir haben 2020 fast zwei Millionen miese gemacht, wir werden 2021 auch große Verluste haben. Wir wissen jetzt nicht wie die öffentliche Hand – bei uns ist es ja erstmal die Stadt, aber gleichzeitig ist es das Land NRW und auch der Bund legen immer wieder neue Programme auf – damit umgeht. Die Sache ist: wir bekommen eh nicht viel Geld mit dem wir operativ arbeiten können. Wir bekommen Miete, Strom, Gas und die Gehälter – wir werden also niemand feuern müssen, nicht wie in den USA, wo viele Kolleg:innen gehen mussten. Unser Ausstellungsetat ist sehr gering, wir bekommen 255.000€ fürs ganze Jahr, das ist auch zugesichert.

Das heißt, du hast aber noch mehr Druck Gelder woanders akquirieren zu müssen?
Das mussten wir schon immer.

Glaubst du, dass es nun schwieriger wird?
Wir haben einen amerikanischen Freundeskreis, der sehr gut läuft. Da meinte die Kollegin, die das betreut: „Vielleicht sollten wir denen den Beitrag für 2020 schenken“ – auf keinen Fall, weil die Leute, die da drin sind (die zahlen 7.500$ im Jahr), die verlieren nicht so viel Geld gerade.
Die uns unterstützende Gesellschaft für Moderne Kunst hat zum Beispiel einen Aufruf gemacht für Warhol, und der war sehr erfolgreich. Geld ist da – aber wie es in einem Jahr sein wird, das kann man schwer vorhersagen.

Noch viel aufwühlender als die ökonomische Perspektive dürften die emotionale sein, damit meine ich die Auswirkungen auf das Team.
Ich habe mir auf der Website des Museums das Team-Foto angeschaut – das dort abgebildete Team umfasst fast 50 Leute. Was macht es mit einer Arbeitsgemeinschaft, wenn sie solange wie nun bereits schon durch den Lockdown nicht zusammen kommen kann? Bei dir als Direktor laufen ja alle Fäden zusammen. Inwieweit kann man dem gerecht werden in so einer Ausnahmesituation?
Diese 50 Leute, die du ansprichst: uns ist allen bewusst, dass wir in einer privilegierten Position sind, wir haben jeden Monat das Geld auf dem Konto, sind im Home Office.
Klar, der physische Druck ist sehr hoch, das höre ich von vielen Kolleg:innen, gerade mit Familie, mit Kindern. Das belastet extrem.
Die existenzielle Angst, die trifft eher auf unsere freien Mitarbeiter:innen zu. Unsere Aufsichten, unsere Putzkräfte – da ist das zentrale Problem, für uns als Institution und für die Gesellschaft an sich, dass die nicht Angestellte der Stadt sind.  Wir führen viele Diskussionen hier im Haus, und müssen feststellen, dass unser Team sehr homogen ist, aus einem ähnlichen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund. Unser Anspruch ist, das zu ändern und mehr Gesellschaft abzubilden. Gleichzeitig haben wir ein super heterogenes Team hier, das nicht bei der Stadt Köln, sondern bei einem Unternehmen angestellt ist: die Aufsichten. Das muss sich ändern.

“Ich hätte nicht gedacht, dass es so übel werden würde” (Photo: Sarah Szczesny)

Ihr arbeitet ja auch sehr direkt mit vielen Künstler:innen und deren Studios für Ausstellungen zusammen. Wie sieht das von Künstler:innen-Seite aus? Wie gehen Sie mit der veränderten Weltordnung um? Muss man sie mehr emotional stützen?
Wir haben ja eher mit etablierten Künstler:innen zu tun. Die verkaufen auch in diesem Jahr ihre Bilder, manche von ihnen freuen sich wenn sie mal nicht so viel für „diese doofen Messen produzieren müssen“. Das ist natürlich eine Luxusposition. Mit Künstler:innen in prekäreren Situationen haben wir als Institution weniger zu tun – das kann man als Fehler sehen, aber so ist es.

Interessant, dass du das rein ökonomisch interpretierst. Dadurch dass das Reisen und die persönlichen Treffen wegfallen – was ja auch bei dir der Fall ist –, entstehen emotionale Löcher.
Es gibt ja wirklich Künstler:innen, die haben eine große Abneigung gegen Ausstellungseröffnung und vermissen dieses Ritual nicht. Im Gegenteil. Zur Ausstellung zu gehen, dass vermissen aber schon die meisten, ja.

Yilmaz Dziewior (Photo: Sarah Szczesny)


Und wie geht es dir? Hast du dich so gut digital eingerichtet, dass du deine Arbeit gleichwertig machen kannst oder siehst du da schon Defizite?
Ne, es ist viel mehr Arbeit und ich bin viel eingeschränkter.
Wenn das Team hier ist, kann ich viel besser mit ihm arbeiten. Dann bin ich auf den Fluren der Büros unterwegs, so ist alles ein Angang, ich muss jeden kontaktieren. Dasselbe betrifft die Sammler:innen und Künstler:innen, die sieht man bei den Ausstellungseröffnung und anderen Veranstaltungen geballt.
Wir haben jetzt ganz viele Ausstellungen verschoben. Das hört sich so leicht an, das hat aber riesige Folgen, man muss immer neue Leihanträge stellen, neue Versicherungspolicen ausstellen, den Transport neu organisieren – und man weiß nie, ob sich das dann ausgeht, die „Russische Avantgarde“ verlängern wir nun bereits zum dritten Mal. Man hechelt den Dominoeffekten hinterher.

Yilmaz Dziewior (Photo: Sarah Szczesny)

Was weckt das Interesse des Kunstinteressierten Yilmaz Dziewior? Und was muss ein(e) Künstler:in mit sich bringen, was muss ein Werk aufweisen, wenn es dich zum damit arbeiten bewegen will? Vielleicht auch noch mal auf Warhol hin gefragt?
Was mich per se interessiert: Kunst ist eine Erweiterung von Handlungs- und Möglichkeitsfeldern, dass man mit Kontexten zu tun hat, die aus meiner Sicht extrem attraktiv sind, mit bestimmten sozialen Schichten, gesellschaftlichen Gruppierungen und Individuen – und in Austausch kommt, den man sonst nicht hätte. Ich kenne Leute, die sind Ärzte und Juristen, oder arbeiten in Banken und Firmen, das mag auch interessant sein, aber ich finde im kulturellen Feld für mich sehr attraktive Menschen.
Bei Warhol interessieren mich genau diese Themen: das Öffnen der Subkultur, sein Celebrity Status und die Verknüpfung unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche, das ist auch etwas, was ich in meiner Arbeit sehe.

Eint es die Ausstellung, die du bislang im Museum Ludwig umgesetzt hast, dass zumindest eines dieser Felder immer mit schwimmt?
Auf jeden Fall. Wobei das auch sehr stark vom Team nicht nur getragen wird, sondern dass vom Team sehr viel Input kommt. So sind ökologische Fragestellungen zum Beispiel ein Strang, der uns besonders interessiert. Miriam Szwast, eine Kollegin hier im Haus, die puscht das sehr. Klar als Direktor ist es meine Aufgabe Impulse zu setzen, aber das würde nicht gehen, wenn hier nicht ein großes genuines Interesse und eine Dynamik herrschen würde.

Andy Warhol Ladies and Gentlemen (Wilhelmina Ross), 1975 Privatsammlung, Italien © 2020 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York Foto: Patrick Goetelen/ © Tate, London

Ein einschneidender Moment deiner Ludwig-Zeit bislang war sicherlich 2018 die Bekanntgabe, die Sammlung des Hauses unter Gender-, Queer Studies- und Postcolonial-Gesichtspunkten neu zu bewerten, sie also explizit selbstkritisch auf Cis-Dominanz zu untersuchen. Es ging darum die falschen Wahrnehmungs-Hierarchien zu brechen und minder beachteten Strängen die längst angebrachte Aufmerksamkeit zu schenken, also Kunstströmungen und Akteur:innen aus Asien, Afrika und Südamerika und explizit auch Frauen und Mitglieder:innen der LGBTQI+ Communities mehr Präsenz zu geben.
Das funktionier im Ludwig jetzt auch, weil es eine gesellschaftliche Relevanz hat. Es ist nicht, dass wir uns das ausdenken, das ist gesellschaftliches Leben – und auch gesellschaftlicher Druck, Gott sei Dank.
Wenn du früher hier rein kamst, sagen wir vor dreißig Jahren, da hattest du den Heldensaal mit Lüpertz, Baselitz, Kiefer – das war der hegemoniale Diskurs. Jetzt hast du da den schwulen Warhol.
Das ist auch das schöne an der John Dewey Präsentation unten im Gegenwartstrakt. Die Kunst, die man als Museum zeigt, die entsteht nicht im luftleeren Raum, die stellt Gesellschaft dar, spiegelt sie, reflektiert sie. Indem man das macht, gestaltet man aber auch Gesellschaft, das ist gleichermaßen Aufgabe der Kunst als auch der Institution. Indem wir uns für queere Themen und Fragen der Migration und Teilhabe stark machen und sie präsentieren, liest man in den Berichten überall darüber, so wirkt man auf die Gesellschaft ein. Deswegen arbeite ich auch in dem Feld. Man ist einerseits wie ein Schwamm und saugt auf, hat als Institution aber auch einen großen Einfluss. Man sorgt dafür, dass bestimmte Dinge selbstverständlicher werden, initiiert einen Prozess der Emanzipation.

Man muss die Dramaturgie gut im Blick haben, wann kann man beschleunigen, wann ist es noch zu früh…
… und du hast auch immer Backclash. Ich kenne genug Leute in der Stadt, die das nicht gut finden. Aber so what, das hast du ja immer.

Du bist nicht nur Direktor des Museum Ludwig, sondern auch als Kurator des Deutschen Pavillons bei der der nächsten Kunstbiennale in Venedig berufen – wo du 2015 für Österreich in gleicher Funktion den Pavillon von Heimo Zobernig bespielen lassen.
Spielt es denn irgendwo und irgendwie im Hinterkopf eine Rolle für welches Land man als Kurator berufen ist?
Bestimmt. Ich habe einen türkischen Vornamen und einen polnischen Nachnamen – und bin der offizielle Kurator des deutschen Pavillon. Das ich Türke sein soll ist lustig, dass ich Pole sein soll noch ein bisschen lustiger.
Mir ist bewusst, was für Projektionen an mich heran getragen werden, wofür ich als Platzhalter dienen kann. Aber ich glaube, dass ich mich in keinem Fall als Repräsentant der Politik sehe, sondern als Repräsentant meiner Arbeit. Ich verfolge seit vielen Jahren bestimmte künstlerische Positionen, die einzubringen, sehe ich als meine Aufgabe. Ob ich meine Arbeit nun im deutschen Pavillon mache …
Natürlich sind mir die ganzen lokalen Faktoren bewusst, in meiner Arbeit hat der Ort ja immer eine Rolle gespielt, sowohl geographisch als auch was die Architektur und die soziale Dimension betrifft – das wird in Venedig nicht anders sein.

 

Ich meinte das auch nicht im Sinne, dass du Deutschland repräsentierst, sondern eher ob der Absender Deutschland oder Österreich gewisse Narrative für die Auswahl der Künstler:in vorgibt.
Nein, überhaupt nicht.
Ich bin mir des Orts, der Architektur und Geschichte sehr bewusst, aber das bedeutet nicht, dass das in irgendeiner Form etwas festschreibt. Es wäre aber naiv, wenn ich das nicht reflektieren würde. Am Ludwig interessiert mich ja auch, dass wir uns in Köln befinden, wo es eine sehr große türkische Population gibt. Nil Yalter hätte ich vielleicht auch an einem anderen Ort gemacht, weil ich die ganz toll finde, aber wir haben sie hier – kuratiert von Rita Kersting – gemacht, weil das nochmals einen ganz anderen Sinn ergibt.
Die Position, die ich im deutschen Pavillon zeige, die hätte ich glaube ich nicht für den österreichischen ausgewählt, obwohl…

Bedeutet dies, dass du diesmal eine Frau einladen wirst?
Denk mal bitte nicht so binär. (lacht)

Das ist schon mal eine gute Antwort.

Einige Tage nach dem Interview ist es offiziell: Maria Eichhorn wird den Deutschen Pavillon in Venedig 2022 bespielen.

Yilmaz Dziewior (Photo: Sarah Szczesny)

Wie empfindsam sollte man für die soziopolitischen Schwingungen sein? Einerseits liegt es nahe, Black Lives Matters, die Demokratie-Krisen weltweit und auch die Pandemie aufzugreifen, andererseits ist eine Biennale ja auch ein diagnostisches Statement, das größere Zusammenhänge aufgreifen sollte? Wie findet man da das richtige Gleichgewicht zwischen Geschichte, aktuellem Momentum und Zukunft?
Man kann sich davon nicht frei machen. Das will ich auch nicht. Das spielt alles eine Rolle. Es gibt jetzt im amerikanischen Pavillon eine afroamerikanische Positionen zu sehen, im englischen eine britisch-afro-karibische, im kanadischen eine afrocanadian – das ist so virulent, das kann ich gut nachvollziehen. Es treibt uns alle um, man kann sich dem nicht entziehen.
Was die Pandemie abgeht, es wird sicherlich kein großes Virus ausgestellt, aber es wird eine Rolle spielen. Wir haben alle unser Leben verändert – und wir werden einiges davon beibehalten. Für mich kann ich sagen: ich werde weniger reisen. Ich will zwar jetzt unbedingt wo hinfahren, aber man muss nicht mehr zu allen Dingen fahren.

Lass mich den Aspekt der Geschichtsschreibung aufgreifen und nochmal zu Warhol wenden – inwieweit macht man so eine Ausstellung auch um die Geschichtsschreibung zu korrigieren? Denkst du über so etwas nach?
Bestimmt, auch persönliche Geschichtsschreibung. Da kann ich nur Henry Purcell zitieren: „Remember me, remember me, but ah! forget my fate.“ Es ist grundsätzlich immer ein Impuls, dass man sinnhaft arbeiten möchte – und Sinn meint, dass da was bleibt.

Und wenn auf einem Buchcover so ein Photo wie bei Euch drauf ist und nicht die Marilyn, dann hat man einen Akzent gesetzt.
Genau. Das passiert aber weniger – allgemein und persönlich gesprochen – intentional, das ist nicht der Antrieb des Handels. Aber ich bin mir bewusst, dass so ein Cover in zehn Jahren ein Bild dieser Zeit transportiert. Aber deswegen setze ich es nicht drauf. Es ist eine Notwendigkeit im Jetzt es zu thematisieren.

Wo du vorhin die Buchabsatzzahlen angesprochen hast. Schweben die Zahlen generell immer über einem als Druck beim Ausstellungsmachen?
Es wäre naiv, wenn das nicht wäre. Klar könnte ich immer nur verschrobene Sachen machen, das wäre auch interessant, aber das machst du nicht lange – dann funktioniert es nicht. Aber das ist jetzt nur die ökonomische Seite, auch hier gibt es die sinnstiftende Seite: eine Ausstellung für fünf Leute zu machen, wirft die Frage der Notwendigkeit auf; wobei es auch mal richtig sein kann, eine Sache für fünf Leute zu machen.

Das hat viel mit den Orten zu tun, an denen man es macht. Im kleinen Nischenclub ist es okay. Ein guter Schwenkmoment ins Jetzt, wo man Ausstellungen macht, die vor Ort nur fünf Leute sehen können und der Rest nur digital.
Wir hoffen, dass hier noch ein paar mehr als fünf kommen werden.

Zum Ende noch eine privat inspirierte Frage, da ich selbst an drei Hochschulen unterrichte, ist mir natürlich besonders an deinem Lebenslauf aufgefallen, dass du in Hamburg parallel zur Arbeit beim Kunstverein eine Professur für Kunsttheorie an der Hochschule für bildende Künste inne hattest. Danach hast du bislang keine weitere wissenschaftliche Position eingenommen. Fehlt dir die Lehre?
Ich habe in Bonn ein Semester unterrichtet seitdem ich hier bin und bin in Düsseldorf aktuell Teil eines Mentor:innen Progamms, dass heißt ich begleite eine Studentin für ein Semester beim Studium. Also ein bisschen ist es noch da… ich könnte sicherlich mehr machen, wenn ich es anstreben würde, aber im Moment ist der innere Druck bei mir noch nicht so groß.
In Hamburg war das sehr wichtig für mich, da ich mir dadurch die Zeit nehmen musste, zur Seminarvorbereitung Theorie zu lesen. Das hat sich gut mit meinem Ausstellungsprogramm ergänzt – als ich Andrea Fraser gezeigt habe, gab ich ein Seminar über Institutionskritik. 
Am Unterrichten gefällt mir auch der Kontakt zu einer anderen Generation, der gerade jetzt in der Pandemiezeit extrem fehlt, da es keine Rundgänge und Ausstellungseröffnungen gibt – jetzt ist das alles nur noch im Netz… die zufälligen Begegnungen fallen derzeit komplett weg.

Die andere persönliche Frage: Was, glaube ich, nicht so viele wissen, du warst früher auch als Kunstkritiker aktiv und hast unter anderen am Anfang deiner Karriere für die Bonner Rundschau geschrieben und später auch viel für das Artforum. Gibt es ab und an noch Ausstellungen, die in dir den Kritiker ansprechen? Welche zuletzt?
Lustigerweise ja. Man hat ja eh immer ein Urteil. Für eine Besprechung ist man dann gezwungen, das zu formulieren. Manchmal bereue ich es schon, dass ich beim Artforum zu schreiben aufgehört habe, als ich 2001 in Hamburg angefangen habe. Ich fand, dass Kunstkritik und Produktion nicht zusammen gingen – das war eine Quatschentscheidung. 
Was ich aber weiterhin mache sind Katalogtexte – nur eben sehr selten und ausgewählt, da ich zu wenig Zeit habe. Aktuell schreibe ich einen Katalogtext für Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheierl; für Rosemarie Trockel habe ich gerade auch was geschrieben.

Wenn du die Headline für den Beitrag auf Kaput selbst verfassen dürftest: welche würdest du wählen?
Er sieht nicht nur wahnsinnig gut aus sondern ist auch sehr intelligent und sympathisch. Klammer auf: in all his modesty.
Ich bin eigentlich sehr gut mit Headlines – und ich fange beim Schreiben meiner Texte gerne mit der Headline an. (lacht)

“Andy Warhol Nów”-Ausstellungsansicht (Photo: Sarah Szczesny)

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