Frank Dommert im Gespräch zu Sun Ra anlässlich des Auftritts des Sun Ra Arkestra am 7. Mai im Kölner Stadtgarten

„Vor Sun Ra lege ich keinen Sun Ra auf“

Sun Ra, bürgerlich Herman Poole Blount, ist soviel mehr als nur ein Jazzmusiker. Der Komponist und Prediger – sein Künstlername sowie seine Kostüme und Schmuck verweisen auf den ägyptischen Sonnengott Ra – ist, was man gemeinhin einen Mythos nennt, also ein Mensch, der mit den Göttern verbunden ist. Wobei Sun Ra auch 29 Jahre nach seinem Tod noch äußerst präsent auf jenem Planeten ist, den er dereinst für den Saturn eintauschen wollte, nicht zuletzt da das Sun Ra Arkestra (mittlerweile unter der Leitung von Marshall Allen) noch immer seinen Gospel verkündet.

Am 7. Mai gastiert das Sun Ra Arkestra nun im Rahmen des ACHT BRÜCKEN Festivals im Kölner Stadtgarten – und wer die Band vor vier Jahren im Rahmen des Week-End Festivals gesehen hat, weiß, dass man sich den Auftritt nicht entgehen lassen sollte. Zumal zur Einstimmung in den Abend Tim Elzer und Frank Dommert ein free-jazziges Warm-Up-Set spielen werden  – Anlass genug dem Sun-Ra-Experten Dommert ein paar Fragen zu stellen.

 

Frank, wo wir gerade vor dem a-musik Laden sitzen: Kommen denn viele Leute zu Euch um Sun Ra Platten zu kaufen?

Frank Dommert: Sun Ra ist seit vielen Jahren ein stetes Thema bei uns im Laden. Man muss wissen: Es geht bei Sun Ra sehr um Verfügbarkeit. Früher gab es es lediglich die ESP Platten „Heliocentric Worlds I“ & „Heliocentric Worlds II – beides sehr strenge, sehr free-jazzige, sehr anstrengende Platten. Alles andere war nicht verfügbar oder wahnsinnig teuer. Ab Ende der 90er Jahre erschien dann auf Evidence Music eine großangelegte CD-Reissue-Serie mit tollen Booklets und Bonus Tracks und später auch Vinyl-Wiederveröffentlichungen von frühen Sun Ra Platten – also die Platten vor der harten Free-Jazz-Phase. Das war für mich persönlich der Einstieg. „Angels and Demons at Play“ und „Sun Song“ sind ganz tolle Platten, Ende der 50er Jahre entstanden, schon sehr jazzig, aber auch mit einem ganz eigenartigen Exotica-Gefühl. Das war für mich eine besonders spannende Sun Ra Phase.

Legen Tim Elzer und du an dem Abend denn auch Sun Ra auf?

Die Frage kam schon öfters auf. Aber nein, vor Sun Ra lege ich keinen Sun Ra auf! Wir haben auch nur eine Stunde zum Auflegen – und du weißt ja, bei Free Jazz und Spiritual Jazz muss man sich bei zwei DJs schon sehr anstrengen mehr als vier Stücke zu spielen.

Was war dein erster Berührungspunkt mit dem Sun Ra Universum: die Musik oder die Persona?

Die Musik!

Und wie schnell hast du dir den Kontext dazu erarbeitet?

Ich bin nicht so der Film- und Video-Typ. Für mich steht immer die Musik im Vordergrund. Wobei ich eine schlimme Deep-Dive-Sun-Ra-Phase hatte, wo ich unheimlich viel gekauft, gehört und auch gelesen habe. Die Person ist natürlich wahnsinnig interessant, auch das System dahinter. Das war ja eine Art Indie-Label. Die Platten wurden von ihnen selbst gepresst um sie auf den Konzerten zu verkaufen und davon zu leben. Sun Ra hatte extra einen Manager, der sich um das kümmert hat. Das Selbstbemalen derr Cover war eine irre aufwendige Angelegenheit. Das hat mich natürlich interessiert. In den 60er Jahren hat das sonst noch niemand gemacht.

Eine DIY-Fabrik.

Genau. Diese handgemalten Cover sind heute sehr gesucht. Da fehlt noch die richtig große Sun Ra Ausstellung, um das visuelle Werk zu präsentieren – aber das kommt bestimmt noch.

Auf der Art Cologne hat die Chicagoer Galerie Corbett vs. Dempsey vor ein paat Jahren Sun Ra Plattencover ausgestellt.

Von Corbett vs. Dempsey gibt es vier kleine, sehr schöne Bücher mit den Grafiken und Zeichnungen und Covern. Die habe ich mir damals sofort gekauft. Es gibt ansonsten noch die umfangreiche Diskographie von Hartmut Geerken, „Omniverse – Sun Ra“, ein immenser Wälzer, sowie die sehr detaillierte englische Biografie von John F. Szwed, „Space Is The Place: The Lives and Times of Sun Ra“, in der alle Phasen (Birmingham, Chicago, New York, Philadelphia) ausführlich behandelt werden und dargelegt, wie sich das stilistisch in der Musik abbildet.

Klaus Theweleit hat vor einigen Jahren im King Georg einen tollen Vortrag zu Sun Ra gehalten, der wurde aber leider nicht aufgezeichnet.

An dem Abend haben Tim und ich auch aufgelegt.

Frank, nun war / ist Sun Ra ja immer mehr als nur ein Musiker. Sein Werk ist eng mit dem Afrofuturismus verbunden, thematisiert die Unterdrückung der Schwarzen in Amerika und darüber hinaus und entwirft eine Exil-Utopie auf dem Saturn. Wie wichtig ist diese soziopolitische Komponente im Werk von Sun Ra? Wo du die DIY Fabrik erwähnt hast, war das auch geschicktes Marketing?

So ganz trennen kann man es nicht. Reines Marketing würde ich es nicht nennen. Sun Ra entstammt einer älteren Generation, so ganz sicher weiß man also nicht, ob er nicht an manche Sachen tatsächlich geglaubt hat, ob es also quasi spirituelle, religiöse Züge hatte. Dieser spirituelle Aspekt ist jedenfalls für die Rezeption seiner Musik sehr wichtig, dadurch wird sie so toll. Das ist wie bei Roots Reggae: Die Spiritualität gibt der Musik eine Glaubhaftigkeit. Ich mag derartig ergreifende Musik sehr gerne; beim Free Jazz wird ja auch Gott durch das Saxophon angebetet. Die damit einhergehende – schwieriges Wort – Authentizität und Ergriffenheit sind bei Sun Ra jedenfalls sehr präsent.

Sun Ra ist es gelungen, ein Kollektiv zu formen, das über seinen Tod hinaus besteht. Wie verhält sich denn das Sun Ra Arkestra ohne ihn zu dem Werkkorpus, wo er selbst noch aktiv mit dabei war?

Das ist in der Tat wahnsinnig erstaunlich. Ich hatte damit nicht gerechnet. Ich war hin und weg gerissen vom Auftritt des Sun Ra Arkestra beim Week-End-Festival vor einigen Jahren. Das hatte einen eigenen Charakter. Das war eine Fortführung des Werks von Sun Ra und eben keine Coverband – auch wenn sie Songs von ihm spielen. Er lebt im Arkestra weiter – und man denkt eben nicht wie bei anderen, dass die das jetzt machen um… das Duke Ellington Orchester hat bestimmt nicht so toll weiter gespielt. Das Kollektiv muss also gut funktioniert haben. Wobei man rückblickend sagen muss, dass es Frauen-technisch ein paar Abstriche gibt. Die Sängerin, Violinistin und Tänzerin June Tyson hat wohl als einzige Frau mit Sun Ra performt, sie ist aber leider sehr früh verstorben. Vor kurzem ist eine Compilation mit Stücken von ihr erschienen, die aber nicht so gelungen ist.
 Der Kölner Autor Tim Stüttgen hat übrigens zum Queer Aspekt von Sun Ra gearbeitet.

Frank, zuletzt die schwierige Frage nach den fünf Lieblingsplatten.


„Nuclear War“

Sun Ra Arkestra, Stadtgarten, Köln, 7. Mai 2022

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