Jeano Elong: Eine Gemeinschaft, die sich im gemeinsamen Feiern und Tanzen konstituiert
Christoph, ich zitiere dich zum Einstige, du bist „so wahnsinnig, in diesen Zeiten ein Label zu gründen“ – wie kam es also zur Genese von Not OK Records.
Christoph Twickel: Ted Gaier und ich hatten dieses Album von Jeano Elong produziert und ich habe ein Label dafür gesucht. Bei alle den kleinen Labels, die ich toll finde, und die ich in meinen Radiosendungen gerne spiele – wie Bongo Joe zum Beispiel oder Mais Um Records – passte das gerade nicht rein.
Bei der Labelsuche habe ich gemerkt: Das sind eh alles Ein-bis-zwei-Leute-Betriebe mit DIY Charakter. Also kann ich es auch selbst machen. Und außerdem: Gerade in Zeiten, in denen sich Musikschaffenden immer mehr und mehr Selbstempowerment abverlangen, finde ich diese anachronistische Idee richtig und wichtig von einer Plattenfirma, die Künstler*innen ermutigt, die eine Szene stärkt und mitdefiniert, die Musik sozusagen empowert.
Wie hat man den Namen zu verstehen, als persönliches Attest, sich nicht okay zu fühlen, oder eher als nicht einverstanden sein mit der World in large und überhaupt?
Entstanden ist das mit dem „Not OK“ als nerdiger Witz – für Leute, die sich mit afrikanischer Musik auskennen. Wir haben nach einem Namen für die Begleitband von Jeano gesucht. Und da gibt es eben die Band des legendären kongolesischen Gitarristen Franco, die hieß „OK Jazz“, weil sie in der „OK Bar“ in Kinshasa gespielt haben. Also haben wir uns „Not OK Jazz“ genannt, als Referenz an den großen Meister. Da lag es nahe, das Label einfach „Not OK Records“ zu nennen. Ist doch ein guter Labelname, oder? Finde ich, als Statement und Zustandsbeschreibung. Und man kann es gut auf T-Shirts drucken. Es gibt doch dieses Adorno-Zitat, aus dem Spiegel-Interview 1969, das der Spiegel eröffnet mit dem Satz “Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung…“ – und Adorno unterbricht: “Mir nicht.“ Diese Haltung ist gemeint, dieses schöne, borstige Nicht-Einverstanden-Sein.
Das erste Album auf dem Label kommt vom kamerunischen Sänger Jeano Elong, der in Hamburg lebt. Produziert haben Ted Gaier und du. Wie seid ihr auf den Künstler aufmerksam geworden?
Wir haben Jeano 2014 kennengelernt, als wir mit unserem aktivistischen Interventionskollektiv Schwabinggrad Ballett eine Performance bei den Wiener Festwochen vorbereitet haben. Damals hatten wir uns mit afrikanischen Leuten verbündet, die in Hamburg für ein Bleiberecht protestiert haben, die sogenannte Lampedusa-Gruppe, unter denen war auch Jeano Elong. Wir haben 2016 unter dem Namen „Schwabinggrad Ballett & Arrivati“ ein Album veröffentlicht, auf dem Jeano singt und Bass spielt. Irgendwann kam Jeano mit Songs zu mir, die er in seiner Sprache Bakaka geschrieben hat – und wir haben angefangen, die zu arrangieren.
Jeano Elong stammt aus dem Kamerun – was man „Mkoum“, gesungen in Bakaka, eine Bantusprache, und mit seinem 6/8 Takt mit pulsierendem Balafon (Massa Dembele) und perlender Hilife-Gitarre anhört. Was ist es, dass Ted und dich an seiner Musik so fasziniert?
Erstmal ist das eine tolle, rhythmisch komplexe Sprache, die einen ganz eigenen Groove hat. Darüber hinaus sind Jeanos Songs eigentlich sehr straight, sehr einfach, so wie gute Popsongs sein müssen, das gab uns viel Raum zum Ausprobieren. Zumal: Wir hatten Anfangs keine Ahnung, wie Musik um diese eigene Sprachrhythmik herum funktionieren kann.
Wie hat man sich die Produktion im Studio vorzustellen?
Die meisten Songs hatten einen Basistrack, den ich mit Jeano erarbeitet hatte, meistens mit Drummachine oder geloopten Beats. Das fanden wir einerseits gut, weil es der Musik etwas Kühles, Konzentriertes gibt und bewusst weg führt von so überbordender Spielfreude, womit Afro-Musik meist assoziiert wird. Aber wir brauchten dann doch auch Ambiente und Lebendigkeit und haben – dank eines kleinen Stipendiums von Rock City – Musiker*innen wie den Drummer Babatunde Agonglo dazuholen können, oder den Djembé- und Balafonspieler Massa Dembele. Wir haben viel ausprobiert und zum Teil Aufnahmen dann wieder geloopt und neu zusammengeschnitten, andere Sachen sind live eingespielt. Also es war viel los im Studio.
Der Videoclip trägt in sich einerseits Referenzen an Videospielästhetik und -narration, in 2024 muss man aber auch an Bilder aus Kriegsgebieten, zumindest geht es mir so. Der Hamburger Filmemacher Peter Ott hat Clip (in der Ästhetik des Spielfilms „Die Amitié“ vom Kollektiv Amitié, in dem „Mkoum“ Teil des Soundtracks ist) konzepiert und umgesetzt, vielleicht kann Peter ein paar Worte zu seinem Konzept verlieren:
Peter Ott: “Mkoum” spielt eine sehr wichtige Rolle in unserem Film “Die Amitié” (106 min., D 2024), in dem es um die Selbstorganisation in der Migration, um unsichtbare Arbeit, um Demenz und um die Vision einer künstlichen Intelligenz geht. Diese KI hat die Verbreitung von Wissen und die Umverteilung von Privilegien zum Ziel, will also den Semiokapitalismus gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellen. “Mkoum” verdichtet die Vision von “Die Amitié” in einer Tanzszene zu einer coolen Utopie. Die “Amitié” ist gleichzeitig die Selbstorganisation und die KI, die in der Virtuellen Realität haust, die auch in dem Musikvideo zu sehen ist.
Was wir in der VR sehen ist eine Mischung aus Archiv und Kommunikation, aus gespeicherten Aufzeichnungen der Migration, vor allem von Infrastruktur, von Routen, aber auch von Entwürfen einer Welt, die im Entstehen ist. “Mkoum” wiederum handelt auf der Textebene von einer Gemeinschaft, die sich im gemeinsamen Feiern und Tanzen konstituiert, die den Vorangegangenen Respekt zollt und den Ankommenden einen neuen Boden bereitet. “Mkoum” ist auch die Verbindung zu den Ahnen und zu Welten der Kontingenz. Es geht hier also immer gleichzeitig um die Konstruktion einer Gemeinschaft, die immer prekär und pragmatisch ist und in jedem Moment neu erschaffen werden muss wie um die Transparanz der Produktion dieser Gemeinschaft. Es gibt keine Geheimnisse, aber vieles muss gelernt werden. Der Sound der Musik selber trägt diese Transparenz, wie ich finde, sehr gut vor sich her.”
Christoph, gibt es schon Ideen für weitere Veröffentlichungen auf Not OK Record?
Ja, ich würde gerne Singles veröffentlichen, ein Album des kolumbianischen Musikers Rico Danta ist in der Mache und die Filmmusiken, die Ted Gaier in den letzten Jahren gemacht hat, haben es auch verdient, auf Vinyl zu erscheinen.