Thank Me Later w/ Charlotte Brandi
Wer nach einem von Kritik und Publikum gleichermaßen bejubelten Solo-Debüt mitten in den allerschönsten Zukunftsplänen von einer Pandemie ausgebremst wird, hätte wirklich allen Grund zu verzweifeln. Charlotte Brandi liegt Verzweiflung offenbar nicht so sehr. In der Ruhe liegt die Kraft, heißt es, und im Falle der ehemaligen Me And My Drummer Sängerin liegt darin vor allem auch die Lust auf Neues.
Brandi verwirklicht in diesem alles Gewohnte umstoßende Jahr einen lang gehegten Wunsch, vertont eigene Gedichte und singt erstmals in ihrer Muttersprache. Das Ergebnis ist die EP „An das Angstland“ und um es gleich vorweg zu nehmen: Sie ist großartig. Poetische, humorvolle und hochpräsize Lyrics treffen auf herrlich aus der Zeit gefallene Arrangements; Brandis Stimme scheint sich im Kontext deutscher Texte noch einmal ganz neu zu entfalten und entwickelt eine geradezu magische Anziehungskraft, die diese vier Songs zu einem echten Highlight des ausgehenden Musikjahres 2020 macht.
In der Musik, von der Schöpfung durch Musiker*innen bis zur Beschreibung durch Journalist*innen, geht es immer auch um Einflüsse und Vorbilder. Bei Brandi fiel hier stets gern der Name Feist und ebenso naheliegend wie bequem scheint nun der Vergleich mit der Knef. Fraglos Referenzen von denen sich jede Musikerin geschmeichelt fühlen darf und dennoch lässt sich der scheinbare Mangel an Role Models angesichts der immer gleichen Namen nicht wegdiskutieren. Das sieht auch Brandi so: „Als mich zum fünften Mal jemand auf Hildegard Knef als mein neues offensichtliches Vorbild ansprach, wurde ich nervös und dachte, was, wenn es keine anderen Vorbilder für eine Musikerin deutscher Sprache gibt?“
Die gibt es natürlich – und mit Blick auf die vorliegende EP ist die neue Charlotte Brandi auf dem besten Wege, selbst ein solches zu werden. Auch für uns bot sich nun die passende Gelegenheit, einem großen Wunsch nachzugehen; wir baten Charlotte für unsere Playlist-Reihe um ihren ganz persönlichen musikalischen Werdegang und stellen fest, dass man uns tatsächlich noch überraschen kann:
„Ich frage mich oft, was der richtige Umgang mit Aggressionen ist. Gitarrenmusik ist schon ein netter Vorschlag. Ich bin als ziemlicher System Of A Down Addict aufgewachsen, beziehungsweise hatte so eine harte Fan-Phase, in der ich nicht mehr auseinanderhalten konnte, ob ich einfach auf den Sänger stehe oder ob ich so überglücklich war, dass jemand so heftige Musik mit Humor und Folklore gemischt hat. Daneben liefen, nicht zu vergessen, Bands wie zum Beispiel Refused, die alten Schweden, auch sehr hot, damals.
Ich habe versucht, in dieser Playlist eine Reise hin zu den Energien zu bauen, die ich heute eher bei mir selbst ernst nehmen kann, wenn es halt gerade brodelt. Und das sind, oh Wunder, heutzutage eher Songs von rechtschaffen wütenden Frauen als von übermütigen, gut ausgerüsteten Männern – bei aller Liebe, die ich für solche Musik wie von Queens Of The Stone Age oder The Mars Volta auch übrig habe und bei aller Dankbarkeit für diese wirklich schön laute Jugend. Also habe ich mich mal auf die Suche gemacht und habe ein paar Damen gefunden, die mich allesamt entzücken und begeistern. Mein heißer Tipp ist Dorle Ferber, welche ihres Zeichens seit vielen Jahrzehnten unbescholten irgendwo am Bodensee als Klanghexe Musik macht und manchmal sogar veröffentlicht, naturverbunden, geheimnisvoll, verspielt, immer mit der Fiedel im Anschlag. Und außerdem hat sie die schönste Stimme Süddeutschlands. Viel Vergnügen!“
Sprach’s und nannte uns Songs von Black Sabbath, Iron Maiden, den erwähnten System Of A Down aber eben auch Schnipo Schranke, Cäthe, Wallis Bird und der so verehrten Dorle Ferber ein. Das Vergnügen sollte also gesichert sein.
Wir sagen Danke, liebe Charlotte, und weisen so kurz vor Weihnachten einfach mal darauf hin, dass „An das Angstland“ soeben in einer Vinyl-Version erschienen ist. Quadrate lassen sich ja immer prima verpacken.