Satire fürs Herz

“Der Polizeischutz war wirklich Wahnsinn” Tim Wolff im Gespräch- Die Titanic-Years

Tim Wolff wirkt vom Typ her immer ein bisschen wie die Antithese des prototypischen Satirikers. Zumindest wenn man sich letzteren kühl, durchtrieben und sinister vorstellen mag. Tim Wolff besitzt dagegen eher etwas zutiefst kumpelhaftes. Ein verständnisvoller, ausgleichender Mann, bei dem man sich nicht schämt, schon nach wenigen Minuten des Kennenlernens zu weinen. Linus Volkmann konnte sich das gerade noch verkneifen – und sprach mit dem natürlich nur vordergründig harmlosen Wahl-Frankfurter über sein Action-Life vor, nach und vor allem während seiner Chefredakteurs-Zeit bei dem Satire-Magazin Titanic.

Wie ergeht es Dir jetzt ohne Titanic?
TIM WOLFF Ohne Titanic geht es mir erst mal gut, weil ich nach fast einem Jahrzehnt keine Texte anderer redigieren muss. Ich habe als Chef ja jeden Monat das gesamte Heft in der Entstehung und Korrektur fünfmal gelesen. Und wenn man dann noch halbwegs dem Anspruch gerecht werden will, im Sinne der Autorinnen Texte zu überarbeiten, also sich in zig verschiedene Köpfe einzudenken, zehrt das irgendwann sehr. Aber ich werde Titanic schon noch sehr vermissen. Die spezielle Freiheit dieser Redaktion ist nun mal etwas ganz Besonderes.

ANFÄNGER

Wie ging das alles los bei dir?
Mein allererstes Titanic-Heft habe ich 1992 gekauft, mit „Wiedervereinigung ungültig – Kohl war gedopt“ auf dem Titel, da war ich vierzehn Jahre alt. Und auch wenn das bei Titanic eigentlich so nicht vorgesehen ist, bin ich tatsächlich irgendwann vom Leser zum Redakteur geworden. Zwischendurch verließ mich zwar als Leser die Lust, weil mir ein paar Sonneborn-Sachen ziemlich auf den Sack gingen, wie die Anrufaktionen, die immer nur ahnungslose Ossis trafen. Die fand ich – im Gegensatz zu vielen anderen Leuten – einfach ermüdend. Das motivierte mich allerdings, mich selbst mal zu versuchen, es wurden auch Beiträge von mir genommen – und dann hatte ich natürlich wieder Interesse am Heft.

Von welcher Zeit reden wir da?
Das war so 2002, 2003. Und dann hat sich das neben dem Studium ganz langsam immer weiter entwickelt. Ausschlaggebend war letztlich aber die Webseite. Dort haben wir ab 2006 Kurz- und Kürztest-Texte ausprobiert. Da herrschte ein produktiver Wettbewerb unter den Autoren – „wer kriegt was rein?“ Gute Übung war das. Das hat mich geprägt. Meine sonstige Titanic-Karriere bis zum Chefredakteur lässt sich zusammenfassen mit den Worten: „Ich war halt gerade der einzige, der da war.“ Da fand sich einfach kein anderer. Gerade so ein Amt wie Chefredakteur bei der Titanic … da musst du erstmal jemand finden, der das auch machen will.

Die Kollegen haben sich nach der Ära von Leo Fischer allerdings alle für dich ausgesprochen.
Das sind ja natürlich die gleichen Leute, die selbst nicht wollen. Insofern weiß man nicht, ob die sich nicht nur schützen wollten. Ich habe immer gern gesagt: Chefredakteur, das ist der einzige Posten bei Titanic, bei dem man richtig arbeiten muss… Doch das hat sich auch geändert. Mittlerweile schuften alle. Leider!

Hat das nicht aber auch was? Also so: Mir geht’s besser, denn jetzt sind alle anderen auch am Ende.
Genau, wir sind bei Titanic endlich auch bei der guten alten neoliberalen Selbstausbeutung angekommen.

Ich war lange Zeit auch Redakteur in einem Magazin – und hinsichtlich der Rubriken und deren Darstellung hieß es dort in sehr kurzen Intervallen, man müsse alles neu gestalten. In der Titanic dagegen halten sich Rubriken wie „Briefe an die Leser“ aber auch „Vom Fachmann für den Kenner“ über Jahrzehnte – und das in der gleichen Optik. Wie entgeht das Magazin dem permanenten Innovationsdruck?
Titanic, das sind optisch vor allem Martina Werner und Thomas Hintner. Ihr Layout prägt seit langer Zeit das Heft. Und man muss sehen, dass jede Geschichte außerhalb der Rubriken grafisch fast bei Null anfängt. Also man fragt sich immer wieder neu: Wie könnte das jetzt aussehen? Woran könnte man das anlehnen? Das gibt es meines Wissens nirgendwo sonst – und weil dad alles immer wieder wild zusammengezimmert wird, sind die Kolumnen als Kontrast eher behäbig. Das wiederum kommt aber auch dem konservativen Aspekt der Satire entgegen. Satire besitzt ja den Impuls, alles Neue erstmal schlecht zu finden und sich darüber lustig zu machen. Dass daher die „Briefe an die Leser“ quasi seit 40 Jahren gleich aussehen, ist in diesem ganzen Chaos irgendwie auch schön.

DEUTSCHER HUMOR

Deutscher Humor?
Oh je!

Besser oder schlechter als sein Ruf?
An seinen Rändern zum Teil viel besser. Doch wenn das seine Nische verlässt, läuft es auf das immer Gleiche hinaus: Als Deutscher darf man nur komisch werden, wenn man es in Wirklichkeit ernst meint. Das geht bis in die Gesetzgebung. Ein satirischer Witz braucht einen eigentlichen Aussagekern. Witze funktionieren aber eben auch ohne einen solchen. Oder über Unverhältnismäßigkeit. Um ein beliebiges Beispiel zu nennen: Wir hatten mal einen Start-Cartoon zum Thema Strafzölle auf Harley-Davidson-Maschinen. Dazu dann ein Bild mit so typisch deutschen Peter-Maffay-Rockertypen mit der Unterschrift „Wie sehr müssen jetzt diese Arschlöcher leiden?“ Es ist natürlich völlig unverhältnismäßig, diese Leute Arschlöcher zu nennen – aus so einem Anlass und mag daher vielleicht justiziabel sein, aber es ist eben auch nur deswegen lustig, weil es so über das lächerliche Ziel hinaus schießt.

Ich erlebe eigentlich auch viel gute Gags in Deutschland.
Ja, Deutsche können auch schon mal lustig sein, in kleinen Gruppen, aber öffentlich-offiziell nehmen sich alle immer wieder zurück. Man will immer vorsichtig sein, selbst in linken Zeitschriften wird bei einer Kolumne von Leo Fischer noch mehrfach erwähnt, dass er hier jetzt parodiert und dass er Satiriker ist. Das ist schon sehr deutsch, dieses Unterschätzen des eigenen Publikums beim Thema Humor.

Außerhalb von der Blase wirkt Humor in Deutschland wirklich fast verunmöglicht. Wenn man sieht, was allein für lustige Sitcoms vom englischen TV produziert werden – und dagegen hier komplett Flatline. Ein gutes Beispiel ist für mich immer noch, als Mitte der Neunziger die erfolgreiche US-Comedy „Eine schrecklich nette Familie“ einfach noch mal nachgespielt wurde mit deutschen Schauspielern. Prinzip und vor allem auch Ergebnis sind einfach Synonym, wie unfassbar weit man zurückhängt auf größerer Ebene.
Dem Publikum hier wird einfach misstraut und man würde sich nie trauen, es auch mal ein bisschen erziehen zu wollen. Und es darf auf gar keinen Fall ein Missverständnis entstehen. Allerdings ist die Abwesenheit einer breiteren Komik-Tradition in Deutschland auch von Vorteil. Hier gab es ab der Nachkriegszeit nur Heinz Erhardt, Otto und Loriot als Mainstreamkomik. Auf die konnten sich alle einigen, mehr war aber nicht – und wo es also nichts Großes gibt, bleibt viel Raum für kleines, regionales. So entstehen genauso auch Sachen, die anderswo vielleicht gar nicht möglich wären.

So scheint es auch zu bleiben.
Mir kommt das auch entgegen. Immer wenn man abseits von Deutschland einen halbwegs gelungen Witz macht, sind die Leute hellauf begeistert: „Ein Deutscher mit Humor!“ Komik verstärkt sich eben, wo man sie nicht erwartet.

Titanic/ Niki Lauda/ Februar 2014

Dein Einstand bei Titanic begann furios. Du hattest doch gleich einen dieser Titelbild-Skandale, die im Gedächtnis bleiben.
Ja, mein drittes Heft war das mit dem Foto von Nikki Lauda und drunter stand „So schlimm erwischte es Schumi“. Das war allerdings das erste Skandalheft, das sich schlechter verkaufte als die regulären Hefte. Unsere Vermutung war damals, dass Kiosk-Besitzer Formel-Eins-Fans sind und die haben es erst gar nicht rausgelegt. Es kamen so viele Remittenden, unglaublich.

Wie bist du damit umgegangen, dass man als Titanic-Chefredakteur nicht mehr nur hinter Texten sitzt sondern auch vor Kameras muss und überhaupt Satire-Erklärer bis hin zur Rampensau gefragt wird?
Auf öffentlichen Aufruhr zu reagieren machte mir eigentlich sogar Spaß, du hast die vielen, größtenteils inkompetenten Reaktionen auf ein Geschehnis oder auf einen Skandal und du kannst damit spielen. Wobei es vor Kameras nie leicht ist, seine eigene Version durchzubekommen. Man erzählt dann vor der Kamera seine drei gut vorbereiteten Gags und dann kommen immer wieder Rückfragen und irgendwann sagt man dann doch mal einen ernsten Satz – und der wird dann gesendet!
Schriftliche Interviews waren mir deswegen immer viel lieber.

HUMOR: MÄNNERSACHE

Die Szene rund um Titanic und die neue Frankfurter Schule hat ja auch eine Entsprechung in Form des Carricatura-Museums. Dort finden sich im Gift-Shop alle Bücher der Beteiligten der letzten Jahrzehnte, es sind hunderte. Als ich das letzte Mal zählte, waren allerdings nur zwei Frauen vertreten. Elke Heidenreich in einem Buch illustriert von Michael Sowa und dann noch Simone Borowiak, die mittlerweile als Mann lebt. Dieses Verhältnis erscheint ein echter Mangel und gar kein Beweis für eine florierende emanzipatorische Gegenwelt. Mit Leos und dann Deiner Regentschaft bei Titanic weicht dieses Ausblenden von Autorinnen langsam auf. Würde mich interessieren, wie du dazu stehst.
Für mich ist das nicht nur eine politische Komponente, sondern es geht mir auch um die Freude an Komik. Geschichten von alten, weißen, heterosexuellen Männern wurden doch Tausende Male erzählt. Wenn mir am Tag noch mal sieben solcher Typen ihre Storys erzählen, dann kann ich mich in einer fröhlichen Wichsgemeinschaft fühlen, aber da herrscht einfach auch viel Langeweile.
Trotzdem sind die Comedy-Bühnen voll mit Männern, das hat sicher auch zu tun mit dem anerzogenen beziehungsweise geförderten Geltungsdrang von Jungs zu tun, der Mädchen wiederum eher abtrainiert wird. Wobei – zumindest eine Beobachtung in meinem Umfeld – die Frauen oft viel lustiger sind. Nach meiner Stichprobe nutzen Männer tendenziell den Witz, um eine Bühne zu bekommen, während Frauen sich leider eher zurückziehen, wenn eine solche auftaucht.
Daher war die Herausforderung, in einem schon längst als „Die Jungs von Titanic“ bekannten Blatt, das auch viele Chauvis gesehen hat… also wie kriegt man das hin, dass ein anderer Ruf entsteht? Der dann wiederum auch Frauen anlockt, sich überhaupt mit ihrer Komik in diesem Magazin zu sehen? Da ist auch noch ein weiter Weg, aber von den vier Leuten, die ich zum Heft geholt habe, waren zumindest zwei Frauen. Dank Social Media gibt es da eine breitere Bühne, das ist eine gute Spielwiese, da können sich Autorinnen und Zeichnerinnen ohne vorgeschaltete Männer ausprobieren, so ergeben sich endlich mehr weibliche Vorbilder – und davon profitiert auch Titanic natürlich. Ich hätte gern gehabt, dass nach meiner Amtszeit eine Frau den Chefposten übernommen hätte – aber da muss ich auch zugeben, da war ich zu lahm, zu wenig dahinter.

Tim Wolff – auch auf Twitter ein interessanter Mann und Humorist

Anfang des Jahrtausends hat einer der verdienten alten Titanic-Veteranen, Eckhard Henscheid, der Jungen Freiheit, also einem Blatt der neuen Rechten ein Interview gegeben. Das hat in den Titanic-Reihen meines Wissens allerdings nirgendwo eine Opposition oder auch nur Stellungnahme angeregt. Das erschien mir von außen als schwach – schließlich lässt man anderen Leuten schon für weniger ein Säurebad ein.
Das war vor meiner Zeit. Aber ich kann natürlich sagen, dass Henscheid tatsächlich zu den Ikonen des Hefts gehört, denen ich wieder gerne Raum gegeben habe. Er hat sich damals in dieser typisch titanic-rotzigen Art bei der Walser-Debatte in eine Ecke manövriert, die eigentlich nicht mehr tragbar war. Aber er ist da auch nicht geblieben – im Gegensatz zu anderen. Wie ich mich damals verhalten hätte, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Hinter den Kulissen wurde da sicherlich gestritten.

Das war ja sicher in der Form auch kein Einzelfall.
Nee, vor zwei Jahren oder so, kam Martin Sonneborn ja mal mit einem mindestens müden Israel-Witz an – und da wird’s dann schwierig bei Titanic. Denn man ist zwar ein politisches Magazin, das sich bestimmten Haltungen verpflichtet sieht, allerdings gibt es keine definierte Blattlinie, anhand der man dann verbindliche Urteile über die Äußerungen der Kollegen treffen könnte. Das würde nicht zu einem Magazin passen, dass weder aus der Herausgeberschaft noch aus der Redaktion straffe Vorgaben gibt. Daher fechten wir sowas dann nicht in der Öffentlichkeit aus. Es kann ja jeder Autor und Zeichner seine Sicht an anderer Stelle kundtun. Eine Nicht-Verteidigung seitens der Redaktion ist Statement genug.

DIE PARTEI

Apropos Sonneborn, bist du noch aktiv in Die Partei?
Ich war dort nie Mitglied, ich werde es auch nicht sein.

Aha.
Das hat vor allem damit zu tun, dass ich nirgendwo Mitglied sein möchte. Aber ich werde immer mal angesprochen von Engagierten, warum ich Die Partei nicht mögen würde. Dabei stimmt das gar nicht.

Du hattest also nicht einmal diesen grauen Anzug an?
Nicht einmal. Klar, Titanic paktiert immer mal wieder der Partei, es sitzen ja auch Redakteure im Vorstand, und das finde ich auch gut. Selbst wenn es einige Nachteile für das Blatt ergeben.

Welche wären das?
Vor allem die Demokratisierung der Witzproduktion. Also diese Plakate der einzelnen Unterverbände, die ja dann schnell auch auf das Magazin zurückfielen. Denn diese Form der aggressiven Komik sollte in einem kleinen wohlüberlegten Rahmen erstellt werden – und nicht aller Welt rausgehauen werden. Was aber nicht heißen soll, dass es in der Partei nicht auch tolle Leute gibt. Dennoch, als Komikkonsument habe ich die Empfindung: Der Witz ist durch – schon lange. Dann wurde Sonneborn Europa-Abgeordneter, das gab der Sache noch mal eine ganz neue Qualität. Denn das macht er auch sehr gut, wie er dieses Langweiler-Parlament so abbildet, dass man einerseits drüber lachen kann und andererseits auch sehr viel erfährt. Dagegen ist aber die Partei mit der Prämisse, wir machen jetzt ein ironisches Partei-Projekt, allerdings auserzählt.

Das Problem ist ja, dass man mit so einem situationistischen Projekt jetzt auch Politik machen muss. Also wo Die Partei in Kommunalparlamenten sitzt, funktioniert es nicht mehr, einfach im Wechsel „Ja“/“Nein“ zu entscheiden, wie es am Anfang noch die Grundprämisse war. Ist nicht mehr lustig, wenn man „als Gag“ einen Antrag der AfD unterstützt, weil man seine Entscheidungen würfelt.
Ja, die Konsequenz müsste dann wohl sein, nachdem man die Inhaltsleere der Parteipolitik ausgestellt hat, dass man nun konkrete, ernsthafte Inhalte schafft. So könnte es weiter nach dem gleichen vulgärdialektischen Prinzip funktionieren. Aber auch das würde nicht leicht gehen, denn dafür ist das Projekt weder gegründet worden noch wäre es dafür ausgerichtet.

Die Attraktion ging mit dem Europaparlament-Sitz noch mal richtig hoch. Um die Jugendorganisationen, die aus dem Boden schossen… da haben anderen Parteien sicher sehr neidisch geguckt. Doch zuletzt klang alles auch wieder ab. Meinst Du, es gibt Die Partei 2020 noch? Der hinzugewonnene Sitz im Europaparlament aktuell spricht natürlich dafür.
Ich fürchte auch ja. [lacht] Dafür ist es einfach zu big und zu sehr außer Kontrolle geraten. Naja, vielleicht ist es dann einfach ein netter Club für Nerds und Typen, die sich abgehängt fühlen. Wenn sie den Sexismus unter Kontrolle bekommen.

CHECKPOINT CHARLIE HEBDO

Bevor du bei der Titanic ins Amt kamst, gab es ja schon den Wirbel um die Mohammed-Karikaturen, der sich an dänischen Zeichnern entfachte. Hättest du geahnt, dass das Thema auch für dich so große Rolle spielen würde als Chefredakteur der Titanic?
Nee, aus Titanic-Sicht waren Muslime nie ein Problem, es gab nie Beschwerden. An dieser Stelle schreit natürlich der Patriot: „Ja, weil ihr feige seid und keine Witze in der Richtung macht!“ Stimmt natürlich nicht. Für das Buch „Chronik des 21.Jahrhunderts“ habe ich mich intensiv auch durch meine alte Beiträge gewühlt und das Verhältnis von Gags, die mit Islam und islamistischen Terrorismus zu tun haben gegenüber welchen zum Thema Christenheit, das ist mindestens 3:1. Sie waren nur nicht so oft prominent.

Aber Mohammed gezeichnet habt ihr nicht?
Nee, das war in der Tat nicht unser Ding, wir hatten meist Fotowitze zu dem Thema. Das geschieht aber nicht aus einer großen Überlegung heraus, sondern beruht auf der Tatsache, dass man nicht weiß, wie er aussehen soll. Es gibt eben keine bildliche Darstellung. Die ganzen Jesus-Karikaturen beziehen sich auf eine etablierte Ikonographie. Wenn man sich dagegen die Mohammed-Zeichnungen bei zum Beispiel „Charlie Hebdo“ ansieht, die beruhen auf rassistischen Klischees. Bärte, Turban, düstere Erscheinung – darin erkennt man schnell, hier wird keine Sicht auf den Religionsgründer verhandelt sondern es geht eigentlich um ein Sich-Abarbeiten an muslimischen Männern. Was auch okay sein kann. Aber das ist schon ideologischer als es letztlich für uns war: Wenn es keine Vorlage gibt, nach der man zeichnen kann, lohnt es sich nicht. Daher hatten wir zu der Zeit so Familienfotos, wo dann sowas stand wie „hier sitzt Mohammed mit einem Glas Schweinebraten“. Ziemlich titanic-typisch also. Das Thema maßlos veralbern, ohne sich jetzt ganz tief damit auseinanderzusetzen.

Dann kam 2015, der Anschlag auf „Charlie Hebdo“.
Das veränderte dann in der Tat einiges.

Wie hat dich die Nachricht erreicht?
Ich weiß es noch genau, ich bekam eine Eilmeldung der „Tagesschau“ auf mein Handy – und dachte, das wird garantiert nichts Wichtiges sein. Rechnete mit sowas wie: „Eilmeldung – das Wort des Jahres gewählt“. Dann kam aber das. Also erstes dachte ich, die armen Leute. Dass ich einen Bezug zu mir herstellte, das hat dagegen etwas gedauert. Aber dann war klar, gleich werden sie uns anrufen und uns fragen, was wir davon halten.

Was hast du denn von Charlie Hebdo überhaupt gedacht?
Ich kannte das Blatt natürlich, wusste auch bisschen Bescheid über deren Geschichte und hegte durchaus eine gewisse Sympathie für ein letztlich ehrenwertes Magazin. Wobei bei näherer Betrachtung da natürlich auch vieles Mist ist bis heute – oder zumindest nicht dem entspricht, was ich lustig finde.

Und dann schlug deine Stunde als „Der Gesprächspartner“.
Nach einigem Zögern, vielleicht gar nichts öffentlich zu dem Anschlag zu sagen, hatte ich dann eingeschwenkt darauf, wirklich mit allen zu reden, die da kommen würde. Denn die abzuhalten, wäre vermutlich noch aufwändiger gekommen. Das wurde dann ein wirklich wahnsinniger Interview-Marathon, mindestens 20 Kamerateams waren da und während ich noch live Radios O-Töne gegeben hatte, baute sich schon die nächsten TV-Schalte vor mir auf. Ich bin regelrecht in eine Manie verfallen, begonnen habe ich, wie es sich für einen Satiriker gehört, mit Witzen. Also sowas wie „Nee, bis sich die Terroristen durch die ganzen Kamerateams geschossen haben, bin ich hinten raus.“ Da wurde mir in den Live-Interviews von den Redakteuren dann auch schon mehrfach bescheinigt, das sei jetzt aber nicht lustig. „Doch!“ Und so begann es als ziemliche Meta-Witzelei, aber irgendwann kippte es dann langsam in so die Rolle des „Erklär-Bärs“. Also, was ist Satire, was war Satire, was wollen wir bei Titanic.
Der Abend endete beim ARD-Nachtmagazin, ich war ohnehin schon übermüdet, da ich die beiden Nächte davor kaum geschlafen hatte, wegen Lesungen und Saufen – und so stand ich da ziemlich neben mir und infolge der Entwicklungen des Tages sagte ich auf die Frage, wie man denn jetzt weitermachen sollte, dass es auch viele Muslime gäbe, die diesen Anschlag verurteilten und dass man die ja jetzt nicht unbedingt gleich mit Mohammed-Karikaturen nerven müsse. Und dieser Funken Empathie am Ende eines langen Tages brachte mir eine riesige muslimische Fan-Gemeinde ein. 500 Freundschaftsanfragen auf Facebook, ganze viele Dankesmails. Im nächsten Heft haben wir ja auch alle Witze zum Thema gemacht, die man nur machen konnte. Sowas wie Mohammed tritt zum Judentum über mit den Worten „Die haben wenigstens Humor“. Also ganz ein Gag im Stile von Charlie Hebdo, Mohammed als der nette Typ, der von seinen eigenen Anhänger enttäuscht ist. Aber übrig geblieben ist trotzdem bei vielen nur: „Ihr seid feige, weil ihr keine Mohammed-Karikaturen gemacht habt!“ Aber selbst wenn es so wäre. Warum sollte man in so einem Moment nicht auch feige sein dürfen? Soll man sich erschießen lassen? Ich denke, hinter dem Vorwurf steckt ohnehin meist genau dieser Todeswunsch, den die Leute gegen uns respektlose Spaßmacher ohnehin hegen..

Worin äußert sich das für dich?
Ich habe mehr als einmal Post bekommen von Leuten die schreiben, „Ich bin Katholik, ich muss ihnen verzeihen. Aber machen sie das mal mit dem Islam, damit Sie endlich umgebracht werden!“ Der Terrorist, der von solchen Menschen immer auf alle Muslime projiziert wird, ist dabei schon ein richtiges Lust- und Wunschobjekt geworden. Also es gibt einen niederträchtigen Wunsch, jemanden für einen Witz töten zu wollen, der aber auch noch rassistisch übertragen wird.

Das ist in der öffentlichen Debatte ja auch ein großes Problem, denn sobald man Islamkritik übt, bekommt man Applaus von solchen Pfeifen.
Das war für uns auch ein ideologischer Faktor, wir hatten einerseits keine Lust, dieses Publikum zu bedienen, andererseits wollen wir aber auch nicht Terrorismus und durchaus herrschende anstrengende bis menschenverachtende Tendenzen im Islam ignorieren. Wir haben das so versucht zu lösen, dass wir uns vornehmlich nur über lebende Menschen nicht über Tote lustig machen. Also lieber Papst als Jesus, lieber Al-Baghdadi als Mohammed. Wobei man da schnell an den Punkt kommt, dass es nicht so viele prominente Muslime gibt, die man für Titanic nehmen könnte.

DIE POLIZEI

Dennoch hast du dann ja auch Polizeischutz bekommen, ohne ihn angefordert zu haben. Der erklärte sich sicherlich auch daraus, dass ihr von den Medien dann plötzlich in Deutschland so ins Zentrum gerückt wurdet. Also auf allen Kanälen dich zu sehen und auf die Frage antworten zu müssen, ob ihr jetzt in Gefahr seid, dadurch hat man sicher ganz viel von der Gefahr erstmal erzeugt? Dass dann irgendwelche Trottel die Titanic in den Berichten sehen und sich natürlich denken „ach, praktisch, das wären also die Leute, die wir hier in Deutschland erschießen könnten, wenn wir dazugehören wollen“.
Dieser Polizeischutz war für mich dann wirklich ein einziger Wahnsinn, weil man da ja mit Menschen in Kontakt kommt, denen man im Alltag niemals begegnen würde. Und es ist ja auch so, wenn erstmal Leute mit Maschinenpistolen um einen rumsitzen oder stehen, da fängt die Angst ja dann erst an. Vorher ist das alles noch völlig abstrakt.

Wie lange ging das?
Die ersten vier Wochen wurde ich jeden Tag zur Arbeit gefahren, was wirklich absurd war, da mein Arbeitsweg keine fünf Minuten betrug. Mit dem Auto dauert es eher länger – und immer wieder auf verschiedenen Routen. Um etwaige Verfolger zu verwirren. Das hat mir auch wirklich viel Freiheit geraubt. Denn als Satiriker arbeitet man ja nicht normal. Man geht nicht immer zur gleichen Uhrzeit in die Redaktion. Da aber musste ich am Tag vorher schon ansagen, wann es am nächsten Morgen zur Arbeit geht – und auch sich einfach mittags mal was zu essen zu holen, war nicht mehr drin. Zum Glück hörte das dann irgendwann wieder auf und dann waren sie nur noch bei den Titanic-Lesungen im Club Voltaire anwesend.

In Zivil?
Ja, das war Personenschutz in zivil. Die fuhren mich hin, begleiteten mich rein und haben sich immer an die gleiche Stelle gesetzt. Die Bedienung in diesem altlinken Laden kam dann auch immer sofort an und fragte süffisant „Welches alkoholfreie Getränk hätten Sie denn gerne?“
Eine Geschichte ist mir dabei immer noch sehr präsent, da hatten wir Jan Böhmermann zu Gast und der Laden war total voll. Mit all den promigeilen Arschlöchern, die sonst nicht kommen, was mich verleitete, sehr viel Alkohol zu trinken. Es ging bis morgens und die armen Personenschützer mussten mich besoffenen Idioten die ganze Zeit beobachten und haben mich später – eigentlich das Beste, was man haben kann, wenn man säuft – bis vor die Wohnungstür gebracht.
Konnte mich zum Glück auf dem Weg aber gerade noch zurückhalten, mit irgendwem Stress anzufangen und dann zu rufen „Terrorist!“
Aber die Polizei lernt natürlich auch. Im nächsten Monat hieß es, „Herr Wolff, wenn die Lesung vorbei ist und das Publikum weg, dann besteht ja auch keine Gefahr, dann können Sie allein nach Hause.“

Gab es dann auch Bonding-Momente, oder haben die dich abseits ihres Jobs nur verachtet?
Nee, die erscheinen als nette junge Männer, die sich liberaler fühlen, als das vor zehn, zwanzig Jahren üblich gewesen ist. Natürlich alles schon autoritäre Charaktere. Aber ich habe von ihnen jedenfalls auch immer nette Lesungskritiken erhalten.

Konnten die dann auch über sich selbst lachen?
Als es Witze über die Polizei gab, hieß es hinterher immer: „Ach, das war noch viel zu harmlos!“ Und gerade für Hessen stimmt das bestimmt auch.

Zum Abschluss: Wie erlebst du Titanic aktuell, wo du nicht mehr in der Verantwortung bist?
Da muss ich mich zurückhalten, weil ich immer noch zu sehr im Redigatsmodus lese und vielleicht zu stark persönlich werte. Außerdem habe ich mich selbst stets gefreut, wenn sich mein unfähiger Vorgänger über meine Entscheidungen geärgert hat – und diese Freude will ich meinem nichtsnutzigen Nachfolger natürlich nicht gönnen.

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