Humorkritik

Strunk und so – Unsere problematischen alten, weißen Satire-Männer

Don’t get me started mit Satire. Die ist so ein weites Feld, pauschal lässt sich dazu wenig sagen. Wenn man etwas abstrahieren wollte, dann höchstens dass sie über Jahrzehnte ein sehr männlich geprägtes Feld darstellte. Den sichtbaren Bereich der Satire besetzten und verteidigten mehr oder weniger lustige bis abgründige Dudes. Mittlerweile hat sich aber auch hier viel getan. Auch Satire ist weiblicher, ist diverser geworden – und damit können etliche Platzhirsche des Genres nun wirklich gar nichts anfangen. Ein Essay von Lukas Münich, Illustration von Carolin Wabra.

Zuletzt machte auf Twitter ein Cartoon die Runde. Darauf ist ein Mann abgebildet, der auf der Küchenanrichte neben einem Toaster kauert. Die Bildunterschrift lautet: “Obwohl er als Mann geboren wurde, fühlte sich Torben-Leander als Kaffeevollautomat.” Der Witz soll ganz offenbar transidente Menschen lächerlich machen. Menschen, die jeden Tag Erfahrung mit sexueller Gewalt machen, wenn sie unbewusst oder ganz absichtlich mit dem falschen Geschlecht identifiziert und angesprochen werden.
Der Zeichner des Witzes, Martin Perscheid, ist letzten Sommer einem Krebsleiden erlegen, der Witz jedoch wird von Personen am Leben erhalten. Sie verwenden ihn derzeit feixend gegen Tessa Ganserer, eine transidente Politikerin und MdB, die einer beispiellosen Hasswelle nach der anderen standhalten muss. Und das nicht nur, wenn sie gerade medienwirksam missgegendert und ihr Deadname verwendet wurde, wie aktuell durch Beatrix von Storch. Sondern derzeit fast jeden Tag.
Martin Perscheid war weiß, 55 Jahre alt und ein Mann ohne Transerfahrung, man spricht auch von Cissexualität. Sein Cartoon ist vielleicht nur Symptom eines größeren Problems.

Als ich ungefähr 14 war, waren für mich als weißen, mageren, cis-heterosexuellen Jungen die Hörspiele von Heinz Strunk eine Offenbarung. Die flapsige Sprache, die Teenage Angst, die Einsamkeit der Protagonisten und der fürsorgliche Blick auf die Übersehenen, Ungeliebten der Gesellschaft berührten mich auf unvergleichliche Art und Weise und ich besorgte mir alles von Strunk.
Hörspiele, in denen Frauen als „verdammte Biester“ bezeichnet wurden, „die fast nix anhaben und einem vor der Nase rumstolzieren“ und die deshalb eigentlich die Verpflichtung hätten, mit den Protagonisten zu schlafen, wischte ich leichtfertig und ahnungslos weg. Zu groß die Begeisterung und Identifikation. Erst retrospektiv habe ich festgestellt, dass vieles, was Strunks Protagonisten sagen, so heute auch von Incels geäußert wird. Das Musikstück “Du bist hübsch, Kati” auf „Der Mettwurstpapst“, dessen Refrain von Farin Urlaub gesungen wird, handelt von einer jungen Frau, die von einem Freund des Vaters im Schlaf vergewaltigt wird. 2016 folgte „Der Goldene Handschuh“, ein Roman über einen Frauenmörder.
Für mich schlich sich zumindest ein Gefühl ein, das fundamental dem widersprach, wofür ich den Künstler Heinz Strunk immer gehalten hatte: einen Fürsprecher der Schwachen, der Wunderlichen und Einzelgänger, derer, mit denen es die Gesellschaft nicht gut gemeint hat. Jemand, der nicht nach unten tritt, weil er die Perspektive seiner Figuren nur zu gut selbst kennt.
2019 bemerkte Jan Böhmermann, als er Strunk einmal in seiner Sendung zu Gast hatte, dass dessen monatliche Rundmails alle Email-Adressen in Cc enthielten, wodurch alle Empfänger*innen Einblick über die mannigfaltigen Kontakte Strunks erhielten. Ob aufgrund von technischer Unfähigkeit geschehen ist, oder reiner Absicht, darüber kann man allenfalls mutmaßen, Strunk macht es in der Sendung nicht klar.
Ebenfalls mutmaßen kann ich nur darüber, ob die Mail, die Strunk im März letzten Jahres an seinen Verteiler geschickt hat, gleichfalls für alle sichtbar „an alle“ ging. Laut Anselm Neft zumindest wurde sie an zahlreiche Kontakte aus der Branche verschickt, unter anderem an Jan Böhmermann und Olli Schulz.
Diese enthielt eine Abrechnung mit der Nachfolgerin seiner, der Titanic-“Zugpferd-Kolumne“ (Strunk), Ella Carina Werner, die seit 2016 auch für jenes Magazin schreibt und mit „Rosen in Beton“ in der Aprilausgabe letzten Jahres ihren neuen Platz als Kolumnistin eingenommen hatte.

Auf den unappetitlichen Inhalt der E-Mail möchte ich an der Stelle nicht eingehen, das muss er selbst mit seinem Gewissen ausmachen.
Die E-Mail weist aber auf eine ganz wichtige Tatsache hin: Frauen haben es immer noch ungleich schwerer, prominente Formate bespielen zu dürfen, Chefredaktionen zu besetzen und in der Printbranche den Ton anzugeben, wenn sie Schmutzkampagnen gekränkter Satire-Männer fürchten müssen. Wenn sie sich für ihr Geschlecht Vorwürfe anhören müssen, die nichts mit ihnen zu tun haben.

Der Versuch Strunks, Ella Carina Werner zu diskreditieren und sie vor der ganzen Branche durch den Dreck zu ziehen, beweist, dass alte, weiße Satire-Männer wie er Angst haben, dass ihre Zeit langsam vorbei sein könnte. Zu selbstverständlich war die “Zugpferd-Kolumne” bei Titanic mit Männern besetzt. Zu einfach war es, regelmäßig eine gewisse Leser*innenschaft mit immer wieder aufgewärmten Pointen zu peinigen und dafür jeden Monat eine sichere Gage einzustreichen.
Zu sicher fühlte man sich vor Konsequenzen, wenn man mit Dreck warf oder Kolleg*innen belästigte.

Das Titanic-Magazin war in den ersten 30 Jahren voll von problematischen Mackerwitzen. Wie man an Martin Sonneborn sieht, der sich jahrelang verantwortlich für das Heft zeichnete und der derzeit am größten bisherigen Sexismus-Skandal seiner Partei scheitert, braucht es auch nochmal 30 Jahre, um das Ruder noch einmal herumzureißen.
In den meisten Redaktionen ist es immer noch eine Frage der Selbstverständlichkeit: die Leser*innen erwarten bestimmte Personen an bestimmten Stellen, als Kolumnisten, als Layouter, als Chefredakteure. Aber tun sie das wirklich?
Warum geht es so selten um Kompetenz, wie im Fall Ella Carina Werner?
Wie man nach einem Jahr sehen kann, füllt sie den Platz hervorragend aus, weit besser als der in seiner misogynen Echokammer gefangene Strunk.
Ansehen und Respekt gebührt nicht den immergleichen alten weißen Männern, die sich seit Jahrzehnten auf derselben Rubrik ausruhen. Sie gebühren den Frauen, die sich auf diese Stellen bewerben und Qualität liefern, und den Chefs, die keine Angst vor Rufschädigung durch gekränkte Egos haben und Frauen die Möglichkeit geben, auf Kolumnistenplätzen zu glänzen oder Verantwortung zu übernehmen – und zwar aus Prinzip und so lange, bis man dafür keine Schmutzkampagnen und Shitstorms mehr zu befürchten hat. 

Der Titanic-Verlag zumindest erklärte zum feministischen Kampftag am 8. März Ella Carina Werner zur Herausgeberin. Eine Herausgeberin bei der Titanic. Es empfiehlt sich selbstverständlich, keine Kommentare zu der Meldung zu lesen.

Martin Perscheid hat von Ganserers Erfolg, dem Einzug in den Bundestag nichts mehr mitbekommen. Tragisch, dass von ihm zu dem Thema nur dieser beschissene Cartoon bleibt.

Text: Lukas Münich

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