Nah am Menschen

“Welche Bonmots, ihr Arschlöcher?” Titanic-Gestalter Tom Hintner wird 60

Letztes Jahr feierte das anscheinend unverwüstliche Satiremagazin “Titanic” seinen 40. Geburtstag, und man konnte mal wieder auf die nicht ganz so flüchtigen Späße der genialen Gernhardt, Eilert, Knorr und ihrer nicht minder hochbegabten Mitstreiter der Neuen Frankfurter Schule zurückblicken. Auf zeichnerische Großtaten von Waechter, Raddatz, Traxler, Kahl, Hurzlmeier, Pfarr bis zu Rürup und Riegel. Sich erfreuen an den Werken des Pointenmillionärs Zippert, des Kolumnengottes Goldt oder den aggressiven Schelmereien Sonneborns.
Doch ein Mann, der in vielerlei Hinsicht dieses Magazin wesentlich gestaltet hat, taucht bei solchen Rückblicken nicht auf: Thomas Hintner. Vollkommen zu Unrecht. Denn er ist “Titanic” stets voraus. An diesem Tag zum Beispiel um zwanzig Lebensjahre.

Hintner in seiner Paraderolle // Foto: Stephan Nau

Hintner ist seit Anfang der neunziger Jahre Grafiker, Gestalter und Gewissen der “Titanic”. Er besitzt ein untrügliches Gespür für den komischen Bruch, für eine dialektische Unzufriedenheit mit Inhalt, Auftritt und Haltung. Er würde gern, so behauptet er immer mal wieder, einmal ein “schönes Heft” machen. In der Schublade vieler Chefredakteure lagen die “gut gestalteten Seiten”, ein Blindartikel, den dann doch nie jemand mit Inhalt füllte. Denn gerade Hintner weiß nur zu gut, dass optische Perfektion selten wirklich komisch ist, dass “Titanic”-Artikel zwar nach etwas aussehen sollten, doch besser nicht wie etwas.

Tom Hintner signiert Gemüse // Foto Leo Fischer

Hintners Einfluss aufs Heft geht aber weit über den gezielt kaputten optischen Auftritt hinaus. Wenn man einen Menschen bestimmen müsste, der “Titanic” ist, man könnte nur diesen Mann wählen: ewig unzufrieden, bis ihn Witz, Wut oder intellektuelle Renitenz für Momente retten. Er weiß um Wert und Würde von Lächerlichkeit. Er verbeißt sich in scheinbare Nebensächlichkeiten bis alles so daneben ist, dass es passt. Und er ist, vor seinem Publikum, der Redaktion, ein komisches Ereignis. Es gibt nur ganz wenige, die längere Zeit bei der “Titanic” verbracht haben, die keine Tom-Parodie parat haben – und er kann selbst längst diese Parodien parodieren. Es heißt, mittlerweile beginne er seine ausufernden, wendigen Erzählungen, kaum durch die Redaktionstür getreten, schlicht mit “Apropos”. Ein Status als lebendiges Meta-Anekdotenpersonal, den er aber nicht erarbeitet, sondern von Anfang wohl hatte. Nur wenige Ausgaben nach seinem Amtsantritt war in “Titanic” unter der Überschrift “Typisch Hintner! Ein schlagfertiger Layouter” u.a. zu lesen: “Als der Franke, den Chefredakteur Zippert einmal wegen dessen etwas eigener Anatomie die ‘kleinste Giraffe der Welt’ genannt hatte, auf die zahlreichen Bonmots angesprochen wurde, die ihm den Beinamen ‘Bonmothintner’ eingebracht hatten, fragte Hintner lediglich zurück: ‘Bonmots? Welche Bonmots, ihr Arschlöcher?’”

Heftabgabe / Foto: Tim Wolff

Jeder “Titanic”-Chefredakteur, so ein berühmtes Betriebsgeheimnis, heiratet Hintner. Man verbringt mit ihm mehr Zeit als beide mit ihren Partnern, sieht sich in Unterwäsche (behaupten wir zur Sicherheit mal: beim Fotografieren für sogenannte Fotoromane), streitet und versöhnt sich. Schließlich besitzt der Mann alle Macht, schickt, nicht selten als letzter allein in der Redaktion, die Druckdaten ans Druckhaus. Er hat diese Macht nie missbraucht. Stets hat er sich, auch mal gegen das eigene ästhetische Urteil, auf die Seite der aktuellen Redaktion gestellt. Als etwa einmal der Nachruhm Robert Gernhardts im Heft veralbert wurde und es einigen Aufruhr im Umfeld gab, kam Thomas Hintner konsequent mit dem fröhlich Diskussion beendenden Satz “Ah, da werden also die Spaßmacher auf einmal ernst” daher.

In den alten Redaktionsräumen // Foto: Tim Wolff

Aus der Haltung, dass nichts ernst sein darf, weil alles ernst ist, entsteht aber keine Beliebigkeit, oder präziser: beliebige Beliebigkeit. Hintner, der in bald 30 Jahren endgültiger Satire alles mindestens siebenmal gesehen hat, findet fast nichts gut, erst recht nicht im Rückblick, was zum einen “titanischer” (Geschäftsführerlegende Patric Feest) nicht sein könnte und zum anderen dazu führt, dass man sich sicher sein kann, das wirklich gut ist, was Hintner nicht schlecht findet. Falls er nicht im nächsten Moment, ausführlich begründet, doch das Gegenteil vertritt.

Predigt keinen Wein / Foto: Moritz Hürtgen

Die meisten Titelbilder der “Titanic”-Geschichte hat Hintner gestaltet, gemeinsam mit Martina Werner (deren Einfluss aufs Heft keinesfalls geringer ist, die aber heute nicht 60 wird) eine Gestaltungssprache zwischen Presseparodie und krachenden Brüchen gefunden, die bis in die Grafiken etwa der “Heute-Show” Nachwirkung zeigt. So sehr fast jeder deutsche Komiker in der Neuen Frankfurter Schule und ihren Nachfolgern Vorbild oder Lernhilfe sieht, so sehr hat auch die Optik der kleinen “Titanic” die Präsentation des Komischen in den großen Medien beeinflusst. Thomas Hintner tut das sicher ein wenig leid.  

Text: Tim Wolff

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