Die erste Frau auf dem Mars

Wolfgang Frömberg: “Social distancing ist beklemmend bis superscheiße, und Kontakt halten in jeder Form einfach total wichtig”

“Das Leben kann schon ein Dilemma sein, aber dass ich schreiben und veröffentlichen kann und Leute sich darauf einlassen und davon berühren lassen, halte ich für ein Privileg und eine Aufgabe.”
So tolle Sätze wie diesen teilt Wolfgang Frömberg gerne mit der Welt. Ich habe ihn vor langer Zeit in einem Cafe, das nach einem Offizier der “Moby Dick” benannt ist, zu einem Blind Date getroffen, danach arbeiteten wir lange bei Intro zusammen. Wolfgang ist ein verwegener Fußballer, ein besessener Autor und ein hochemotionaler Literatursalonbetreiber. Aktuell reagiert er auf Corona mit einer spannenden Soundcloud-Lesungsserie zu seinem neusten Projekt “Die erste Frau auf dem Mars”.

Wolfgang, viele Kaput-Leser_innen kennen dich als Organisator von Lesungen im King Georg („Literatur zur Zeit“) und Acephale. Aktuell hat auch du alles natürlich absagen müssen? Spürst du nach vier Wochen schon einen heftigen Phantomschmerz?
Klar ist es megaschade. Auch mit Dublab und Carla Kaspari und Jan Lankischs “Always Coming Back To You” habe ich letztes Jahr was gemacht, auch mit Popanz, auch im Elektra – und im Mai sollte Jon Savage in den Lichtspielen Kalk lesen. Ich habe einfach gerne mit Leuten zu tun, die Sachen machen, die ich total interessant und wichtig und schön finde.
Ím King Georg musste ich leider für März und April geplante Veranstaltungen zu Mark Fisher, mit Ted Gaier und Clara Drechsler sowie mit euch, also der Reihe “Talking Kaput” zum bei Ventil erschienenen Band „These Girls“ absagen. Sorgen mache ich mir gerade aber vor allem um diese Zusammenhänge und die Leute, die sie am Laufen halten. Und damit meine ich wirklich alle, die jeweils daran beteiligt sind.

Wie empfindest du die vielen Leseformate, die analog zu den Konzerten und Djs überall aufpoppen?
Im Moment? Super. Stell dir vor, du hast gerade ein Buch veröffentlich und kannst es nicht vorstellen. Da steckt sehr viel Arbeit drin und es hängen ja noch einige Existenzen mehr dran, gerade für kleinere Verlage oder Buchhandlungen ist die Situation ja auch nicht einfach (das muss man ernst nehmen, auch wenn man sich nicht auf die Betrachtung der Lage im Kulturbetrieb beschränken sollte).
Oder du nutzt die Gelegenheit um etwas außerhalb dieses VÖ-Betriebs zu machen. Das hat beides seine Berechtigung und kann sehr toll sein. Social distancing ist beklemmend bis superscheiße, und Kontakt halten in jeder Form einfach total wichtig. Und wenn jetzt Autor_innen, von denen ich Fan bin, wie Sarah Diehl oder Thorsten Krämer oder andere gute Leute was machen, dann hänge ich auch gerne auf dem Sofa ab und gucke zu und hör mir das an. Wenn ich mir was wünschen darf: Lesungen von Sally Rooney und Zadie Smith.

Nach „Spucke“ und „Etwas Besseres als die Freiheit“ arbeitest du aktuell an einem Projekt namens “Die erste Frau auf dem Mars”. Anlässlich von Corona und Heim-Isolation hast du dich dazu entschieden, diesen work in progress Roman peu a peu als Lesungen auf Soundcloud zu stellen.
Inwieweit empfindest du das denn als Dialogbeginn? Ist das für dich ein final stehender Text oder wirst du vom Feedback kommend noch weiter an dem Text arbeiten?
Ehrlich gesagt schleppe ich diese Geschichte und die Idee, sie als Hörbuch zu veröffentlichen, schon sehr lange mit mir rum. „Die erste Frau auf dem Mars“ wird aus der Perspektive von zwei Ich-Erzählerinnen geschildert, ein Kapitel besteht jeweils aus zwei Berichten, das erste Kapitel „Die Entdeckung Amerikas“ ist nun komplett auf Soundcloud zu hören. Fortsetzung folgt.
Eigentlich wollte ich bei „Die erste Frau auf dem Mars“ direkt mit anderen kooperieren. Das halte ich auch für die Zukunft nicht für ausgeschlossen. Dass jemand assoziativ was zur Geschichte beiträgt oder ich das Ganze in verschiedenen Studios von Freund_innen noch mal „ordentlich“ aufnehme und vielleicht auch mal andere den Text lesen. Das waren ursprünglich so Gedanken.
Lesungen waren mir immer schon wichtig. “Spucke” habe ich mal in gut acht Stunden am Stück gelesen, und im Februar noch das autobiografische „Rückkehr nach Riehl“ im Acephale aufgeführt, das es ebenfalls nicht in Buchform gibt. Das war sehr intensiv. Von Kunst erwarte ich, dass sie was mit mir macht, diesen Anspruch stelle ich auch an mein eigenes Zeug. Bei einer Lesung kann ich wirklich alles in die Waagschale werfen, es ist eine direkte Art der Auseinandersetzung möglich, im Anschluss wird gleich weitergequatscht, getrunken, gesponnen. Das gefällt mir. Die spezielle Situation gerade hat mir wohl spontan den Impuls gegeben: Hau raus, schreib weiter, probier was Neues.
Dialog immer gerne. Inwieweit „Input“ oder „Feedback“ mich beeinflussen, ist abhängig von vielen Punkten. Ich bin da wie so ein Wal, der den ganzen Tag Plankton aus dem Meer filtert. Ich verleibe mir dauernd sehr viel ein, das meiste entgeht mir aber auch, anderes verschmähe ich einfach. Dass der veröffentlichte Text jetzt erst mal so fertig ist, habe ich entschieden. Würde ein Verlag ins Spiel kommen, sähe das schon wieder anders aus. Das ist spannend. Die Bedingungen formen alles, auch so eine erfundene Geschichte.
Habe ich erfunden gesagt? Sorry. Passiert natürlich alles wirklich.

Wo soll “Die erste Frau auf dem Mars” denn erscheinen und wann?
Da ist nichts bislang geplant.

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Die Protagonistin von “Die erste Frau auf dem Mars“ lebt in einer psychiatrischen Anstalt, die sie Turm nennt. Spielt das auf das gleichnamige Buch von Stephen King an?
Stephen King schätze ich sehr und ich muss zugeben, dass immer sehr viele Referenzen in meinem Kram drinstecken. Also würde ich das nicht ausschließen, weil ich ja auch „Der dunkle Turm“ mal gelesen habe und dachte: Wow! Das wäre dann aber nur ein Teil des Puzzles in meinem Kopf, aus dem sich allmählich eine Geschichte wie „Die erste Frau auf dem Mars“ ergibt, wenn ich mich hinsetze und schreibe. Die Idee mit den zwei Erzählerinnen war früh da, dann kamen andere Notwendigkeiten hinzu und alles hat sich verselbständigt. Wichtig auch: ich fahre täglich an einem Gebäude vorbei, das für mich diesen Turm darstellt. Die Geschichte spielt ja eben auch in der Realität außerhalb von Büchern und Filmen. In den Verhältnissen. Und sie wird auf einer persönlichen Ebene durch Leute geschrieben, die mir was bedeuten, noch bevor ich es aufschreiben kann. In Diskussionen, durch gemeinsames Handeln. Im Herzen. Und dann gibt es die Sachen, bei denen ich selber denke: Hm scheiße, wo kommt das eigentlich her? Egal. Kommt gut gerade.

Auch wenn es sich um eine Art psychologisches Kammerspiel handelt, so machst du ja doch auch zwei große Diskurshorizonte auf: Leben im Weltall als unausweichliche Folge des Missmanagement auf Erden und Amerika als Sinnbild des Abschieds von der alten Weltordnung. Ist es als Autor 2020 überhaupt noch eine Option abseits von diesen Großthemen Geschichten anzulegen, muss man jeden Charakter und seine Geschichte mittlerweile zwingend in den Kontext zur Welt stellen?
Ich wollte erst mal einfach eine Science Fiction-Geschichte schreiben, weil ich Fan des Genres bin. Auf meine Art. So wie “Spucke” ein realistischer und “Etwas Besseres Als die Freiheit” ein Horror-Roman sein sollte. Natürlich schleichen sich da immer andere Sachen rein, wobei „Die erste Frau auf dem Mars“ mit den beiden vorigen Büchern verglichen sicher am ehesten eine fiktionale Erzählung im Sinne von Unterhaltungsliteratur ist, die auch für den Konsum in der Badewanne geeignet ist, erst recht in dieser Hörbuch-Fassung. Was ich selber so will und wovon ich hoffe, dass es rüberkommt.
Zum Verhältnis Science-Fiction/ Wirklichkeit in Sachen Weltall nur kurz: Es gab oder gibt ja tatsächlich Mars One, also ein kommerzielles Projekt, wissenschaftlich aufgebauscht, medial vermarktet. One-Way-Ticket zum Roten Planeten und dann Big Brother-TV in der Kolonie. Irre. Wenn das alles, was du sagt, da schon drin steckt, dann sicher auch in „Die erste Frau auf dem Mars“. Es geht aber eben auch um bestimmte Verletzungen, nötige Kämpfe und um Figuren, die deswegen ernst genommen werden wollen.

Und ist das für dich ein Dilemma?
Das Leben kann schon ein Dilemma sein, aber dass ich Schreiben und Veröffentlichen kann und Leute sich darauf einlassen und davon berühren lassen, halte ich für ein Privileg und eine Aufgabe. Ich bekomme viel zurück. Wenn ich mich da in einem allzu schweren Dilemma sehen würde, sollte ich meine Zeit nicht damit verschwenden. Ich muss für mich halt eine Form finden, wie ich sich das ausdrücken lässt, was im Kopf herumspukt und unter den Nägeln brennt. Schlimm wäre es wohl, wenn ich das Gefühl hätte, ich würde etwas machen, nur um den Erwartungen eines Marktes zu entsprechen.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Robert Kraiss für die Bilder zu deiner Soundcloud-Lesereihe?
Robert habe ich als Mitspieler im Fußballteam Lentpark Schwalben kennengelernt, und beim Kicken lernt man ihn schon sehr gut kennen. Er spielt mit viel Auge im Aufbau und kompromisslos in der Defensive. Im September letzten Jahres war ich dann bei der Doppel-Ausstellungseröffnung “French Rubbing Trance Bleeding/ Mozambique Primal Scream”. Seine Sachen und seine Arbeitsweise haben mich beeindruckt. Ich will ihn schon länger mal im Atelier besuchen, ein Plan, der jetzt auf Eis liegt, und folge ihm auf Instagram, wo er einen sehr hohen Output an coolen Zeichnungen hat. Weil er oft Frauen porträtiert und sich da auch von Figuren aus der Mythologie inspirieren lässt, kam mir die Idee ihn zu fragen, ob er mir was „schenken“ möchte, um die Veröffentlichung des Hörbuchs und die Bewerbung via Social Media zu illustrieren. Dreist wie ich bin. Wenn „Die erste Frau auf dem Mars“ durch die Decke geht, lade ich ihn natürlich noch zum Essen ein.
Und wie gesagt, da werde ich in Zukunft sicher noch mehr Leute fragen, ob sie Lust haben, sich zu beteiligen.

Was ist dein aktueller Lieblingssong? 
“She`s My Yoko” von Television Personalities, weil ich alles von Daniel Treacy liebe – und dieses Stück gerade ganz besonders…

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