Records of the Week: Dry Cleaning „Stumpwork“ / Frankie Cosmos „Inner World Peace“

Dry Cleaning, Frankie Cosmos & ein Ranking der zehn besten Indie-Platten, die 2007 rausgekommen sind

Dry Cleaning
„Stumpwork“
(4AD)

“If you like this, you may like: weird, weird, weird, weird”.

Wenn Florence Shaw, Frontfrau der one-of-a-kind Band Dry Cleaning, zwischendurch mal in sowas wie eine Gesangsmelodie stolpert, hält das meistens nur für wenige Augenblicke an – fast so, als wär’s ein Ausrutscher gewesen, ein Versehen. In “Stumpwork”-Songs wie “Gary Ashby” sind Anflüge von melodiösem Singen lediglich kurze Happen, ehe Shaw wieder in ihren semi-ironischen Sprechgesang (nicht im Sinne von Rap, sondern im allerwahrsten Sinne des Wortes) verfällt. Das hat schon auf dem Debütalbum “New Long Leg” Spaß gemacht und entpuppt sich auch hier wieder als one-of-a-kind:
“Pleated curtains partly hanging/Partly pushed against the tinted window so it looks like a giant butt/You can say I don’t give a fuck, dick face”, sagt (!) sie in “Kwenchy Kups”. Großartig.

Von Shaws Vortragsweise bekomm ich aus den selben Gründen nicht genug, aus denen ich auch nach Anti-Vokalisten wie Haftbefehl oder Bob Dylan süchtig bin: Die Londonerin setzt an ungewöhnlichen Stellen ihre Betonungen und spricht die scheinbar willkürlich zusammengesetzten Sätze auf “Stumpwork” so farbvoll aus, dass sie selbst ohne dazugehörige, nachvollziehbare Melodieführungen eingängig sind. Sogar sperrige Lyrics wie “It’s either scientist, or people who are mining, or dog sledge people” (aus dem Opener “Anna Calls From The Arctic”) fressen sich dadurch in deinen Kopf – und bleiben dort erstmal.

Meistens, ich schätze mal 77% der Zeit, hab ich absolut keine Ahnung, was Florence Shaw uns mit ihren Songtexten sagen will (“Wow, I just killed a giant wolf”); auch wenn ich mir fast sicher bin, dass sich hinter jeder Zeile irgendeine clevere Bedeutung versteckt. Gelegentlich hat man als Hörer jedoch eine grobe Ahnung, worum es gehen soll – zum Beispiel das Pandemie-bedingte Tragen von Masken (“I’ve seen your arse, but not your mouth/That’s normal now”) oder unsere abgefuckte Konsumgesellschaft (“I’m bored, but I get a kick out of buying things”) – und ganz selten sind die Dinge sogar selbsterklärend: “I see male violence everywhere”, “Stay interested in the world around you/Keep the curiosity of a child if you can”, “Things are shit, but they’re gonna be okay”. Vor allem diese letzte Aussage hört man heutzutage nur noch vereinzelt, ist im Kontext von Dry Cleaning aber eh ironisch gemeint.

Derart entertaining bleibt Florence Shaws abstruse Bizarrerie aber auch nur, weil die Musik darunter so ist, wie sie halt ist: ideenreich und voll mit subtilen Entwicklungen. Der wirkliche Held von Dry Cleaning war schon auf dem Debüt und ist auch auf “Stumpwork” wieder Gitarrist Tom Dowse mit seinem schmatzigen Sound zwischen perkussivem Akkordgeschrabbel und fast schon melancholischer Melodieführung. Man fühlt sich ebenso an altbekannte, britische Riffmaschinen (zum Beispiel Keith Richards) wie an eher unkonventionelle Post-Punk-Klanggestalter (zum Beispiel Keith Levene) erinnert. Plus: Wenn die Vocals und der Rest fast schon losgelöst voneinander sind, hast du als Instrumentalist logischerweise Freiheiten, die man bei einer engen Verzahnung von Gesang und musikalischer Untermalung eben nicht hat. Die Konsequenz ist bei Dry Cleaning also, dass die Gitarrenparts nicht nur extrem fantastisch, sondern auch beeindruckend in ihrer schieren Anzahl sind. Qualität ist natürlich besser als Quantität, aber wisst ihr, was noch besser ist? BEIDES.

Während sich “New Long Leg” größtenteils wie ein Live-Auftritt der Band anfühlte, ist Dry Cleanings Zweitwerk nun hübscher und eher ein Ich-sitz-allein-zuhause-mit-Kopfhörern-Album. Schon der bereits erwähnte Opener “Anna Calls From The Arctic” stellt uns die leicht abgewandelte Version der Gruppe vor: Keyboard, Saxophon, Overdubs. In späteren Tracks dann noch: Akustikgitarre (“Kwenchy Kups”), Wah-Wah-Bass (“Hot Penny Day”), Ambient-Outro (“Conservative Hell”). Man muss dieses Mal länger mit der Platte leben, bis sie endgültig klick macht; der Song “Driver’s Story” ließ mich beispielsweise beim ersten Hördurchgang kalt und gehört heute zu meinen Favoriten. Vieles, wie der ultra-eingängige Refrain im kurzen Highlight “Don’t Press Me”, kommt nur einmal und danach nicht zurück. Weil Dry Cleaning wissen, dass der Moment dann besonderer ist – und dass der nächste Moment genauso genial sein wird.

Frankie Cosmos
„Inner World Peace“
(Sub Pop)

An dieser Stelle ein dickes SORRY an alle, die für eine ausführliche Besprechung zum neuen Album von Frankie Cosmos gekommen sind. Das bleibt leider aus, weil ich stattdessen auf was anderes Lust hab. Und eine üppige Rezension gab’s ja gerade schon zu Dry Cleaning.

Nur kurz zu Frankie Cosmos: “Inner World Peace” hat den selben tagträumenden, unaufdringlichen Sound wie die letzten paar Platten von Greta Kline & Co. Auffällig anders ist das Album nicht wirklich. Muss ja auch nicht. Die Songs sind immer noch ziemlich kurz, zumindest meistens, und voll von Klines leicht kindlichen Lyrics (“I hid behind the neighbor’s tree/But he wouldn’t come out to play/I guess I’ll try another day”). Kann man machen, alles in allem.

Am längsten im Kopf geblieben ist mir nach mehrfachem Hören von “Inner World Peace” aber vor allem eine Zeile: “Listening to 2007 indie”. Weil das von sehr viel Geschmack zeigt und ich letztens noch im berauschten Kopf davon gefaselt hab, dass eben dieses Jahr das insgesamt beste des Indie-Rock war – zur Klarstellung: 2007 war ich sieben, dementsprechend hab ich die musikalische (und übrigens auch filmische) Großartigkeit dieses Jahres erst rückblickend feststellen können –, gibt’s statt einer Rezension zu “Inner World Peace” nun ein Ranking der zehn besten Indie-Platten, die 2007 rausgekommen sind.

10. Wilco – „Sky Blue Sky“
Ich lese im Zusammenhang mit „Sky Blue Sky“ immer den (häufig abwertend gemeinten) Begriff Dad-Rock und sehe auf jeden Fall, woher das kommt. Ist jedoch unterbewertet, dieses Album.

9. Arctic Monkeys – „Favourite Worst Nightmare“
Nicht so gut wie die Debütplatte „Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not“ aus dem Jahr zuvor, aber halt immer noch Arctic Monkeys und das reicht meistens schon. Denn Frontmann Alex Turner war damals und ist auch heute noch einer der talentiertesten Songwriter seiner Genration.

8. Panda Bear – „Person Pitch“
Verwaschene Traumsongs mit ordentlich “Pet Sounds“-Vibes. Nie zuvor wurde die Kunst des Samplings so fantastisch eingesetzt (also im Indie-Rock, versteht sich).

7. Arcade Fire – „Neon Bible“
Arcade Fire waren dieses Jahr leider vor allem mit eher unschönen Sachen in den News… Das Album geht häufig zwischen den gefeierteren Platten, die davor und danach rausgekommen sind, unter, ist in seiner Ausführung von pathetischer Dramatik aber genauso wirkungsvoll.

6. Deerhunter – „Cryptograms“
Herausfordernder und weniger Song-mäßig als die darauffolgenden Alben dieser großartigen Band. Hab Deerhunter erst dieses Jahr für mich entdeckt und bin verliebt jetzt.

5. Bon Iver – For Emma, Forever Ago
Der ziemlich ausgelutschte Mythos um diese Platte – Justin Vernon alleine in einer Waldhütte und so – nervt mich irgendwie. Die wundervolle Musik aber nicht; ganz im Gegenteil.

4. The National – Boxer
Das Album, auf dem The National endgültig zu The National wurden. Hier haben sie endlich festgestellt, dass sie niemals so „cool“ wie andere NYC-Bands sein werden und das auch nicht sein müssen.

3. Animal Collective – Strawberry Jam
Auf „Strawberry Jam“ haben Animal Collective die perfekte Balance zwischen aufreibendem Noise-Geballer und catchy Pop-Hooks gefunden. Ihr bestes Album, obwohl „Feels“ (2005) sehr nah dran ist für mich.

2. Radiohead – In Rainbows
Mittlerweile glaub ich mein Lieblingswerk von Radiohead, weil am organischsten und am meisten in-the-moment. Hier hat die Band sich ganz deutlich auf ihr gemeinsames Zusammenspiel fokussiert und die Songs sprechen lassen, ohne sie tot zu denken.

1. LCD Soundsystem – Sound of Silver
Eine herausragende Mischung verschiedener Welten (Indie, Dance/Electronic, Punk, Classic Rock). Und „All My Friends“ ist hier drauf, bestimmt einer meiner TOP 10 Songs ever.

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