Records of the Week

Carla dal Forno “Come Around” & Plaid “Feorm Falorx”

Carla dal Forno, “Come Around”

Carla dal Forno
“Come Around”
(Kalista/Cargo)

Plaid
“Feorm Falorx”
(Warp/Rough Trade)


Eukalyptus-Wälder („bushlands“) gibt es nicht nur auf Madeira, sondern etwa auch in Central Victoria, Australien. Wobei diese Wälder oft täuschen: Der leckere, frische Duft verrät nichts über die immense Brandgefahr und den teilweise überhäufigen monokulturellen Anbau dieses Gewächses.

Genauso sollte man sich weder von Carla dal Fornos betörenden Sounds und Lyrics noch von der Musik des Londoner Elektronik-Duos Plaid in die Irre führen lassen, Niedlichkeit und Harmonie erscheinen, werden aber durchaus von einem guten Maß schillernder Melancholie begleitet oder sogar bestimmt. Vor allem für jüngere Zuhörende werden hier nahezu hauntologisch und hyperkulturell die 1980er (Carla dal Forno) und 1990er (Plaid) reaktiviert bzw. erhörbar gemacht, aber eben jeweils nicht regressiv, also pur kulissenhaft rekonstruierend, sondern immer fokussiert im Hier und Jetzt progressiv, zudem ganz nach vorne gerichtet: Wie wollen wir klingen, uns bewegen, ja leben?

Wenn dal Forno auf ihrem dritten, auf eigenem Label erscheinenden und erstaunlichsten Album (auch die ersten beiden sollten unbedingt rezipiert werden) mit synthetischen Drumsounds beginnt, dann sind sofort Erinnerungen an gestern (Anna Domino) und heute (Lucrecia Dalt) aktuell. Kein Wunder, sind doch für ihre Produktionen laut Info u.a. die phantastische Opal-Sängerin Kendra Smith (aus Opal wurden später quasi Mazzy Star mit Hope Sandoval), das Dub- und Tape-Music-Projekt General Strike and The Flying Lizards (u.a. David Toop, Robert Fripp, Vivien Goldman) genannt. Wie ich just hier in „Kaput“ an anderer Stelle beschrieb, scheinen mittlerweile all die innovativen und berauschenden popmusikalischen Seiten dieses Jahrzehnts von beherrschendem Kalten Krieg, drohendem Atomkrieg, sauren Regen und Neoliberalismus schlagend und vor allem den ganzen unreflektierten Trash vergessen machen.

Dal Forno lädt mit ihrem Titel(song) ein und strahlt Wärme aus, ohne Coolness abzugeben. Reduktion bleibt vorrangig. Nach ihren Aufenthalten in Mega-Cities wie London und Berlin erklingt hier nun wirklich die Weite und Ruhe der australischen Landschaft – und das ist schon der ‚down under‘ dicht besiedelste Bundesstaat dort. Neben nur scheinbar kontrastierenden Stücken wie „Deep Sleep“ und „Stay Awake“, wird immer wieder Gemeinsamkeit und Gemeinschaft, ja Liebe im weiten Sinn, thematisiert, Anti-Ballermann im Duett mit dem ähnlich positiv verhuschten Klang- Medienkünstler sowie Musiker Thomas Bush auf „Slumber“:
„My Dear there’s so much to be done / I never finished what I start am / I’m losing / I should be rushing out the door, but you say slumber.“

Dal Forno nimmt einen in die Arme, ohne zu erdrücken. Genauso wie ein gemeinsames umschlungenes Einschlafen und Aufwachen ein unmessbares Geschenk ist, fast einerlei, ob die Sonne scheint, Hitzewellen rollen oder Raketen fliegen oder beides.

Plaid schließen auch an meine letzte hiesige Doppel-Rezension (s.o.) an, aber wo Bibio eher Songwriting betreibt, waren Andy Turner und Ed Handley aka Plaid (auch The Black Dog und als Kollaborateure von Björk) für mich immer eher die kristallene IDM-Variante in Pop vom sich überschlagenen Squarepusher und durchgeknallten Aphex Twin. Plaid haben mich seinerzeit Ende der Neunziger sanft(er), verspielt und doch auch experimentell, härter als die abdriftenden Boards of Canada, aber ähnlich nachdenklich mit in die elektronischen Welten des Kult-Labels „Warp“ entführt. Zum 30-jährigen Jubiläum (inklusive Black Dog Productions) haben Plaid als Konzept einen ‚Auftritt‘ beim „Feorm Festival“ auf dem Planeten Falorx im Studio wieder und neu erschaffen. Sie bleiben Klangdesginer und weit mehr, man achte auf die KI-unterstützen Designs des Artworks, der Clips und der Pressebilder. Ihre auf allen Ebenen Versuche, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihren nunmehr überall als High-Tech-Retro-Futurismus (früher standen Plaid deutlicher für Futurismus) betitelten Ideen unterzubringen, werden auf dem neuen Album auf die Spitze getrieben. Fakt und Fiktion, Echtheit und Künstlichkeit, Analoges und Digitales spielen in Pop entgegen authentizistischer Modelle hier keinerlei Rolle. Plaid scheren sich schlichtweg nicht darum und kreieren eigene Kosmen.

Und das wirkt (mal wieder) sehr befreiend (zu den Zusammenhängen von Fakt, Fiktion und Fake in Pop siehe auch die Beiträge in einer von Beate Flath und mir herausgegebenen Ausgabe der Fachzeitschrift „medien & zeit“ mit Beiträgen von u.a. Sonja Eismann, Jens Balzer und Hans Nieswandt). Ein buntes künstliches Teilchen wie „Perspex“ mitsamt seines Musikvideoclips ist geschichtenbehafteter SciFi galore. „Modenet“ läuft daran anschließend menschlichmaschinell los, nimmt mich an die imaginierte Roboterhand, lächelt mir mit Nachtsichtaugen zu, sagt mir „Alles ist in Ordnung“. Ist das sehr sauschön. Hört Euch das an. Unbedingt. Also losgelöst. „Wondergan“ spätestens kehrt endgültig vorläufig zu Plaids Ursprüngen um HipHop (insbesondere auch auf dem ekstatischen „Wide I’s“) und Funk zurück auf den Tanzboden. „Nightcrawler“ ist fast schon wavig-synthie-poppig. Oops. Wow. Auflegen statt Aufgeben, „Return to Return“, nennen Plaid das dann als verschrobenen Track.

Ich falle. Zucke. Nach oben. Nur die Welt drehen. Ist das jetzt bedrohlich oder berührend? Werde aufgefangen. Gekrault. Geküsst. Getröstet – und dann mit einem neugierigen Blick nach vorne bedacht. Ich bin verliebt. Nicht nur in diese beiden Alben.

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