Danielle de Picciotto & Friends: Gudrun Gut

Gudrun Gut: „Wer hätte gedacht, dass wir heute wieder gegen Nazis kämpfen müssen und Frauenrechte angezweifelt werden? Horror!“

Gudrun Gut (Photo: Udo Siegfriedt)

 

Gudrun Gut muss man nicht vorstellen. Sie gilt als musikalische Vorreiterin der 80er Jahre und ist als Produzentin, Labelgründerin und elektronische Klangkünstlerin bis heute allerorts bekannt. Ich begegnete ihr zum ersten Mal 1989 und betrachte sie seitdem als eine der beeindruckendsten Frauen, die ich kennenlernen durfte. Ihre Mischung aus ruhiger Freude an kleinen, alltäglichen Momenten und ihrem untrüglichen Gespür für zukunftsweisende Sounds sowie avantgardistische Kunst ist bemerkenswert.

Mit ihren Labels Moabit und Monika, die sie seit Jahren betreibt, hat sie einige der besten weiblichen elektronischen Musikerinnen ins Rampenlicht gerückt. Sie ist zudem Kuratorin des UM Festivals in der Uckermark, tritt als Support für Kim Gordon auf, betreibt eine Residency-Stätte für Künstlerinnen auf dem Land, spricht auf internationalen Panels, organisiert Workshops und ist Jurymitglied wichtiger Institutionen. Ihre Unterstützung anderer Musikerinnen ist einzigartig – ihre Mischung aus Freundschaft und Komplizenschaft enthält keinerlei Funken von Stutenbissigkeit oder Launenhaftigkeit, die man trotz aller Emanzipierung manchmal noch beobachten kann. Mit ihrem ruhigen Gleichmut gelingt es ihr, sehr unterschiedliche, hoch nervöse Künstler:innen so zusammenzubringen, dass sie nicht nur wertvolle Musik machen, sondern auch dabei Spaß haben.

Ich freue mich daher sehr, dass sie sich heute die Zeit nehmen konnte, mir ein paar Fragen zu beantworten.

Danielle de Picciotto: Gudrun woran arbeitest du momentan?

Gudrun Gut: Ich bin gerade sehr froh, endlich wieder mehr Studiozeit zu haben und nicht so viel unterwegs zu sein. Gestern habe ich die Vocals für ein Stück von Tobias Freund aufgenommen – eine Coverversion von Suicide. Danach habe ich diverse neue Software-Updates und Tutorials studiert und arbeite an neuem Solo-Material sowie an Stücken für eine Aufführung – ein schräges Musical soll das werden. Das macht Spaß und fordert mich heraus.

Zudem arbeite ich an einem textlastigen Projekt über das Label Monika Enterprise beziehungsweise die Berliner Musiklandschaft ab Mitte der 90er – mit Bergen von Interviews der Beteiligten. Das mache ich zusammen mit Tim Ra. Wir transkribieren derzeit die Gespräche und gehen sie gemeinsam durch. Das bereitet mir große Freude, weckt viele schöne Erinnerungen und holt vergessene Ereignisse zurück. Zu dem Buch soll es auch eine kleine Ausstellung geben – wahrscheinlich im Frühjahr 2026. Die Monika 100 wird der 100. Release sein.

Jetzt bereite ich das UM Festival vor, das jedes zweite Jahr Anfang September in der Uckermark stattfindet. Dort bin ich für die Musikauswahl verantwortlich und zudem Teil des Vereins.

Also: Ich bin an mehreren Projekten gleichzeitig beschäftigt – und dazu noch an der Steuer. Vor allem aber kultiviere ich die Langeweile. Sie ist völlig unterschätzt. Langeweile ist wichtig für kreative Ideen. :)“

Gudrun Gut (Screenshot: Mara von Kummer)

Du hast immer alles für dich selbst aufgebaut, anstatt darauf zu warten, dass andere dich dazu einladen. Gibt es noch etwas, was du gerne machen oder erreichen möchtest?

Gudrun Gut: Ja, klar – da ist einiges. Zuerst entsteht eine Idee, der ich dann Schritt für Schritt näherkomme. Die Idee wird herausgeschält, verfeinert. Sie muss aufregend sein, mich fordern und natürlich auch Spaß machen. Meine Bedürfnisse haben sich im Laufe der Zeit verändert. Früher habe ich gern die Nacht zum Tag gemacht; heute interessiert mich eine endlos lange Partynacht eigentlich nicht mehr. Flughäfen sind mir mittlerweile auch ein Gräuel.

Der Film fasziniert mich heute wieder sehr. Ich bin fast zwanzig Jahre nicht mehr ins Kino gegangen, dafür aber deutlich öfter ins Theater. Die Arbeit von Susanne Kennedy habe ich sehr schätzen gelernt – ich habe mehrere Stücke von ihr an der Volksbühne gesehen und die Inszenierung von „Einstein on the Beach“ bei den Berliner Festspielen miterlebt. Ihre Einbindung von Video und Playback in die Theaterstücke ist beeindruckend. Und seit ein paar Jahren – ich glaube, seit Ruben Östlunds „Triangle of Sadness“ – gehe ich wieder vermehrt ins Kino. Die Filme sind meiner Meinung nach mutiger und besser geworden, und ich genieße die völlige Hingabe, die man im Kino spürt: Licht aus, Film an.

Dazu kam auch meine eigene Serie „GUT“ – da bin ich ja buchstäblich hineingestolpert. Regisseur Heiko Lange fragte mich, ob ich mir so ein Projekt vorstellen könne, und plötzlich ging alles sehr schnell. Wir waren ein kleines, aber engagiertes Team – Heiko, Johannes Funk als Kameramann und ich – und haben das innerhalb kürzester Zeit realisiert. Auch Freunde und Bekannte wirkten als Gäste mit, ebenso die Produzentinnen von Kobalt und der Cutter Marvin Leibold. Das war insgesamt sehr inspirierend und hat mich erneut mit dem Teamgeist im Film und dem Genre selbst vertraut gemacht.
Ich liebe es, mit Bildern und Ton zu arbeiten. Deshalb möchte ich gerne ein Musical machen – um den Begriff mal ein wenig umzudrehen – und vielleicht auch noch einen Film. Ich bin dran.“

Gudrun Gut (Photo: Udo Siegfriedt)

Du hast unglaublich viele Frauen und Musikerinnen gefördert. Wie steht es mit der Frauenbewegung? Sind die Zustände besser geworden? Wird weniger diskriminiert?

Gudrun Gut: Ja, es ist etwas besser geworden, aber es gibt immer wieder Rückschritte. Wenn ich mir die Welt jetzt ansehe, bin ich total frustriert – es scheint, als ob sich die Zeit zurückdreht. Wer hätte gedacht, dass wir heute wieder gegen Nazis kämpfen müssen und Frauenrechte angezweifelt werden? Horror!“

Du lebst auf dem Land und gönnst dir schöne Spaziergänge sowie Auszeiten. Was denkst du, ist ein gutes Maß an Arbeit, um vorwärts zu kommen? In der Stadt herrscht ja immer ununterbrochene Hektik – ist das für die Karriere förderlich?

Gudrun Gut: Ich habe 40 Jahre lang das exzessive Stadtleben genossen, mich engagiert und vieles mitgenommen. Das Leben auf dem Land war für mich eine ganz neue Erfahrung und Herausforderung – ich brauchte etwas Neues, Simples, Geerdetes, das mich inspiriert. Hier musste ich das Leben von Grund auf neu lernen: Gartenarbeit, Pflanzen, Gestaltung etc. Ich finde es aufregend und gleichzeitig entspannend: die Natur, die Stille, der weite Blick, die Jahreszeiten und die Konzentration. Pflanzen, Tiere – auch die zwischenmenschlichen Beziehungen sind hier auf dem Land anders, nicht so flüchtig.
Ich habe außerdem ein Studio zum Arbeiten, das Internet darf nicht fehlen, und es gibt nette Nachbarn – also so einsam ist es nicht.
Die Stadt ist hervorragend fürs Networking, für Konzerte, Kino, Theater, Essen gehen – ich bin immer wieder gerne und oft in Berlin oder in anderen Großstädten dieser Welt. Meine Konzerte finden ja auch fast immer im urbanen Raum statt.“

Du arbeitest seit über 40 Jahren in der Musikbranche. Wenn du jetzt zurückblickst, gibt es etwas, das du anders gemacht hättest?

Gudrun Gut: Hmmm. Vielleicht hätte ich mir öfter einen Rechtsanwalt nehmen sollen. Aber gleichzeitig nerven mich Anwälte, und wenn sich die Dinge nur so lösen ließen, wäre doch schon der Wurm drin. Also: DIY ist echt total okay und geht schon – aus Fehlern lernt man schließlich! Fehler als Inspiration zu erkennen, das habe ich immer so gesehen. Und man sollte nicht zu schnell aufgeben, sondern Vertrauen ins Gute haben.
Ich bin recht hartnäckig – ein alter Stier.
Die Musikbranche ist schon sehr besonders und aufregend, doch sie ist auch mit viel Arbeit verbunden. Viele vergessen, wie viel Schweiß, Enttäuschungen, Herzblut und Engagement dahintersteckt.“

Gab es eine unerwartete Wendung in deiner Karriere?

Gudrun Gut: Oh ja! Mein Leben verlief nie nach einem Masterplan – eines ergab das andere. Inzwischen habe ich viele dieser Wendepunkte wahrscheinlich schon vergessen…
Aber ganz aktuell war da ein besonders schöner Moment: Radio-Rotation bei Radio Eins (Berlin-Brandenburg) mit meinem zehn Jahre alten Stück „Garten“! Es war ein echtes Highlight, meine eigene Musik mitten im Tagesprogramm zu hören – und dann auch noch bei einem Sender, den ich selbst regelmäßig höre und sehr schätze. Radio ist sowieso großartig. Ich habe ja früher zusammen mit Thomas Fehlmann selbst „oceanclubradio“ gemacht.

Wer hat dich musikalisch maßgeblich inspiriert oder beeindruckt – und warum?

Gudrun Gut: Inspirationen gibt es immer – sie kommen oft durch Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Meine Partner:innen und musikalischen Kollaborationen haben mich über die Jahre immer wieder neu geprägt, herausgefordert und bereichert. Manchmal sind es aber auch ganz beiläufige Dinge, die mich treffen: ein alter Song, ein Satz in einem Buch, oder einfach ein kleiner Käfer, der über ein Blatt streift. Alles kann ein Auslöser sein.

Gudrun Gut (Photo: Udo Siegfriedt)

Wer sind deine aktuellen Lieblingskünstler:innen?

Gudrun Gut: Da bin ich natürlich etwas voreingenommen – alle Künstler:innen auf Monika Enterprise finde ich großartig. Aber darüber hinaus höre ich zurzeit gern Anika, Lana Del Rey und Lucrecia Dalt. Auch Sophia Kennedy finde ich spannend – ihr Track „Hot Match“ gefällt mir sehr, und auch „Gondeln“ mit DJ Koze ist toll. Und manchmal zieht es mich zurück zu Klassikern: Peggy Lee oder Patsy Cline – zeitlos und immer wieder gut.

Hast du jemals darüber nachgedacht, den Beruf zu wechseln?

Gudrun Gut: Ja, auf jeden Fall! Ich liebe das Spiel mit Möglichkeiten, hehe. Die Musikszene kann manchmal ganz schön frustrierend sein – Selbstzweifel, finanzielle Engpässe… Gerade in den Nullerjahren, die anfangs extrem produktiv waren – Berlin war voller großartiger Musiker:innen und Labels – kam irgendwann der Einbruch. Die Vertriebe brachen weg, und plötzlich bekam man beim Kauf von Druckerpapier eine MP3 gratis dazu. Kein Witz. Das war wirklich deprimierend. Musik schien keinen Wert mehr zu haben, die Arbeit daran wurde kaum noch geschätzt. Die ganze Branche wurde verramscht. Da habe ich ernsthaft gedacht: „Hätte ich doch Landschaftsarchitektin werden sollen!“ Aber gut – dafür war es dann wohl doch ein bisschen zu spät…
Also habe ich mir meine Lust an der Musik zurückerobert. Ich begann, wieder mit analogen Geräten zu arbeiten und gründete die Monika Werkstatt, in der wir alle zusammen wieder Freude hatten – du warst ja auch dabei!

Stimmt! Und ich habe es geliebt!
Gudrun, meine letzte Frage: gibt es etwas, das du dir von der Welt wünschst?

Gudrun Gut: Ich wünsche mir Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Und natürlich ganz viel Liebe. Möge der Hass verschwinden – den braucht wirklich niemand. We need Love, Love, Love!

Gudrun Gut (Photo: Udo Siegfriedt)

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