Record of the Week

Lana Del Rey “Honeymoon”

Cover-LanaDelLana Del Rey
“Honeymoon”
(Universal)

Allein der Umstand, dass es von diesem Album keine unnötige Deluxe-Version gibt, sagt einiges über die Selbstwahrnehmung der Künstlerin aus. Wo andere Bands und MusikerInnen auf die vermeintliche Sättigung des Marktes mit gesteigerter Quantität der Formate reagieren, zeigt sich Del Rey von derlei offensichtlicher Verzweiflung völlig unbeeindruckt. Tatsächlich nimmt sie momentan eine absolute Sonderstellung ein. Die gesamte Musikwelt richtet sich an ihr aus, weil selbst etablierten Stars wie Taylor Swift oder Madonna klar ist, dass sie im Vergleich zu Del Rey zu Opfern eines musikalischen Anpassungswahns mutiert sind. Jede zweite Produktion, die sich dezidiert am Mainstream orientieren will, glaubt dies dadurch realisieren zu müssen, dass alle Tonspuren mit undifferenziertem Soundmatsch zugekleistert werden. Klar – das klingt dynamisch und druckvoll, sagt aber nichts über die jeweiligen Songs aus. Zuletzt sind Duran Duran diesem Irrglauben erlegen und auf lächerliche Weise gescheitert.

Nehmen wir hingegen Lana Del Reys neues Album in den Blick, hören wir einen stilisiert reduzierten Sound. Das Album fängt an mit dem Titelsong, der von vielschichtig arrangierten Streichern geprägt wird, die wie ein Filter wirken, durch den die Musik in die weite Ferne einer melodramatischen Hollywoodepoche diffundiert. Das Stück gibt die Richtung vor, in die die weiteren Songs gehen. Es ist völlig nebensächlich, ob die Streicher „echt“ oder synthetisch sind, so wie auch die Frage nach Del Reys Authentizität immer nur Langeweile evoziert. Niemand fragt, ob ein Film von Douglas Sirk authentisch ist. Del Reys Lieder stehen in keinem direkten Verhältnis zu ihr, weil sie im Rahmen des Mediums Musik immer schon eine mittelbare Qualität aufweisen. In dieser Hinsicht lässt sich argumentieren, dass Lana Del Rey sich erst über ihre Lieder konstituiert, also die Persona zum Effekt der Musik wird.
Ein beeindruckendes Merkmal dieses Albums, das immer wiederkehrt, ist die Abwesenheit eines Beats, die über weite Strecken durchgehalten wird. Kein Herzschlag – toll. Das passt zu Del Reys unvergleichlichem Gesang, der wie die passionierteste Leblosigkeit klingt, die vorstellbar ist. In einigen Fällen setzt der Beat kurz vor dem Ende des jeweiligen Stücks ein – aber selbst dann schafft es noch die langsamste Schnecke, diese Songs zu überholen. Das Tempo ist so weit gedrosselt, dass die Songs sich kaum bewegen. Man könnte darin einen Moment von Weltabgewandtheit vermuten, der die Musik anti-mimetisch organisiert. Während die Welt sich weiterdreht, frieren Lana Del Reys Songs den Augenblick ein. Wie bei einem zu langsam ablaufenden Film werden so die einzelnen Bilder herausgestellt. Auf diesen Bildern sieht man das, was im Mainstreampop aufgrund von Zeitraffung (übersetzt in Musik: Bratzsound) verborgen bleibt: Liebe als Obsession voller Widersprüche zwischen Leidenschaft und Rationalität, radikale Selbstentblößung, dekadenter Ennui, Durchgeknalltheit, Sex und schwarzer Humor. Die Thematisierung des Abgründigen wirkt hier eindringlicher als anderswo, weil die gefühlte Stillstellung der Musik auf dramatische Weise Nähe erzeugt, die uns den Abgrund scheinbar unmittelbar vor Augen führt.
Das Beste ist, dass Del Rey dem Bratzsound ihrer Zeitgenossen auf Augenhöhe begegnet. Beide spielen in der ersten Liga, und beide sind Beispiele zeitgemäßer Ausprägung von Musik, aber immanent betrachtet kommunizieren sie doch in Registern, die kaum etwas miteinander gemein haben.
Mario Lasar

Man ahnt es schon: Ein Lana-Del-Rey-Album, das “Honeymoon” heißt, wird kaum fröhliche Momente haben. Titel und Coverfoto senden ähnlich paradoxe Signale wie niedliche Vögelchen im Vorspann eines Films von David Lynch: Hier ist nichts (mehr) niedlich, die Idylle ist längst zerbrochen. Beim Anhören bestätigt sich die Ahnung, und eine Befürchtung kommt hinzu: Ist „Honeymoon“ das Ende von Lana Del Rey? Nicht deswegen, weil die Platte so schlecht ist, im Gegenteil: „Honeymoon“ ist auf gespenstische Weise perfekt. Alles, was Lana Del Rey mit früheren Veröffentlichungen angedeutet, vorbereitet, anskizziert hat, findet auf „Honeymoon“ zu schwermütiger Vollendung. „Swan Song“ heißt ein Stück, „The Blackest Day“ ein anderes. Die Hochzeit ist vorbei, vielleicht hat sie nie stattgefunden, man hört kein Dosengeschepper einer davonbrausenden Corvette mit Just-Married-Aufklebern und glücklichem Pärchen drin; vielmehr Abgesang, Abschied, Abspann. Beats gibt es kaum noch, nur beim sicheren Radiohit „High by the Beach“ tauchen sie auf, die restlichen Songs (immerhin dreizehn) baden in cinemascopischen Orchesterarrangements mit Streichern und overdone-Sixties-Atmosphäre. Melancholie, Todessehnsucht und Lebens-/Liebesüberdruss sprechen aus jedem Ton, jeder Silbe, selbst die Coverversion von „Don’t Let Me Be Misunderstood“ gerät zum Trauermarsch.
Los Angeles/Kalifornien/die Westcoast bilden Kulisse und Bühne für Del Reys morbides Schwelgen – dass Lana/Lizzy/Elizabeth ja eigentlich aus Lake Placid stammt, ist ein weiterer Mosaikstein im passend-unpassenden Gesamtbild Del Reys: „Come to L.A. / be a freak like me“, singt sie verhangener Stimme, wie überhaupt das ganze Album wirkt wie durch Gazevorhänge gespielt. California Gothic. In ihrer charakteristischen Mischung aus Ennui, Trägheit und Grandezza kümmert sich Lana Del Rey nicht um Mainstream-Konventionen: In „Salvatore“ rezitiert sie ein Gedicht von T.S. Eliot, die meisten Stücke dauern um die sechs Minuten. Lana Del Rey setzt sich über Pop-Gesetzmäßigkeiten hinweg und steckt doch mittendrin im Pop, paradox das alles, wie gesagt, kalkuliert oder „echtes“ Freak-tum? Unerhebliche Überlegungen: „Put on that Hotel California / Dance around like I’m insane / I feel free when I see no one / And no one knows my name.”
THE END
Christina Mohr

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