Mo: „Es braucht spezielle Netzwerke für spezielle Artists“
Manchmal lohnt das Nachschauen bei Wikipedia. Bis dato kannte ich Gabriele „Mo“ Loschelder als DJ und Produzentin (unter dem Künstlernamen Mo) sowie Plattenlabel- (Elektro Musik Department) und Clubbetreiberin (Elektro) sowie Künstleragentin (Media Loca), dass sie 1962 in Düsseldorf geboren wurde und dort an der Kunstakademie bei unter anderen bei Gerhard Richter Kunst studiert hat, war mir aber neu. Aktuell begeht Mo das 15jährige Jubiläum ihrer Bookingagentur Media Loca. Ein guter Anlass für ein Interview.
15 Jahre Media Loca, ganz ehrlich, konntest du dir so eine Kontinuität am Anfang vorstellen?
Gabriele Mo Loschelder: Im Jahr 2009 habe ich nicht nur Media Loca gegründet, sondern auch geheiratet. Kontinuität war also Programm in diesem Jahr!
Mich interessiert natürlich, wie es damals zu deiner Entscheidung kam, eine Booking Agentur zu gründen.
Ab Ende 2005 begann ich als angestellte Bookerin bei Gostimirovic Music Management zu arbeiten, weil meine Tochter Maia in die Schule gekommen war und ich als DJ nicht mehr so viel reisen konnte. Dort konnte ich all meine unterschiedlichen Erfahrungen umsetzen.
Gostimirovic vertrat Electric Indigo, Acid Maria und die Gebrüder Teichmann, die ich allesamt sehr gut kannte seit Mitte der 1990er, weitere Acts wie Gudrun Gut, Pan Sonic und Jan Jelinek kamen auf mich zu, und so hatte ich schnell einen Stamm an relativ unterschiedlichen Artists, die aber im großen Gegensatz standen zum restlichen Gostimivoric-Roster, nämlich Miss Kittin, The Hacker, T.Raumschmiere, Laurent Garnier… also mit Fokus eher auf sehr große Festivals und Zusammenarbeit mit fetten Promotion-Agenturen.
Es stellte sich heraus, dass der Spagat nicht funktionierte. Es braucht spezielle Netzwerke für spezielle Artists. Und weil ich schon immer wagemutig war, fiel es mir leicht – mit Unterstützung von Gostimivoric – die eigene Agentur Media Loca zu gründen, begleitet von Electric Indigo, Acid Maria und vielen weiteren Künstler*innen.
Wie würdest du das kulturelle und soziopolitische Klima beschreiben, aus dem heraus du diese Entscheidung getroffen hast?
Schwierig zu beantworten. Denn die Entscheidung hab ich ja nicht getroffen aus einem Umfeld / Klima heraus, sondern weil es meinem persönlichen Interesse entsprach.
Dann so: Wie empfindest du den Unterschied zu heute? Was sind für dich die markantesten Veränderungen?
Seit 2009 sind viele Venues weggefallen, oft aus ökonomischen Gründen, manchmal weil die Macher*innen sich neu orientiert haben. Gleichzeitig sind so viele neue Orte und Festivals entstanden, und das meine ich natürlich nicht nur bezogen auf Berlin, wo solche Umwälzungen schon immer passieren, sondern international gesehen.
Einige Abschiede – auch noch anstehende, wie dem vom A L’Arme Festival in Berlin, das im August seine letzte Ausgabe feiern wird – sind beziehungsweise waren sehr schmerzhaft.
Vor allem aber freue ich mich, dass viele Veranstalter*innen trotz Budgetkürzungen und trotz rechter Regierungspolitik gerade in den osteuropäischen Ländern weiterhin so aktiv sind.
Was sich auch verändert hat, ist der Umgang untereinander. Im Jahr 2009 hatte ich noch sehr viel öfter mit männlichen Promotern zu tun, und es war sehr viel schwieriger, weibliche Acts in deren Line-Ups zu verbuchen. Es hat lange gedauert, bis hier endlich eine Änderung spürbar wurde, und heutzutage weht definitiv ein ganz anderer Wind, eine freundliche, warme Brise sozusagen.
Die Agentur wurde 2009 gegründet, du bist aber seit den frühen 1990er Jahren bereits aktiv in der Berliner Musikszene, als DJ und Produzentin (unter dem Namen Mo) eng verbunden mit dem Elektro Musik Department Label, das für die frühe Berliner Electronic Music Scene von essenzieller Bedeutung war und dessen Einflüsse bis heute spürbar sind; zudem warst du immer wieder in Club- und Festivalprojekte (wie beispielsweise das Heroines of Sound Festival) involviert. Auch hier interessiert mich natürlich, wie du als Protagonistin und Zeitzeugin der Genese elektronischer Musik die Veränderungen (sowohl was konkret die Musik betrifft als auch was die kulturellen Kontexte drumherum angeht) wahrnimmst?
Im Berlin der frühen 1990er entstand natürlich die sagenumwobene Clubszene, gar nicht mal nur die Technokeller, sondern auch für House, Acid Jazz, Hiphop, Reggae und manchmal alles durcheinander. Ich war in solchen Läden oft unterwegs als aktive Protagonistin. Allerdings war ich gleichzeitig auch bei vielen Konzerten der Freien Szene und Improv Szene oder Jazz/Free Jazz (zum Beispiel im „Anorak“in der Dunckerstraße).
Eine große Errungenschaft ist die ständige Erweiterung all dieser unterschiedlichen Szenen, insbesondere die Vermischung von Elektronik und Improvisation.
Nach Ost-Berlin, wo sich diese Läden ausschließlich befanden nach dem Fall der Mauer, kamen sehr viele Kreative aus aller Welt, nicht wenige von ihnen leben immer noch in Berlin (und stehen teilweise kurz vor der Einbürgerung). Auch dieser Umstand ist ein Glücksfall für die Musikszene, denn nicht nur Artists sondern auch Veranstalter*innen lassen die Stadt pulsieren und strahlen über die Landesgrenzen hinaus.
Gentrifizierung ist natürlich die andere Seite der Medaille. Aber ohne den internationalen Zuzug in Berlin wäre die Wiedervereinigung musikalisch eine Sackgasse gewesen, auch in Städten wie Chemnitz, Dresden, Jena und Leipzig.
Egal welche Veranstaltung ich in Berlin besuche, die Chance, dass ich deinen Partner Udo und dich treffe, ist sehr sehr hoch. Wie hast du dir diese Offenheit und Neugierde erhalten?
Oft werden Udo und ich durch das spannende Programm in unsere favorisierten Veranstaltungsorte gelockt, wie das Silent Green Kunstquartier im Wedding oder die Galiäakirche im Friedrichshain (an beiden Venues wird das 3-tägige Jubiläumsprogramm zu 15 Jahre Media Loca stattfinden).
Oder wir kennen einen der Acts im Programm eines uns bis dahin völlig unbekannten Venues, was natürlich besonders spannend ist, denn tatsächlich gibt es immer wieder neue Locations zu entdecken.
Und dann sind da noch die großartigen Festivals….
Udo Siegfriedt, mein Mann, hat schon immer fotografiert und sich mit der Zeit zu einem der gefragten Konzertfotografen entwickelt. Für ihn gehört das Sehen eindeutig zum Konzert dazu, was mir den Luxus erlaubt, mich ganz der Performance hingeben zu können, ohne das Handy zücken zu müssen. Im Durchschnitt gehen wir zu zwei bis drei Veranstaltungen pro Woche, und das ermüdet nicht, sondern inspiriert!
Beeindruckend finde ich dabei, dass es eben keine lediglich professionelle Offenheit und Neugierde ist, sondern du wirklich an den neuen Sounds einer neuen Generation interessiert bist. Wie empfindest du den Dialog mit den nachwachsenden Generationen?
Zu neuen Generationen an Musiker*innen gehört ja – bis auf Ausnahmen, aber die berühren meinen Kosmos nicht -, dass neue Wege beschritten werden, sehr oft mit einer befreienden Radikalität. Das muss nicht unbedingt Noise sein, kann aber auch! Radikalität kann sich ebenso ausdrücken in einer Leichtigkeit, mit der Tradition mit ganz eigenen, sehr persönlichen Elementen verbunden werden.
Ich spreche hier beispielhaft von zwei Musikerinnen, die erst kürzlich zu Media Loca gekommen sind, Violeta García (Jahrgang 1990, aus Argentinien) die für ihre Performance mit Cello und Elektronik gerne als Jimi Hendrix 2.0 bezeichnet wird, und Anushka Chkheidze (Jahrgang 1997, aus Georgien), in deren Sets durchaus Aphex Twin und µ-Ziq, anklingen, aber auch die leidenschaftliche Musikalität ihrer Heimat zum Ausdruck kommt.
Überhaupt Dialog. Mir kommt es so vor, dass Media Loca eine außergewöhnliche Treue mit den Künstler:innen verbindet. Viele gehören schon sehr lange zum Roster, richtig?
Wie oben erwähnt, haben mich von Anfang an begleitet: Electric Indigo, Acid Maria, Gudrun Gut und Pan Sonic, allesamt gute Freund*innen schon seit Mitte der 1990er. Recht bald kamen Jan Jelinek (wieder) und Natalie Beridze (über Gudrun Gut) hinzu.
Über Mika Vaino kam 2014 Charlemagne Palestine zu Media Loca, sowie die Österreicherin Chra.
Ende 2017 wurde ich auf Midori Hirano aka MimiCof aufmerksam, von deren Performances Frank Bretschneider schon immer großer Fan gewesen ist, und dessen Booking ich auch gelegentlich mache.
Als nächste Japanerin kam Mieko Suzuki dazu, die kurz darauf das Impro-Trio Contagious gründete (mit Sabine Ercklentz und Andrea Neumann).
Ab 2020 erweitere sich das jetzige Programm um die Peruanerin Ale Hop (später auch mit dem Duo-Projekt Agua Dulce), der Australierin Jasmine Guffond, und schließlich dem Duo hÄK/Danzeisen (Nobert Wuertz, Elektronik / Philipp Danzeisen, Drums), der Mexikanerin Daniela Huerta, der gebürtigen Chilenin Paula Schopf, der Georgerin Anushka Chkheidze (s. oben), der Argentinierin Violeta García (s. oben) und schließlich, als weitere Mexikanerin Concepción Huerta. Und auch das Trio um die Gebrüder Teichmann und die Perkussionistin Robyn Schulkowsky kamen hinzu.
Sämtliche Artists habe ich sowohl auf der Bühne erlebt und dann im persönlichen Gespräch kennengelernt. Respekt und Vertrauen ist die Basis meiner Arbeit, nicht nur mit den Artists, sondern übrigens auch mit den jeweiligen Veranstalter*innen.
Noch immer ist die Elektronische Musikszene sehr geprägt von Englischen, Amerikanischen und auch Deutschen Künstler:innen, in deinem Roster finden sich auffällig oft Musiker:innen aus anderen Ländern wie Georgien, Finnland, Österreich, Chile, Japan. Zufall? Oder das Ergebnis des gezielten Blickes über die Grenzen des zumeist Präsenten?
Wie schon gesagt, die Berliner Szene ist sehr international, daher habe ich die alle Künstler*innen ganz organisch kennenglernt. Oder es gab sich der Kontakt über einen der anderen Acts vom Media Loca Roster, und danach schaute ich mir die Performance an.
In erster Linie ist es die einzigartige und ausdrucksstarke Art der Performance, die mich inspiriert. Dass so viele weibliche Acts hinzugekommen sind, war nicht geplant. Vielleicht liegt es daran, dass diese Frauen aus Ländern wie Mexiko, Peru, Chile, Georgien und sogar Japan gegen die dortigen patriarchalischen Strukturen ankämpfen mussten, um ihr Ziel so kraftvoll erreichen zu können und schließlich den Weg nach Berlin (oder in die europäischen Nachbarländer) zu finden. Aber letztlich spielt die Nationalität nur insofern für mich eine Rolle, als dass ich gewisse musikalische Wurzeln erkennen und schätzen kann.
Kein Jubliläum ohne die Fragen nach den absoluten Highlight Momenten?
Oh je, es gab so viele Highlights! Prinzipiell bin ich immer begeistert, wenn die Auftritte im Laufe der Zeit immer besser / lockerer/ perfekter werden und wenn sich wieder neue Wege auftun im Werk der jeweiligen Artists.
Mein Enthusiasmus für den kompletten Roster hat nie nachgelassen, da ist jede Performance ein Highlight für mich.
Und leider müssen auch die nicht so schönen Momente erwähnt werden, denn auch sie sind so wichtig für die eigene Geschichte. An was denkst du nur traurig zurück?
Natürlich war die Pandemie eine sehr große Belastung. Anfang 2020 wurde ich im vollen Lauf gestoppt, da waren die staatlichen Finanzhilfen nur ein kleiner Trost. Aber traurig zurückdenken, ist nicht mein Ding! Selbst während der Pandemie sind großartige Projekte entstanden, wie beispielsweise die vielen Theaterproduktionen, die unter anderem für Mieko Suzuki sehr viele Kompositionsaufträge und Performances einbrachten.
Gefeiert wird mit drei Veranstaltungen in Berlin, sowie einer weiteren in Hamburg und zudem bei einem Festival in Slovenien. Berlin liegt nahe, warum gerade die anderen Orte?
Und wie leicht ist es dir gefallen aus dem Roster die Lineups zusammen zu stellen?
Zuerst die Frage nach dem Zusammenstellen des Line-Ups: Das war natürlich eine Monsteraufgabe, die ich nicht wirklich bewältigen konnte! Leider werden einige der Acts nicht vertreten sein, teilweise wegen anderer Engagements, aber auch aus Zeitgründen.
Daher war ich froh, als das Sajeta-Festival in Slowenien gleich vier Acts für das fünftägige Programm einlud: Contagious, Chra, Ilpo Väisänen und Anushka Chkheidze.
Mit dem Festival, das vom 3.-7. Juli sein 25-jähriges Bestehen feiert, verbindet mich eine lange und freundschaftliche Zeit der Kooperation.
Udo und ich werden wieder hinfahren mit dem Auto, wie wir es vor zehn Jahren schon taten, als Mika Vainio und Chra dort aufgetreten sind.
Auch mit dem Golden Pudel Club verbindet mich viel, dort hatte ich selbst noch im März 2019 aufgelegt, eines meiner letzten DJ Sets. Daher freute ich mich sehr über die Anfrage nach Electric Indigo, Natalie Beridze und Ilpo Väsänen, die allesamt extra zum Media Loca Jubiläum angeflogen kommen und daher von Berlin aus mit dem Zug in Nullkommanix in Hamburg sein werden am 30. Juni.
Die Frage führt hin, ob du so etwas wie eine Media Loca Community oder besser Communities ausmachen kannst, würdest du sagen, dass zu Events mit deinen Künstler:innen oft die gleichen Menschen kommen? Wie würdest du diese beschreiben?
Glücklicherweise kommen nicht immer dieselben Leute, obwohl ich mit vielen bekannten Gesichtern rechne zu Media Loca 15 Years. Weil die drei Abende so unterschiedlich sind, rechne ich auch mit unterschiedlichem Publikum.
Am 27. in der Betonhalle gibt es sicher den ein oder anderen ekstatischen Moment und es wird bassig.
Der 28. in der Kuppelhalle wird „intellektueller“, mit 4-kanaligem Soundsystem.
Und der 29. in der Galiäakirche wird überraschend, nicht nur für das Publikum, sondern auch für die beiden Artists.
Eine feste Größe wird zum Jubiläum (und darüber hinaus) leider fehlen: Monika Döring, meine wunderbare Freundin und Unterstützerin, ist am 2. Mai im Alter von 87 Jahren gestorben. Monika war nicht einfach nur Fan der Artists, sondern kannte und liebte sie, teilweise über viele Jahre hinweg.
Warum eigentlich der Name Media Loca – was im Spanischen „die halb verrückte“ bedeutet, hat dir den Spitznamen mal jemand verpasst?
Den Namen hatte ich schon lange im Sinn, wusste nur noch nicht, zu welcher Gelegenheit. Als ich dann beschloss, meine Bookingagentur zu gründen, war die Sache klar!
Weil es ein gewisses Maß an Verrücktheit braucht, passte Media Loca perfekt; aber mehr als „halbverrückt“ sollte man nicht sein, um diesem Job nachzugehen 😉
Media Loca ist ein Zitat aus einem groovigen und sehr durchgeknallten Song von McNamara, dem früheren Kompagnon von Pedro Almodóvar, der Song hat den Titel „Placer Por Placer“.
Mo, whats next?
Nach dem Event ist vor dem Event, es geht immer weiter…
Touren werden gebucht für Electric Indigo (Island und Lateinamerika) und Jan Jelinek (Nordamerika und Kanada). Dann stehen diverse Festivals an, wie die Monheim Triennale II (mit unter anderen Anushka Chkheidze), das Pop-Kultur-Festival (mit Ilpo Väisänen, Anushka Chkheidze), das Météo Festival (mit Contagious), und dazwischen all die vielen Einzelveranstaltungen… und so weiter, und so weiter…
Thursday 27.06.
Silent Green Berlin, Betonhalle
HÄK/DANZEISEN – NATALIE BERIDZE – BROKEN VINYL (Mieko Suzuki & Claudia Rohrmoser) – ELECTRIC INDIGO
Friday 28.06.
Silent Green Berlin, Kuppelhalle
JAN JELINEK- HUERTA ENSAMBLE (Daniela Huerta & Concepción Huerta) – JASMINE GUFFOND
Saturday 29.06.
Galiläa-Kirche Berlin,
LPO VÄISÄNEN Solo – MIDORI HIRANO aka MIMICOF Solo – ILPO VÄISÄNEN & MIMICOF Improvised Duo
Media-Loca-Playlist von Mo
Ale Hop
Anushka Chkheidze
Concepción Huerta
Gudrun Gut
hÄK / Danzeisen
Jan Jelinek
Jasmine Guffond
Midori Hirano
Mieko Suzuki
Natalie Beridze
Violeta García
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