Mondprinzessinen, Dostojewski und Frauengangs
Aus asiatischer Sicht hatte das Kinojahr 2014 in Deutschland gleich mit einem echten Höhepunkt begonnen: mit “Touch of Sin”, dem neuen Film des chinesischen Regisseurs Jia Zhangke. “Touch of Sin” sollte in den Programmkinos ausnahmsweise mal länger als eine Woche lang laufen. Selbst wenn der Film nicht mit Jias früheren Meisterwerken wie “Still Life” und “24 City” mithalten kann, so war es doch ein gelungener Einstieg in ein auch ansonsten nicht armes Jahr an cineastischen Höhepunkten aus Fernost.
Wie zum Beispiel die beiden indischen Arthouse-Dramen “The Lunchbox” (von Regisseur Ritesh Batr – humorvolle und nur angedeutete Liebesgeschichte, die nicht alles auszuformulieren nötig hatte) und “QISSA – The Tale of a lonely Ghost” (von Anup Singhs – soziopolitischer Sprengstoff im starren Kastendenken) sowie Abbas Kiarostamis “Like someone in Love” und Ann Huis “A simple Life”. Wenn es um rüde Actionfilme geht ist Takashi Miike noch immer das Vorzeige-Enfant-Terrible, auch wenn er mittlerweile mit Filmen wie “Shield of Straw” (aka “Die Gejagten”) auf den großen, Popcornverklebten Leinwänden der Multiplexe angekommen ist. Dorthin hat es leider der im vergangenen Herbst völlig untergegangene “Unforgiven”, ein Remake des gleichnamigen Klassikers von Clint Eastwood, des aus Korea stammenden Japaners Lee Sang-il (der zuvor mit “Hula Girls” und “Villain” bereits gute Filme vorgelegt hat) nicht geschafft, obwohl dessen Kino von einer unaufdringlichen Souveränität nur so strotzt, die auch bei uns gerne Schule machen könnte.
Überall und das zu Recht und mit vielen Tränen im Augenwinkel waren Hayao Miyazakis´toller Abschiedsfilm “The Wind rises” (in dem die Geschichte des Kriegflugzeugkonstrukteurs Jiro Horikoshi erzählt wird – ein Thema, das in Japan nicht unkritisch aufgenommen wurde) sowie die zweite, und nicht minder begeisternde Studio Ghibli Anime-Produktion des Jahres, “The Tale of Princess Kaguya”, von Miyazakis altem Weggefährten Isao Takahata, die auf der Erzählung “Taketori Monogatari” basiert und die Geschichte einer Mond-Prinzessin adaptiert, und diesem eine Oscarominierung eingebracht hat.
Den asiatischen Höhepunkt des vergangenen Filmjahrs konnten leider aufgrund des sehr klein ausgefallen Kinostarts nur wenige in Deutschland mitbekommen. Dabei hätte Lav Diaz’ vier Stunden lange Dostojewski-Adaption (von “Schuld und Sühne” beziehungsweise “Verbrechen und Strafe”) “Norte, The End of History” (in England auf new wave films bereits als Blu-ray erschienen) jeden Zuschauer mehr verdient gehabt – mit das aufregendste Weltkino, das zur Zeit zu haben ist. Der Mord eines Intellektuellen an einer Wucherin ist nur einer der Erzählstränge dieses vielgestaltigen Films. Vielleicht ändert sich die Rezeption des Regisseurs ja mit seinen beiden derzeit auf Festivals laufenden Filmen “From what is before” und “Storm Children – Book one” – die Berlinale hat sich diese beiden Rosinen aber leider nicht gepickt, wie sie überhaupt in diesem Jahr außer ein paar Filme von Kon Ichikawa in der Retro-Reihe (etwa der schöne Kostümfilm “An Actor´s Revenge”), einem von Sabu im Wettbewerb (“Chasuke´s Journey) und der Dokumentation “Un homen de Fenyang” von Walter Salles über Jia Zhangke kaum auf die spannenden Entwicklungen im asiatischen Kino aufzugreifen vermag.
Viel besser sieht es ein paar Kilometer weiter östlich vom Potsdamer Platz aus, in den Hackeschen Höfen, wo zeitgleich im Rahmen der “Woche der Kritik” ein tolles Programm zusammengestellt wurde – was angesichts der bis dato in 2015 mangelhaften Startlage asiatischer Filme in deutschen Kinos gut tut. Unter anderem läuft dort Johnnie Tos´ neueste Hong Kong-Komödie “Don´t go breaking my Heart 2”, die ersten Stimmen im Netz folgend ganz fantastisch ausgefallen sein soll – der erste Teil war jedenfalls wirklich super! Ebenfalls im Programm sind Eric Mattis´ Gangsterfilmgranate “On the Job” sowie das Liebesdrama “Revivre” von Regieveteran Kwon-taek.
“Lilting”, das in in London spielende Exil-Drama des kambodschanischen Regisseurs Hong Khaou (mit Cheng Pei- Pei) wurde Anfang des Jahres vom Salzgeber Verleih immerhin in die Kinos gebracht – aber leider trotz seiner guten Qualität von den Medien relativ übersehen.
Ende März wird der Kölner Verleih Rapid Eye Movies das neueste Werk des philippinischen Regie-Rabauken KHAVN de la Cruz ins Kino bringen. “Ruined Heart – Another Lovestory between a Criminal and a Whore”, der mit Sicherheit einer der schillerndsten und zugleich irritierendsten Höhepunkte des diesjährigen asiatischen Kinojahres sein wird – wenn gleich er etwas zu episodisch geraten ist – überzeugt mit dem Soundtrack des Jahres (REM hat eine limitierte Vinyl-Veröffentlichung angekündigt), sowie einem mit minimalen Spiel maximale Wirkung erzielenden Tadanobu Asano in seiner Rolle als Kleingangster mit farbenfrohem Hemdchen.
Wenn es schon oft nicht ins Kino reicht, so sind doch einige schöne Filme zuletzt auf DVD / Blu-ray erschienen. Zum Beispiel der koreanische Historien-Blockbuster “Kundo – Age of the Rampant” (“Kundo – Pakt der Gesetzlosen”), die fulminante japanische Frauengang-Box “Stray Cat Rock”, der philippinische Action-Film “Graceland” (von Regisseur Ron Morales) sowie die wirklich sehr schöne Compilationsveröffentlichung “New Directors from Japan” von Third Windows Films.
Freuen darf man sich in nächster Zeit auf neue Produktionen wie “The World of Kanako” von Tetsuya Nakashima (dem Regisseur von “Confessions”), der in Japan wegen der expliziten Gewaltszenen – ein Mädchen verdreht den Männern nicht nur die Köpfe – für einige Aufregung sorgte. Wie auch auf den sicherlich deutlich harmloseren, dafür humorvollen “The Vancouver Asahi” von Yuya Ishii, der auf komödiantisch bewährte Art ein japanisches Baseballteam im Kanada des frühen 19. Jahrhunderts aufs Korn nimmt. Auch spannend klingt die Ankündigung für die Spielfilmadaption “Kyoto Inferno / The Legend Ends” der Mangaserie “Rurouni Kenshin” des Zeichners Nobuhiro Watsuki, die zur Meiji Zeit spielt und wilde Kampfszenen und einen rockigen Soundtrack bietet. Wo wir schon bei Mangaverfilmungen sind. Rena Nounen, die im gerade schon erwähnten “Confessions” mitspielte, kehrt als Heldin in der Umsetzung von “Princess Jellyfish” zurück, um unter Otaku (japanisch für Nerds / Geeks) zu leben und einem Faible für Quallen nachzugehen.Das scheint reichlich schräg zu werden. Am sehnsüchtigsten erwarte ich allerdings neben Hou Hsiao-hsiens schon mehrmals verschobener Martial-Arts-Fantasie “The Assassin”, die anscheinend für Cannes endlich fertig gestellt werden soll, den neuen Film von Ryuichi Hiroki namens “Kabukicho Love Hotel”, der gerade in Japan angelaufen ist und vielleicht ja auf der Nippon Connection 2015 in Frankfurt laufen wird.
Der Autor Michael Schleeh betreibt den sehr empfehlenswerten Filmblog “Schneeland”, in dem er sich dem historische wie zeitgemäßen asiatischen Kino widmet: schneeland-mono.blogspot.de