Anadol & Marie Klock „La grande accumulation“
Anadol & Marie Klock
„La grande accumulation“
(Pingipung)
Es ist erst ein paar Tage her, da musste ich sehr über Gözen Atila schmunzeln. In einem prägnanten Posting erklärte die als Anadol bekannte Musikerin mal wieder den seit jeher zahlreichen interessierten Booker:innen und Fans ihrer drei Alben, dass sie weiterhin keine Liveshows zu spielen gedenke. Was ein großer Jammer ist, würde es doch ihrer wirklich fantastischen Musik sicherlich noch viel mehr Hörer:innen bescheren als eh schon. Auf meinen Kommentar, ob sie denn wenigstens Keine-Liveshows spielen würde, gab es leider auch keine Replik.
Aber hier soll es ja nicht um Gözen Atila allein gehen, sondern ihre Kollaboration mit der ebenfalls auf dem Hamburger Label Pingipung beheimatete, französische Musikerin Marie Klock, die sie vor zwei Jahren auf einem Festival in England kennen gelernt hat, „das voller gewalttätiger Möwen und Außenseitermusikern“ war, was die beiden nachdrücklich kommuniziert wissen möchten.
„La Grande Accumulation“ ist in Anadols Studio entstanden, gelegen auf Büyükada, der größten der fünf Prinzeninsel vor Istanbul, auf der ich zuletzt auch einige Zeit verbringen durfte, und deren melancholische Weltentrücktheit ich nun auch aus dem Album herauszuhören empfinde.
Man bewegt sich in Istanbul nicht nur zwischen der europäischen und der asiatischen Seite der Stadt viel mit Fähren, sondern auch auf den Kontinenten selbst und eben vor allem zu den vor der Stadt gelegenen Prinzeninseln. Was einen in einen permanenten Zustand des Unterwegseins versetzt, der aber entgegen sonstiger Abschiede und Ankünfte so repetitiv wiederkehrend im Alltagsrhythmus ist, dass es eine ganz eigene Stimmung auslöst. Und selbst wenn man sich für eine Zeit ganz auf eine der Prinzeninseln zurück zieht (oder gar da lebt wie Atila), so schimmert Istanbul doch immer so greifbar nah im Nebel magisch vor den Augen.
Diese Stimmung des nie ganz weg gegangenen und nie ganz angekommen überträgt sich auf die sechs Stücke auf „La grande accumulation“, die zugleich albern und ernst, mysteriös und banal, ausholend und konzentriert sind. Gözen Atila und Marie Klock vereinen hierfür ihre stilistischen Charakteristiken so natürlich, dass man gar nicht mehr von einer Kollaboration sprechen will, sondern es sich wie eine Vereinigung anfühlt – psychedelischer, französisch-türkischer Neo-Folk-Psych-Synth-Pop sozusagen. Passend dazu lässt sich Marie Klock von der einzigartigen Stimmung auf Büyükada zu wunderbar absurden Texten über eine Frau, die dazu verflucht ist, alles mit nach Hause zu nehmen, was sie auf der Straße umwirft, oder ein Warzenschwein, das darum kämpft, die Stufen eines silbernen Turms zu erklimmen inspirieren. Ein durch und durch magisches Album.