Record of the Week

Harry Styles „Harry’s House“

Harry Styles
„Harry’s House“
(Columbia Records / SONY-Music) 

Knapp zweieinhalb Jahre nach „Fine Line“ legt Harry Styles sein neues Album vor. In „Harry’s House“ warten warme, entspannte Pop-Perlen, die aus dem Stand wie alte Vertraute klingen. Das ist natürlich kein Zufall. Styles bedient sich schamlos am Fundus der Jahrzehnte und erfindet dabei das Rad nicht neu, dennoch liefert er, was wir alle gerade so dringend brauchen: Leichtigkeit. Und mit „As it was“ den verdammt nochmal besten Popsong seit langem.

Boulevard-Dauergäste zählen üblicherweise nicht zu den Kaput-Schwerpunkten; manchmal muss man sich aber einfach den Stock aus dem Arsch ziehen. Dass der gleiche Harry Styles, über den wir heute sprechen, einmal Teil einer recht egalen Boyband war und eher für feuchte Träume als für musikalische Klasse sorgte, habe offensichtlich nicht nur ich inzwischen verdrängt. Heute scheinen Erinnerungen an seine Anfänge wie Flashbacks; unschön, aber zum Glück verschwommen. Aus dem pausbäckigen Posterboy wurde in nur fünf Jahren der schillerndste männliche Popstar des Planeten Erde und, das sollte keine Randnotiz sein, ein ernstzunehmender Musiker. Für Nicht-Fans eine durchaus erstaunliche Entwicklung: Harry Styles ist der Mann der Stunde.

Sein neues Album mit schlichtem Titel und schlichtem Cover vereint auf 40 Minuten 13 sonderbar von Raum und Zeit befreite Songs, die ungeachtet ihrer auf maximalen Erfolg getrimmten Produktion ein charmanter Indie-Hauch umweht. Ein bemerkenswerter Spagat, wie er kürzlich schon Taylor Swift gelang. Nun macht dieses Kunststück auch aus Styles einen der wenigen Protagonisten im globalen Pop-Zirkus, auf den sich offenbar gerade alle einigen können und wollen.

Harry Styles (Photo: Hanna Moon)

Die kollektive Begeisterung für den 28-jährigen Briten liegt natürlich nicht allein an seiner Musik. Neben höchst unterhaltsamen Momenten wie einem Besuch bei James Cordons Karaoke-Spritztour oder Einblicken in sein nicht minder buntes Liebesleben überzeugt Styles mit klugen Statements zu den Themen seiner Generation und hebelt wie beiläufig ebenso althergebrachte wie ungesunde Ideen von Männlichkeit aus. Nagellack trägt mittlerweile wirklich jeder Kleinstädter, Styles trägt gleich ein komplettes Abendkleid und posiert darin als erster Mann überhaupt für das Cover der Vogue. Den Shitstorm, den er damit unter den Kleingeistern dieser Welt auslöste, genoss er wie unsereins einen Sommerurlaub; der Online-Schlagabtausch mit der rechtspopulistischen US-Aktivistin Candace Owens zum Thema („Bring back manly men“) war ganz großes Tennis. So kalkuliert solche Skandälchen sein mögen, so authentisch ist die Haltung dahinter: Lass dich nicht limitieren. Lass dir nichts aufdrücken. Come as you are. Das hat mehr Attitude als so manches, auf das gemeinhin der „Anti“-Sticker geklebt wird. Dass (Konsens-)Pop so sein kann hatte man beinahe vergessen.

Harry Styles (Copyright: SONY Music)

Doch Entertainment und smarte Moves hin oder her, ohne Fundament hat kein Hype Bestand. In dieser Hinsicht gibt es keinen Grund zur Sorge, denn „Harry’s House“ steht auf wirklich stabilem Grund. Styles hat, was so vielen seiner Kolleg:innen fehlt: Die Seele eines Künstlers und den unbedingten Willen zur Entwicklung. Styles macht Pop für den Massenmarkt, doch er macht ihn mit Herz und Liebe. Er offenbart darin seine Träume ebenso wie seine Ängste und man glaubt ihm beides. Musikalisch war das stets gefällig und auch die neuen Songs scheinen keine Ausnahme, doch Nummern wie „Little Freak“ oder dem fantastischen „Matilda“ wird man mit diesem Stempel nicht gerecht. Styles scheint mutiger geworden zu sein, vielleicht auch einfach selbstbewusster. Er zitiert Prince („Music for a Sushi Restaurant“), sampelt Quincy Jones („Daydreaming“), verneigt sich vor Joni Mitchell (nach deren Song das Album benannt ist) und macht bei alldem eine rundum gute Figur. Styles scheint wie die Blaupause für den ultimativen Popstar einer neuen Zeit und Album Nummer drei wärmt diesen Thron schonmal vor.

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