Record of the Week / 17.1.2025

Kratzen “Kratzen III” 

Kratzen: Kölner Dreieinigkeit des Krautwave

Am Anfang Fragen von erneut aktueller gesellschaftlicher Bedeutung: „Ist Geld allein schon ein Verbrechen?“ und „Kann den Reichtum Sünde sein?“. Abgesehen davon, dass sich diesbezüglich gleich weitere Fragen ergeben könnten, etwa nach Herkunft und Verwendung desselbigen, wusste bereits die mittelalterliche Theologie Antwort drauf, dies lange vor der Verdammung jeglichen Privateigentums durch den Atheisten Karl Marx oder der Kapitalismuskritik heutiger, eher radikal schicker Salonkommunisten: Zumindest die den Reichtum häufig schaffende und fast immer weiterhin damit einhergehende Habgier galt als Sünde, gar als eine der sieben Todsünden. Gegen die ewige Verdamnis hilft bekanntlich nur Dreieinigkeit, selbst wenn diese selbst manchmal danach klingt, wie im Falle von Kratzen.

Wie weit kann man puristisch die Worte reduzieren, Töne, Harmonien, Variationen und Breaks des Schlagzeugs? Was bleibt? Achtel, Sound, am Ende ein Blues. Und Botschaften, selbst wenn es uns dann doch am Ende gar nicht geben sollte, wie in „Vielleicht“, dem dritten Song des neuen Albums der Band Kratzen, anticartesianisch gemutmaßt wird. Die Veröffentlichung trägt den Titel Kratzen III und bekanntlich sind ja aller guten Dinge drei: Drei Alben der drei Kölner Musiker*innen sind nunmehr im Kasten. Auch die Titel sind reduziert. Der längste besteht aus immerhin drei Worten (siehe oben) und heißt, schon fast paradigmatisch anmutend, „Nichts und alles“. Allerdings handelt es sich dabei um ein von Bassistin Melanie Graf gesungenes Liebeslied – wenn auch eines, das man dann trotz der schönen Wendung des Refrains vielleicht doch nicht unmittelbar als solches bezeichnen mag: „Je näher du mir bist, je mehr ich dich vermisse; Du bist nichts und alles für mich.“

KRATZEN (Thomas Mersch, Stefanie Staub, Melanie Graf, v.l.) – Photo: Celina Palenda Barcley

Die Gitarren erfreulicherweise weiterhin oft manisch brachial, diverse temporäre Weltuntergänge inszenierend, der zumeist tief grummelnde Bass spielt die eine oder andere Melodie in oberen Lagen, das Schlagzeug bildet das stoisch agierende Rückgrat. In dem bereits erwähnten „Vielleicht“ sind, geradezu keck und reichlich undogmatisch, ein paar perlende Klaviertöne zu hören, später gar poppige Akkorde, dazu aber auch ein lange liegender Ton und weitere der Gitarre, mit reichlich Hall versehen. Sounds werden dichte Atmosphäre, Teil der rudimentären Botschaften und des dreieinigen Ganzen: „Wenn es jemand schafft dann du!“.

Und so schafft es die Band Kratzen, vollendet mit dem neuen Album fulminant ihre Dreieinigkeit des minimalistisch reduzierten Krautwave. Dafür haben sich die Bandmitglieder erneut voller Hingabe jeglicher künstlerischen Eitelkeit, instrumentaler oder vokaler Ausschweifung und virtuoser Unmäßigkeit entsagt, auch von ebenfalls unbotmäßiger Trägheit ist nichts zu verspüren. „Kleb dich nicht fest, mach mal was los! Das Manifest einer neuen Generation“ heißt es in „Zu spät“ mit erneut politischer, aber offensichtlich diesbezüglich veränderter Zielrichtung. Aber könnte das nicht, zugegebenermaßen im reichlich übertragenen Sinne, vielleicht auch schon Zukunftsmusik sein, wo doch bekanntlich aller guten Dinge drei sind? Wenn ich Sänger Thomas Mersch richtig verstanden habe, werden wir es dann zu hören kriegen, wohin die Reise nach dieser Kölner Trilogie gehen wird, die, das als Lob, eigentlich gar nicht so recht nach der Domstadt klingen mag.

Doch zunächst gilt es, in die düster poetischen Klangwelten der dritten Etappe einzutauchen, bei der es Kratzen bei gelegentlichem Wechsel hinsichtlich der Bedienung des Instrumentariums und dessen dezenter Ergänzung erneut schafft, vor allem durch Reduktion und Wiederholung musikalische Sogwirkung zu erzeugen. Als gutes Werk in Sachen dreieiniger Krautwave kann Kratzen III  besten Gewissens der eigenen, wie auch immer gearteten Musiksammlung hinzugefügt werden; dies als CD oder in Form des ebenfalls angebotenen limitierten und handgestempelten Vinyls. Der zu erwartende akkumulative Mehrwert ist ein beiden Fällen ein musikalischer wie textlicher: „Wo immer du bist, was immer du tust.“

Kratzen, das sind Melanie Graf, Thomas Mersch und Stefanie Staub. Kratzen III, das neue Album der Band, wird am 17. Januar erscheinen.

Verlagssitz
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop | Aquinostrasse 1 | Zweites Hinterhaus, 50670 Köln | Germany
Team
Herausgeber & Chefredaktion:
Thomas Venker & Linus Volkmann
Autoren, Fotografen, Kontakt
Advertising
Kaput - Magazin für Insolvenz & Pop
marketing@kaput-mag.com
Impressum – Legal Disclosure
Urheberrecht /
Inhaltliche Verantwortung / Rechtswirksamkeit
Kaput Supporter
Kaput – Magazin für Insolvenz & Pop dankt seinen Supporter_innen!