Record of the Week

Salvage Art „Non“

Salvage Art
„Non“
(Sitzer Records )

Let’s call it „Krautpop“!
„Stell’ keine Fragen, komm einfach mit! Ich werd’ dir sagen, wohin es geht!“ heißt es in dem Song „Diskotomie“ des Debütalbums „Non“ von Salvage Art. Die beiden Künstler, Thomas Mersch (Bass, Gitarre, Gesang) und Roger van Lunteren (Beats, Synths und Electronics), gehen dabei musikalisch zurück. Zumindest ein gutes und lohnenswertes Stück weit. Neben den Sounds und Grooves der elektronischen Musik in der Nachfolge von Disco bietet sich als weiter Bezugspunkt der wohl unumgänglichen stilistischen Einordnung der Musik des Duos, jene Emanzipationsbewegung der Popmusik an, die man hierzulande flugs noch Neue Deutsche Welle getauft hatte, bevor diese dann umgehend auf dem Scheiterhaufen der schnellen Mark geopfert wurde. Dem Menetekel des Kommerziellen und Trivialen, das die NDW seitdem hat, ist es vermutlich geschuldet, dass Salvage Art selbst es vorziehen, ihre Musik als eine Mischung von New Wave, Synthpop und Krautrock zu bezeichnen (was in der Summe hinsichtlich der Musik wohl auf ziemlich das Gleiche herauskommt).

„Wer macht die Arbeit, wenn der Arbeiter regiert? Wer hat das Geld, wenn der Kapitalist verliert? Wer macht die Wurst, wenn der Metzger revoltiert? Wer macht die Arbeit?“ heißt es lakonisch zutreffend in einem der Texte von Thomas Mersch. Doch diese Fragen hätten bereits in besagten 1980er-Jahren gestellt werden können, als sich die Konturen der spätkapitalistischen Erlebnisgesellschaft abzuzeichnen begannen, ihre individualisierten Versprechen wie auch ihre kollektiven Krisen. Immerhin forderten Die Krupps in seinerzeit noch klassenkämpferisch beeinflusster Pose wahren Lohn für wahre Arbeit. Und sicherlich ist noch manch Ähnliches auf der einen oder anderen jener Tausenden von Kassetten zu finden, die seinerzeit überall in der Republik produziert worden waren; damals, als all das noch Underground und Gegenkultur gewesen war.

Die aktuelle Produktion von Salvage Art knüpft implizit und gelegentlich auch explizit an diese spannende popmusikalische Phase und deren hiesige und anglo-amerikanische Vorläufer oder auch Vorbilder an, erfreulicherweise ohne in aufgesetzte und allzu vordergründige Redundanzen zu verfallen. Bei Produktion und musikalischer Realisation ihrer künstlerischen Adaptionen, Transformationen und Neukreationen wurde das Duo von Jan Philipp Janzen unterstützt, dessen Schlagzeugspiel den Songs und Tracks des Albums gegenüber der Demoversion zusätzlichen Drive gibt und den einen oder anderen Klangakzent hinzufügt. Der Song „In der Schwebe“ beginnt mit einem entsprechenden Keyboard-Sound sowie einer schön sphärischen Hook, die Gitarre betont die Offbeats, umspielt diese dann leicht funkig, der Sprechgesang allerdings bleibt statisch. Auch wenn es in dem Text eigentlich um eine Beziehung geht, erscheint der Titel als geradezu paradigmatisch für die Musik des Albums. Denn diese versteht es, in der Schwebe und damit interessant zu bleiben, sich auch immer wieder der Einordnung zu entziehen. Und so sind auf der Veröffentlichung ebenso ruhige, träumerisch poetische Momente zu finden, etwa in „Du schaltest dich ab“, wie auch die intensiv treibenden Rhythmen der beiden bereits erwähnten Titel. Nicht nur im letzten Stück des Releases, „Passion is Fashion“, wurde beides gekonnt miteinander kombiniert. Vielleicht soll der erwähnte Schwebezustand, die Verweigerung von allzu starren Festlegungen auch durch den Albumtitel „Non“ zum Ausdruck gebracht werden, zumal der Begriff Salvage Art absichtlich beschädigte Werke bezeichnet, deren Kunststatus so negiert werden soll.

Die einigende Klammer des popmusikalischen Artefakts „Non“ besteht zunächst in dem kühl distanzierten, zeitweise recht ,deutsch’ anmutenden Sprechgesang, der nur in „Diskotomie“ um Begleitgesang von Charlotte Pfeifer ergänzt worden ist. Angesichts der genannten Einflüsse und der musikalischen Vita von Thomas Mersch verwundert dies nicht wirklich und passt bestens zur übrigen Musik. Vor allem ist dem Duo Salvage Art jedoch ein konzeptioneller Pop-Minimalismus mit einem guten Gespür für das Wesentliche und dem jeweiligen Song Zuträgliche zu attestieren. Die damit einhergehende geschmackliche Treffsicherheit in Sachen poppige Melodien, Sounds und Grooves könnte dann vielleicht wiederum als dankenswert ,undeutsch’ erscheinen- wobei dies dann zugegebenermaßen nur ein (weiteres) 80er-Jahre Klischee wäre. Bei „Non“ hört man darüber hinaus gelegentlich anklingende Vorlieben für betont maschinell-eckige Rhythmen und digitale Sounds, die sich auch als solche erkennbar geben. Denn auch die elektronische Popmusik, in der Roger van Lunteren bisher beheimatet war, hat längst ihre eigene Geschichte Und auch auf die lohnt es sich in der einen oder anderen Passage zurückzugreifen, wenn man heute gute Musik machen will. Genau dies ist Salvage Art überzeugend gelungen: Wahre Popmusik als Ergebnis wahrer Arbeit im Heimstudio, mehr oder weniger elektronisch basiert, zeitgemäß und durchaus erkennbar als „Made in Germany“- Let’s call it „Krautpop“!

„Non“ wird am 1.Oktober auf dem Kölner Label Sitzer Records veröffentlicht und ist als Vinylpressung in 250er-Auflage oder Digital-Album erhältlich. Darüber hinaus wird eine auf 11 Exemplare limitierte Vinyl Edition angeboten, bei der die Reproduktion des versehentlich zerstörten Bildes „Edelkönigskinder“, welches das Cover von „Non“ ziert, von der Künstlerin Katinka Dermietzel persönlich handsigniert worden ist.

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